Nachfolgend ein Beitrag vom 21.11.2106 von Märtens, jurisPR-SteuerR 47/2016 Anm. 2

Leitsätze

1. Wegen der Verpflichtung, eine am Bilanzstichtag bestehende Darlehensverbindlichkeit in späteren Jahren höher zu verzinsen (Darlehen mit steigenden Zinssätzen), ist in der Bilanz grundsätzlich eine Verbindlichkeit oder eine Rückstellung wegen eines wirtschaftlichen Erfüllungsrückstandes auszuweisen.
2. Eine solche Zinsverbindlichkeit ist grundsätzlich abzuzinsen.

A. Problemstellung

Der BFH hat sich mit der Frage befasst, wie eine Rückstellung aufgrund Erfüllungsrückstandes für die Zinsverpflichtung aus einem langfristigen Darlehen mit steigenden Zinssätzen in der Bilanz des Darlehensnehmers zu berechnen ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Ende 2007 gegründete Klägerin, eine zum US-amerikanischen A-Konzern gehörende GmbH, erwarb im Februar des Streitjahres 2008 von der luxemburgischen A-S.A.R.L. 90% der Anteile an der A-GmbH. Die Kaufpreisschuld der Klägerin wandelten die Vertragsparteien am 01.03.2008 in ein Darlehen mit einer Laufzeit bis zum 28.02.2017 um. Noch am selben Tag trat die A-S.A.R.L. als Darlehensgeberin ihren Darlehensrückzahlungsanspruch an eine weitere Konzerngesellschaft, die A-Inc. & Co. KG, ab.
Hinsichtlich der Verzinsung enthielt der Darlehensvertrag folgende Bestimmungen:
„Die Zinsen für den ausstehenden Kapitalbetrag des Darlehens fallen jährlich wie folgt an:
1. Jahr 1,8%
2. Jahr 1,3%
3. Jahr 1,5%
4. Jahr 4%
5. Jahr 5,5%
6. Jahr 7%
7. Jahr 8,8%
8. Jahr 10%
9. Jahr 10,9263%
Sie ergeben eine Rückzahlungsrendite von 5,2%. Die aufgelaufenen Zinsen sind jährlich am letzten Tag im Februar des jeweiligen Jahres zu zahlen, beginnend am 28.02.2009.“
Eine Möglichkeit der ordentlichen Kündigung des Darlehensverhältnisses wurde nicht vereinbart.
Die Klägerin bildete in ihrer Bilanz zum 31.12.2008 für die Zinsverpflichtung aus dem Darlehensvertrag eine Rückstellung, die sie auf der Grundlage des auf die Gesamtlaufzeit des Darlehens bezogenen durchschnittlichen jährlichen Zinssatzes von 5,2% bemaß, von dem 10/12 auf die Zeit zwischen dem Vertragsbeginn am 01.03.2008 und dem Bilanzstichtag entfielen. Das Finanzamt berücksichtigte hingegen als Rückstellung lediglich den Betrag, der sich unter Zugrundelegung des für das erste Jahr der Darlehenslaufzeit festgelegten Zinssatzes von 1,8% der Darlehenssumme ergab. Die deswegen erhobene Klage blieb in erster Instanz ohne Erfolg.
Der BFH hat auf die Revision der Klägerin das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Wegen der Verpflichtung, die am Bilanzstichtag bestehende Darlehensverbindlichkeit in späteren Jahren höher zu verzinsen, habe die Klägerin zu Recht – ausgehend von der Durchschnittsverzinsung – einen Passivposten in ihrer Bilanz angesetzt. Allerdings sei die Zinsverbindlichkeit abzuzinsen.
Das Verbot der Bilanzierung schwebender Geschäfte werde durchbrochen, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners „gestört“ sei (vgl. BFH, Beschl. v. 23.06.1997 – GrS 2/93 – BStBl II 1997, 735). Ursprünglich sei das Vorliegen eines solchen Erfüllungsrückstandes nach dem rechtlichen, insbesondere schuldrechtlichen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im schwebenden Geschäft beurteilt und somit an den schuldrechtlich gebotenen Zeitpunkt der Erfüllung geknüpft worden. Jedoch habe der BFH in der Folgezeit die Frage nach dem Vorliegen eines Erfüllungsrückstandes nicht ausschließlich nach bürgerlichem Recht beurteilt (vgl. BFH, Urt. v. 03.12.1991 – VIII R 88/87 – BStBl II 1993, 89; BFH, Urt. v. 05.02.1987 – IV R 81/84 – BStBl II 1987, 845). Ausreichend sei vielmehr eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung. Auch davon ausgehend setze das Vorliegen eines Erfüllungsrückstandes jedoch voraus, dass mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten werde.
Im Streitfall beruhe die Bildung einer Rückstellung für den auf den Zeitraum zwischen Vertragsbeginn und Bilanzstichtag entfallenden Zinsaufwand (10/12 der Zinsschuld für das erste Vertragsjahr) der Sache nach auf einem Erfüllungsrückstand, dessen Passivierung höchstrichterlich anerkannt sei (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 24.05.1984 – I R 166/78 – BStBl II 1984, 747). Zum Bilanzstichtag habe der Darlehensgeber das Kapital der Klägerin bereits für zehn Monate zur Nutzung überlassen und sei insoweit in Vorleistung getreten, während sich diese mit ihrer Gegenleistung (Zinszahlung) im Rückstand befunden habe. Dass die Zinsverbindlichkeit zivilrechtlich am 31.12.2008 noch nicht fällig gewesen sei, spiele keine Rolle.
Fraglich sei damit im Streitfall allein, ob für die Höhe des zu passivierenden Erfüllungsrückstandes auf die zivilrechtliche Abrede, wonach im ersten Vertragsjahr lediglich ein Zins i.H.v. 1,8% der Darlehenssumme zu leisten sei, oder in wirtschaftlicher Betrachtung auf die dem Vertrag als eine Art „Geschäftsgrundlage“ zugrundeliegende Durchschnittsverzinsung und damit auf die ansteigenden – zivilrechtlich ebenfalls noch nicht fälligen – Zinsverbindlichkeiten der Folgejahre abzustellen sei. Letzteres sei der Fall. Dass der vom Finanzgericht angewandten rein zivilrechtlichen Betrachtungsweise (Maßgeblichkeit des für das erste Vertragsjahr schuldrechtlich vereinbarten Zinssatzes) nicht zu folgen sei, ergebe sich aus der mittlerweile ständigen BFH-Rechtsprechung, nach der letztendlich eine an wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung ausreichend sei (siehe oben). Triftige Gründe, die eine Abkehr von dieser Rechtsprechung rechtfertigen könnten, sehe das BSG nicht.
Diese bilanzielle Behandlung stehe in Übereinstimmung mit der jüngeren Rechtsprechung des BFH zur Beurteilung der Zeitraumbezogenheit von Zinszahlungspflichten. So habe der BFH bei einem Darlehen mit fallenden Zinssätzen entscheidend auf die Rückforderbarkeit der Leistung im Falle vorzeitiger Vertragsbeendigung abgestellt (BFH, Urt. v. 27.07.2011 – I R 77/10 – BStBl II 2012, 284 – Heger, jurisPR-SteuerR 3/2012 Anm. 3). Übertrage man die dort entwickelten bilanzsteuerrechtlichen Grundsätze auf das streitbefangene Darlehen mit steigenden Zinssätzen, so käme es darauf an, ob der Darlehensnehmer, der zu Beginn der Vertragslaufzeit von (zu) niedrigen Zinssätzen profitiert habe, im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung einem Nachforderungsanspruch des Darlehensgebers ausgesetzt wäre. Im Streitfall gebe der Vertrag für einen solchen Nachforderungsanspruch zwar nichts her, jedoch spreche das nicht dagegen, die später zu zahlenden hohen Zinsen anteilig auch als Gegenleistung für die Überlassung der Darlehensvaluta in der „Niedrigzinsphase“ (Vorleistung des Darlehensgebers) anzusehen. Denn die fehlende Nachforderbarkeit der Zinsen im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung sei dann für die Zuordenbarkeit von (Vor-)Leistung und (rückständiger) Gegenleistung unschädlich, wenn das Vertragsverhältnis auf mehrere Jahre zu festen Bedingungen abgeschlossen sei und während dieser Zeit nur aus wichtigem Grund gekündigt werden könne und wenn konkrete Anhaltspunkte dafür fehlten, dass die Vertragsparteien der Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Kündigung aus wichtigem Grund und dem Fehlen eines Anspruchs auf Nachforderung der „zu wenig gezahlten“ Zinsen in diesem Fall eine mehr als rein theoretische Bedeutung beigemessen hätten. Im Streitfall hätten die Parteien eine feste Vertragslaufzeit ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit vereinbart und die Kündigung aus wichtigem Grund dürfte bei Vertragsschluss allenfalls eine theoretische Rolle gespielt haben.
Der Rechtsstreit sei jedoch nicht entscheidungsreif. Zum einen müsse bei der Bewertung der Verbindlichkeit noch das Abzinsungsgebot des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG beachtet werden. Zum anderen werde im zweiten Rechtsgang zu prüfen sein, ob der Darlehensvertrag steuerrechtlich anzuerkennen sei (Fremdvergleich).
Zum Gebot der Abzinsung hat der BFH ausgeführt, dass die Zinsverbindlichkeit aus einem Darlehensverhältnis zivil- und steuerrechtlich selbstständig neben die Verpflichtung zur Rückzahlung des empfangenen Kapitals trete (vgl. BFH, Urt. v. 11.11.2015 – I R 5/14 – BStBl II 2016, 491 – Märtens, jurisPR-SteuerR 20/2016 Anm. 4). Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG sei damit eine Abzinsung der Zinsverbindlichkeit zwingend vorzunehmen. Das Gebot der Abzinsung entspreche im Streitfall auch dem Gesetzeszweck. Eine an der Durchschnittsverzinsung von 5,2% orientierte Verbindlichkeit, die nicht sogleich, sondern wirtschaftlich betrachtet erst in der zweiten Hälfte der Darlehenslaufzeit während der „Hochzinsphase“ zu erfüllen sei, belaste die Klägerin weniger als eine sofort in dieser Höhe zu erfüllende Verpflichtung. Dass eine Verzinsung der Zinsverbindlichkeit zivilrechtlich nicht wirksam vereinbart werden könne, weil gemäß § 248 Abs. 1 BGB ein Zinseszinsverbot bestehe, sei unerheblich.

C. Kontext der Entscheidung

I. Der Darlehenszins ist die Gegenleistung für die Kapitalüberlassung und somit Bestandteil eines schwebenden Geschäfts. Beidseits noch nicht vollständig erfüllte schwebende Geschäfte sind indessen in der Bilanz grundsätzlich nicht zu erfassen. Eine Ausnahme gilt jedoch für Erfüllungsrückstände. Im Streitfall lag in Bezug auf die Zinsverpflichtung ein Erfüllungsrückstand zum Bilanzstichtag 31.12.2008 – dem Grunde nach unstreitig – vor, weil der Klägerin die Darlehensvaluta bereits seit März 2008 zur Verfügung standen, sie bis zum Jahresende jedoch noch keine Zinsen entrichten musste (Fälligkeit erst am 28.02.2009). Streitig war zwischen den Beteiligten, ob die Höhe des Erfüllungsrückstandes sich anhand des vertraglich für die Anfangszeit vereinbarten – niedrigen – Zinssatzes bemisst (schuldrechtliche Betrachtung) oder ob insoweit auf den (höheren) Durchschnittszins der gesamten Vertragslaufzeit abzustellen war (wirtschaftliche Betrachtung). Finanzamt und Finanzgericht haben sich für die schuldrechtliche Betrachtung entschieden, dabei jedoch nicht beachtet, dass sich der BFH schon seit geraumer Zeit von der rein schuldrechtlichen Sichtweise gelöst hat (vgl. BFH, Urt. v. 03.12.1991 – VIII R 88/87 – BStBl II 1993, 89; BFH, Urt. v. 05.02.1987 – IV R 81/84 – BStBl II 1987, 845). Insoweit war der Erfolg der Revision absehbar.
Die Besprechungsentscheidung stimmt mit der Rechtsprechung überein, der zufolge die Verpflichtung einer Bank zur Leistung einer Sparprämie, die am Ende der Laufzeit eines Sparvertrages gutgeschrieben wird, einen zu passivierenden Erfüllungsrückstand begründet (BFH, Urt. v. 15.07.1998 – I R 24/96 – BStBl II 1998, 728), und harmoniert mit der Beurteilung der umgekehrten Situation eines langfristigen Darlehens mit fallenden Zinssätzen, in der der BFH den Darlehensnehmer in der Pflicht sieht, zu Beginn der Vertragslaufzeit einen aktiven Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden (BFH, Urt. v. 27.07.2011 – I R 77/10 – BStBl II 2012, 284 – Heger, jurisPR-SteuerR 3/2012 Anm. 3).
II. Aufgrund der Unzulässigkeit von Zinseszinsvereinbarungen drängt sich eine Abzinsungspflicht für eine zu passivierende Zinsverpflichtung nicht sogleich auf. Auch das Finanzamt war im Besprechungsfall nicht von selbst darauf gekommen. Bei näherer Betrachtung sind jedoch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG auch im Falle einer zu passivierenden (unverzinslichen) Zinsforderung gegeben. Dass die Vertragspartner nicht die Möglichkeit haben, eine Verzinsung der Zinsverbindlichkeit wirksam zu vereinbaren, macht – so der BFH zu Recht – aus der unverzinslichen noch keine verzinsliche Verbindlichkeit.

D. Auswirkungen für die Praxis

Sehr häufig werden in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase langfristige Darlehensvereinbarungen mit nennenswert steigenden oder fallenden Zinssätzen in der Praxis wohl nicht vorkommen. Soweit solche Zinsabreden – wie auch im Besprechungsfall – zwischen verbundenen Unternehmen getroffen werden, kann durchaus fraglich sein, ob sie einem Fremdvergleich standhalten. Der BFH hat dem Finanzgericht deshalb in dem Besprechungsfall aufgegeben, im zweiten Rechtsgang auch die steuerliche Anerkennung der progressiven Zinsabrede zu überprüfen.