Nachfolgend ein Beitrag vom 30.11.2018 von Tönies-Bambalska, jurisPR-IWR 6/2018 Anm. 5

Orientierungssätze

1. Die Zustellung einer Antragsschrift in deutscher Sprache an das in Irland ansässige Unternehmen Facebook Ireland Ltd. ist wirksam. Die Verweigerung der Annahme wegen einer fehlenden englischen Übersetzung ist rechtsmissbräuchlich (Anschluss AG Berlin, Urt. v. 08.03.2017 – 15 C 364/16).
2. Soweit Facebook Beiträge eines Nutzers ohne Rechtsgrundlage löscht und den Nutzer wegen dieser Beiträge sperrt, kann sich daraus ein Unterlassungsanspruch ergeben.
3. Ein „virtuelles Hausrecht“ führt nicht zum Entfallen einer eingegangenen vertraglichen Bindung.
4. Die Wiederholungsgefahr entfällt nicht dadurch, dass Facebook gelöschte Beiträge wieder herstellt und die Sperrung des Nutzers aufhebt.
5. Zum Vorliegen eines Verfügungsgrundes in diesen Fällen.
6. Die Durchsetzung eines solchen Unterlassungsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung ist nicht an die Voraussetzungen einer Leistungsverfügung gebunden.

A. Problemstellung

Seit einiger Zeit häufen sich die Verfahren gegen Facebook im Zusammenhang mit Nutzersperren und Löschungen von geposteten Beiträgen. Dazu hat sicherlich auch das höchst umstrittene, oft als „Anti-Hetz-Gesetz“ bezeichnete Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG) beigetragen, das seit Jahresbeginn vor Hass und Hetze im Netz schützen soll. Hiernach müssen Betreiber sozialer Netzwerke, die im Inland mehr als zwei Millionen registrierte Nutzer haben, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden und „rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von sieben Tagen löschen oder sperren (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG). Kommen sie ihren Löschungspflichten systematisch nicht nach, drohen ihnen hohe Bußgelder. Der zeitliche Druck birgt ein hohes Risiko von sog. Overblocking, d.h. dass immer wieder rechtlich zulässige, von der Meinungsfreiheit geschützte Inhalte gelöscht werden. Die Betreiber sozialer Netzwerke versuchen in solchen Fällen die Sperren und Löschungen unter Berufung auf ihre Gemeinschaftsstandards zu rechtfertigen. Und wenn sie im konkreten Fall nicht einschlägig sind, stützen sie diese Maßnahmen auf ihr „virtuelles Hausrecht“. Dabei stellt sich angesichts der enormen Bedeutung der sozialen Netzwerke als Informationsquelle die Frage, inwieweit deren Betreiber in der Ausgestaltung der Gemeinschaftsstandards heute noch frei sind und ob über die Gemeinschaftsstandards hinaus für auf das „virtuelle Hausrecht“ gestützte Nutzungseinschränkungen noch Raum ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Verfügungskläger hatte am 15.01.2018 auf seinem Privat-Account einen Beitrag gepostet, in dem er vor dem Hintergrund von Ansteckungsgefahren und Belastungen der deutschen Steuerzahler durch die Flüchtlinge eine politische Äußerung, wonach das, was die Flüchtlinge uns bringen, wertvoller als Gold sei, kritisch hinterfragte. Die Verfügungsbeklagte, die Anbieterin von Facebook in Europa ist, erblickte darin einen Verstoß gegen ihre Gemeinschaftsstandards, die „Hassrede“ in der Form direkter Angriffe auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften, wie z.B. ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit und Einwanderungsstatus nicht zulassen, wobei die Verfügungsbeklagte unter Angriffe gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren, versteht. Aus diesem Grund sperrte die Verfügungsbeklagte das private Nutzerprofil des Verfügungsklägers. Dies nahm er zum Anlass am 18.01.2015 den Beitrag nebst der Mitteilung der Verfügungsbeklagten über die Löschung des Beitrags auf seinem Politiker-Account unter Beifügung des Kommentars: „Das System dreht durch …“ zu posten. Am 15.05.2018 löschte die Verfügungsbeklagte diesen Beitrag und sperrte den Politiker-Account des Verfügungsklägers, machte jedoch beides am selben Tag rückgängig. Dies kommentierte der Verfügungskläger auf seinem Politiker-Account öffentlich dahingehend, dass er Zweifel an der Einhaltung der Demokratie äußerte und die Zensur durch Löschung von Beiträgen seitens der Verfügungsbeklagten nach ganz eigenen Regeln unabhängig von dem NetzDG beanstandete. Die Verfügungsbeklagte löschte auch diesen Beitrag umgehend unter Berufung darauf, dass er gegen ihre Standards hinsichtlich „Hassrede“ verstoße und sperrte das Nutzerprofil des Verfügungsklägers für die Dauer von 30 Tagen. Sie hob die Sperre jedoch schon vor Ablauf der ursprünglich angekündigten Sperrfrist auf und machte die Löschung des ersten Beitrags des Verfügungsklägers rückgängig. Daraufhin forderte der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte erfolglos auf, die Rechtswidrigkeit der Sperre einzuräumen, etwaig gelöschte Beiträge unverzüglich wiederherzustellen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.
Als der Verfügungskläger Ende Juli/Anfang August 2018 die beiden streitgegenständlichen Beiträge erneut unter Hinzufügung eines Zusatzkommentars postete, löschte die Verfügungsbeklagte die Beiträge am 06.08.2018 und sperrte erneut den Account des Verfügungsklägers. Daraufhin beantragte der Verfügungskläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Verfügungsbeklagte dahingehend, dass ihr unter Androhung der üblichen Ordnungsmittel untersagt wird, den Verfügungskläger für das Einstellen der streitgegenständlichen Beiträge (wörtlich oder sinngemäß) auf Facebook zu sperren oder die Beiträge zu löschen. Den Verfügungsantrag begründete der Verfügungskläger damit, dass die Löschung seiner Beiträge und die vorübergehenden Sperren seines Nutzerprofils rechtswidrig seien, weil ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten nicht gegeben sei. Im Übrigen verstießen die intransparenten Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten gegen grundrechtliche Wertungen, insbesondere gegen die Meinungsfreiheit.
Die in Irland ansässige Verfügungsbeklagte, der die Antragsschrift ohne englische Übersetzung übermittelt wurde, rügte die ordnungsgemäße Zustellung. Ohne die Zulässigkeit der streitgegenständlichen Beiträge des Verfügungsklägers anzuzweifeln, beantragte sie die Zurückweisung des Verfügungsantrags mit der Begründung, dass die Wiederholungsgefahr infolge der Wiedereinstellung der streitgegenständlichen Beiträge und Aufhebung der vorübergehenden Sperren entfallen sei. Zur vorübergehenden Löschungen und Sperren sei sie berechtigt gewesen, weil die streitgegenständlichen Beiträge dem Anschein nach gegen ihre Gemeinschaftsstandards verstoßen hätten. Im Übrigen würde der Erlass der einstweiligen Verfügung zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen.
Das LG Offenburg hat dem Verfügungsantrag größtenteils stattgegeben. Die fehlende Übersetzung des Verfügungsantrags ins Englische stehe der wirksamen Zustellung nicht entgegen, da die materiellen Voraussetzungen für die Verweigerung dessen Annahme gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b EuZVO nicht gegeben seien. Für die Frage, ob die Verfügungsbeklagte Deutsch versteht, sei nicht entscheidend, ob dies auf die persönlichen Fähigkeiten der Mitglieder ihrer Geschäftsleitung zutrifft. Es komme vielmehr auf die Organisation des Unternehmens insgesamt an. Angesichts des Umfangs und der Art der Geschäftstätigkeit der Verfügungsbeklagten in Deutschland, die über 31 Mio. Nutzer verfügt und ihnen eine vollständig in deutscher Sprache gehaltene Plattform-Oberfläche anbietet, sei unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sämtliche vertragsrelevante Dokumente in deutscher Sprache gehalten sind und nach den maßgeblichen Nutzungsbedingungen auf das Vertragsverhältnis deutsches Recht Anwendung findet, davon auszugehen, dass auf Seiten der Verfügungsbeklagten ausreichende Deutschkenntnisse vorhanden sind. Infolge dessen erweise sich die Verweigerung der Annahme des nicht übersetzten Verfügungsantrags als rechtsmissbräuchlich.
Dem Verfügungskläger stehe gegen die Verfügungsbeklagte ein Anspruch auf Unterlassung der Sperre seines Nutzerprofils wegen des Einstellens der streitgegenständlichen Beiträge und deren Löschung gemäß den §§ 241 Abs. 2, 1004 BGB in Verbindung mit dem Nutzungsvertrag zu, weil das Vorgehen der Verfügungsbeklagten rechtswidrig gewesen sei. Die Verfügungsbeklagte sei aufgrund des bestehenden Nutzungsvertrags grundsätzlich verpflichtet, dem Verfügungskläger die bereitgestellte Infrastruktur zur Einstellung und Rezeption von Inhalten zur Verfügung zu stellen. Eine Beschränkung der Nutzung bedürfe einer vertraglichen oder gesetzlichen Grundlage. Da in den streitgegenständlichen Beiträgen kein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards zu erkennen sei, können die Löschungen und Sperren nicht darauf gestützt werden.
Genauso wenig berechtige ein etwaiges „virtuelles Hausrecht“ die Verfügungsbeklagte dazu, die streitgegenständlichen Beiträge des Verfügungsklägers zu löschen und sein Nutzerprofil zu sperren. Denn ein solches Recht dürfe die vertragliche Bindung der Verfügungsbeklagten, deren wesentliche Pflicht darin besteht, die Nutzung der von ihr bereitgestellten Online-Plattform zu gestatten, nicht unterlaufen. Ein über die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards der Verfügungsbeklagten hinausgehendes Hausrecht könne nicht schrankenlos ausgeübt werden. Vielmehr sei die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte zu beachten bzw. eine Abwägung zwischen dem Interesse der Verfügungsbeklagten an der Durchsetzung ihres „virtuellen Hausrechts“ und der Meinungsfreiheit des Verfügungsklägers vorzunehmen, die vorliegend deutlich zugunsten des Verfügungsklägers ausfalle. Die Tatsachenbehauptungen und Wertungen beinhaltenden streitgegenständlichen Beiträge des Verfügungsklägers genießen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG, weil sie – auch wenn sie scharf oder verletzend formuliert sind – die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreiten und einen sachlichen Bezug aufweisen. Dabei sei auch die sehr hohe Bedeutung der Online-Plattform der Verfügungsbeklagten für die öffentliche Kommunikation und Meinungsbildung zu berücksichtigen, da diese mit großem Abstand die beste Möglichkeit darstelle, einen größeren Personenkreis anzusprechen und kritische Beiträge zu Themen von öffentlichem Interesse, wie die Folgen der Flüchtlingskrise und die Meinungsfreiheit, auszutauschen und zu verbreiten. Ein gewichtiges Interesse der Verfügungsbeklagten an der Löschung derartiger Beiträge und Sperre der Nutzerkonten, von denen diese Beiträge ausgehen, sei hingegen nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten sei die durch die Erstbegehung indizierte Wiederholungsgefahr durch die Wiedereinstellung der streitgegenständlichen Beiträge des Verfügungsklägers und die Aufhebung der Sperre seines Nutzerprofils nicht entfallen, da die Verfügungsbeklagte keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben und den Vertragsbruch bis zuletzt geleugnet hat. Der Erlass der tenorierten einstweiligen Verfügung führe nicht zu einer Vorwegnahme der Hauptsache, da sie nicht einer Leistungsverfügung gleichkomme. Die Verfügungsbeklagte werde nicht zu einer umfassenden Befriedigung verpflichtet. Ihr werde vielmehr eine spezielle eng begrenzte Art der Leistungseinschränkung untersagt, bei der ein Handlungsverbot im Vordergrund stehe.
Soweit der Verfügungskläger begehrte, der Verfügungsbeklagten zu untersagen, ihn für das Einstellen „sinngemäß“ identischer Beitrage zu sperren und solche Beiträge zu löschen, wurde der Verfügungsantrag zurückgewiesen, weil das Verbot kerngleiche Verstöße gegen die einstweilige Verfügung ohnehin umfasse und darüberhinaus ohne Kenntnis des genauen Aussagegehalts eines Beitrags kein Anspruch auf weitergehenden Schutz bestehe.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des LG Offenburg fügt sich in die bisher zwiegespaltene Rechtsprechung ein, die insoweit einheitlich ist, als die meisten Gerichte versuchen, einen Spagat zwischen der Gewährleistung der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Schutz der Handlungs- und Berufsausübungsfreiheit sowie dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auf der anderen Seite zu schaffen. Während ein Teil der Rechtsprechung die Auffassung vertritt, dass die AGB bzw. Gemeinschaftsstandards der Betreiber sozialer Netzwerke, die sie berechtigen, aus ihrer Sicht als „Hassrede“ zu qualifizierende Inhalte zu löschen und Sperren zu verhängen, unwirksam sind (vgl. OLG München, Urt. v. 17.07.2018 – 18 W 858/18; OLG München, Urt. v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18; LG Frankfurt, Beschl. v. 14.05.2018 – 2-03 O 182/18; LG Mosbach, Beschl. v. 01.06.2018 – 1 O 108/18) und das „virtuelle Hausrecht“ zu keinem anderen Ergebnis führen kann (vgl. OLG München, Urt. v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18; LG Mosbach, Beschl. v. 01.06.2018 – 1 O 108/18), sind andere Gerichte der Meinung, dass der abstrakt generelle Ausschluss bestimmter Inhalte durch Community-Richtlinien sozialer Netzwerke auch dann zulässig ist, wenn bestimmte Inhalte verboten werden sollen, die als Ausfluss der Meinungsfreiheit zulässig sind (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 08.08.2018 – 4 W 577/18; LG Heidelberg, Urt. v. 28.08.2018 – 1 O 71/18; LG Frankfurt, Beschl. v. 10.09.2018 – 2-03 O 310/18). Angesichts der Quasi-Monopolstellung gerade von Facebook erscheint die letztgenannte großzügige Rechtsprechung zu den Ausgestaltungsmöglichkeiten bei Community-Richtlinien zumindest fragwürdig. Dies gilt erst recht angesichts der Tatsache, dass das BVerfG seit jeher dem Grundsatz „Im Zweifel für die Meinungsfreiheit“ folgt, da das Grundrecht auf Meinungsfreiheit – eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt – seit 1958 unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft und für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend sei. Mit dem gebotenen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz wäre es unvereinbar, wenn die Betreiber sozialer Netzwerke gestützt auf ihre Gemeinschaftsstandards oder ihr „virtuelles Hausrecht“ Nutzerbeiträge, in denen sie einen Verstoß gegen ihre Gemeinschaftsstandards erblicken, auch dann löschen dürften, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet (vgl. OLG München, Urt. v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18).
Auch wenn die Rechtsprechung uneinheitlich ist, so haben die bisher ergangenen Urteile eine Botschaft gemeinsam: Die Betreiber sozialer Netzwerke müssen bei der Konkretisierung der wechselseitigen Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils gemäß § 241 Abs. 2 BGB sowohl bei der Gestaltung ihrer Gemeinschaftsstandards als auch bei der Ausübung ihres „virtuellen Hausrechts“ der mittelbaren Drittwirkung des Grundrechts der Nutzer auf Meinungsfreiheit ausreichend Rechnung tragen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Solange die Interpretation einer Äußerung unter Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums keinen klaren Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards erkennen lässt, darf Facebook willkürlich weder Beiträge löschen noch Sperren verhängen. Insoweit ist sich die Rechtsprechung jedenfalls einig, so dass das Vorgehen gegen offensichtlich willkürlichen Sperren und Löschungen i.d.R. hinreichende Aussichten auf Erfolg haben dürfte. Als problematisch erweisen sich die Fälle, in denen an und für sich zulässige, jedoch scharf oder verletzend formulierte Meinungsäußerungen, die nicht jenseits polemischer und überspitzter Kritik auf eine reine Diffamierung der Betroffenen abzielen und einen sachlichen Bezug aufweisen, unter den juristisch nicht fassbaren Begriff der „Hassrede“ nach den Gemeinschaftsstandards von Facebook fallen. Da ein beachtlicher Teil der Rechtsprechung der Meinung ist, dass die Gemeinschaftsstandards von Facebook einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle standhalten und eine geeignete Grundlage für das Verbot von Äußerungen darstellen, die von staatlichen Institutionen nicht ohne weiteres untersagt werden können, erscheint eine höchstrichterliche Klärung der Frage dringend erforderlich, ob soziale Netzwerke Meinungsäußerungen, die gegen ihre Gemeinschaftsstandards verstoßen, die Strafbarkeitsschwelle jedoch nicht überschreiten, unterbinden können.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die Entscheidung des LG Offenburg ist auch aus prozessrechtlicher Sicht interessant, denn sie befasst sich mit der Frage der Voraussetzungen des Annahmeverweigerungsrechts gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO und der Durchsetzbarkeit der Aufhebung einer Nutzersperre im Wege der einstweiligen Verfügung.
Gem. Art. 8 Abs. 1 EuZVO kann die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks verweigert werden, wenn es nicht in einer Sprache abgefasst ist, die der Empfänger versteht oder Amtssprache am Zustellungsort ist, und keine Übersetzung in einer dieser Sprachen beigefügt ist. Dabei stellt sich bei juristischen Personen wie Facebook die Frage, auf wessen Sprachkenntnisse es letztendlich ankommt. Während das OLG Frankfurt (Beschl. v. 01.07.2014 – 6 U 104/14) sich auf den Standpunkt stellte, dass auf die für den konkreten Sachverhalt zuständige Person abzustellen sei, sind das LG Offenburg und das AG Berlin-Mitte (Urt. v. 08.03.2017 – 15 C 364/16) der Auffassung, dass es nicht auf die Sprachkenntnisse bestimmter Personen im Unternehmen, wie z.B. die Mitglieder der Geschäftsführung ankomme, sondern vielmehr im Wege der Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Organisationsstruktur des Unternehmens zu ermitteln sei, ob das gegnerische Unternehmen die deutsche Sprache versteht. Die gebotene Gesamtbetrachtung kann zu dem Ergebnis führen, dass auf der gegnerischen Seite von dem Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse auszugehen ist, wenn Art und Umfang der Tätigkeit des ausländischen Unternehmens in Deutschland dafür spricht. Diese objektivierende Beurteilung der Sprachkenntnisse des Zustellungsempfängers überzeugt, weil sie Rechtsmissbrauch verhindert.
Überzeugend erscheint auch die Auffassung des LG Offenburg, wonach die vorübergehende Untersagung der Nutzersperre wegen einer bestimmten zulässigen Meinungsäußerung keine Leistungsverfügung darstelle (a.A. OLG München, Urt. v. 17.07.2018 – 18 W 858/18; OLG München, Urt. v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18). Zwar ist diese – formaljuristisch betrachtet – auf Erfüllung der vertraglichen Pflicht zur Gestattung der Nutzung der Online-Plattform durch den Nutzer gerichtet. Allerdings dient sie in der Tat der vorläufigen Regelung eines einstweiligen Zustandes, indem die Unterlassung der Nutzersperre wegen eines bestimmten, von der Meinungsfreiheit geschützten Beitrags angeordnet wird.

Keine Zensur-Willkür für Facebook unter Berufung auf sein „virtuelles Hausrecht“
Carsten OehlmannRechtsanwalt
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Keine Zensur-Willkür für Facebook unter Berufung auf sein „virtuelles Hausrecht“
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