Nachfolgend ein Beitrag vom 13.3.2017 von Steinhauff, jurisPR-SteuerR 11/2017 Anm. 1

Leitsätze

1. Wird eine Eintragung in einem Steuererklärungsformular in einer falschen Zeile vorgenommen, so kommt eine offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO nur in Betracht, wenn ein Rechtsfehler ausgeschlossen ist.
2. Eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet aus, wenn dem Steuerpflichtigen grobes Verschulden zuzurechnen ist, sei es bei der Erstellung der Steuererklärung, sei es bei der Prüfung des Steuerbescheids.

A. Problemstellung

Der BFH bestätigt die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach es für die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO entscheidend darauf ankommt, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten – und nicht für den Sachbearbeiter beim Finanzamt – klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist. Außerdem entspricht es der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein Steuerpflichtiger die von der Finanzverwaltung angebotenen Hilfen – Erklärungsvordrucke und deren Erläuterungen – bei der Erfüllung seiner Erklärungspflichten in Anspruch nehmen muss. Wenn schon von einem Steuerpflichtigen, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, zum Ausschluss eines groben Verschuldens i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO verlangt wird, im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen richtig zu beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt zu lesen und zu beachten, so gebietet es die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts eine eindeutig im Erklärungsvordruck gestellte Frage zutreffend zu beantworten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist an der Steuerberatungs- und Rechtsanwaltspartnerschaft A (Partnerschaft) beteiligt. Er ist als Rechtsanwalt Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte. In seinen Steuererklärungen für die Streitjahre 2006 bis 2008 erfasste der Kläger seine an das Versorgungswerk geleisteten Beiträge im Jahr 2006 in Zeile 72 und in den Folgejahren in Zeile 74 des jeweiligen Mantelbogens. Nach dem Erklärungsvordruck waren in diesen Zeilen „Rentenversicherungsbeiträge ohne Kapitalwahlrecht mit Laufzeitbeginn und erster Beitragszahlung vor dem 01.01.2005 (auch steuerpflichtige Beiträge zu Versorgungs- und Pensionskassen)“ einzutragen. Richtig wäre demgegenüber eine Eintragung in Zeile 62 des Vordrucks gewesen, denn dort sind die „Beiträge zu landwirtschaftlichen Alterskassen sowie zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen bei Nichtarbeitnehmern, die den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbare Leistungen erbringen“ genannt.
Das beklagte Finanzamt veranlagte den Kläger erklärungsgemäß. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Mit Schreiben vom 03.03.2011 beantragte der Kläger eine Änderung der Steuerfestsetzungen der Jahre 2006 bis 2008 wegen der unzutreffenden Erfassung der Rentenversicherungsbeiträge. Dies lehnte das Finanzamt ab. Auch die Klage hatte keinen Erfolg (FG Münster, Urt. v. 10.04.2013 – 7 K 3301/11 E – EFG 2014, 617; Anm. Berghoff, EFG 2014, 619). Der BFH hat die Revision nach § 126 Abs. 4 FGO zurückgewiesen. Das Finanzgericht habe im Ergebnis zu Recht eine Berichtigung der streitigen Einkommensteuerbescheide nach § 129 AO abgelehnt und zudem rechtsfehlerfrei entschieden, dass eine Änderung der Bescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht möglich sei. Der BFH führte zur Begründung aus:
I. Nach § 129 Satz 1 AO könne die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen seien, jederzeit (innerhalb der Verjährungsfrist) berichtigen. Bei berechtigtem Interesse des Beteiligten sei zu berichtigen (§ 129 Satz 2 AO). Die Würdigung des Finanzgerichts, das die Anwendung des § 129 AO abgelehnt habe, halte einer revisionsrechtlichen Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
Das Finanzgericht habe entschieden, die Unrichtigkeit der Erklärung wäre für den zuständigen Bearbeiter des Finanzamts nur erkennbar gewesen, wenn er entweder beim Kläger nachgefragt hätte, zur Klärung dieser Frage den Erlass des BMF vom 07.02.2007 (IV C 8 – S 2221 – 128/06 – BStBl I 2007, 262) mit der Liste der berufsständischen Versorgungseinrichtungen, die den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbare Leistungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erbringen, hinzugezogen hätte oder ihm die Erlasslage sicher bekannt gewesen wäre. Das Finanzgericht habe damit auf die vermeintliche Kenntnis bzw. fehlende Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters abgestellt.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei eine Unrichtigkeit dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (z.B. BFH, Urt. v. 04.06.2008 – X R 47/07 Rn. 13 – BFH/NV 2008, 1801; BFH, Urt. 06.11.2012 – VIII R 15/10 – BStBl II 2013, 307 m. Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 17/2013 Anm. 1; BFH, Urt. v. 27.08.2013 – VIII R 9/11 – BStBl II 2014, 439 m. Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 1/2014 Anm. 1).
Vorliegend sei zunächst zu berücksichtigen, dass die unrichtige steuerliche Behandlung der Beiträge an das Versorgungswerk nicht unmaßgeblich auf den fehlerhaften Eintragungen des Klägers beruhe. Eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO könne zwar auch dann vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare Unrichtigkeit als eigene übernehme. Das bedeute aber, dass die Unrichtigkeit für das Finanzamt ohne weiteres erkennbar gewesen sein müsse. Da eine objektivierte Sicht zugrunde gelegt werde, sei bei dem (fiktiven) unvoreingenommenen Dritten zunächst der Akteninhalt – Steuererklärung, deren Anlagen sowie die Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr – als bekannt vorauszusetzen. Dies finde seine Begründung darin, dass eine Anknüpfung an aktenkundige Umstände bei objektiver Betrachtungsweise regelmäßig besonders naheliege (BFH, Urt. v. 01.07.2010 – IV R 56/07 – BFH/NV 2010, 2004 m. Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 44/2010 Anm. 1). Vorliegend bedeute dies, dass dem unvoreingenommenen Dritten aufgrund der beigefügten Anlagen zunächst die Tatsache bekannt gewesen wäre, dass der Kläger Beiträge an das „Versorgungswerk der Rechtsanwälte“ geleistet habe.
Gleichzeitig hätte der objektive Dritte aber auch zur Kenntnis genommen, dass diese Beiträge an das Versorgungswerk von dem Steuerpflichtigen, einem Rechtsanwalt bzw. seinem Steuerberater – und damit von fachkundigen Personen – nicht als „Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen bei Nichtarbeitnehmern, die den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbare Leistungen erbringen“, sondern als „Rentenversicherungsbeiträge ohne Kapitalwahlrecht mit Laufzeitbeginn und erster Beitragszahlung vor dem 01.01.2005 (auch steuerpflichtige Beiträge zu Versorgungs- und Pensionskassen)“ angesehen worden seien.
Um eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO bejahen zu können, hätte dem objektiven Dritten damit nicht nur die richtige Qualifizierung der Beiträge an das Versorgungswerk als Altersvorsorgeaufwendungen der Basisversorgung offensichtlich bekannt sein müssen. Außerdem hätte er – ohne beim Steuerpflichtigen nachfragen und ohne anderweitige Erkundigungen einholen zu müssen – zweifelsfrei ausschließen müssen, dass die an das Versorgungswerk geleisteten Beiträge unter keinen Umständen wie erklärt Rentenversicherungsbeiträge ohne Kapitalwahlrecht mit Laufzeitbeginn und erster Beitragszahlung vor dem 01.01.2005 (auch steuerpflichtige Beiträge zu Versorgungs- und Pensionskassen) hätten sein können.
Davon könne indes in der konkreten Situation des Streitfalls nicht ausgegangen werden. So handele es sich bei der Einordnung von Beiträgen an berufsständische Versorgungswerke, die nur dann als Altersvorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG angesehen werden könnten, wenn sie „den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbare Leistungen erbringen“, um ein Problem, das sich erst seit 2005 aufgrund der Regelungen des Alterseinkünftegesetzes stelle. Bei dieser Rechts- und Sachlage könne in den Streitjahren 2006 bis 2008 die Kenntnis von Detailfragen auch bei einem objektiven Dritten nicht als offensichtlich gegeben vorausgesetzt werden.
Vielmehr wäre eine Nachfrage des Sachbearbeiters zumindest beim Kläger angezeigt gewesen, um den Widerspruch zwischen seinen Erklärungen und den Anlagen aufzulösen. Eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung sei aber kein mechanisches Versehen, wie es § 129 AO voraussetze. Das Finanzamt habe zwar möglicherweise damit seine Amtsermittlungspflicht verletzt, eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht zuungunsten des Steuerpflichtigen sei aber nicht mit einer offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen. Sie schließt vielmehr in der Regel, wie im Streitfall, eine offenbare Unrichtigkeit aus (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urt. v. 23.01.1991 – I R 26/90 – BFH/NV 1992, 359; BFH, Urt. v. 12.04.1994 – IX R 31/91 – BFH/NV 1995, 1, jeweils m.w.N.).
II. Das Finanzgericht habe zu Recht eine Änderung der betroffenen Einkommensteuerbescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO abgelehnt, da den Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden seiner Beiträge zum Versorgungswerk treffe.
Ob ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt habe, sei im Wesentlichen eine vom Finanzgericht zu entscheidende Tatfrage (z.B. BFH, Urt. v. 23.10.2002 – III R 32/00 – BFH/NV 2003, 441). Dies hindere allerdings das Revisionsgericht nicht, selbst grobes Verschulden anzunehmen, wenn hierfür ausreichende tatsächliche Feststellungen vorlägen (BFH, Urt. v. 09.08.1991 – III R 24/87 – BStBl II 1992, 65). So verhalte es sich im Streitfall, und zwar auch dann, wenn der Kläger selbst seine Steuererklärungen erstellt und die Einkommensteuerbescheide kontrolliert haben sollte.
Da in den Streitjahren in Zeile 62 des Mantelbogens ausdrücklich und unmissverständlich die Frage nach den als Sonderausgaben abziehbaren Beiträgen zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen gestellt worden sei, könne sich der Kläger bei deren fehlerhafter Beantwortung nach ständiger Rechtsprechung nicht auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum berufen (vgl. zum Sorgfaltsmaßstab BFH, Urt. v. 09.11.2011 – X R 53/09 – BFH/NV 2012, 545 m.w.N.; BFH, Urt. v. 18.03.2014 – X R 8/11 – BFH/NV 2014, 1347; jeweils m.w.N.). Im Streitfall treffe den Kläger zudem ein grobes Verschulden im Hinblick auf die nicht hinreichende Prüfung des jeweiligen Steuerbescheids. Lediglich ein Vergleich der im Steuerbescheid als Sonderausgaben berücksichtigten Beiträge mit den erklärten Beiträgen genüge nicht, da die Erklärungsfehler dadurch nicht entdeckt werden können. Dem Kläger hätte angesichts der Höhe seiner an das Versorgungswerk geleisteten Beiträge (von jeweils mehr als 12.000 Euro/Jahr) auffallen müssen, dass in jedem Streitjahr ein erheblicher Anteil nicht in dem jeweiligen Steuerbescheid berücksichtigt worden sei (vgl. für Probeberechnungen beim Elsterprogramm BFH, Urt. v. 18.03.2014 – X R 8/11 Rn. 29 – BFH/NV 2014, 1347).
Sollte hingegen die Partnerschaft vom Kläger beauftragt worden sein, seine Steuererklärung zu erstellen und/oder zu überprüfen, habe das Finanzgericht diesbezüglich zu Recht darauf hingewiesen, dass sich ein Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO das Verschulden eines von ihm hinzugezogenen steuerlichen Beraters wie eigenes Verschulden zurechnen lassen müsse und dass von einem steuerlichen Berater die Kenntnis und sachgemäße Anwendung steuerrechtlicher Bestimmungen erwartet werden könne.

C. Kontext der Entscheidung

Offenbare Unrichtigkeiten i.S.v. § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht. Die Berichtigungsmöglichkeit gemäß § 129 AO setzt voraus, dass der offenbare Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 16.09.2015 – IX R 37/14 Rn. 17 – BStBl II 2015, 1040 m. Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 50/2015 Anm. 1).
Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urt. v. 27.08.2013 – VIII R 9/11 Rn. 15 – BStBl II 2014, 439, m.w.N., Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 1/2014 Anm. 1; BFH, Urt. v. 27.05.2009 – X R 47/08 – BStBl II 2009, 946 m. Anm. Schuster, jurisPR-SteuerR 47/2009 Anm. 1).
II. Bei der Beurteilung, ob eine offenbaren Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO anzunehmen ist, sind alle bekannten Umstände – auch außerhalb der eigentlichen Steuerakten – zu berücksichtigen, aus denen sich aus der Sicht eines unvoreingenommenen Dritten ein – ggf. bereits im Vorfeld der Steuerfestsetzung unterlaufenes oder angebahntes – Versehen klar und eindeutig ergibt (BFH, Urt. v. 06.11.2012 – VIII R 15/10 – BStBl II 2013, 307 m. Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 17/2013 Anm. 1).
III. Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt (BFH, Urt. v. 01.07.2010 – IV R 56/07 Rn. 20 – BFH/NV 2010, 2004; BFH, Urt. v. 27.05.2009 – X R 47/08 – BStBl II 2009, 946 m. Anm. Schuster, jurisPR-SteuerR 47/2009 Anm. 1; BFH, Urt. v. 13.06.2012 – VI R 85/10 – BStBl II 2013, 5 m. Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 50/2012 Anm. 1).
IV. Eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter – ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht – jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen (BFH, Urt. v. 27.05.2009 – X R 47/08 – BStBl II 2009, 946). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Unrichtigkeit hingegen dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urt. v. 04.06.2008 – X R 47/07 – BFH/NV 2008, 1801; BFH, Urt. v. 13.06.2012 – VI R 85/10 Rn. 19 – BStBl II 2013, 5; BFH, Urt. v. 06.11.2012 – VIII R 15/10 – BStBl II 2013, 307 m. Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 17/2013 Anm. 1; BFH, Urt. v. 27.08.2013 – VIII R 9/11 Rn. 14 – BStBl II 2014, 439).
V. Ein grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO liegt vor, wenn jemand die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt (BFH, Urt. v. 15.07.2010 – III R 32/08 – BFH/NV 2010, 2237, m.w.N.). Die diesbezügliche Würdigung des Finanzgerichts als Tatsacheninstanz kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung des Begriffs „grobes Verschulden“ oder auf einem Verfahrensfehler beruht oder ob sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt (BFH, Urt. v. 03.12.2009 – VI R 58/07 – BStBl II 2010, 531 m. Anm. Bergkemper, jurisPR-SteuerR 15/2010 Anm. 3).
VI. Das grobe Verschulden (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) entfällt auch dann nicht, wenn dem Finanzamt Versäumnisse bei der Aufklärung des Sachverhalts unterlaufen sind (BFH, Urt. v. 23.10.2002 – III R 32/00 – BFH/NV 2003, 441).
VII. Von einem steuerlichen Berater kann die Kenntnis und sachgemäße Anwendung steuerrechtlicher Bestimmungen erwartet werden (BFH, Urt. v. 09.05.2012 – I R 73/10 – BStBl II 2013, 566 m. Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 40/2012 Anm. 2).
VIII. Ein Steuerpflichtiger muss sich im Zusammenhang mit § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO das Verschulden eines von ihm hinzugezogenen steuerlichen Beraters wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (BFH, Urt. v. 09.11.2011 – X R 53/09 – BFH/NV 2012, 545; BFH, Urt. v. 12.05.2015 – VIII R 14/13 – BStBl II 2015, 806 m. Anm. Schmitz-Herscheidt, jurisPR-SteuerR 48/2015 Anm. 4).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Besprechungsentscheidung verdeutlicht anhand der zitierten Rechtsprechung die bei der Anwendung der Korrekturnormen in § 129 AO und § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO entscheidende Bedeutung der Würdigung des konkreten Einzelfalls anhand der jeweiligen Umstände und besonderen Verhältnisse. Dies veranschaulicht umgekehrt, dass der Steuerpflichtige, will er zu seinen Gunsten eine derartige Korrektur erreichen, bereits (spätestens) in der Tatsacheninstanz sämtliche derartigen, für die rechtliche Anwendung maßgebenden tatsächlichen Umstände darlegen muss.