Nachfolgend ein Beitrag vom 3.7.2017 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 27/2017 Anm. 6

Orientierungssätze

1. Ein steuerfreies innergemeinschaftliches Verbringen liegt vor, wenn die betreffenden Gegenstände vom Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung nach Orten außerhalb eines Mitgliedstaats, aber innerhalb der Union versandt oder befördert werden, und die Verbringung an diesen Steuerpflichtigen bewirkt wird, der als solcher in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt.
2. Aufgrund des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität kommt es für die Befreiung des Verbringens nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige seine ausländische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgrund der vom Mitgliedstaat im Rahmen des Art. 22 Abs. 8 der RL 77/388/EWG aufgestellten Pflichten aufgezeichnet hat, wenn feststeht, dass er es für sein Unternehmen verbracht hat.
3. Der Steuerpflichtige kann sich jedoch dann nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen, wenn er sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat.

A. Problemstellung

Immer wieder kommt es vor allem bei Außenprüfungen zu Diskussionen darüber, ob eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a UStG) vorliegt, obwohl der Abnehmer keine oder jedenfalls keine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (§ 27a UStG) angegeben hat. Das FG München hatte eine entsprechende Frage an den EuGH vorgelegt. Nachdem der EuGH im vergangenen Jahr die Steuerfreiheit bejaht hatte (EuGH, Urt. v. 20.10.2016 – C-24/15 – UR 2016, 882 „Plöckl“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 3/2017 Anm. 6), liegt nun die erwartungsgemäß ausgefallene Nachfolgeentscheidung vor.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger, ein Einzelunternehmer, hatte einen PKW seines Betriebsvermögens im Oktober 2006 an einen spanischen Kfz-Händler mit dem Auftrag versendet, diesen in Spanien zu verkaufen. Das Fahrzeug wurde in Spanien im Juli 2007 an einen spanischen Unternehmer verkauft. In Deutschland meldete der Kläger in 2006 den Vorgang als nicht umsatzsteuerbar an. In 2007 erklärte er eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an den spanischen Händler. Eine Umsatzsteuerregistrierung in Spanien bestand seitens des Klägers weder in 2006 noch in 2007, so dass er auch nicht über eine eigene spanische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verfügte.
Nach einer Außenprüfung versagte das zuständige Finanzamt die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Warenbewegung. Es nahm zunächst eine im Jahre 2007 ausgeführte steuerpflichtige Lieferung mit der Begründung an, der spanische Händler sei nach Auskunft des BZSt ein wirtschaftlich inaktives Unternehmen. Hiergegen wendete sich der Kläger erfolgreich in einem finanzgerichtlichen Verfahren (14 K 2320/13). Daraufhin vertrat das Finanzamt, es liege bereits ein innergemeinschaftliches Verbringen (§ 6a Abs. 2 UStG i.V.m. § 3 Abs. 1b UStG) im Jahr 2006 vor, und dieses sei in Ermangelung einer gültigen spanischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Klägers in Deutschland steuerpflichtig.
Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger finanzgerichtliche Klage. Das Finanzgericht legte dem EuGH das Verfahren zur Vorabentscheidung vor (vgl. o.), wobei das Finanzamt im Verfahren u.a. vorbrachte, der spanische Händler sei wirtschaftlich inaktiv gewesen, doch beständen keine Anhaltspunkte für ein doloses Handeln des Klägers. Der EuGH entschied in seinem Urteil in der Rechtssache „Plöckl“, dass das bloße Fehlen einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer unter den Umständen des vorliegenden Falls, in dem keine konkreten Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung vorlagen, nicht gestattet, die Steuerfreiheit der tatsächlich erfolgten innergemeinschaftlichen Warenbewegung zu versagen.
Das Finanzamt lehnte dennoch die begehrte Änderung des Umsatzsteuerbescheids weiter ab und führte aus, es sei, anders als durch das Finanzgericht im Vorlagebeschluss formuliert, sehr wohl von einer Gefährdung des Steueraufkommens auszugehen. Es sei zu einem Steuerausfall in Spanien gekommen.
In der mündlichen Verhandlung trug das Finanzamt erneut vor, der Kläger habe eine Steuerhinterziehung begangen, denn er habe den PKW-Verkauf in Spanien nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Das Finanzamt teilte dem Finanzgericht auf Nachfrage mit, es habe bisher keine Mitteilung an die spanischen Finanzbehörden gemacht.
Das Finanzgericht erklärte die Klage für begründet. Es liege ein steuerfreies innergemeinschaftliches Verbringen des PKW nach Spanien im Jahr 2006 vor. Es handele sich um ein Fahrzeug, das umsatzsteuerlich zum Unternehmen gehörte und das nach Spanien gebracht wurde, um dort unternehmerisch genutzt zu werden (nämlich mit Verkaufsabsicht). Eine direkte innergemeinschaftliche Lieferung komme nicht in Betracht, weil der Abnehmer beim Verbringen noch nicht feststand und zum anderen der Verkauf erst knapp zehn Monate später erfolgte.
Allerdings sei, dem EuGH-Urteil folgend, das Fehlen einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer unschädlich für die Steuerfreiheit nach § 6a UStG und § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG. Das unternehmerische Verbringen stehe nämlich zweifelsfrei fest, und es liege keine Beteiligung an einer Steuerhinterziehung vor. Der Kläger habe irrtümlich geglaubt, er liefere direkt innergemeinschaftlich. Die unterlassene Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs in Spanien durch den Kläger sei keine Steuerhinterziehung, da dem Erwerber ein voller Vorsteuerabzug aus der Erwerbsteuer zugestanden hätte (Verweis auf BFH, Urt. v. 21.05.2014 – V R 34/13 – BStBl II 2014, 914; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 49/2014 Anm. 7).
Weiter fehle es am erforderlichen Vorsatz des Klägers, denn seine Würdigung als insgesamt steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an den späteren Käufer sei jedenfalls nicht so fernliegend, dass eine Nichtversteuerung in Spanien billigend in Kauf genommen wurde. Der EuGH habe diese Sichtweise des Senats nicht beanstandet. Die Einwände des Finanzamts griffen nicht. Insbesondere habe das Finanzamt mehrfach ausgeführt, es gehe nicht von einer Steuerhinterziehung aus. Das Schreiben vom 17.01.2017 widerspreche der bisher vertretenen Auffassung. Außerdem habe der Senat selbst in dem EuGH-Verfahren die Frage aufgeworfen, ob eine Nichtbesteuerung des Verkaufs in Spanien eine für die Steuerfreiheit schädliche Hinterziehung sei. Der EuGH habe dies nicht als problematisch bewertet, und hieran sei das Finanzgericht gebunden.
Auch habe das Finanzamt bis heute keine Mitteilung nach der Verordnung 904/2010 an die spanischen Finanzbehörden gemacht. Zugunsten des Finanzamts nehme der Senat an, es wolle die unwahren Tatsachenbehauptungen vom 27.04.2015 (der Kläger habe in Spanien einen Fahrzeughandel eröffnen wollen), die es später richtiggestellt habe, nicht wiederholen.
Die Revision wurde nicht zugelassen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung war nach dem sehr eindeutigen EuGH-Urteil inhaltlich zu erwarten gewesen. Zwischenzeitlich hatte der EuGH abermals entschieden, dass rein formelle Kriterien nicht zur Versagung der Steuerfreiheit herangezogen werden dürfen, wenn die materiellen Voraussetzungen bestehen (EuGH, Urt. 09.02.2017 – C-21/16 – MwStR 2017, 236 „Euro Tyre“, zu einer erst später erteilten USt-ID-Nummer).
Insgesamt ist dies seit Jahren ständige Rechtsprechung des EuGH (vgl. für fehlende USt-ID-Nummer ebenfalls deutlich: EuGH, Urt. v. 27.09.2012 – C-587/10 – DStR 2012, 2014 „VSTR“; dazu Prätzler, jurisPR-SteuerR 47/2012 Anm. 6; grundsätzlich zum Verhältnis formeller Nachweise zum materiellen Tatbestand: EuGH, Urt. v. 27.09.2007 – C-146/05 – Slg. 2007, I-7861 „Albert Collee“; Anm. Küffner, jurisPR-SteuerR 48/2007 Anm. 5).
Auch der BFH hat bereits mehrmals steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen ohne USt-ID-Nummern anerkannt (vgl. BFH, Urt. v. 21.05.2014 – V R 34/13 – BStBl II 2014, 914; BFH, Urt. v. 21.01.2015 – XI R 5/13 – BStBl II 2015, 724; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 28/2015 Anm. 6, zu einem Weinlager in Großbritannien).
Die Grenze zieht der EuGH, ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung, wenn ein Steuerpflichtiger an einer Steuerhinterziehung beteiligt ist, oder davon hätte wissen müssen (vgl. EuGH, Urt. v. 07.12.2010 – C-285/09 – Slg. 2010, I-12605 „Strafsache R“; dazu Grube, jurisPR-SteuerR 13/2011 Anm. 5; EuGH, Urt. v. 13.02.2014 – C-18/13 – MwStR 2014, 197 „Maks Pen“; EuGH, Urt. v. 18.12.2014 – C-131/13, C-163/13 und C-164/13 – DStR 2015, 573 „Italmoda“, „Turbu.com“ und „TMP“).
Bemerkenswert ist weiterhin die auf BFH-Rechtsprechung gestützte klare Aussage des FG München, dass voll als Vorsteuer abziehbare Erwerbsteuer gegen eine Steuerhinterziehung bezüglich derselben spricht (d.h. kein Fall des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO). Eine ähnliche implizite Logik scheint der EuGH bereits in der Rechtssache „VSTR“ zugrunde gelegt zu haben, als er die Steuerfreiheit nicht versagte, obwohl im streitgegenständlichen Reihengeschäft der mittlere Abnehmer mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit nie die eigentlich geschuldete Erwerbsteuer angemeldet haben wird und dies auch nicht beabsichtigt haben dürfte.
Abschließend sei die – von deutschen Finanzgerichten nicht zu prüfende – Thematik erwähnt, dass jedenfalls nach aktuellem spanischen Recht die lokale PKW-Lieferung des Klägers an einen spanischen Unternehmer nach der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers zu besteuern wäre, d.h. hieraus wäre keine lokale Registrierungspflicht entstanden. Ob dies für das Jahr 2007 auch bereits galt, kann offenbleiben.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil macht abermals deutlich, dass es grundsätzlich möglich ist, auch ohne gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung ausführen zu können.
Dennoch sollten Unternehmen regelmäßig diese Nummer als einfachen Unternehmernachweis anfordern und dieselbe qualifiziert (§ 18e UStG) auf Gültigkeit und Übereinstimmung der Daten prüfen, da sie andernfalls Risiken ausgesetzt sind. Steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen ohne USt-Identifikationsnummer sollten weiterhin die Ausnahme bleiben und stets umfassend dokumentiert werden. Andernfalls droht später der Vorwurf der Steuerhinterziehung, abgesehen vom ökonomischen Risiko der Steuernacherhebung nebst Zinsen nach § 233a AO.
Beim EuGH ist zwischenzeitlich noch ein weiteres wichtiges Verfahren zum innergemeinschaftlichen Warenverkehr anhängig geworden, in dem auf Vorlage aus Österreich unter anderem zu klären sein wird, inwieweit ein nicht bekanntes Reihengeschäft die Steuerfreiheit der Lieferung des ersten Unternehmers gefährden kann (d.h. eine Konkretisierung der bereits in „Euro Tyre“, EuGH, Urt. v. 16.12.2010 – C-430/09 – Slg. I 2010, 13335; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 11/2011 Anm. 6, zu findenden Wertung). Das Verfahren wird unter C-628/16 („Kreuzmayr“) geführt.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Bemerkenswert erscheint hier der Hinweis zu falschen Tatsachenbehauptungen im Verfahren, der wohl auf § 263 StGB i.V.m. § 138 ZPO und § 155 FGO (Wahrheitspflicht der Parteien) zielt. Ein solcher Hinweis ist in dieser Deutlichkeit selten in einem finanzgerichtlichen Urteil zu finden.