Nachfolgend ein Beitrag vom 27.09.2016 von Backhaus, jurisPR-HaGesR 9/2016 Anm. 1

Leitsatz

Eine Vertragsbestimmung in einem Handelsvertretervertrag, wonach ein Teil der dem Handelsvertreter laufend zu zahlenden Vergütung auf den künftigen Ausgleichsanspruch angerechnet werden soll, verstößt im Zweifel gegen die zwingende Vorschrift des § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB und ist daher in der Regel gemäß § 134 BGB nichtig. Eine solche Vertragsbestimmung ist nur dann rechtswirksam, wenn sich feststellen lässt, dass die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede keine höhere Provision vereinbart hätten, als dem Teil der Gesamtvergütung entspricht, der nach Abzug des abredegemäß auf den Ausgleichsanspruch anzurechnenden Teils verbleibt. Die Beweislast dafür, dass diese Voraussetzung vorliegt, trifft den Unternehmer. Ist eine derartige Vertragsbestimmung hiernach nichtig, so ist der zur Anrechnung vorgesehene Teil der Vergütung als vom Unternehmer geschuldeter Teil der Gesamtvergütung anzusehen (Anschluss an BGH, Urt. v. 13.01.1972 – VII ZR 81/70 – BGHZ 58, 60).

A. Problemstellung

In der Entscheidung geht es um die Voraussetzungen für die wirksame Vereinbarung der Anrechnung von Vorauszahlung auf den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gemäß § 89b Abs. 1 HGB.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die klagende Versicherungsagentur macht nach Stornierung von vermittelten Versicherungsverträgen einen Provisionsrückzahlungsanspruch gegen ihren ehemaligen Unterhandelsvertreter geltend.
Nach dem Handelsvertretervertrag erhielt der Untervertreter „zusätzlich zu den Provisionen […] eine Vorauszahlung von monatlich 200,- EUR auf einen evtl. fällig werdenden Ausgleichsanspruch“. Nach elf Monaten beendeten die Parteien den Handelsvertretervertrag einvernehmlich. Wie im Aufhebungsvertrag vereinbart, zahlte der Beklagte einen konkret bezifferten Teil der Vorauszahlungen an den Kläger zurück. Der Beklagte hat nun die Aufrechnung mit einem angeblichen Bereicherungsanspruch in dieser Höhe erklärt. Er macht geltend, die Rückzahlung sei ohne Rechtsgrund erfolgt.
Anders als das Berufungsgericht geht der BGH auf Basis der festgestellten Tatsachengrundlage davon aus, dass der Rechtsgrund fehlte und folglich die bereicherungsrechtliche Gegenforderung besteht. Er hat den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Im Regelfall verstoße eine Anrechnungsabrede nämlich gegen § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB und sei damit nichtig (§ 134 BGB). Bei Nichtigkeit sei auch der zur Anrechnung vorgesehene Teil als geschuldeter Teil der Gesamtvergütung anzusehen (BGH, Urt. v. 13.01.1972 – VII ZR 81/70 – BGHZ 58, 60 f., 71 f.). Eine Vorauszahlung mit Anrechnungsabrede sei nur dann wirksam, wenn sich feststellen lasse, dass die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede keine höhere Provision vereinbart hätten, als dem Teil der Gesamtvergütung entspricht, der nach Abzug des nach der zu prüfenden Abrede anzurechnenden Teils verbleibt. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trage der Unternehmer (BGH, Urt. v. 13.01.1972 – VII ZR 81/70 – BGHZ 58, 60). Das Berufungsgericht habe dazu keine Feststellungen gemacht.
Auch der Aufhebungsvertrag stellte hier keinen Rechtsgrund dar. Die Vereinbarung verstoße nämlich ebenfalls gegen § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB, da mit ihr der Ausgleichsanspruch nach oben begrenzt werde, und sei insoweit ebenfalls nichtig (§ 134 BGB). Denn § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB verbiete nicht nur Vereinbarungen vor Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses mit denen der Ausgleichsanspruch ausgeschlossen werde, sondern auch solche, durch die er eingeschränkt werde (BGH, Urt. v. 25 09.2002 – VIII ZR 253/99 – BGHZ 152, 121, 133). Aus Gründen der Rechtssicherheit gelte die zwingende Vorschrift des § 89b Abs. 4 Satz 1 HGB auch dann, wenn der Handelsvertreter im Einzelfall dieses gesetzlichen Schutzes nicht bedarf (BGH, Urt. v. 29.03.1990 – I ZR 2/89 – NJW 1990, 2889, 2890) oder die Vereinbarung nur wenige Tage vor Beendigung des Vertragsverhältnisses getroffen werde (BGH, Urt. v. 10.07.1996 – VIII ZR 261/95 – NJW 1996, 2867, 2868). Die Nichtigkeitsfolge erfasse wegen des sachlichen Zusammenhangs auch die Rückzahlungsvereinbarung.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung ist kurz und prägnant begründet und bewegt sich im durch die bisherige Rechtsprechung des BGH vorgezeichneten Rahmen. Sie ist daher nicht überraschend, bekräftigt aber durch die Art und Weise der Begründung die schon bisherige Rechtsprechung deutlich, dass eine Anrechnung von Vorauszahlungen auf den Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB nur unter sehr engen, vom Unternehmer zu beweisenden Voraussetzungen in Betracht kommt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung zeigt damit, dass es aus Unternehmersicht nicht ratsam ist, im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch gemäß § 89a HGB eine Vorschuss- und Anrechnungsvereinbarung zu treffen. Die Voraussetzungen lassen sich in der Praxis nur selten und mit erheblichem Aufwand an die Dokumentation des Verhandlungsverlaufes erfüllen. Soll das dennoch erfolgen, ist in der Praxis darauf zu achten, dass im Verhandlungsverlauf zunächst eine Provision endverhandelt wird und dann erst im zweiten Schritt eine Vorschuss- und Anrechnungslösung verhandelt wird. Dabei ist aus Unternehmersicht zu begründen und zu dokumentieren, warum er keine höhere Vergütung vereinbaren würde. Unbedingt zu warnen ist davor, sich auf reine Klarstellungen im Vertrag zu beschränken, man habe keine höhere Vergütung vereinbaren wollen. Dieses genügt – wie auch sonst – nicht, da die Schutzvorschrift nicht zur pauschalen Disposition der Parteien steht (vgl. für die individualvertragliche Bestätigung des Aushandelns von AGB: BGH, Urt. v. 20.03.2014 – VII ZR 248/13 – NJW 2014, 1725 Rn. 27 ff.). Bei beabsichtigter mehrfacher Verwendung unterliegen solche Klauseln als AGB ferner der Klauselkontrolle. Das gilt auch für die Vorschussregelung. Zweifel und Unklarheiten gehen damit praktisch noch weitergehend zulasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB), und das ist regelmäßig ebenfalls der Unternehmer.
Die Entscheidung ist aufgrund der ständigen Rechtsprechung, die die Vorschriften des Ausgleichs nach § 89a HGB auf den Vertragshändler entsprechend anwendet (vgl. statt vieler Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl. 2014, § 89b Rn. 70, § 84 Rn. 12, m.w.N.), auch bei Vertragshändlern zu berücksichtigen. Handelsvertreter und Vertragshändler haben bei entsprechenden Vereinbarungen gute Chancen, trotz der an sich klaren Regelung im Vertrag solche Vorschüsse im Beendigungsfall behalten zu dürfen. Darauf ist bei der Beratung von Handelsvertretern und Vertragshändlern zu achten.
Beschränkung oder Ausschluss der Ausgleichsansprüche nach § 89b HGB im Voraus im Aufhebungsvertrag sind hingegen ein vermeidbarer Anfängerfehler. Die Praxis behilft sich hier weiter mit der sofortigen oder rückwirkenden Aufhebung (vgl. BGH, Urt. v. 10.07.1996 – VIII ZR 261/95 – NJW 1996, 2867; Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, § 89b Rn. 74), um dem berechtigten Interesse beider Parteien nach Rechtssicherheit und einer einvernehmlichen Regelung der Folgen der Vertragsbeendigung Rechnung tragen zu können.