Nachfolgend ein Beitrag vom 24.4.2018 von Birkenheier, jurisPR-FamR 8/2018 Anm. 1
Orientierungssätze
1. § 2332 Abs. 1 Alt. 2 BGB in der Fassung vom 01.01.2002 stellt nach seinem ausdrücklichen Wortlaut hinsichtlich des Beginns der 30jährigen Verjährungsfrist allein auf den objektiven Umstand des Erbfalles ab und nicht auf den der Entstehung des Anspruches oder eine subjektive Kenntnis des Gläubigers. Es lässt sich dem Wortlaut in keiner Weise entnehmen, dass es in Fällen, in denen zunächst die Vaterschaft des Pflichtteilsberechtigten festgestellt werden muss, hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist des Pflichtteilsanspruches nicht auf den Eintritt des Erbfalles ankommen soll.
2. Die Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB führt deshalb nicht dazu, den Beginn der Verjährungsfrist in objektiver Hinsicht zeitlich bis zur rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft des Erblassers hinauszuschieben.
A. Problemstellung
Nach § 1600d Abs. 4 BGB können die Rechtswirkungen der Vaterschaft grundsätzlich erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden. Die Entscheidung betrifft die Frage, ob sich aus § 1600d Abs. 4 BGB Auswirkungen auf Beginn und Ablauf der Verjährungsfrist für einen Pflichtteilsanspruch ergeben, obwohl die gesetzliche Verjährungsregelung in § 2332 Abs. 1 Alt. 2 BGB a.F. die Verjährungsfrist mit dem Eintritt des Erbfalls beginnen lässt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die im Jahre 1951 geborene Klägerin macht gegen den beklagten Testamentsvollstrecker im Wege der Stufenklage einen Pflichtteilsanspruch geltend. Sie ist die nichteheliche Tochter des im November 1977 verstorbenen Erblassers. Die Vaterschaft des Erblassers wurde erst durch Beschluss des AG Krefeld vom 29.09.2014, der seit dem 04.11.2014 rechtskräftig ist, festgestellt. Außer der Klägerin hatte der Erblasser keine Abkömmlinge. Seine Ehefrau, die im Jahre 2012 verstorben ist, hat er durch Testament zur Alleinerbin eingesetzt. Sie hat mit notariellem Testament eine bis dahin nicht existente Stiftung von Todes wegen zu ihrer alleinigen Erbin und den Beklagten als Testamentsvollstrecker eingesetzt.
Der beklagte Testamentsvollstrecker erhob die Einrede der Verjährung. Das Landgericht hatte die Verjährung bejaht und deshalb die Stufenklage insgesamt abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers im Jahre 1977 noch die Vorschrift des § 1934a BGB gegolten habe, wonach dem nichtehelichen Kind neben ehelichen Abkömmlingen oder dem Ehegatten des Vaters ein Erbersatzanspruch in Höhe des Erbteils zugestanden habe. Gemäß § 1934b BGB verjähre dieser Anspruch kenntnisunabhängig spätestens 30 Jahre nach dem Eintritt des Erbfalles.
Mit ihrer Berufung machte die Klägerin geltend, ein Anspruch verjähre nicht vor seiner Entstehung, die voraussetze, dass der Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht werden könne; dies sei im Hinblick auf § 1600d Abs. 4 BGB nicht vor Feststellung der Vaterschaft möglich gewesen. Im Übrigen werde sie bei Anwendung des § 1934b BGB i.V.m. § 199 Abs. 3a BGB in ihren Grundrechten beeinträchtigt, sodass das Landgericht das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG hätte vorlegen müssen. Die Klageabweisung stelle einen unverhältnismäßigen und nicht gerechtfertigten Eingriff in ihr grundrechtlich durch Art. 14 GG und Art. 6 GG geschütztes Erbrecht dar, das auch ihren Pflichtteilsanspruch umfasse. Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, ebenso gegen Art. 14 EMRK.
Das OLG Düsseldorf hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.
Der Klägerin stehe kein Pflichtteilsanspruch zu, da dieser Anspruch gemäß § 2332 Abs. 1 Alt. 2 BGB in der vom 02.01.2002 bis 31.12.2009 geltenden Fassung, die hier nach Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB i.V.m. Art. 229 § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EGBGB einschlägig sei, verjährt sei. Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin sei bereits bei Eingang der Klageschrift bei Gericht verjährt gewesen, da die 30jährige Verjährungsfrist im November 2007 abgelaufen sei.
Nach der Regelung des § 2332 Abs. 1 Alt. 2 BGB in der bis zum 31.12.2009 geltenden Fassung verjähre der Pflichtteilsanspruch ohne Rücksicht auf die Kenntnis vom Erbfall in 30 Jahren vom Eintritt des Erbfalles an. Die vom Landgericht der Entscheidung zugrunde gelegte Regelung des § 1934b Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. sei nicht einschlägig. Dies folge gemäß § 1934a Abs. 1 BGB a.F. bereits daraus, dass die Regelungen über den Erbersatzanspruch des nichtehelichen Kindes voraussetzen, dass gesetzliche Erbfolge eingetreten sei, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei.
Die Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB führe im vorliegenden Fall nicht dazu, den Beginn der Verjährungsfrist in objektiver Hinsicht zeitlich bis zur rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft des Erblassers hinauszuschieben. Richtig sei allerdings, dass es der Klägerin aufgrund der Regelung des § 1600d Abs. 4 BGB erst mit rechtskräftiger Feststellung ihrer Abstammung nach dem Erblasser möglich war, ihren Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Die Vorschrift hindere daher nach verbreiteter Auffassung die Entstehung des Anspruchs i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 3a BGB in der seit 01.01.2011 geltenden Fassung. § 2332 Abs. 1 Alt. 2 BGB a.F. stellte aber nach seinem ausdrücklichen Wortlaut hinsichtlich des Beginns der dreißigjährigen Verjährungsfrist allein auf den objektiven Umstand des Erbfalls ab und nicht auf die Entstehung des Anspruchs oder eine subjektive Kenntnis des Gläubigers. Die Regelung sei eindeutig. Es lasse sich dem § 2332 BGB a.F. in keiner Weise entnehmen, dass es in Fällen, in denen zunächst die Vaterschaft festgestellt werden müsse, hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist des Pflichtteilsanspruchs nicht auf den Eintritt des Erbfalles ankommen solle.
Auch die Voraussetzungen einer Hemmung der Verjährungsfrist seien nicht gegeben, weder nach § 198 Satz 1 BGB a.F. noch nach § 200 Satz 2 BGB, da diese Vorschriften im Gegensatz zu § 2332 Abs. 1 Alt. 2 BGB a.F. die Entstehung des Anspruchs voraussetzen. Auch eine Hemmung der Verjährung gemäß § 202 Abs. 1 BGB a.F. und gemäß § 203 Abs. 2 BGB a.F. scheide aus. Das Verfahren sei auch nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem BVerfG vorzulegen. Denn die Regelung des § 2332 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB a.F. sei nicht verfassungswidrig und verletze die Klägerin nicht in ihren Grundrechten. Die Vorschrift stelle nämlich eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sowie einen gerechtfertigten Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG dar. Denn ein Zeitraum von 30 Jahren sei ausreichend lang bemessen, um auch dem nichtehelichen Abkömmling zu ermöglichen, die Vaterschaft feststellen zu lassen und den Pflichtteil geltend zu machen. Auch sei das Interesse des Erben zu berücksichtigen, irgendwann sicher zu sein, dass keine Pflichtteilsansprüche mehr geltend gemacht werden. Auch das Gebot des Art. 6 Abs. 5 GG, nichteheliche Kinder den ehelichen gleichzustellen, werde nicht verletzt. Es sei bereits nicht ersichtlich, dass nichteheliche Pflichtteilsberechtigte zahlenmäßig von der Regelung des § 2332 Abs. 1 BGB a.F. stärker betroffen seien als eheliche, die z.B. erst nach mehr als 30 Jahren von ihrer Pflichtteilsberechtigung Kenntnis erlangen. Die gesetzliche Regelung sei durch sachliche Gründe gerechtfertigt, die nicht an die Ehelichkeit bzw. Nichtehelichkeit anknüpfen.
Das OLG Düsseldorf hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Diese wurde jedoch nicht eingelegt.
C. Kontext der Entscheidung
Mit der vorliegenden Entscheidung hat sich das OLG Düsseldorf der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung zu der in Rede stehenden Streitfrage angeschlossen (LG Wuppertal, Urt. v. 24.06.2016 – 2 O 210/15 – ErbR 2017, 176; Lange in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2017, § 2332 Rn. 6; Birkenheier in: jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 2332 Rn. 71; Horn, ZErb 2016, 232; Ruby/Schindler, ZEV 2017, 29, 32). Der 7. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat inzwischen seine vorstehend dargestellte Rechtsauffassung mit Urteil vom 01.12.2017 (I-7 U 151/16 – ErbR 2018, 167), das die Berufungsentscheidung zu dem vorstehend genannten Urteil des LG Wuppertal darstellt, bestätigt. In dieser Entscheidung geht es um Pflichtteilsergänzungsanspruche aus § 2329 BGB, für die gemäß § 2332 Abs. 2 BGB a.F. und § 2332 Abs. 1 BGB n.F. eine ebenfalls kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, die mit dem Erbfall beginnt. Diese Frist war im dortigen Fall bereits im Juli 2010 abgelaufen. Die Abstammung des dortigen Klägers vom Erblasser wurde jedoch erst im Jahre 2015 gerichtlich festgestellt; bei Eingang der anschließend erhobenen Pflichtteilsklage war die Verjährungsfrist bereits abgelaufen. Auch in diesem Fall hat das OLG Düsseldorf die Revision zugelassen; sie wurde auch eingelegt und ist beim BGH unter AZ. IV ZR 317/17 anhängig.
D. Auswirkungen für die Praxis
Bis zur Entscheidung des BGH können sich Erben, die von einem nichtehelichen Abkömmling des Erblassers bei vergleichbaren Fallgestaltungen wie in den Entscheidungen des OLG Düsseldorf auf den Pflichtteil in Anspruch genommen werden, weiterhin auf die gesetzlichen Verjährungsregelungen berufen. Demgegenüber sollten nichteheliche Abkömmlinge, deren Abstammung vom Erblasser erst nach Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfristen für den Pflichtteilsanspruch gerichtlich festgestellt wurde, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Entscheidung über den von ihnen geltend gemachten Pflichtteilsanspruch offenzuhalten, bis die Entscheidung des BGH vorliegt.
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