Nachfolgend ein Beitrag vom 27.11.2017 von Märtens, jurisPR-SteuerR 48/2017 Anm. 1
Leitsätze
1. Die Organgesellschaft ist auch unter Geltung einer umwandlungssteuerrechtlichen Rückwirkungsfiktion nicht „vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen“ (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG) in den Organträger finanziell eingegliedert, wenn die Anteile an der Organgesellschaft im Rückwirkungszeitraum (unterjährig) von einem Dritten auf den Organträger übergehen.
2. Bei der Berechnung der fünfjährigen Mindestlaufzeit eines Gewinnabführungsvertrags bei körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG) kann eine umwandlungssteuerrechtliche Rückwirkungsfiktion beachtlich sein, auch wenn sie auf einen Zeitpunkt vor Gründung der Organgesellschaft wirkt.
A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich damit, inwiefern eine umwandlungssteuerrechtliche Rückwirkungsfiktion bei der Berechnung der fünfjährigen Mindestlaufzeit des Gewinnabführungsvertrags (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG) zu berücksichtigen ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine AG, ist Rechtsnachfolgerin der B GmbH. Diese war mit Gesellschaftsvertrag vom 09.02.2005 als Vorratsgesellschaft gegründet und am 03.03.2005 in das Handelsregister eingetragen worden. Am 09.08.2005 erwarb die B Holding GmbH die Anteile an der B GmbH. Mit Vertrag vom 16.08.2005 übertrug die B Holding GmbH mit Wirkung zum 01.01.2005 Teile ihres Vermögens durch Ausgliederung zur Aufnahme auf die B GmbH (§ 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG). Außerdem schloss die B Holding GmbH als herrschendes Unternehmen mit der B GmbH am 16.08.2005 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, der ab dem 01.01.2005 gelten sollte. Der Vertrag sollte erstmals zum Ablauf des 31.12.2009 ordentlich gekündigt werden können. Die Verträge wurden im Oktober bzw. November 2005 in das Handelsregister eingetragen.
Das Finanzamt behandelte die Gewinnabführungen der B GmbH in den Streitjahren (2005 bis 2007) als verdeckte Gewinnausschüttungen. Es war der Auffassung, die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft zwischen der B GmbH als Organgesellschaft und der B Holding GmbH als Organträgerin hätten nicht vorgelegen, weil der Gewinnabführungsvertrag nicht auf die Dauer von mindestens fünf (Zeit-)Jahren abgeschlossen worden sei (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG). Bei dem Wirtschaftsjahr 2005 habe es sich um ein Rumpfwirtschaftsjahr gehandelt, das erst mit Gründung der B GmbH am 09.02.2005 begonnen habe. Die B GmbH berief sich demgegenüber auf die umwandlungssteuerrechtliche Rückwirkungsfiktion des § 2 Abs. 1 UmwStG 2002. Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg (FG Düsseldorf, Urt. v. 03.03.2015 – 6 K 4332/12 K,F – EFG 2015, 951).
Der BFH hat die Klageabweisung im Hinblick auf das Streitjahr 2005 bestätigt, im Übrigen (Streitjahre 2006 und 2007) den Rechtsstreit jedoch zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Für das Streitjahr 2005 sei eine Organschaft jedenfalls deshalb nicht anzuerkennen, weil es an der finanziellen Eingliederung der B GmbH in die B Holding GmbH „vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen“ (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG) gefehlt habe (so im Ergebnis auch Walter, GmbHR 2015, 544, 546). Denn die B Holding GmbH habe die B GmbH nicht selbst gegründet, sondern deren Anteile erst im August 2005 von dritter Seite erworben. Etwaige umwandlungsteuerrechtliche Rückwirkungsfiktionen vermöchten daran nichts zu ändern.
Hinsichtlich der Streitjahre 2006 und 2007 sei der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. Denn ob die Laufzeit des Gewinnabführungsvertrags den Vorgaben des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG entsprochen habe, könne ohne weitergehende Feststellungen des Finanzgerichts nicht entschieden werden.
Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts wäre in die Berechnung der fünfjährigen Mindestdauer des Gewinnabführungsvertrags i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG die steuerliche Rückwirkung eines Einbringungsvorgangs einzubeziehen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG sei das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger erstmals für das Kalenderjahr zuzurechnen, in dem das Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft ende, in dem der Gewinnabführungsvertrag wirksam werde. Im Streitfall sei dies das Wirtschaftsjahr 2005. Teil des abzuführenden Gewinns wäre dabei aber auch das der aufnehmenden Gesellschaft – hier: der B GmbH als Organgesellschaft – zuzurechnende Ergebnis des Rückwirkungszeitraums (d.h. ab dem 01.01.2005). Wenn damit aber die gesetzliche Regelung das gesamte Einkommen des Jahres 2005 erfasse und der Einkommenszurechnung unterwerfe, sei auch bei der Berechnung der Mindestlaufzeit des Vertrags auf den Beginn dieses Wirtschaftsjahrs abzustellen (vgl. a. BFH, Beschl. v. 22.10.2008 – I R 66/07 – BStBl II 2009, 972; Anm. Heger, jurisPR-SteuerR 13/2009 Anm. 6; wohl auch R 60 Abs. 2 Satz 2 KStR 2004; Brink in: Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 14 Rn. 304; Rödder/Liekenbrock in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 14 Rn. 310). Ein Bedarf für eine restriktive Sicht aus Gründen der Manipulationsabwehr sei insoweit entgegen der Ansicht des Finanzgerichts nicht erkennbar (zutreffend Rödder/Liekenbrock in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 14 Rn. 310; Brühl, DStR 2015, 1896, 1900; Hölzer, DB 2015, 1249, 1251).
Eine steuerrechtliche Rückwirkungsfiktion könne im Streitfall allerdings nicht auf § 2 Abs. 1 UmwStG 2002 beruhen. Nach der Rechtsprechung des Senats (BFH, Urt. v. 12.12.2012 – I R 28/11 – BFHE 240, 22 = BFH/NV 2013, 884) sei diese Regelung auf Ausgliederungen nicht anwendbar. Bei der Ausgliederung auf eine bestehende oder neu gegründete Kapitalgesellschaft handele es sich aus steuerrechtlicher Sicht um eine Form der Einbringung, die dadurch gekennzeichnet sei, dass der übertragende Rechtsträger selbst die als Gegenleistung gewährten Geschäftsanteile erhalte. Die Einbringung in eine Kapitalgesellschaft sei im achten Teil (§§ 20 bis 23) des UmwStG 2002 geregelt, welcher in § 20 Abs. 7 und 8 UmwStG 2002 die Möglichkeit zur steuerrechtlichen Rückbeziehung eigenständig regele. Allerdings gälten diese Einbringungsvorschriften nur für Sacheinlagen i.S.d. § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002, d.h. für die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils sowie für die Einbringung von mehrheitsvermittelnden Kapitalgesellschaftsanteilen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2002). Ob das auf die Klägerin übertragene Vermögen diese Voraussetzung erfülle, sei dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Die erforderlichen Feststellungen seien im zweiten Rechtsgang vom Finanzgericht nachzuholen.
Sollte sich hiernach ergeben, dass die Voraussetzungen einer Rückwirkungsfiktion nach § 20 Abs. 7 und 8 UmwStG 2002 erfüllt seien, werde für den weiteren Verfahrensfortgang darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass die Organschaft im ersten Jahr mangels durchgängiger finanzieller Eingliederung „verunglückt“ gewesen sei, die steuerliche Anerkennung in den Folgejahren nicht hindere. Der Senat habe mit Urteil vom 10.05.2017 (I R 51/15 – BFHE 258, 351 = BFH/NV 2017, 1552) dahin erkannt, dass die finanzielle Eingliederung nicht während der gesamten Mindestlaufzeit des Ergebnisabführungsvertrags gegeben sein müsse, um das Erfordernis, den Vertrag im Rahmen der Mindestvertragslaufzeit „während seiner gesamten Geltungsdauer“ durchzuführen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG), zu erfüllen. Ein zeitweiliges Fehlen der finanziellen Eingliederung führe lediglich dazu, dass die steuerrechtlichen Folgen der Organschaft für diejenigen Jahre, in denen die gesetzlichen Anerkennungsvoraussetzungen tatsächlich nicht vorgelegen hätten, zu versagen sind (partielle Versagung). In den übrigen Jahren sei die Organschaft anzuerkennen.
C. Kontext der Entscheidung
I. Nach der Rechtsprechung des BFH ist bei der Berechnung der fünfjährigen Mindestlaufzeit des Gewinnabführungsvertrags gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG auf Zeitjahre und nicht auf Wirtschaftsjahre abzustellen (BFH, Urt. v. 12.01.2011 – I R 3/10 – BStBl II 2011, 727; Anm. Lieber, jurisPR-SteuerR 24/2011 Anm. 6). Vier Zeitjahre und ein Rumpfwirtschaftsjahr würden daher zur steuerlichen Anerkennung der Organschaft nicht ausreichen. Mit der Besprechungsentscheidung stellt der BFH nun klar, dass eine umwandlungsteuerrechtliche Rückwirkungsfiktion, die bewirkt, dass einer unterjährig gegründeten Organgesellschaft als aufnehmender Gesellschaft das vom übertragenden Rechtsträgers erzielte Ergebnis bereits für die Zeit ab Jahresanfang – d.h. auch für die Zeit vor Gründung der Organgesellschaft – zugerechnet wird, bei Prüfung der fünfjährigen Mindestlaufzeit des Gewinnabführungsvertrags nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG zu berücksichtigen ist.
II. Dass die Organschaft im Erstjahr 2005 aufgrund der nicht von Anfang an gegebenen finanziellen Eingliederung der B GmbH in die B Holding GmbH „verunglückt“ ist, würde die steuerliche Anerkennung der Organschaft für die Folgejahre nicht hindern. Der BFH hat dies in der in Bezug genommenen Entscheidung vom gleichen Tag (BFH, Urt. v. 10.05.2017 – I R 51/15 – BFHE 258, 351 = BFH/NV 2017, 1552; Anm. Märtens, jurisPR-SteuerR 48/2017 Anm. 2 – in dieser Ausgabe) näher begründet.
III. Mit der Einwirkung umwandlungsteuerrechtlicher Rechtsfolgen auf die Organschaftsvoraussetzungen hat sich der BFH bereits in den Entscheidungen BFH, Urt. v. 28.07.2010 (I R 89/09 – BStBl II 2011, 528) und BFH, Urt. v. 28.07.2010 (I R 111/09 – BFH/NV 2011, 67) befasst. Dort ging es jeweils um die Einbringung einer Mehrheitsbeteiligung an der Organgesellschaft in den Organträger und deren Auswirkungen auf das Erfordernis der finanziellen Eingliederung. Der BFH hat aus der (über § 23 Abs. 3 Satz 1 UmwStG 2002 anwendbaren) Regelung des § 12 Abs. 3 HS. 1 UmwStG 2002 über die steuerliche Rechtsnachfolge hinsichtlich des eingebrachten Vermögens darauf geschlossen, dass es in diesen Fällen auf die Anwendbarkeit der umwandlungsteuerrechtlichen Rückwirkungsfiktion auf den Tatbestand der finanziellen Eingliederung nicht ankommt („Teilbetriebseigenschaft als stärkste Form der Eingliederung“).
D. Auswirkungen für die Praxis
Bei Eingreifen einer umwandlungssteuerrechtlichen Rückwirkungsfiktion ist es möglich, den Beginn einer Organschaft auf einen Zeitpunkt vorzuverlegen, in dem die Organgesellschaft noch nicht existiert hat. Dies erhöht den Gestaltungsspielraum auf Unternehmensseite und mildert die Folgen der für die Berechnung der fünfjährigen Mindestdauer auf „Zeit“-Jahre abstellenden BFH-Rechtsprechung etwas ab. Zu prüfen ist jedoch in jedem Einzelfall, ob die umwandlungssteuerrechtlichen Rückwirkungsfiktionen tatsächlich greifen und ob neben der fünfjährigen Mindestdauer auch die weiteren Organschaftsvoraussetzungen (z.B. finanzielle Eingliederung) erfüllt sind.
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