Nachfolgend ein Beitrag vom 10.12.2018 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 49/2018 Anm. 6

Orientierungssätze

1. Bei einem direkten Zusammenhang des Eingangsumsatzes mit einem Ausgangsumsatz, der mangels wirtschaftlicher Tätigkeit nicht dem Anwendungsbereich der Steuer unterliegt oder der steuerfrei ist, ohne dass § 15 Abs. 3 UStG gilt, besteht keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug.
2. Aus den Beratungsleistungen, die ein Steuerpflichtiger zur Durchführung einer Anteilsveräußerung in Anspruch nimmt, kann die Vorsteuer nicht in Abzug gebracht werden, da diese Beratungsleistungen in direktem und unmittelbaren Zusammenhang mit steuerfreien Umsätzen (§ 4 Nr. 8 Buchst. f UStG) stehen.
3. Wird im Rahmen einer Anteilsveräußerung nicht insgesamt ein (der Mehrwertsteuer unterliegendes) Unternehmen übertragen, welches sich auf das Innehaben der Anteile begründet, sondern durch die Übertragung nur die Inhaberschaft am Unternehmen (also letztlich der Unternehmer und nicht sein Unternehmen, im Streitfall: isolierte Veräußerung des Organträgers) übertragen, liegt keine Geschäftsveräußerung im Ganzen vor.

A. Problemstellung

Der Verkauf von Beteiligungen gehört umsatzsteuerlich zu den Dauerbrennern in der Finanzrechtsprechung. Das FG Nürnberg hat sich nunmehr zu der Frage geäußert, ob die Veräußerung einer Beteiligung von 100% an einer Tochtergesellschaft eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 1 Abs. 1a UStG) sein kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin war alleinige Anteilseignerin und umsatzsteuerliche Organträgerin einer GmbH, an die Betriebsgrundstücke vermietet wurden. Zum Ende des Streitjahres 2012 verkaufte sie die gesamte Beteiligung an einen Dritten. Aus Beratungsleistungen im Zusammenhang mit der Transaktion machte die Klägerin den Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 UStG) geltend. Dem folgte das Finanzamt nicht mit der Begründung, der Verkauf sei umsatzsteuerbefreiter Finanzumsatz (§ 4 Nr. 8 UStG), der den Vorsteuerabzug ausschließe (§ 15 Abs. 2 UStG).
Mit der Klage trug die Klägerin vor: Dass die Veräußerung der Beteiligung keine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen gewesen sei, ergebe sich insbesondere aus dem Urteil des BFH vom 27.01.2011 (V R 38/09 – BStBl II 2012, 68; Eversloh, jurisPR-SteuerR 20/2011 Anm. 4). Dort zeige der 2. Leitsatz ausdrücklich, dass die Übertragung aller Gesellschaftsanteile eine Geschäftsveräußerung im Ganzen sei. Auch habe der Erwerber beabsichtigt, eine Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) mit der Beteiligungsgesellschaft zu begründen.
Das FG Nürnberg hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Ein Vorsteuerabzug aus den Beratungskosten sei nicht möglich, weil die Beteiligungsveräußerung wie vom Finanzamt gewürdigt ein schädlicher steuerfreier Ausgangsumsatz sei (vgl. § 15 Abs. 2 UStG i.V.m. § 4 Nr. 8 UStG), mit dem die Beratungsleistungen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang standen.
Zwar fiele die Anteilsveräußerung als wirtschaftliche Tätigkeit grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, d.h. sie sei im Rahmen des Unternehmens der Klägerin erfolgt. Dies ergebe sich aus den steuerpflichtigen Leistungen in Form einer Vermietung von Betriebsgrundstücken an die Gesellschaft sowie aus der umsatzsteuerlichen Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG).
Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen setze jedoch nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – C-497/01 – Slg. I 2003, 14393 „Zita Modes“; EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – C-444/10 – BStBl II 2012, 848 „Schriever“, EuGH, Urt. v. 29.10.2009 – C-29/08 – BFH/NV 2009, 2099; Prätzler, jurisPR-SteuerR 6/2010 Anm. 5 „AB SKF“) wie auch des BFH (vgl. BFH, Urt. v. 18.01.2012 – XI R 27/08 – BStBl II 2012, 842; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 20/2012 Anm. 4; BFH, Urt. v. 27.01.2011 – V R 38/09 – BStBl II 2012, 68) voraus, dass die Übertragung von Geschäftsbetrieben erfolge, mit denen eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden könne.
Grundsätzlich könne offenbleiben, ob das BFH-Urteil vom 27.01.2011 (V R 38/09 – BStBl II 2012, 68) tatsächlich im 2. Leitsatz die Aussage enthalte, dass die Veräußerung sämtlicher Anteile an einer Kapitalgesellschaft stets eine Geschäftsveräußerung im Ganzen sei. Jedenfalls sei das Urteil durch die nachfolgende EuGH-Entscheidung in der Rechtssache „X“ (EuGH, Urt. v. 30.05.2013 – C-651/11 – MwStR 2013, 337; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 33/2013 Anm. 6) überholt. In dieser Entscheidung habe der EuGH nämlich wesentliche Einschränkungen zum Urteil „AB SKF“ formuliert, auf welches sich der BFH noch entscheidend gestützt hatte.
Nach den Ausführungen des EuGH sei eine bloße Veräußerung von Anteilen ohne gleichzeitige Übertragung von Vermögenswerten kein Vorgang, der den Erwerber in die Lage versetze, eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit als Rechtsnachfolger des Veräußerers fortzuführen. Im Streitfall habe die Klägerin gerade keine Vermögenswerte, abgesehen von den GmbH-Anteilen, übertragen.
Die Organschaft endete mit Übertragung der Anteile, und die Vermietung wurde personell von der Anteilsinhaberschaft getrennt. Eine bloße Absicht des Erwerbers, eine ähnliche Konstellation wieder aufzubauen, reiche für die Geschäftsveräußerung nicht aus, denn der EuGH verlange, dass auch das die wirtschaftliche Tätigkeit vermittelnde Element mit übertragen werde.
Schließlich entfalte der UStAE keine Bindung für die Gerichte.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung basiert in wesentlichen Elementen auf dem EuGH-Urteil in der Rechtssache „X“. Im entsprechenden niederländischen Vorabentscheidungsersuchen hatte der Gerichtshof zu beurteilen, ob die Übertragung einer Beteiligung eine Geschäftsveräußerung im Ganzen sein kann. Relativ überraschend hatte er abweichend von den vermutlich missverständlichen Ausführungen in der Entscheidung „AB SKF“ dies grundsätzlich verneint. Dabei ging der Gerichtshof so weit, dass er sogar die kombinierte Übertragung eines Dienstleistungsvertrages gegenüber einer Beteiligungsgesellschaft nebst der Übertragung der entsprechenden Gesellschaftsanteile nicht etwa insgesamt als eine Geschäftsveräußerung im Ganzen ansah. Vielmehr liege nach Auffassung des EuGH nur bezüglich des Betriebsteils „Dienstleistungsvertrag“ eine solche Geschäftsveräußerung vor. Sie schließe jedoch nicht die Übertragung der Anteile an der Gesellschaft mit ein (vgl. Rn. 53 des EuGH-Urteils).
Der BFH hatte bislang keine Gelegenheit, seine Ausführungen aus dem zitierten Urteil aus dem Jahr 2011 zu präzisieren und an die neuere EuGH-Entscheidung anzupassen. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit würde der BFH die seinerzeit geäußerte Überlegung, dass die Übertragung einer 100-prozentigen Beteiligung an einer Tochtergesellschaft möglicherweise eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung sein könnte, nicht mehr aufrechterhalten (so auch Monfort/Prätzler, UR 2013, 618). Es bleibt abzuwarten, wie sich der XI. Senat im Revisionsverfahren (Az.: XI R 33/18) positionieren wird.
Die umsatzsteuerliche Literatur ist seit Ergehen der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache „X“ im Jahr 2013 weitgehend von der ursprünglich vertretenen Überlegung, eine Beteiligungsveräußerung könne eine Geschäftsveräußerung im Ganzen sein (vgl. u.a. Streit/Behrens, DStR 2012, 877; Marchal, BB 2011, 1815), abgerückt. Somit ist die Entscheidung des Finanzgerichts keineswegs überraschend.
Nicht zitiert wird im vorgestellten Urteil die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache „BLP“ (EuGH, Urt. v. 06.04.1995 – C-4/94 – Slg. I 1995, 983). Bereits seinerzeit entschied der EuGH, dass der Verkauf einer unternehmerisch gehaltenen Beteiligung grundsätzlich ein steuerfreier Finanzumsatz i.S.d. Art. 135 MwStSystRL ist, der den Vorsteuerabzug aus damit verbundenen Eingangsleistungen ausschließt. Die Verwirrung entstand erst später durch „AB SKF“.
Der EuGH hat im Übrigen in diesem Jahr u.a. aus dem Bereich der Beteiligungserwerbe und -veräußerungen entscheiden können, dass eine unternehmerisch tätige Holdinggesellschaft den Vorsteuerabzug auch für Kosten einer vergeblichen Akquisition geltend machen kann, vorausgesetzt, sie kann die Absicht belegen, die entsprechende Beteiligung im Sinne der ständigen EuGH-Rechtsprechung (EuGH, Urt. v. 16.07.2015 – C-108/14 – MwStR 215, 583 „Larentia+Minerva“ und „Marenave“, m.w.N.; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 43/2015 Anm. 6) im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit erwerben zu wollen und an sie keine vorsteuerschädlichen Ausgangsumsätze (beispielsweise steuerfreie Darlehensgewährung) ausführen zu wollen (vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.2018 – C-249/17 – DStR 2018, 2263 „Ryanair“).
Das entsprechende Urteil des EuGH fügt sich ebenso wie die Entscheidung in der Rechtssache „Marle Participations“ (EuGH, Urt. v. 05.07.2018 – C-320/17 – DStR 2018, 1713; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 35/2018 Anm. 6) nahtlos in die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes ein. Genaugenommen wendet es die bereits bestehende Rechtsprechung zum erfolglosen Unternehmer (EuGH, Urt. v. 29.02.1996 – C-110/94 „INZO“; EuGH, Urt. v. 15.01.1998 – C-37/95 – Slg. 1998, I-1 „Ghent Coal Terminal“) folgerichtig auf den Bereich der Beteiligungserwerber an.
Etwas eigenartiger erscheint hingegen eine aktuelle weitere EuGH-Entscheidung. Diese betrifft den geplanten, aber nicht realisierten Verkauf einer Beteiligung an einer Enkelgesellschaft und die Frage, ob ein Vorsteuerabzugsrecht im Zusammenhang mit diesem Verkauf bestand. Der EuGH verneinte die Frage, wobei es sich allerdings nicht etwa auf einen Zusammenhang mit Ausschlussumsätzen stützte. Vielmehr sah er den entsprechenden Verkaufsvorgang nicht als Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit der Holdinggesellschaft an, weil der Erlös zur Tilgung von Verbindlichkeiten dienen sollte (vgl. EuGH, Urt. v. 08.11.2018 – C-502/17 „C&D Foods Acquisition“).
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Verkauf einer Beteiligung an einen Erwerber aus dem Drittlandsgebiet grundsätzlich ein zum Vorsteuerabzug berechtigender Vorgang ist (vgl. § 15 Abs. 3 UStG). Auch kann zumindest in der Theorie ein Vorsteuerabzug durch eine Option zur Steuerpflicht beim Verkauf (§ 9 Abs. 1 UStG) erreicht werden. Die meisten Erwerber werden jedoch eine entsprechende Option nicht akzeptieren, weil Umsatzsteuer auf die Anschaffungskosten für sie ihrerseits ein signifikantes Vorsteuerrisiko bedeutet.

D. Auswirkungen für die Praxis

Es besteht kein unmittelbarer Handlungsbedarf aufgrund der Entscheidung. Die aktuellen Ausführungen der Finanzverwaltung zur Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Beteiligungen im UStAE (vgl. Abschn. 1.5 Abs. 9) stehen nicht im Widerspruch zu dieser Entscheidung.
Steuerpflichtige, die dennoch die Hoffnung haben, dass ein Beteiligungsverkauf eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen sein könnte, sollten während der Anhängigkeit des Revisionsverfahrens strittige Umsatzsteuerfestsetzungen offenhalten und ein Ruhen des Verfahrens (vgl. § 363 AO) erwirken. Jedoch erscheinen die Erfolgsaussichten diesbezüglich gering.

Keine Geschäftsveräußerung bei Übertragung aller Anteile an einer Gesellschaft
Carsten OehlmannRechtsanwalt
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