Nachfolgend ein Beitrag vom 1.12.2016 von Bieber, jurisPR-MietR 24/2016 Anm. 1

Orientierungssatz

Die Verlagerung einer Drogenszene in das unmittelbare Umfeld einer Mietwohnung begründet in der Regel noch keinen Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 BGB.

A. Problemstellung

Unter den Mangelbegriff des § 536 BGB fallen bekanntlich nicht nur die dem Mietgegenstand unmittelbar anhaftenden Fehler, sondern auch solche Umstände, die von außerhalb auf die Mietsache einwirken, sofern hierdurch der vertragsgemäße Gebrauch beeinträchtigt wird. Umweltfehler wie z.B. Lärmimmissionen oder Zugangsbehinderungen können deshalb eine Mietminderung rechtfertigen, möglicherweise auch die Verlagerung der „Drogenszene“ in die unmittelbare Umgebung der gemieteten Wohnung, wenn hierdurch eine Gebrauchsbeeinträchtigung verursacht wird.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im Dezember 2012 schlossen die Parteien über eine in Dresden gelegene Erdgeschosswohnung einen inzwischen beendeten Mietvertrag, in dem es unter § 6 Ziff. 2 u.a. wie folgt hieß: „Der Vermieter gewährt den Gebrauch der Mietsache in dem Zustand, in welchem sich die Mietsache bei Übergabe befindet. Der Zustand der Mietsache bei Übergabe stellt den vertragsgemäßen Zustand dar …“. Ab November 2013 kürzte die Beklagte, die die Wohnung zusammen mit ihrem Säugling bewohnte, die Miete u.a. unter Hinweis darauf, dass sich eine bis dahin am Neustädter Bahnhof befindliche Drogenszene in die unmittelbare Umgebung ihrer Wohnung verlagert hätte. Das hätte z.B. dazu geführt, dass Drogensüchtige vor ihrer Wohnungstür gestanden hätten, um sich durch Klopfen und Klingeln Einlass zu verschaffen, dass drogensüchtige Personen wegen der leicht zu öffnenden Hauseingangstür in das Haus eingedrungen seien, um im Keller zu übernachten bzw. einzubrechen und der Wohnungseingangsbereich anderer Mietparteien beschmiert und mit Farbe verunstaltet worden sei. Sie habe es deshalb nicht mehr gewagt, die Fenster geöffnet und ihr Kind auch nur kurzfristig in einem Raum der Wohnung unbeaufsichtigt zu lassen.
Das AG Dresden hat der auf rückständige Miete gerichteten Klage stattgegeben.
Nachteilige Veränderungen des Wohnumfeldes begründeten einen Mangel nur, soweit hierdurch der Gebrauch der Wohnung zu Mietzwecken unmittelbar und erheblich beeinträchtigt werde. Eine unmittelbare und erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung in Bezug auf die von der Beklagten gemietete Wohnung ergebe sich aus ihrem Vorbringen „noch nicht“. Weder aus dem Mietvertragstext noch aus „üblichen Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs auf dem Dresdner Wohnungsmarkt“ lasse sich ableiten, dass die Kläger bei Abschluss des Mietvertrages das Risiko einer „von ihnen nicht provozierten“ und nicht beherrschbaren Verlagerung von Kriminalitätsschwerpunkten und Drogenszenen in das Wohnumfeld auf sich nehmen wollten. Befürchtungen und Verunsicherungen der Beklagten, auch wenn diese noch so verständlich und begründet gewesen sein sollten, führten nicht zu einer die Kläger bindenden Beschaffenheitsvereinbarung.

C. Kontext der Entscheidung

Es ging doch nicht um irgendwelche Gepflogenheiten auf dem Dresdner Wohnungsmarkt oder die Übernahme von nicht provozierten (!) Verlagerungen, sondern schlicht und einfach darum, ob der behauptete derzeitige Zustand innerhalb und außerhalb des Hauses zu einer Beeinträchtigung des Mietgebrauchs der Beklagten geführt hatte. Deshalb war es an sich völlig egal, ob die handelnden Personen der Drogenszene, der Pegida-Bewegung oder den „Reichsbürgern“ oder wem auch immer zuzurechnen waren: Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Mangel i.S.d. § 536 BGB vorlag, war die Frage, welcher Zustand der Mietsache bei Abschluss des Vertrages nach den Vorstellungen der Mietvertragsschließenden als vertragsgemäß gelten sollte (vgl. Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Aufl., § 535 Rn. 2; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 11. Aufl., § 536 Rn. 14). Einen Anhaltspunkt hierfür bietet der mitgeteilte Vertragstext, wonach der damalige Zustand der vertragsgemäße sein sollte: Weil zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sicherlich keine Einbrüche in Kellerräume, keine Schmierereien im Treppenhaus und keine Übernachtungen fremder Personen im Kellerbereich – wie von der Beklagten behauptet – zu verzeichnen gewesen waren, wird dieser Zustand als der vertragsgemäße anzusehen sein. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die von der Beklagten behaupteten Vorkommnisse einen Mangel i.S.d. § 536 BGB darstellen; der Mangelbegriff erfasst eben nicht nur unmittelbar die Wohnung, sondern sämtliche vom Mietgebrauch mitumfassten Gebäudeteile wie Keller, Treppenhaus, Dachboden usw. (Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, a.a.O., § 535 Rn. 43).
Auf die Frage, ob sich die Drogenszene in die unmittelbare Umgebung des Wohnhauses verlagert hatte, kam es überhaupt nicht an, auch nicht darauf, ob – anders, als in den der sog. Baulückenrechtsprechung zugrundeliegenden Fällen – für die Mieterin erkennbar sein musste, dass ihr Mietgebrauch durch Außeneinwirkung beeinträchtigt werden könnte. Weil das dem § 535 BGB innewohnende Äquivalenzprinzip verletzt worden war, also Vermieterleistung und Mietverpflichtung nicht mehr in einem ausgewogenen Verhältnis standen, blieb nur noch die Überlegung, ob etwa § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt eines von der Mieterin zu tragenden allgemeinen Lebensrisikos einer Mietminderung entgegengestanden hätte. Davon könnte man allerdings nur dann ausgehen, wenn der Vermieter seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hätte, um Vorfälle der von der Beklagten behaupteten Art zu verhindern: Nach deren Vortrag soll das gerade nicht der Fall gewesen sein, weil z.B. die Hauseingangstür leicht geöffnet werden konnte (vgl. zur Notwendigkeit des Einbaus eines Schnappschlosses AG Hamburg, Urt. v. 14.10.1993 – 48 C 932/93 – WuM 1994, 676). Das Amtsgericht hätte also Beweis erheben müssen über die von der Beklagten aufgestellten Behauptungen; deren Nichtberücksichtigung stellt sich als Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs dar.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auswirkungen für die Praxis dürfte diese Entscheidung nicht haben; negative Veränderungen des Wohnumfeldes als solche begründen (vorbehaltlich einer etwaigen, allerdings eher unwahrscheinlichen Vereinbarung der Parteien) keinen Mangel, weil keine unmittelbare Einwirkung auf die Mietsache vorliegt (vgl. BGH, Urt. v. 26.09.2012 – XII ZR 122/11 – Grundeigentum 2012, 1553 zum Anspruch des (Geschäftsraum-)Mieters auf „Milieuschutz“). Erst dann, wenn der Mietgebrauch unmittelbar beeinträchtigt wird, kommt eine Minderung in Betracht; hierfür ist es aber an sich völlig unerheblich, ob diese Beeinträchtigungen irgendwelchen „Szenen“, politischen Bewegungen oder sozialen Strukturen zuzuordnen sind.