Nachfolgend ein Beitrag vom 20.10.2015 von Schnauder, jurisPR-BKR 10/2015 Anm. 2
Leitsatz

Vereinbarungen, in denen für Klagen eines Verbrauchers aus Haustürgeschäften ein von § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO abweichender Gerichtsstand bestimmt wird, sind nach § 29c Abs. 3 ZPO unzulässig.

A. Problemstellung

Die hier zu besprechende Entscheidung des III. Zivilsenats des BGH vom 30.10.2014 betrifft die Zulässigkeit der Klage eines Verbrauchers mit Wohnsitz in Deutschland aus einem behaupteten Haustürgeschäft (§ 312 BGB a.F., jetzt § 312b BGB). Das Urteil des BGH unter dem Aktenzeichen III ZR 71/14 vom gleichen Tag behandelt einen Parallelfall (BGH, Urt. v. 30.10.2014 – III ZR 71/14). In beiden Fällen hatte das Berufungsgericht die internationale Entscheidungszuständigkeit deutscher Gerichte nach § 29c ZPO mit der Begründung verneint, eine zwischen dem Verbraucher und einem liechtensteinischen Vermögensverwalter formularmäßig getroffene abweichende Gerichtsstandsvereinbarung sei rechtsgültig. Diese Rechtsauffassung hat der BGH nicht gebilligt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger schloss mit der im Fürstentum Liechtenstein ansässigen Beklagten am 19.04.2007 einen Vermögensverwaltungsvertrag mit einer Laufzeit von 30 Jahren. Danach war der Kläger verpflichtet, eine Einmalzahlung von 3.600 Euro zuzüglich Agio von 5% sowie während der gesamten Vertragslaufzeit monatliche Einlageraten von 100 Euro zuzüglich 5% Agio zu zahlen. Die Vertragsbedingungen unterwarfen den Vertrag liechtensteinischem Recht. Im Streitfall sollte der Kläger seine Rechte aus dem Anlagegeschäft in Vaduz geltend machen.
Der Kläger ließ mit Anwaltsschreiben vom 11.07.2011 den Vertrag kündigen, widerrufen und anfechten. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt außer der Soforteinlage erst vier Monatsraten erbracht, insgesamt also 4.200 Euro gezahlt. Mit seiner Klage vor dem LG Dessau-Roßlau forderte er u.a. diesen Betrag von der Beklagten.
Landgericht und Oberlandesgericht hatten die Klage für unzulässig gehalten, weil es an der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts fehle. Der Klägergerichtsstand für Haustürgeschäfte nach § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO sei nicht gegeben, da er wirksam vertraglich derogiert worden sei. Da diese Norm lediglich einen besonderen und keinen ausschließlichen Gerichtsstand für Verbraucherklagen vorsehe, stehe einer Gerichtsstandsvereinbarung § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht entgegen. Der Kläger müsse sein Recht daher in Liechtenstein suchen.
Dieser Beurteilung der verbraucherprozessrechtlichen Lage ist der BGH in dem vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionsverfahren nicht gefolgt. Er teilt die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts allerdings insoweit, als sich die Unzulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht aus § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO herleiten lässt, nachdem der Gesetzgeber mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.2001 den ausschließlichen Gerichtsstand für Klagen des Verbrauchers aus einem Haustürgeschäft aus § 7 Abs. 1 HWiG nach § 29c ZPO nicht übernommen, sondern lediglich einen besonderen Gerichtsstand für Haustürgeschäfte vorgesehen hat.
Der Derogation des Gerichtsstandes aus § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO steht nach Ansicht des Senats allerdings die Vorschrift des § 29c Abs. 3 ZPO entgegen, welche das Berufungsgericht nicht näher erörtert hat. Diese Norm verbiete sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrer Entstehungsgeschichte abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen. Denn der Gesetzgeber habe mit der Abschaffung des ausschließlichen Gerichtsstandes für Klagen aus Haustürgeschäften dem Verbraucher die Möglichkeit eröffnen wollen, nach seiner Wahl am allgemeinen Gerichtsstand der anderen Vertragspartei und am Erfüllungsort zu klagen (BT-Drs. 14/6040, S. 278). Am Niveau des Verbraucherschutzes sollte nichts geändert werden. Dieses legislatorische Ziel sei aber nur erreichbar, wenn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts § 29c Abs. 3 ZPO so ausgelegt werde, dass der bisherige durch § 7 Abs. 1 HWiG eröffnete Gerichtsstand vereinbarungsfest erhalten bleibe.

C. Kontext der Entscheidung
Die klarstellende Entscheidung des BGH überrascht nicht. Sie lag auf der Hand (vgl. Roth in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 29c Rn. 13). Dass das Berufungsgericht gleichwohl nicht auf den Regelungsgehalt des § 29c Abs. 3 ZPO abgestellt hat, ist der unglücklichen Gesetzesfassung zuzuschreiben. Denn die Norm bezieht sich zwar nach dem unmittelbaren Wortlaut auf den gesamten Absatz 1 des § 29c ZPO, ist aber inhaltlich allein auf Absatz 1 Satz 2 zugeschnitten, so dass nach dem Normenzusammenhang Zweifel über den Regelungskontext bestehen. Die in § 29c Abs. 3 ZPO bestimmten Ausnahmeregelungen beziehen sich allein auf die in § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO geregelte ausschließliche Zuständigkeit für Klagen gegen den Verbraucher. Der Senat kommt gleichwohl zum gewünschten und allein richtigen Ergebnis mit der etwas apodiktischen Begründung, aus diesem Zusammenspiel von Norm und Bezugsnorm ergebe sich nicht, dass sich § 29c Abs. 3 ZPO insgesamt nur auf § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO beziehe (ebenso zwei nicht veröffentlichte Entscheidungen des OLG Bamberg und des OLG Stuttgart aus den Jahren 2012 und 2013; zust. Mankowski, BB 2014, 3090).
Die Auslegung des Normtextes vermag jedoch nicht ganz zu überzeugen. Im Grunde kann der Senat mehr als die Absicht des Gesetzgebers, den Schutz des Verbrauchers nicht zu verkürzen, für das Auslegungsergebnis nicht anführen. Nur mithilfe der subjektiven Auslegungsmethode lässt sich das Derogationsverbot letztlich begründen und die ungeschickte prozessuale Bestimmung des Klägergerichtsstandes bereinigen.
Der Gesetzgeber hatte es seinerzeit versäumt, die Zulässigkeit einer derogierenden Vereinbarung der beiden in § 29c Abs. 1 ZPO geregelten Gerichtsstände durch entsprechende Differenzierung im Absatz 3 klar herauszustellen. Es hätte nahegelegen, den doppelten Regelungsgehalt zweckmäßigerweise in zwei Sätzen zu normieren. Soweit es um den besonderen Gerichtsstand der Klage des Verbrauchers nach § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO geht, hätte eine Schranke für jede Art der Prorogation (entsprechend § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) errichtet werden müssen, während umgekehrt für den ausschließlichen Gerichtsstand für Klagen gegen den Verbraucher (§ 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO) die von § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO aufgestellte Verbotsschranke in den in § 29c Abs. 3 ZPO genannten Fallkonstellationen hätte aufgehoben werden müssen. In dem einen Fall geht es um die Herstellung eines der ausschließlichen Zuständigkeit entsprechenden vereinbarungsfesten Gerichtsstandes, im anderen um die Durchbrechung der ausschließlichen Gerichtszuständigkeit. Dieser gegenläufige Regelungsgehalt kommt in § 29c Abs. 3 ZPO nur unvollkommen zum Ausdruck.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Vertragsparteien eines Haustürgeschäfts können von der gesetzlichen Gerichtsstandsregelung in § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht abweichen. Der Klägergerichtsstand steht nicht zur Disposition der Parteien. Eine Klarstellung des § 29c Abs. 3 ZPO in diesem Sinne durch den Gesetzgeber wäre für die Frage der örtlichen Zuständigkeit weiterhin wünschenswert. Für das europäische internationale Verbraucherprozessrecht ist dies nicht mehr nötig. Für künftige Verbraucherklagen gegen Unternehmen mit Sitz in Mitgliedstaaten greift ab dem 10.01.2015 die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ein (Hinweis bei Mankowski, BB 2014, 3090). Für Verbraucherverträge der vorliegenden Art (Art. 17 Abs. 1c der VO) bestimmt sich der Gerichtsstand gemäß Art. 18 VO auch nach dem Wohnsitzgericht des Verbrauchers. Davon darf nur unter den engen Katalogvoraussetzungen des Art. 19 VO abgewichen werden, die für gewöhnlich nicht vorliegen werden. Der europäische internationale Klägergerichtsstand in Verbrauchersachen ist grundsätzlich vereinbarungsfest.