Nachfolögend ein Beitrag vom 27.2.2017 von Wozniak, jurisPR-InsR 4/2017 Anm. 4

Leitsatz

Zeugnisverweigerung: Ausschluss des Zeugnisverweigerungsrechts des Insolvenzschuldners wegen Vermögensgefährdung nach § 384 Nr. 1 ZPO in einem Rechtsstreit auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle nach § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, wenn der Insolvenzschuldner faktischer Geschäftsführer der klagenden Partei ist.

A. Problemstellung

Die Entscheidung im vorliegenden Fall betrifft auf den ersten Blick eine nicht allzu häufig vorkommende Konstellation, der jedoch bei genauerer Betrachtung eine nicht unerhebliche Praxisrelevanz zukommen kann. Vordergründig geht es um das Recht einer Zeugnisverweigerung gemäß § 384 Nr. 1 ZPO, eine Zeugnisverweigerung also über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden zufügen würde. Das AG Köln hält in seinem Zwischenurteil zu Recht die Regelung des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO für einschlägig und eröffnet damit einen leichteren Haftungsdurchgriff auf die Geschäftsführung einer Kapitalgesellschaft bei Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Geschäftsführung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Feststellung einer Forderung in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners (zugleich auch der Zeuge) in Anspruch. Die Klägerin ist Betreiberin der N. Kliniken Köln und gehört zum Unternehmensverbund der S. Gruppe, die unter der Leitung der S. Kliniken Holding GmbH Kliniken und Reha-Einrichtungen betreibt. Über das Vermögen des Zeugen wurde mit Beschluss des AG Köln vom 28.04.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin meldete unter der laufenden Nr. 39 eine Forderung i.H.v. 2.627.954,69 Euro zur Insolvenztabelle an, die vom Beklagten bestritten wurde. Zur Begründung ihrer angemeldeten Forderung gibt die Klägerin an, der Schuldner und Zeuge habe innerhalb der S. Gruppe als faktischer Geschäftsführer gehandelt. Auf seine Veranlassung hin seien in den Jahren 2006 und 2007 aus dem Vermögen der Klägerin Beträge i.H.v. 2.627.954,69 Euro unter dem Verwendungszweck „bekannt“ entnommen worden, ohne dass für diese Zahlungen eine geschäftliche Veranlassung gegeben habe. Der Zeuge habe dabei die ihn treffende Vermögensbetreuungspflicht verletzt bzw. hierzu angestiftet oder Beihilfe geleistet. Die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung beruhe daher auf einem Anspruch aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB, §§ 266, 26, 27 StGB. Ein gegen den Zeugen geführtes Strafverfahren sei rechtskräftig abgeschlossen.
Der beklagte Insolvenzverwalter behauptet, dass es sich bei den Zahlungen um Darlehensgewährungen gehandelt habe, durch die die Inanspruchnahme von Bankkrediten vermieden werden sollte. Das Gericht hat mit Beschluss vom 13.04.2015 auf Antrag der Klägerin Beweis zu der Frage erhoben, ob der Zeuge Anweisungen zur Ausführung bargeldloser Zahlungen aus dem Vermögen der Klägerin unter dem Verwendungszweck „bekannt“ ohne geschäftliche Veranlassung erteilt habe. Vor dem zur Vernehmung des Zeugen angesetzten Termin am 12.09.2016 hat sich der Zeuge mit Schriftsatz vom 08.09.2016 auf ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 384 Nr. 1 ZPO berufen. Der Zeuge/Insolvenzschuldner ist der Ansicht, dass er nach § 384 Nr. 1 ZPO nicht zur Aussage verpflichtet sei. Die Beantwortung der Beweisfrage führe bei ihm zu einem unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden. Da die Ansprüche auf einer deliktischen Grundlage beruhten, handele es sich um von einer Restschuldbefreiung nicht erfasste Verbindlichkeiten. Er müsse deshalb damit rechnen, dass die Klägerin im Anschluss an das Verfahren die Feststellung begehre, dass der Anspruch auf einer unerlaubten Handlung beruhe. Auf die Ausnahmevorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 1 ZPO könne sich die Klägerin nicht berufen, da sich die Beweisfrage nicht auf Tatsachen beziehe, die im Zusammenhang mit der Errichtung oder dem Inhalt eines Rechtsgeschäfts stehen, bei dem er als Zeuge hinzugezogen worden sei. § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sei nicht einschlägig, da er eigenhändig keine Kontobewegungen ausgeführt habe. § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO schütze ihn als Zeugen nicht vor einer weiteren Verwendung der in dem vorliegenden Verfahren getätigten Aussagen in einem gegen ihn gerichteten Zivilverfahren.
Die Klägerin ist hingegen der Auffassung, die Zeugnisverweigerung sei unrechtmäßig. Sie ist der Ansicht, dass es sich in einem möglichen Folgeprozess lediglich um einen vom § 384 Nr. 1 ZPO nicht erfassten mittelbaren Schaden handele. Die Ausnahmeregelung des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO greife nicht, da der Zeuge als faktischer Geschäftsführer gehandelt habe. Zudem sei der Zeuge ausreichend durch das Verwendungsverbot nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO geschützt.
In seinem Zwischenurteil kommt das AG Köln zu dem Ergebnis, dass der Zeuge zur Aussage verpflichtet sei und sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO berufen könne.
Eingangs führt das Gericht aus, dass eine Entscheidung auch ohne mündliche Verhandlung ergehen könne, bei dem Zwischenstreitverfahren über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechtes handele es sich – anders als § 128 Abs. 1 ZPO voraussetze – um kein Verfahren zwischen den Parteien des Rechtsstreites, sondern um ein Verfahren innerhalb der Beweisaufnahme zwischen dem Beweisführer und dem das Zeugnis verweigernden, von dem Beweisführer benannten Zeugen. Der Zeuge werde hierdurch nicht selber Partei des Rechtsstreites, sondern er nehme an dem Rechtsstreit als Dritter teil, dem für den ihn betreffenden Verfahrensabschnitt eigene prozessuale Rechte eingeräumt werden. Dementsprechend handele sich bei dem gemäß § 387 Abs. 3 ZPO ergehenden Zwischenurteil auch nicht um ein echtes Zwischenurteil nach § 303 ZPO, sondern um ein unechtes Zwischenurteil. Die Sonderstellung dieses Urteils zeige sich auch daran, dass das Urteil gemäß § 387 Abs. 3 ZPO mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden könne und damit mit einem Rechtsmittel, das für das Beschlussverfahren einschlägig ist, in dem es einer mündlichen Verhandlung nicht bedarf.
In der Sache könne sich der Zeuge auf ein Zeugnisverweigerungsrecht § 384 Nr. 1 ZPO nicht berufen, wobei der Anwendbarkeit dieser Vorschrift § 97 InsO nicht entgegenstehe und die Voraussetzungen des § 384 Nr. 1 ZPO auch vorlägen, indes der Ausnahmetatbestand des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO hier einschlägig sei. Zunächst legt das Gericht klar, dass das Zeugnisverweigerungsrecht des § 384 Nr. 1 ZPO nicht dadurch ausgeschlossen sei, dass der Zeuge als Insolvenzschuldner dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter und dem Gläubigerausschuss sowie ggf. der Gläubigerversammlung gegenüber nach § 97 InsO auskunftspflichtig sei und dabei durch das Verwertungsverbot nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO ausreichend geschützt werde. Bei § 97 InsO handele es sich um eine insolvenzrechtliche Spezialvorschrift, die ohne Auswirkung auf das Zeugnisverweigerungsrecht des § 384 ZPO bleibe. Die Auskunftspflicht des Schuldners nach § 97 InsO in einem Insolvenzverfahren reiche weiter als die Pflicht des Zeugen zur Aussage in einem Zivilprozess. Während der Zeuge sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO berufen könne, wenn er sich durch seine Aussage der Gefahr einer Verfolgung wegen einer Straftat aussetzen würde, müsse der Schuldner nach § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO solche Tatsachen offenbaren. Die Pflicht zur Selbstbelastung lasse sich nur mit dem schützenswerten Informationsbedürfnis der an dem Insolvenzverfahren beteiligten Personen rechtfertigen, denen gegenüber der Schuldner auskunftspflichtig sei. Denn im Insolvenzverfahren gingen unzureichende Auskünfte zulasten der Gläubiger und nicht zulasten des Schuldners. Dem gleichwohl verbleibenden Grundrechtseingriff werde dabei durch eine strafprozessuale Verwendungsverbotsvorschrift nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO Rechnung getragen. Diese insolvenzspezifische Ausgangslage lasse sich auf den Zivilprozess selbst dann nicht übertragen, wenn es sich um einen Rechtsstreit handele, dessen Gegenstand die Feststellung einer Insolvenzforderung ist. Außerhalb des Insolvenzverfahrens treffe den Schuldner keine besondere Informationspflicht. Gegenüber Gläubigern, deren Forderungen nicht anerkannt wurden, sei der im Zivilprozess als Zeuge zu vernehmende Schuldner hingegen jedem anderen Zeugen gleichzustellen. Hinzu komme, dass § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO lediglich vor einer strafprozessualen Verfolgung schütze, nicht aber vor den weiteren Nachteilen, die in § 384 ZPO ein Zeugnisverweigerungsrecht begründen könnten.
Die Voraussetzungen des § 384 Nr. 1 ZPO lägen hier auch vor. Dem Zeugen/Schuldner drohe bei wahrheitsgemäßer Aussage ein unmittelbarer vermögensrechtlicher Schaden, da er bei Obsiegen der Klägerin damit rechnen müsse, dass die Insolvenzforderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhe und entsprechend in der Tabelle festgestellt werde. § 384 Nr. 1 ZPO solle den Zeugen vor den nachteiligen Folgen seiner wahrheitsgemäßen Aussage schützen. Er müsse sich in wirtschaftlicher Hinsicht nicht selbst schaden, wenn seine wahrheitsgemäße Aussage unmittelbar zur Folge habe, dass seinem Vermögen Schaden drohe. Dies sei hier der Fall, denn der Schuldner müsse entweder nach Abschluss des Insolvenzverfahrens wegen noch nicht befriedigter Forderungen mit einer Inanspruchnahme durch die Klägerin rechnen (§ 201 InsO) bzw. mit einem Antrag des Gläubigers nach § 850f Abs. 2 ZPO, so dass eine Pfändung bis zur Grenze des notwendigen Schuldnerunterhaltes möglich sei oder aber im Falle einer angestrebten Restschuldbefreiung, dass die Forderung des Gläubigers von der Restschuldbefreiung nach § 302 ZPO ausgenommen sei.
Gleichwohl könne sich der Zeuge auf § 384 Nr. 1 ZPO schlussendlich nicht berufen, da vorliegend die Ausnahmevorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO greife. § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO verweigere solchen Personen ein Aussageverweigerungsrecht unter anderem nach § 384 Nr. 1 ZPO, die als Vertreter einer Partei handelten. Grund dieser Ausnahme ist es, dass der Zeuge nicht einerseits für eine Partei in deren Interesse als Vertreter tätig werden könne, sich andererseits aber dann, wenn es um die Durchsetzung von mit seiner Beteiligung begründeten Rechten gehe, auf ein Aussageverweigerungsrecht berufe. In diesem Fall sind die Interessen der Partei an einer Aussage ihres Vertreters höher zu bewerten als mögliche Vermögensnachteile des Vertreters, die sich dieser letztlich selbst zugefügt hat. Dementsprechend sei der Vertreterbegriff hier weit zu verstehen und umfasse alle Formen gesetzlicher oder gewillkürter Vertretung, sofern die Vertretung rechtlich erhebliche Handlungen umfasst. Erfasst wird damit auch der faktische Geschäftsführer, da auch dieser gesellschaftsrechtlich verbindliche Handlungen vornehmen könne. Die faktische Geschäftsführereigenschaft stünde hier zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Zeuge habe daher auszusagen.

C. Kontext der Entscheidung

Das AG Köln hatte sich in seiner lesenswerten Entscheidung mit einem in der Praxis sicher nicht allzu häufig vorkommenden, gleichwohl interessanten Problemfeld im Schnittbereich zwischen Insolvenzrecht, Gesellschaftsrecht und Zivilprozessrecht zu befassen. Ein faktischer Geschäftsführer, zwischenzeitlich selbst in der Privatinsolvenz, sollte als Zeuge in einem Tabellenfeststellungsstreit aussagen, bei dem es um die Frage ging, ob der Schuldner „gegen sich selbst“ wegen Forderungen, die im persönlichen Insolvenzverfahren angemeldet wurden und ihren Rechtsgrund in vorgeblich strafbaren Handlungen als faktisches Organ haben, aussagen muss.
Der Zeuge verweigerte die Aussage, da er fürchtete, durch sein eigenes Insolvenzverfahren von den hier streitgegenständlichen Forderungen nicht frei zu werden. Die eine Feststellung zur Tabelle begehrende Klägerseite sah die Ausnahmevorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als einschlägig an und hielt den Zeugen über die Beweisverwertungsverbotsregelung des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO für hinreichend geschützt. Das Gericht teilte diese Auffassung in der Sache nicht. Es legte zunächst dar, dass § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO, soweit hierin ein Beweisverwertungsverbot enthalten sei, speziell die Auskunftspflichten im Insolvenzverfahren enthielt, jedoch nicht die zivilprozessualen Zeugenpflichten der §§ 384 ff. ZPO modifiziere. Auch sei die Vorschrift in ihrem Grundduktus strafprozessual ausgestaltet und könne daher nicht ohne weiteres ins Zivilprozessrecht übertragen werden. Prinzipiell hält das Gericht ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO für denkbar und einschlägig, kommt dann aber doch zu einer Aussageverpflichtung des Zeugen/Insolvenzschuldners, indem es die Vorschrift des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO fruchtbar macht. Da die hier streitgegenständlichen Zahlungen, die den strafrechtlichen Untreuevorwurf begründeten und damit die Deliktseigenschaft als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung tragen, vom Schuldner selbst vorgenommen worden seien, könne sich der Schuldner nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Er müsse sich vielmehr sein eigenes Verhalten zurechnen lassen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Argumentation des AG Köln überzeugt vollumfänglich. Während die Absage an eine Ausdehnung des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO naheliegend erscheint, ist zumindest die Heranziehung des § 385 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auch im Falle der faktischen Geschäftsführung soweit ersichtlich bislang kaum Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen.
Die Entscheidung dürfte bei genauerer Besehung nicht unerhebliche praktische Relevanz haben. Insbesondere in Unternehmensinsolvenzen, die (auch) Strafbarkeitsvorwürfe an die Geschäftsführung enthalten, dürfte es mit der Argumentation des AG Köln künftig schwerer fallen, als Geschäftsführer einer eventuellen Haftungsinanspruchnahme zu entgehen. Das eigene Insolvenzverfahren des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft (auch des faktischen Geschäftsführers) dürfte insofern zumindest nicht mehr ohne weiteres an einem Zeugnisverweigerungsrecht des Geschäftsführers in einem Feststellungsrechtsstreit über die Deliktseigenschaft der streitgegenständlichen Forderungen scheitern. Mit dem AG Köln ist der betroffene Geschäftsführer insofern verpflichtet, auch für sich selbst nachteilige Äußerungen zu treffen und kann sich nicht auf § 384 Nr. 1 ZPO berufen.