Nachfolgend ein Beitrag vom 11.11.2016 von Geisler, jurisPR-BGHZivilR 19/2016 Anm. 1

Leitsatz

Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Urheberrechtsverletzung ist der Inhaber eines Internetanschlusses grundsätzlich nicht verpflichtet, volljährige Mitglieder seiner Wohngemeinschaft oder seine volljährigen Besucher und Gäste, denen er das Passwort für seinen Internetanschluss zur Verfügung stellt, über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihnen die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu untersagen.

A. Problemstellung

Mit der Ausweitung der Internetnutzung werden auch unberechtigt Inhalte heruntergeladen und über Tauschbörsen verbreitet (sog. Filesharing). Dem Rechteinhaber stellen sich Fragen der Haftung gegen die Teilnehmer an Internet-Tauschbörsen. Wiederholt musste sich der BGH mit der Haftung in Filesharing-Verfahren befassen. Im Rahmen der „Morpheus“-Entscheidung (BGH, Urt. v. 15.11.2012 – I ZR 74/12) lehnte der BGH eine dauerhafte Kontrolle von Minderjährigen durch den Aufsichtspflichtigen ab und machte die Aufsichtspflicht vom Alter, der Eigenart und dem Charakter des Kindes abhängig sowie danach, was dem Aufsichtspflichtigen in den jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Nach der „BearShare“-Entscheidung (BGH, Urt. v. 08.01.2014 – I ZR 169/12 – BGHZ 200, 76) besteht keine Belehrungs- und Kontrollpflicht bei Verstößen durch volljährige Familienangehörige, solange der Anschlussinhaber keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Internetanschlusses hat.
Im vorliegenden Urteil war die bisher noch nicht entschiedene Frage zu beantworten, ob diese für Familienmitglieder geltenden Maßstäbe auch auf volljährige Besucher, Gäste oder Mitbewohner des Anschlussinhabers übertragbar sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen Verwertungsrechte an dem Film „Silver Linings Playbook“. Sie hat von der Beklagten als Inhaberin eines Internetanschlusses wegen des unerlaubten öffentlichen Zugänglichmachens des Werks den Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von 755,80 Euro nach einem Gegenstandswert von 15.000 Euro verlangt. Die Beklagte hat eingewandt, ihre in Australien lebende Nichte und deren Lebensgefährte hätten anlässlich eines Besuchs mit Hilfe des ihnen für den Abruf von E-Mails und zum Skypen überlassenen Passworts für den WLAN-Router die Verletzungshandlung begangen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es hat angenommen, die Beklagte sei als Störerin für die durch ihre Nichte und deren Lebensgefährten begangene Rechtsverletzung verantwortlich. Die Beklagte habe eine zumutbare Verhaltenspflicht verletzt, weil sie – was unstreitig ist – weder ihre Nichte noch deren Lebensgefährten darauf hingewiesen habe, dass eine Nutzung von Internet-Tauschbörsen zum illegalen Bezug von urheberrechtlich geschütztem Material zu unterbleiben habe. Eine solche Belehrungspflicht bestehe auch gegenüber einem volljährigen Dritten, der – wie die Nichte der Beklagten – nicht als „Familienangehöriger“ anzusehen sei. Darauf, ob zwischen ihr und der Beklagten ein Vertrauensverhältnis wie zwischen Eltern und ihren Kindern bestehe, komme es nicht an.
Der BGH hat das die Klage abweisende Urteil des Amtsgerichts wiederhergestellt. Eine Haftung der Beklagten nach § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG als Täterin scheide aus, weil sie an den Nutzungshandlungen nicht beteiligt war. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hafte die Beklagte auch nicht als Störerin wegen von ihrer Nichte und deren Lebensgefährten begangener Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung. Als Grund für die Haftung komme nur in Betracht, dass die Beklagte ihre Nichte und deren Lebensgefährten nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen belehrt habe. Der Beklagten war eine entsprechende Belehrung ohne konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Internetanschlusses nicht zumutbar.
Die Senatsrechtsprechung, wonach der Inhaber eines ungesicherten WLAN-Anschlusses als Störer auf Unterlassung hafte, wenn außenstehende Dritte diesen Anschluss missbräuchlich nutzen (vgl. BGHZ 185, 330 Rn. 20 bis 24 „Sommer unseres Lebens“), sei nicht auf die vorliegende Fallgestaltung übertragbar, bei der der Anschlussinhaber seinen Internetanschluss einem Gast zur Verfügung stellt. Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, treffe keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht. Anders als Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern haben Wohnungsinhaber grundsätzlich keine Aufsichtspflicht gegenüber ihren volljährigen Mitbewohnern und Gästen. Die Überlassung eines Internetanschlusses zur Nutzung durch Mitbewohner oder Gäste sei nicht anders zu beurteilen als die Überlassung eines Telefonanschlusses, eines Kraftfahrzeugs oder auch einer Wohnung aus Gefälligkeit.
Der Ausschluss einer anlasslosen Belehrungspflicht des Anschlussinhabers gegenüber volljährigen Gästen und Mitbewohnern stehe mit dem Unionsrecht in Einklang (Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums v. 29.04.2004 – ABl EG Nr. L 195, S. 16). Ein Rechteinhaber könne sich bei der Verfolgung eines effektiven Urheberrechtsschutzes zwar auf die grundrechtliche Gewährleistung des geistigen Eigentums nach Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG berufen, die das Urheberrecht schützen und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta und effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG. Dem stehe jedoch gegenüber auf Seiten der Beklagten und ihrer Besucher der Schutz durch die Grundrechte auf Informationsfreiheit nach Art. 11 EU-Grundrechtecharta und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und das Recht auf Freiheit und Achtung des Privatlebens gemäß Art. 6 und 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 2 Abs. 1 GG. Nach Interessenabwägung der wechselseitigen Grundrechte scheide eine anlasslose Belehrungspflicht des Inhabers eines Internetanschlusses aus, wenn er den Zugang Gästen, Besuchern und Mitbewohnern eröffnet.

C. Kontext der Entscheidung

Diese Entscheidung des BGH reiht sich in die Linie der bisherigen Entscheidungen zur Haftung für Dritte wegen unrechtmäßiger Internetnutzung ein. Streitentscheidend war die Frage, ob die Rechtsprechung des Senats (BGH, Urt. v. 08.01.2014 – I ZR 169/12 „BearShare“) zum Ausschluss der Störerhaftung, wenn volljährige Familienangehörige den ihnen zur Nutzung überlassenen Anschluss für Rechtsverletzungen missbrauchen, auch anzuwenden ist auf Gäste, Besucher und Mitbewohner. Diese Frage hat der Senat zugunsten des Anschlussinhabers beantwortet.

D. Auswirkungen für die Praxis

Erst wenn der Anschlussinhaber konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch hat, muss er die zur Verhinderung von Rechtsverletzungen erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Ansonsten scheidet eine Störerhaftung aus. Der Rechteinhaber muss sich in diesem Fall an denjenigen wenden, der die Urheberrechtsverletzung begangen hat. Die Darlegungs- und Beweislast des Rechteinhabers ist ebenso zu beachten wie die sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers (BGH, Urt. v. 12.05.2016 – I ZR 48/15 Rn. 32-55, m.w.N. „Everytime we touch“).