Nachfolgend ein Beitrag vom 21.9.2017 von Börstinghaus, jurisPR-MietR 19/2017 Anm. 1

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Anbietpflicht des Vermieters hinsichtlich einer anderen Wohnung in der gleichen Wohnanlage gilt nur für Wohnungen, die spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist und der damit eintretenden Beendigung des Mietverhältnisses frei werden.
2. Deshalb muss der Vermieter auch nicht die eigene, bisher von ihm selbst bewohnte Wohnung dem Mieter anbieten, da diese denknotwendig erst frei wird, wenn der Vermieter nach dem Auszug des Mieters in die gekündigte Wohnung eingezogen ist.

A. Problemstellung

Eigenbedarfskündigungen in der Wohnraummiete verlangen die Prüfung unterschiedlicher Tatbestandsmerkmale, mit denen der BGH sich in letzter Zeit auch intensiv beschäftigt hat. Dabei geht es zunächst um die Frage, ob die Kündigung ordnungsgemäß begründet wurde, dann muss wirklich Eigen- oder Betriebsbedarf vorliegen und schließlich muss geprüft werden, ob die Räumung für den Mieter eine Härte bedeuten würde, so dass er ggf. die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen kann. Und dann gibt es ja noch die sog. Anbietpflicht, deren Voraussetzungen vorgetragen und geprüft und ihre Rechtsfolgen entschieden werden müssen.
Der BGH hatte sich im vorliegenden Beschluss nur summarisch mit diesem letzten Punkt zu beschäftigen, weil die Parteien das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach einem Auszug der Mieter übereinstimmend für erledigt erklärt hatten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die beiden Mieter hatten im Jahr 2000 eine ca. 170 m² großen 6-Zimmerwohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses in Frankfurt am Main angemietet. In der Wohnung lebte zugleich deren erwachsene Tochter. Eine Tochter der Vermieterin bewohnte zusammen mit ihrem Ehemann eine knapp 100 m² große 4-Zimmerwohnung im 4. Obergeschoss des Hauses. Im November 2014 kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Diesen stützte sie darauf, dass ihre im 4. Obergeschoss lebende Tochter die Wohnung der Beklagten aus näher bezeichneten gesundheitlichen Gründen benötige.
Die auf diese Kündigung gestützte Räumungsklage ist von Amts- und Landgericht abgewiesen worden. Im Verlauf des Verfahrens über die von der Vermieterin fristgerecht erhobene und begründete Nichtzulassungsbeschwerde haben die Mieter und ihre Tochter die Wohnung freiwillig geräumt und an die Klägerin herausgegeben. Die Parteien haben den Räumungsrechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der BGH hat daraufhin gemäß § 91a ZPO die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben.
Bei der insoweit nur gebotenen summarischen Prüfung sei davon auszugehen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin voraussichtlich zu einer Zulassung der Revision und zu einer Aufhebung des Berufungsurteils unter Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht geführt hätte.
Das Landgericht hatte die Klageabweisung wohl darauf gestützt, dass die Vermieterin den Mietern nicht die Wohnung der Tochter im gleichen Haus, zu deren Gunsten die Eigenbedarfskündigung ausgesprochen worden war, angeboten hatte. Dies Argument rechtfertigte die Klageabweisung nach Ansicht des BGH nicht, weshalb die Klageabweisung nicht gerechtfertigt war und die Sache wahrscheinlich zur Beweisaufnahme über den bestrittenen Eigenbedarf zurückverwiesen worden wäre.
Die Anbietpflicht des Vermieters beziehe sich allenfalls auf Wohnungen in der gleichen Wohnanlage, die spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist und der damit eintretenden Beendigung des Mietverhältnisses frei werden. Der Vermieter sei aufgrund des Gebotes der Rücksichtnahme nicht gehalten, die eigene, bisher von ihm selbst bewohnte Wohnung dem Mieter anzubieten, da diese Wohnung denknotwendig erst frei wird, wenn der Vermieter nach dem Auszug des Mieters in die gekündigte Wohnung eingezogen ist. Anders als das Berufungsgericht meinte, müsse sich der Vermieter nicht auf einen „fliegenden Wohnungswechsel“ mit dem Mieter einlassen. Diese Auffassung beruhe auf einer einseitig an den Interessen des Mieters ausgerichteten, den Charakter von Rücksichtnahmepflichten jedoch grundlegend verkennenden Bewertung.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung überrascht weniger im Ergebnis als in der Begründung. Soweit das aus dem Beschluss erkennbar ist, hat das Landgericht die Klage wegen des unterlassenen Anbietens der „Vermieterwohnung“ wegen Verstoßes gegen die Rücksichtnahmepflicht abgewiesen. Dabei müssen zwei Fragen unterschieden werden: 1. Besteht eine Anbietpflicht und 2. rechtfertigt ein Verstoß eine Abweisung der Räumungsklage. Der BGH hat die erste Frage verneint. Dies geschah in konsequenter Anwendung seiner eigenen Rechtsprechung. Noch zu Zeiten, als nach der Rechtsprechung des VIII. Senats des BGH ein Verstoß gegen die Anbietplicht dazu führte, dass die Eigenbedarfskündigung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam wurde, hatte der BGH die räumlichen (BGH Urt. v. 09.07.2003 – VIII ZR 276/02 – NZM 2003, 681 = MietPrax-AK § 573 BGB Nr. 1 m. Anm. Börstinghaus; Kappus, NZM 2003, 657; Wiek, DWW 2003, 297; Schumacher WuM 2004, 507; Blank, LMK 2003, 177) und zeitlichen (BGH, Urt. v. 09.07.2003 – VIII ZR 311/02 – NZM 2003, 682 = MietPrax-AK § 573 BGB Nr. 2 m. Anm. Börstinghaus; Häublein, NZM 2003, 970) Grenzen der Anbietpflicht festgelegt. Nur Wohnungen in der gleichen Wohnanlage, die ihm bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auch zur Verfügung stehen, muss er dem Mieter anbieten. Diese Auffassung hat der BGH jüngst bestätigt (BGH, Urt. v. 14.12.2016 – VIII ZR 232/15 – NZM 2017, 111 = MietPrax-AK § 573 BGB Nr. 62 m. Anm. Börstinghaus; Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 3/2017 Anm. 1; Derleder, WuM 2017, 104; Selk, NJW 2017, 521; Singbartl, NZM 2017, 119; Meier, ZMR 2017, 150; Schach, jurisPR-MietR 6/2017 Anm. 2; Dubovitskaya/Weitemeyer, NZM 2017, 201).
In dieser letzten Entscheidung hat er aber zugleich eine Rechtsprechungsänderung vollzogen und zwar auf der Rechtsfolgenseite. Danach hat ein Verstoß gegen die Anbietpflicht nicht – mehr – zur Folge, dass die berechtigt ausgesprochene Eigenbedarfskündigung nachträglich rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam wird. Rechtsfolge des Verstoßes ist lediglich noch ein Anspruch auf Schadensersatz in Geld hinsichtlich der zusätzlichen Kosten, die dem Mieter bei Beachtung der Anbietpflicht nicht entstanden wären. Insofern musste die Rechtsfrage, ob eine Anbietpflicht in Fällen der vorliegenden Art überhaupt besteht oder nicht, gar nicht beantwortet werden, da selbst die Frage bejaht würde, der Räumungsanspruch bei bestehendem Eigenbedarf berechtigt war. Dem BGH war aber wohl danach den – tatsächlich vorliegenden – Fehler aufzudecken, anstatt die Frage offenzulassen und auf seine eigene geänderte Rechtsprechung zur Rechtsfolge hinzuweisen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Vermeintliche Verstöße gegen die Anbietpflicht dürften in Räumungsverfahren eigentlich keine Rolle mehr spielen. Es geht vor allem um Geldentschädigungen, die erst feststehen, wenn der Mieter tatsächlich in eine neue Wohnung umgezogen ist. Dann kann der Mieter beziffern, welche Kosten er zusätzlich zu den sowieso auch bei einem Umzug im Haus angefallenen Kosten hat aufwenden müssen. Dies können Maklerkosten, Kosten für den Umzug, ggf. Zusatzkosten für sonst nicht erforderliche neue Möblierungen oder auch Fahrtkosten zur Arbeit etc. sein. Eher theoretisch dürfte die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung sein, aufgrund derer der Mieter dem Vermieter die anderweitige Vermietung einer freien Alternativwohnung an Dritte untersagen lässt oder ggf. die Vermietung an sich erstrebt. Letzteres ist sicher eine Vorwegnahme der Hauptsache. Außerdem stehen die Bedingungen des Mietvertrages auch nicht fest. Ersteres dürfte zwar theoretisch möglich sein, wird in der Praxis aber häufig daran scheitern, dass der Mieter von der freien Wohnung erst erfährt, wenn diese schon weitervermietet ist.

Umfang der Anbietpflicht bei Eigenbedarfskündigung in der Wohnraummiete
Matthias FrankRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

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