Nachfolgend ein Beitrag vom 27.2.2017 von Martini, jurisPR-InsR 4/2017 Anm. 3

Orientierungssatz

Das Angebot eines Rangrücktritts eines GmbH-Gesellschafters, welcher gleichzeitig auch Gläubiger eines gegen die schuldnerische GmbH bestehenden Vergütungsanspruchs ist, mit dem Zweck, den Eröffnungsgrund der Überschuldung beim Schuldner wenigstens zeitweise außer Kraft zu setzen, bedeutet ein Stehenlassen seiner Forderung, mit dem Effekt, dass diese gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO als nachrangig zu behandeln ist, wenn der GmbH-Gesellschafter gleichzeitig Zeit dafür einräumt, dass die Schuldnerin sich mit ihren anderen Gläubigern (hier: Lieferanten) verständigen kann.

A. Problemstellung

Nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO werden „Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen“, erst nach der vollständigen Befriedigung aller Insolvenzforderungen bedient. Gegenstand der Entscheidung des KG Berlin ist der Nachrang einer nicht durchgesetzten Vergütungsforderung, deren Inhaberin zugleich auch an der Schuldnerin beteiligt ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin war Gesellschafterin der M.-GmbH – der späteren Schuldnerin – und erbrachte für sie im Zeitraum von September bis Dezember 2012 verschiedene Werbeleistungen. Die monatliche Vergütung wurde jeweils 30 Tage nach Rechnungsstellung fällig. Nachdem der fällige Gesamtbetrag trotz Mahnungen nicht beglichen worden war, stellte die Klägerin Ende Dezember 2012 ihre Tätigkeit ein und schied im März 2013 als Gesellschafterin aus.
Am 01.06.2013 wurde das Insolvenzerfahren eröffnet. Die Klage gegen den Insolvenzverwalter auf Feststellung zur Tabelle vor dem LG Berlin hatte keinen Erfolg.
Auch nach der Entscheidung des KG Berlin sind die Ansprüche als nachrangige Forderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht zur Tabelle festzustellen.
Der Begriff der Rechtshandlung, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entspricht, sei weit auszulegen und erfasse auch die unterlassene Durchsetzung einer Forderung. Ein solches „Stehenlassen“ durch die Klägerin nimmt das KG Berlin jedenfalls ab Mitte Januar 2013 an. Für diese Einschätzung war u.a. eine Stellungnahme der Klägerin aus dieser Zeit ausschlaggebend. Dort nahm sie auf ihr zurückliegendes Rangrücktrittsangebot Bezug und verzichtete für unbestimmte Zeit letztlich auf die Durchsetzung, damit die Gesellschaft zwischenzeitlich mit Lieferanten über einen Forderungsverzicht verhandeln könne. Das KG Berlin betont dabei, dass auch die Mahnungen den Eindruck eines Stillhaltens nicht entkräften würden; der faktischen Kreditierung stehe nicht entgegen, dass die Forderung außergerichtlich geltend gemacht wurde. Vielmehr sei die gerichtliche Durchsetzung oder zumindest die Anfrage nach verbleibenden Zahlungsmöglichkeiten verkehrsüblich gewesen.

C. Kontext der Entscheidung

Wie bereits das Eigenkapitalersatzrecht erstreckt § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO die Unterordnung von Gesellschafterdarlehen auf Forderungen aus wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlungen. Ein typisches Beispiel für solche darlehensähnlichen Forderungen sind gestundete Ansprüche. Dabei kommt auch eine „faktische Stundung“ in Betracht. Damit können stehen gelassene Ansprüche eines Gesellschafters wirtschaftlich einem Darlehen entsprechen (zu Lohnansprüchen: BGH, Urt. v. 10.07.2014 – IX ZR 192/13). Mit anderen Worten: Die zunächst unterlassene Durchsetzung einer fälligen Forderung führt zum Nachrang nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (BAG, Urt. v. 27.03.2014 – 6 AZR 204/12). Voraussetzung für die Unterordnung ist jedoch, dass die Stundung aus Gläubigersicht nicht verkehrsüblich ist. Um diesen Eindruck zu entkräften, ist erforderlich, dass der Gläubiger seinen Anspruch notfalls auch gerichtlich durchsetzt – hierzu zählt auch ein Eröffnungsantrag. Für der Höhe nach streitige Lohnforderungen hat dies das BAG (Urt. v. 27.03.2014 – 6 AZR 204/12) entschieden, worauf auch das KG Berlin aufmerksam macht. Im Gegensatz zur Zahlungsunfähigkeit genügt hier also nicht die einfache Rechnungsübersendung oder Mahnung; auch die bloße Vertragskündigung ist nicht ausreichend.
Darüber hinaus enthält die Verkehrsüblichkeit auch eine zeitliche Dimension. Teilweise werden dem Gläubiger mehrere Monate eingeräumt, um die Forderung durchzusetzen. Der überwiegende Teil des Schrifttums ist hingegen strenger und stellt darauf ab, ob die Leistungen – im Sinne des Bargeschäfts in § 142 InsO – unmittelbar ausgetauscht wurden (Haas/Kolmann/Pauw in: Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 92 Rn. 450; Preuß in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 39 Rn. 81 jeweils m.w.N.). Diesem Ansatz schloss sich etwa das OLG Schleswig (Urt. v. 29.05.2013 – 9 U 15/13; vgl. auch BGH, Urt. v. 10.07.2014 – IX ZR 192/13) an. Demnach scheidet eine verkehrsübliche Stundung regelmäßig aus, wenn der Zeitraum zwischen Leistung und Gegenleistung 30 Tage überschreitet (arg. e. § 286 Abs. 3 BGB, Übersicht bei Ede/Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 39 Rn. 29).
Auf diese zeitliche Frage kam es hier allerdings nicht so sehr an. Spätestens seit der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2015 steht fest, dass der Rangrücktritt einen Vertrag darstellt (BGH, Urt. v. 05.03.2015 – IX ZR 133/14). Das KG Berlin sieht nicht zuletzt in diesem zurückliegenden Angebot der Klägerin ein faktisches Stillhalten. Dies mag zwar keine Unterordnung in den Rang von § 39 Abs. 2 InsO begründen, sondern „nur“ dazu führen, dass die Forderung das Schicksal eines Gesellschafterdarlehens teilt (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Auf die (faktisch ausgeschlossene) Befriedigungsaussicht des Gläubigers wirkt sich diese Unterscheidung allerdings kaum aus, da auch ein nachrangiger Gläubiger in aller Regel leer ausgeht. Da im Rahmen von § 19 Abs. 2 InsO auch Verbindlichkeiten nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO einbezogen werden (Wolfer in: BeckOK InsO, § 19 Rn. 38), beseitigt das Stehenlassen einer Forderung nicht die rechnerische Überschuldung.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr die weite Auslegung der wirtschaftlich darlehensähnlichen Rechtshandlung in § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO. Verfolgt der Gesellschafter mit seiner „unterordnungsbedrohten“ Forderung zuvörderst eine nicht-nachrangige Befriedigung im Insolvenzverfahren, muss er sich im Vorfeld auch wie ein normaler Gläubiger verhalten. Dazu zählt das KG Berlin im Anschluss an das BAG auch die gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs. Es liegt auf der Hand, dass dies die Gefahr birgt, gutes Geld dem schlechten hinterherzuwerfen. Daher ist die Ausführung des KG Berlin hilfreich, dass „jedenfalls aber aus dem sich hier aufdrängenden Blickwinkel des § 14 InsO das Verlangen nach sofortiger Information wegen ggfls. überhaupt noch gegebener Zahlungsmöglichkeiten“ verkehrstypisch ist. Mit einem angebotenen, auf die Beseitigung der Überschuldung gerichteten Rangrücktritt gibt der Gläubiger jedoch zu erkennen, dass er seinen Anspruch bis auf weiteres nicht durchzusetzen gedenkt. Damit fällt seine Forderung zwar nicht in den Rang von § 39 Abs. 2 InsO (und kann daher auch die rechnerische Überschuldung nicht beseitigen!), wohl aber in jenen von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Damit bestätigt das KG Berlin, was von dem Gläubiger verlangt wird, um die Forderung nicht stehen zu lassen; hinsichtlich der zeitlichen Bestimmung bietet sich dagegen ein Rückgriff auf das Unmittelbarkeitskriterium in § 142 InsO an (Keller, NZI 2014, 624).
Der zugleich an der Gesellschaft beteiligte Gläubiger befindet sich mit seiner Stundungsentscheidung zwischen Skylla und Charybdis. Kreditiert er die Forderung gegen die Gesellschaft, mag dies zu einem Liquiditätsaufschub und somit möglicherweise zu einer positiven Fortbestehensprognose führen, die für sich genommen die Überschuldung ausschließt (vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Gleichzeitig riskiert er allerdings den Nachrang seiner Forderung, falls es letztlich doch zu einem Insolvenzverfahren kommt. Dagegen vermeidet die Durchsetzung seiner Forderung zwar die Unterordnung der Forderung, fördert zugleich jedoch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens.