Nachfolgend ein Beitrag vom 24.11.2015 von Faulhaber, jurisPR-HaGesR 11/2015 Anm. 5

Leitsatz

Eine Vereinbarung zwischen Handelsvertreter und Unternehmer, nach der die Provisionsabrechnungen des Unternehmers als anerkannt gelten, wenn der Handelsvertreter nicht innerhalb einer bestimmten Frist Widerspruch erhebt, ist wegen Verstoßes gegen § 87c HGB unwirksam. Der Annahme eines sich ständig wiederholenden negativen Schuldanerkenntnisses des Handelsvertreters durch Schweigen auf die Provisionsabrechnungen des Unternehmers stehen die dem Schutz des meist wirtschaftlich schwächeren Handelsvertreters dienenden §§ 87a Abs. 5, 87c Abs. 5 HGB entgegen.

A. Problemstellung

Im Geschäftsverkehr kann unter bestimmten Umständen auch einem Schweigen ein Erklärungswert zukommen. Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich das KG Berlin im vorliegenden Fall mit der Frage, ob in einem Handelsvertretervertrag eine Vertragsbestimmung wirksam ist, die eine Genehmigungsfiktion für eine Provisionsabrechnung vorsieht, wenn kein rechtzeitiger Widerspruch erfolgt. Derartige Klauseln werden in der Praxis gelegentlich in Handelsvertreterverträgen eingesetzt, um innerhalb relativ kurzer Zeit Klarheit über die Höhe des Provisionsanspruchs zu schaffen. Prozessual hat eine derartige Vertragsklausel zur Folge, dass der Unternehmer sich im Verfahren aufgrund des (negativen) Schuldanerkenntnisses auf die Höhe des in der Abrechnung festgehaltenen Betrages berufen kann. Die Zulässigkeit derartiger Klauseln ist aber umstritten.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin betraute den Beklagten in der Vergangenheit damit, gegen Provision Versicherungsverträge an sie zu vermitteln. Der zwischen den Parteien geschlossene Handelsvertretervertrag enthielt eine Klausel, laut der die Provisionsabrechnungen der Klägerin als anerkannt gelten sollten, wenn der Beklagte nicht innerhalb einer bestimmten Frist Widerspruch einlegte. Einwendungen gegen die Provisionsabrechnungen wurden seitens des Beklagten jedoch nie erhoben.
Die Klägerin begehrte nun die Rückzahlung von bereits an den Beklagten gezahlten Vorschüssen. Sie berief sich hierbei darauf, dass der Beklagte mehr Provision erhalten habe als ihm aufgrund der Abrechnungen zustünde. Allerdings sah die Klägerin davon ab, ihre Anspruchspositionen im Einzelnen aufzuführen.
Nachdem das Landgericht die Klage zuvor abgewiesen hatte, bestätigte das Kammergericht die erstinstanzliche Entscheidung und kündigte an, die Berufung der Klägerin ebenfalls zurückzuweisen. In erster Linie begründete das Kammergericht seine Entscheidung damit, dass Genehmigungsfiktionen – wie die vorliegende – wegen Verstoßes gegen die zwingende Vorschrift des § 87c HGB unwirksam seien. Das Kammergericht zitierte hierbei ein Urteil des BGH vom 20.09.2006 (VIII ZR 100/05). Danach seien Vereinbarungen wie die vorliegende nicht mit den, dem Schutz des wirtschaftlich schwächeren Handelsvertreters dienenden, §§ 87a Abs. 5 und 87c Abs. 5 HGB zu vereinbaren. Sie schränkten die Ansprüche des Handelsvertreters auf Erteilung eines Buchauszugs und auf zukünftige Zahlung von Provision in rechtswidriger Weise im Voraus ein. Denn erkenne der Handelsvertreter die Provisionsabrechnung durch sein Schweigen an, gelte dies als abschließende Einigung. Eine Überprüfung der Abrechnung mittels Buchauszugs würde überflüssig und etwaige (Nach-)Zahlungsansprüche würden ausgeschlossen.
Daneben führte das Kammergericht aus, dass die Klägerin ihre Ansprüche nicht schlüssig vorgetragen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, woraus und in welcher Höhe sich ein Anspruch im Einzelnen ergeben solle.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung über die Unwirksamkeit der Vertragsvereinbarung knüpft an die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung an. Der BGH entschied bereits 1964, dass derartige Klauseln eine unzulässigen Beschränkung des Rechts auf Abrechnung und Erteilung eines Buchauszugs nach § 87c Abs. 5 HGB darstellen (BGH, Urt. v. 20.02.1964 – VII ZR 147/62). Oberlandesgerichte aus Hamm (BB 1979, 442), Koblenz (VersR 1980, 623), Karlsruhe (BB 1980, 226) und München (Urt. v. 01.07.2003 – 23 U 1637/03) schlossen sich dem an.
Immer wieder gab es jedoch Instanzgerichte, die von der Rechtsprechung des BGH abwichen (vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 18.09.1985 – 1 U 132/83; OLG Naumburg, Urt. v. 17.04.1997 – 2 U (Hs) 21/97; LG Frankfurt/Oder, Urt. v. 17.10.1997 – 31 O 153/96). Auch in der Literatur gab es diverse kritische Stimmen (vgl. Reimer, EWiR 1986, 81; Scherer, BG 1996, 2205; Müller-Stein, VersR 2001, 830; Segger, VersR 2004, 781). Nach Ansicht der Kritiker trifft es zwar zu, dass dem bloßen Schweigen grundsätzlich kein Erklärungswerk zukomme. Hiervon werden aber gerade im Handelsverkehr diverse Ausnahmen gemacht. Deshalb argumentieren sie, dass kaufmännische Handelsvertreter nur beschränkt schutzbedürftig seien. Unter Kaufleuten sei ein Rechtsverlust bei nicht erfolgtem Widerspruch häufig vorgesehen, wie beispielsweise § 377 HGB und der Fall des kaufmännischen Bestätigungsschreibens zeigten. Einen Kaufmann treffe in besonderem Maße die Pflicht, sich mit dem Inhalt einer empfangenen Erklärung auseinanderzusetzen und darauf zu reagieren. Dies folge auch aus § 362 HGB. Es könne nicht sein, dass Vereinbarungen, die jahrelang ohne Protest durchgeführt wurden, im Prozess keine Anwendung mehr finden sollen. In diesem Zusammenhang bestimme § 346 HGB, dass im Zweifel den im Handelsverkehr geltenden Bräuchen und Gewohnheiten Vorrang einzuräumen sei. Diese Grundsätze dürften nicht durch ausufernde Interpretationen einzelner gesetzlicher Regelungen übergangen werden. Zudem bestehe bei Massengeschäften von mehreren tausend vermittelten Geschäften ein praktisches Bedürfnis, möglichst schnell Sicherheit über die aktuellen Saldostände zu erlangen.
Trotz der Kritik hielt der BGH in seiner Entscheidung vom 20.09.2006 (VIII ZR 100/05) bewusst an seiner Rechtsprechung fest. Er folgt der Ansicht, dass der Handelsvertreter nicht im Voraus in seinen Rechten auf Buchauszug, Auskunft und Einsichtnahme eingeschränkt werden dürfe. Ebenso wenig dürfe sich eine Regelung negativ auf die Entstehung des Provisionsanspruchs nach den Bestimmungen des § 87a HGB auswirken. Genau diese Wirkung komme einer Klausel, nach der eine Provisionsabrechnung bei fehlendem Widerspruch als genehmigt gelte, jedoch zu. Gleichzeitig betonte der BGH, dass auch die jahrelange Hinnahme der Abrechnungen nicht ausreiche, um von einem Einverständnis ausgehen zu können. Nach ständiger Rechtsprechung könne bloßes konkludentes Verhalten nur unter sehr strengen Voraussetzungen als Willenserklärung qualifiziert werden.
Das KG Berlin hat sich in seinem Beschluss vom 18.05.2015 der Rechtsprechungslinie des BGH uneingeschränkt angeschlossen. Dabei hat es allerdings auf vertiefte eigene Ausführungen verzichtet und vornehmlich auf den BGH verwiesen. Ähnlich verhielten sich andere Instanzgerichte, wie das OLG Brandenburg (20.05.2009 – 3 U 20/09), das LG Karlsruhe (Urt. v. 08.02.2013 – 6 O 440/10) und das AG Bad Urach (Urt. v. 13.05.2013 – 1 C 123/13), die die bestätigende BGH-Rechtsprechung weiter verfestigten. Die herrschende Literatur geht ebenfalls von der Unwirksamkeit der beschriebenen Klausel aus (vgl. Hoyningen-Huene in: Münch Komm HGB, 2. Aufl. 2005, § 87 c Rn. 85; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch, 3. Aufl. 2014, § 87c Rn. 51).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass dem Handelsvertreter nach dem Handelsgesetzbuch eine besondere Rolle zuteil wird. Einerseits unterliegt er als Kaufmann den allgemeinen, weniger strengen Regeln des Handelsverkehrs. Andererseits ist er aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Unternehmer im Vergleich zu anderen Kaufleuten besonders schutzwürdig. Wie die vorliegende Besprechung zeigt, tendiert die Rechtsprechung dazu, dem Schutz des Handelsvertreters ein höheres Gewicht beizumessen als den allgemeinen Interesse des Handelsverkehrs – notfalls auch durch eine extensive Auslegung der im HGB verankerten Handelsvertreterschutzvorschriften. Bei Verhandlungen von Handelsvertretervereinbarungen sollten diese Überlegungen berücksichtigt werden.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass ein Unternehmer sich nach Übersendung der Provisionsabrechnung aktiv um eine ausdrückliche Verzichtserklärung des Handelsvertreters bemühen muss, um vorzeitig Klarheit über die Höhe der Provisionen zu schaffen. Trotz eines großen praktischen Bedürfnisses und entgegen allgemeiner Handelsbräuche reicht bloßes Schweigen nicht aus