Nachfolgend ein Beitrag vom 15.6.2018 von Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 11/2018 Anm. 1
Leitsätze
1. Die Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB erfordert nicht, dass zusätzlich zu den im Tatbestand dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen – hier die nach der Überlassung an den Mieter erfolgte Veräußerung des vermieteten Wohnraums an eine Personengesellschaft (§ 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 BGB) – an dem vermieteten Wohnraum Wohnungseigentum begründet worden ist oder der Erwerber zumindest die Absicht hat, eine solche Wohnungsumwandlung vorzunehmen.
2. Diese Auslegung des § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB verstößt weder gegen die verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Vermieters gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG noch gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
A. Problemstellung
Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen sind bei vermietetem Wohnraum nach Umwandlung in Wohnungseigentum schon lange eingeschränkt. Hier gilt eine Kündigungssperrfrist von grundsätzlich drei Jahren, die landesgesetzlich auf bis zu zehn Jahre verlängert werden kann. Die Immobilienbranche hatte deshalb Modelle entwickelt, um diese Beschränkung weitestgehend zu umgehen. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert und in § 577a Abs. 1a BGB einen weiteren Tatbestand eingeführt, bei dessen Vorliegen die Sperrfrist auch eingreifen sollte. Mit den Voraussetzungen dieser Norm hat sich der BGH vorliegend ausführlich beschäftigt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte hatte im Jahr 1981 eine circa 160 m² große Vierzimmer-Altbauwohnung in einem Mehrparteienhaus in Frankfurt am Main zu einer Nettomiete von zuletzt 856,25 Euro gemietet und bewohnte diese zusammen mit seiner Ehefrau und Tochter. Die Klägerin hat das Grundstück erworben und ist am 14.01.2015 im Grundbuch eingetragen worden. Es handelt sich bei ihr um eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, die aus den Gesellschaftern A und B und der C.-GmbH besteht. Bereits am 09.05.2015 erklärte sie gegenüber dem Beklagten die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.01.2016 mit der Begründung, ihr Gesellschafter B benötige die Wohnung für sich, da er sich von seiner Ehefrau getrennt habe und als erfolgreicher Immobilienunternehmer repräsentative Wohnräume in einer entsprechenden Wohnlage in der Nähe eines seiner Büros benötige. Die in dem vorgenannten Kündigungsschreiben im Einzelnen beschriebenen leerstehenden Wohnungen in den zahlreichen (rund 900 Wohnungen umfassenden) Liegenschaften in Frankfurt am Main und Umgebung, an denen V. F. als Gesellschafter beteiligt sei, entsprächen nicht dessen gehobenem Lebensstil und repräsentativen Anforderungen.
Der Beklagte widersprach der Kündigung, verlangte die Fortsetzung des Mietverhältnisses, machte Härtegründe für sich und seine Familie geltend und zog den von der Klägerin geltend gemachten Eigenbedarf ihres Gesellschafters in Zweifel. Amts- und Landgericht haben die Räumungsklage abgewiesen, da die Sperrfrist des § 577a Abs. 1a BGB noch nicht abgelaufen sei.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Auch nach Ansicht des BGH konnte die vermietende GbR hier noch nicht kündigen, weil die Kündigungssperrfrist von in Frankfurt fünf Jahren zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht abgelaufen war.
§ 577a BGB war auch nach Ansicht des Senats auf die vorliegende Fallgestaltung anzuwenden. Nach § 577a Abs. 1 BGB kann sich ein Erwerber, wenn an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden ist, auf berechtigte Interessen i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB (Tatbestände des Eigenbedarfs oder der wirtschaftlichen Verwertung) erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen. In der Folgezeit hat der Gesetzgeber die genannte Vorschrift des § 577a BGB durch das Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz) vom 11.03.2013 um Absatz 1a ergänzt. Ziel dieser Ergänzung war es, die Umgehung des Kündigungsschutzes bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, insbesondere nach dem sog. „Münchener Modell“, zu unterbinden. Bei dem „Münchener Modell“ verzichtet eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts oder eine Miteigentümergemeinschaft nach dem Erwerb des mit Mietwohnraum bebauten Grundstücks zunächst auf die Begründung von Wohnungseigentum und den anschließenden Verkauf von Eigentumswohnungen an Interessenten, kündigt stattdessen wegen Eigenbedarfs ihrer Gesellschafter oder der Miteigentümer und umgeht so die Anwendung der Kündigungssperre des § 577a BGB, da die mieterschützende Bestimmung des § 577a Abs. 1 BGB hierauf weder unmittelbar noch analog anwendbar ist (BGH Urt. v. 16.07.2009 – VIII ZR 231/08).
Der Gesetzgeber hat deshalb zur Vermeidung derartiger Umgehungen des Kündigungsschutzes die in § 577a Abs. 1, 2 BGB für Eigenbedarfs- und Verwertungskündigungen nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BGB vorgesehene zeitliche Kündigungssperre auch auf die Fälle der Veräußerung an eine Erwerbermehrheit erstreckt.
Nach der Neuregelung gilt die Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1 BGB entsprechend, wenn vermieteter Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter an eine Personengesellschaft veräußert wird.
Die Anwendung dieser Kündigungsbeschränkung erfordert nicht, dass über die im Tatbestand dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen hinaus zumindest die Absicht des Erwerbers besteht, den vermieteten Wohnraum in Wohnungseigentum umzuwandeln.
§ 577a Abs. 1a Satz 1 BGB ist nicht dahin auszulegen, dass der Tatbestand dieser Vorschrift das weitere ungeschriebene Tatbestandsmerkmal einer Umwandlungsabsicht in dem oben genannten Sinne enthielte.
1. Wortlautauslegung
Dem Wortlaut des § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB sei nicht zu entnehmen, dass seitens der den vermieteten Wohnraum erwerbenden Personenmehrheit die Absicht bestehen müsste, diesen in Wohnungseigentum umzuwandeln. Mit der Formulierung in § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB, wonach die Kündigungsbeschränkung des § 577a Abs. 1 BGB entsprechend gilt, wird allein auf die Rechtsfolge dieser Vorschrift, nicht hingegen auf deren Tatbestandsvoraussetzungen Bezug genommen.
Etwas anderes kann auch nicht aus der amtlichen Überschrift „Kündigungsbeschränkung bei Wohnungsumwandlung“ entnommen werden. Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung des BGH bei der Auslegung einer Vorschrift grundsätzlich auch die durch den Gesetzgeber formulierte amtliche Gesetzesüberschrift berücksichtigt werden, vorliegend führt dies bei der Auslegung der Vorschrift nicht zu einem anderen Ergebnis. Die amtliche Gesetzesüberschrift gibt lediglich schlagwortartig wieder, welche Materie die Vorschrift betrifft, ohne den Regelungsbereich in allen Einzelheiten zu umfassen. Maßgebend ist hier wegen der Eindeutigkeit der Wortlaut des Gesetzes. Die unterbliebene Angleichung der Gesetzesüberschrift des § 577a BGB bei der Gesetzesänderung 2013 erscheint dem Senat deshalb allenfalls als ein Redaktionsversehen.
2. Historische Auslegung
Nach den Gesetzesmaterialien wollte der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 577a Abs. 1a BGB nichts an der Berechtigung einer (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ändern, sich entsprechend § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Eigenbedarf eines Gesellschafters zu berufen. Er verfolgte vielmehr das Ziel, die faktische Umgehung des Kündigungsschutzes des Mieters bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, insbesondere nach dem oben genannten sog. „Münchener Modell“, zu unterbinden und die zuvor bestehende Schutzlücke zu schließen. Dabei ist er davon ausgegangen, das Verdrängungsrisiko für den Mieter werde durch die Veräußerung an eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder eine Miteigentümergemeinschaft nach dem Konzept des „Münchener Modells“ in gleicher Weise erhöht wie bei einer unmittelbaren Umwandlung in Wohnungseigentum (BT-Drs. 17/10485, S. 16).
3. Teleologische Auslegung
Der Sinn und Zweck der in die Vorschrift des § 577a BGB eingefügten Neuregelungen besteht indes nicht allein darin, der vorbezeichneten Umgehung nach dem „Münchener Modell“ entgegenzuwirken. Vielmehr wollte der Gesetzgeber, wie insbesondere den Ausführungen im Zusammenhang mit der Neuregelung in § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BGB zu entnehmen ist, „auch etwaigen neuen Umgehungstatbeständen“ vorbeugen und eine Umgehung der mieterschützenden Bestimmungen des § 577a BGB über andere rechtliche Konstruktionen verhindern. Das spreche dafür, dass der Gesetzgeber die zusätzliche Kündigungsbeschränkung in § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB weder an die in § 577a Abs. 1 BGB vorgesehene Umwandlung des vermieteten Wohnraums in Wohnungseigentum noch an das Vorliegen einer hierauf gerichteten Absicht des Erwerbers – wie bei dem „Münchener Modell“ – knüpfen wollte. Entscheidende Bedeutung habe er vielmehr dem Umstand beigemessen, dass der vermietete Wohnraum an eine Personengesellschaft veräußert werde, da sich bereits hierdurch nach der Einschätzung des Gesetzgebers das Verdrängungsrisiko für den Mieter erhöht und dieser deshalb insoweit eines Schutzes bedarf.
4. Systematische Auslegung
Schließlich spreche auch die Gesetzessystematik eindeutig für eine solche Auslegung. Dies folgt aus der in § 577a Abs. 2a BGB eingeführten Frist. Diese beginnt nach einer Veräußerung i.S.d. § 577a Abs. 1a BGB bereits mit der Veräußerung nach § 577a Abs. 1a BGB. Dieser Regelung hätte es nicht bedurft, wenn die Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 577a Abs. 1 BGB abhinge. Die Einfügung des § 577a Abs. 2a BGB unterstreiche vielmehr, dass der Gesetzgeber das Eingreifen der Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB nicht an die Begründung von Wohnungseigentum oder eine darauf gerichtete Absicht, sondern alleine an das Tatbestandsmerkmal der Veräußerung des vermieteten Wohnraums an eine Personengesellschaft geknüpft hat.
5. Verfassungsmäßigkeit der Regelung
Diese Auslegung des § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen Art. 14 GG oder den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der in der Kündigungsbeschränkung nach § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB liegende Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Vermieters stellt vielmehr eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.
Schon der Gesetzgeber war sich bereits bei der Einführung des § 577a BGB bewusst, dass mit der Kündigungssperrfrist ein erheblicher Eingriff in die Eigentumsrechte des Vermieters verbunden ist und dieser Eingriff daher auf das zwingend erforderliche Maß zu beschränken ist. Von diesen Maßstäben habe sich der Gesetzgeber ersichtlich auch bei der Einfügung des Absatzes 1a in § 577a BGB leiten lassen. Er hat mit dieser Vorschrift das legitime Regelungsziel verfolgt, einer insbesondere mit dem sog. „Münchener Modell“ verbundenen Umgehung der Kündigungsbeschränkung des § 577a Abs. 1 BGB entgegenzuwirken. Hierzu habe er nicht etwa die Berechtigung einer GbR, sich auf den Eigenbedarf eines Gesellschafters zu berufen, grundsätzlich in Frage gestellt; vielmehr habe er sich für den weniger einschneidenden Weg entschieden, der GbR lediglich in bestimmten Fallgestaltungen für einen Zeitraum von mindestens drei Jahren ab der Veräußerung die Möglichkeit zu verwehren, das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters zu kündigen. Diese in § 577a Abs. 1a BGB gefundene Regelung dient einem angemessenen, auch die Belange der Vermieter hinreichend berücksichtigenden und damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügenden Interessenausgleich.
Dieser Interessenausgleich verstoße auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass in einem Anwesen mit mehreren vermieteten Wohnungen für jeden einzelnen Mieter das Risiko, im Wege der Eigenbedarfskündigung aus der Wohnung verdrängt zu werden, bei einem Erwerb durch eine Personengesellschaft oder durch mehrere Erwerber steigt. Denn es liege auf der Hand, dass sich mit jeder weiteren Person, deren Eigenbedarf dem Mieter gegenüber geltend gemacht werden kann, die Wahrscheinlichkeit für den Mieter erhöht, auch tatsächlich wegen Eigenbedarfs in Anspruch genommen zu werden.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung entspricht der absolut herrschenden Meinung und entspricht dem Willen des Gesetzgebers bei Schaffung der Neuregelung. Sie stellt ein Korrelat zur Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats zur Kündigung wegen Eigenbedarfs durch eine GbR dar. Die Länder haben es in der Hand, durch die Verlängerung der Frist auf bis zu zehn Jahre das Interesse an solchen Gestaltungen zu minimieren.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Auslegung der Norm durch den BGH wird den Druck auf die Mieter zumindest in angespannten Wohnungsmärkten nur teilweise reduzieren. Dies gilt zumindest in den Fällen, in denen nur die gesetzliche Mindestfrist von drei Jahren gilt. Bei Fristen von fünf oder gar zehn Jahren könnte dies anders sein. Letztendlich werden Erwerber, denen es nur um eine bestimmte Wohnung geht, in Zukunft vielleicht wieder eher als Einzelerwerber auftreten, um ggf. später das Grundstück auf die GbR zu übertragen. Es ist eine wirtschaftliche Frage, ob die doppelten Transaktionskosten (Notar und Grunderwerbsteuer) dem entgegenstehen.
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