Nachfolgend ein Beitrag von Kremer/Halim, jurisPR-ITR 13/2015 Anm. 3

Orientierungssatz zur Anmerkung

Wer als Registrar die Konnektierung einer Domain bei der zuständigen Registrierungsstelle („Registry“) für den Domaininhaber vermittelt, haftet als Störer für unter der registrierten Domain veröffentlichte, die Persönlichkeitsrechte Dritter verletzende Inhalte, wenn der Registrar trotz Kenntnis von der Rechtsverletzung untätig bleibt.

A. Problemstellung

Insbesondere bei im Ausland gehosteten Websites, sind die für dort im Internet begangene Rechtsverletzungen Verantwortlichen häufig nicht identifizierbar oder ihre rechtliche Inanspruchnahme erscheint aus anderen Gründen wenig aussichtsreich. Für die von der Rechtsverletzung Betroffenen (neben Inhabern gewerblicher Schutzrechte und Urheberrechte insbesondere Adressaten persönlichkeitsrechtsverletzender Äußerungen) stellt sich dann die Frage nach der Inanspruchnahme Dritter, die technisch an der Verfügbarkeit der Rechtsverletzung mitwirken.
Die Rechtsprechung hat dies über die aus den §§ 1004, 823 BGB abgeleitete Störerhaftung gelöst und Intermediäre unterschiedlichster Funktion auf Beseitigung und Unterlassung von Rechtsverletzungen als Störer in Anspruch genommen. In jüngerer Zeit haben verschiedene Gerichte nunmehr auch sog. Domain-Registrare in die Störerhaftung einbezogen und hieraus sogar eine Pflicht zur Dekonnektierung einer Domain mit rechtsverletzenden Inhalten abgeleitet (dazu bereits Brüggemann, jurisPR-ITR 1/2015 Anm. 4). An diese Entwicklung anknüpfend hatte sich nun das LG Köln in einem einstweiligen Verfügungsverfahren mit der Frage zu befassen, ob und unter welchen Bedingungen ein Domain-Registrar als Störer für auf einer Website veröffentlichte Videobeiträge mit Verletzungen des (Unternehmens-)Persönlichkeitsrechts haftet.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der vor dem LG Köln in Anspruch genommene Registrar (im Urteil: Antragsgegnerin zu 4) hatte für den Betreiber einer Website die Registrierung einer Domain (im konkreten Fall: bei der für .com-Domains zuständigen Registry) herbeigeführt und deren Konnektierung zur Nutzung durch den Betreiber der Website veranlasst.
Auf der über die Domain erreichbaren Website waren redaktionelle Videobeiträge öffentlich abrufbar. Diese enthielten Interviews eines ehemaligen Mitarbeiters des betroffenen Unternehmens über deren angeblich datenschutzrechtswidrige Praktiken sowie die damit angeblich in Zusammenhang stehende Kündigung des Mitarbeiters. Unstrittig waren die negativen Aussagen im Interview unwahr, worin das LG Köln eine Verletzung des betroffenen Unternehmens in seinem Unternehmenspersönlichkeitsrecht sowie seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gem. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG sah.
Da die für Website und rechtsverletzendes Video Verantwortlichen nicht identifizierbar waren, wandte sich das betroffene Unternehmen unter Darlegung der Rechtsverletzung an den Registrar und forderte diesen zur unverzüglichen Löschung der Videos auf. Der Registrar wandte sich daraufhin über Dritte an die Verantwortlichen. Diese versicherten die Rechtmäßigkeit der Inhalte in den Videos. In der Folge stellte der Registrar den unmittelbaren Kontakt zwischen betroffenem Unternehmen und Verantwortlichen her, verweigerte jedoch unter Hinweis auf die fehlende Offenkundigkeit der behaupteten Rechtsverletzung jegliches weitere Tätigwerden wegen der Beseitigung der Videos.
Mit dem vorliegenden Urteil bestätigte das LG Köln die zuvor durch Beschluss erlassene einstweilige Verfügung und erkannte dem betroffenen Unternehmen einen Unterlassungsanspruch gemäß den §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB gegen den Registrar zu. Dieser habe durch die Konnektierung der Domain einen adäquat-kausalen Beitrag zur Veröffentlichung der rechtswidrigen Inhalte auf der Website geleistet. Den Registrar treffe, gleich einem Host-Provider, jedenfalls dann eine Haftung für rechtsverletzende Inhalte auf der von ihm registrierten Domain erreichbaren Website, wenn er die ihm möglichen und im Einzelfall zumutbaren Verhaltens-, insbesondere Prüfungspflichten verletze.
Ein Tätigwerden des Registrars sei spätestens dann angezeigt, wenn dieser konkrete Kenntnis von den angegriffenen Inhalten erlange. Bei Verletzungen des (Unternehmens-)Persönlichkeitsrechts liege eine solche Kenntnis jedoch nicht ohne weiteres vor, sondern verlange Prüfung und Abwägung der Behauptungen des Betroffenen einerseits und der Verteidigung des Angegriffenen andererseits durch den Registrar. Beschränkt sich der Angegriffene dabei auf ein unsubstantiiertes Bestreiten der vorgeworfenen (ohne Bestreiten offensichtlichen) Rechtsverletzung, sei es nicht mehr ausreichend, wenn der Registrar abgesehen von der Herstellung des Kontakts zwischen Betroffenem und Angegriffenem untätig bleibt.
C. Kontext der Entscheidung
Mit der Anwendung der Störerhaftung auch auf Registrare von Domains reiht sich das Urteil des LG Köln nahtlos in die jüngere Entscheidungspraxis unter- und oberinstanzlicher Gerichte ein, die jeweils unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH zu gleichen Ergebnissen kommen.
So sah etwa das OLG Saarbrücken (einstweiliges Verfügungsverfahren, Urt. v. 22.10.2014 – 1 U 25/14, Vorinstanz LG Saarbrücken, Urt. v. 15.01.2014 – 7 O 82/13; Hauptsache beim LG Saarbrücken rechtshängig) den Registrar einer Domain, unter der eine Torrent-Suchseite nebst zugehörigem Tracker betrieben wurde, als Störer für etwaige von den Nutzern des Torrent-Netzwerks begangene Urheberrechtsverletzungen verantwortlich an. Ebenso wendete das Kammergericht die Störerhaftung bei einer persönlichkeitsrechtsverletzenden Mitteilung der Wohnadresse eines Brandanschlagopfers auf den Registrar an, wobei die Rechtsverletzung unter der Third-Level-Domain eines unbekannten Dritten begangen wurde (Beschl. v. 10.07.2014 – 10 W 142/13).
Zur Begründung der Störereigenschaft des Registrars wurde in allen Entscheidungen maßgeblich der willentlich und adäquat-kausal gesetzte Ursachenbeitrag, den der Registrar mit der Konnektierung der Domain setzt, sowie die Erkennbarkeit der Rechtsverletzung herangezogen. Anders als das LG Köln thematisierten die Saarbrücker Gerichte ergänzend die Frage, ob eine Störerhaftung nicht deshalb ausgeschlossen sei, weil die Rechtsverletzungen selbst nach einer Dekonnektierung der Domain weiterhin über die jeweilige IP-Adresse des Servers begangen würden, weshalb dem Registrar letztlich die vollständige Unterbindung künftiger Rechtsverletzungen technisch nicht möglich sei. Allerdings führe bereits die Erschwerung des Zugriffs durch „Abschalten“ der Domain zu der gewünschten Wirkung, weshalb eine Störerhaftung des Registrars gleichwohl zu bejahen sei.
Die Entscheidungen zur Störerhaftung des Registrars sind in vieler Hinsicht problematisch:
Das LG Köln hat im hier besprochenen Urteil noch nicht einmal die Frage aufgeworfen, wie der Registrar der Unterlassungspflicht überhaupt nachkommen kann, wo doch eine Löschung der rechtswidrigen Inhalte mangels „Herrschaft“ über die unter der Domain betriebenen Website ausgeschlossen ist. Beschränken sich die Handlungsmöglichkeiten am Ende allein auf die Dekonnektierung der Domain, also deren „Abschaltung“, sind davon ggf. auch rechtmäßige Inhalte betroffen, was dem Registrar regelmäßig unzumutbar sein dürfte. Im einstweiligen Verfügungsverfahren stellt sich im Anschluss ergänzend die ebenfalls vom LG Köln nicht erörterte Frage, ob das „Abschalten“ einer Domain nicht zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führt, mithin überhaupt nicht Gegenstand eines Eilverfahrens sein kann. Schließlich wäre die Frage nach der Wiederholungsgefahr zu stellen, wenn der Registrar – wie im konkreten Fall geschehen – nach Zustellung der Beschlussverfügung die Domain dekonnektiert und damit die Rechtsverletzung (endgültig) als über die Domain begangen beendet.
Vorschnell ist auch die Einordnung des Registrars als Host-Provider i.S.d. § 10 TMG. Informationen werden vom Registrar nicht gespeichert. Dieser macht nichts anderes, als die für die Erfassung einer Domain in der Datenbank der jeweiligen Registry erforderlichen Informationen weiterzuleiten und an der Konnektierung der Domain mitzuwirken. Sein Handeln beschränkt sich mithin auf einen untergeordneten Beitrag zur Erreichbarkeit einer Domain, während zu den unter der Domain abrufbaren Inhalten keinerlei Beziehung besteht. Anders als etwa bei der Störerhaftung unterworfenen Sharehostern (BGH, Urt. v. 12.07.2012 – I ZR 18/11) fehlt beim Registrar mangels Speicherung jegliche Kenntnisnahme- oder Zugriffsmöglichkeit. Viel näher liegt deshalb die Behandlung eines Registrars entsprechend einem Access-Provider i.S.d. § 8 TMG. Auch mit dieser Frage hat sich das LG Köln jedoch nicht befasst.
Sodann ist die reflexartige Anwendung der Grundsätze der Störerhaftung unter Außerachtlassung der Haftungsprivilegierungen in den §§ 8 bis 10 TMG zu kritisieren. Zutreffend ist zwar, dass der BGH ebenso wie der weit überwiegende Teil der Literatur Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche bislang von dieser Haftungsprivilegierung strikt ausgenommen hat (vgl. nur BGH, Urt. v. 11.03.2004 – I ZR 304/01; BGH, Urt. v. 27.03.2007 – VI ZR 101/06). Diese „rote Linie“ ist aber angesichts der jüngsten Entwicklung in der Rechtsprechung nicht länger zu halten (vgl. dazu auch Brüggemann, jurisPR-ITR 1/2015 Anm. 4).
Das Kammergericht hat diese Rechtsprechung unter Hinweis auf jüngere Entscheidungen des EuGH (Urt. v. 23.03.2010 – C-236/08 bis C-238/08 „Google France und Google“; EuGH, Urt. v. 12.07.2011 – C-324/09 „L’Oreal/eBay“) bereits 2013 aufgegeben. Dieses Urteil des Kammergerichts ist zwischenzeitlich in der Revision vom BGH (Urt. v. 19.03.2015 – I ZR 94/13) bestätigt worden. Zwar liegt der Volltext noch nicht vor, nach dem Wortlaut der Pressemitteilung des BGH (abrufbar unter: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&nr=70532&linked=pm, abgerufen am: 24.06.2015) ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der BGH § 10 TMG unmittelbar angewendet hat, ebenso wie dies das Kammergericht getan hat.
Selbst wenn man jedoch grundsätzlich von den Grundsätzen der Störerhaftung ausgehen wollte, sind die vom LG Köln und den anderen Gerichten dem Registrar auferlegten Prüfpflichten weder rechtlich noch wirtschaftlich zumutbar oder sinnvoll. Wenn schon die Haftung einer Registry für Rechtsverletzungen durch die zu registrierende Domain selbst erheblich beschränkt ist (BGH, Urt. v. 17.05.2001 – I ZR 251/99; BGH, Urt. v. 27.10.2011 – I ZR 131/10), muss dies erst Recht für Inhalte unter einer Domain gelten, auf die der Registrar keinen Einfluss hat (dazu auch Marosi, jurisPR-ITR 10/2014, Anm.5).
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Rechtsverletzungen selbst bei einer vollständigen und dauerhaften Dekonnektierung einer Domain nicht verschwinden, sondern weiterhin im Internet zugänglich sind, dies entweder über die IP-Adresse des Servers, eine andere (Ersatz-)Domain oder gar dieselbe Domain, wenn diese über einen anderen Registrar erneut über die Registry konnektiert wird.
D. Auswirkungen für die Praxis
Mit der Rechtsprechung zur Störerhaftung des Registrars für unter einer Domain zugängliche Rechtsverletzungen eines Dritten wird die von der EU mit den Haftungsprivilegierungen in der E-Commerce-Richtlinie, in Deutschland umgesetzt im TMG, bezweckte Stärkung technischer Dienstleister im Internet in ihr Gegenteil verkehrt. Jeder an der Bereitstellung von Inhalten im Internet beteiligte Dienstleister muss zukünftig für eine Inanspruchnahme wegen von ihm nicht verantworteter und nicht beherrschter Inhalte rechnen, mag er auch noch so viele Stufen vom Täter entfernt in die Leistungserbringung eingebunden sein.
IT-Dienstleister in Deutschland geraten damit in eine Zwickmühle, kann doch nach den Entscheidungen des OLG Saarbrücken, KG Berlin und nunmehr des LG Köln von einem Einzelfall keine Rede mehr sein: Geben Sie dem latenten Haftungsdruck, der für sich genommen bereits verfassungs- und europarechtlich bedenklich ist, durch vorsorgliche Eingriffe in Leistungsbeziehungen wegen angeblicher oder tatsächlicher Rechtsverletzungen zur Vermeidung einer Störerhaftung nach, verlieren sie massiv Kunden an Dienstleister außerhalb von Deutschland. Wehren Sie sich gegen überzogene Anforderungen, drohen fragwürdige Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren, Belastungen mit Bestrafungsverfahren und erhebliche Kosten für die Durchsetzung von Rechten ihrer Kunden durch die Instanzen. Umgekehrt freuen sich die Betroffenen, wird doch die Suche nach dem Täter einer Rechtsverletzung noch ein Stück weiter entbehrlich, wenn neben dem Hoster nunmehr auch der Registrar der Domain in Anspruch genommen werden kann, um für Ordnung im Internet zu sorgen.
Es bleibt zu hoffen, dass diesem Treiben alsbald durch ein Machtwort des Gesetzgebers ein Ende bereitet wird. Angesichts der wirtschafts- und technologiefeindlichen Entwürfe des Gesetzgebers zur Ergänzung des TMG um eine „Freifunkklausel“ besteht dazu derzeit jedoch auf nationaler Ebene wenig Anlass.