Nachfolgend ein Beitrag vom 3.2.2017 von Geisler, jurisPR-BGHZivilR 3/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Die Vermutung der Ursächlichkeit eines Beratungsfehlers des Verkäufers für den Entschluss des Käufers zum Erwerb einer als Kapitalanlage angebotenen Immobilie (Kausalitätsvermutung) ist auch anzuwenden, wenn sich der Käufer bei richtiger Information in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte (Aufgabe der entgegenstehenden Rechtsprechung des Senats u.a. in den Urteilen vom 06.04.2001 – V ZR 402/99 – NJW 2001, 2021, 2022; vom 30.11.2007 – V ZR 284/06 – NJW 2008, 649 Rn. 10; vom 01.03.2013 – V ZR 279/11 – NJW 2013, 1873 Rn. 20 und vom 25.10.2013 – V ZR 9/13 – Grundeigentum 2014, 118 Rn. 17).
2. Die Annahme einer nach durchgeführter Beratung des Käufers über die mit dem Erwerb einer Immobilie verbundenen Belastungen konkludent vereinbarten Haftungsfreizeichnung setzt konkrete Anhaltspunkte für einen Willen des Käufers voraus, auf Schadensersatzansprüche wegen eines Beratungsfehlers zu verzichten.

A. Problemstellung

Bei einer fehlerhaften Anlageberatung wendet der Haftende regelmäßig ein, dass dem Beratenden deshalb kein Schaden entstanden sei, weil er die Kapitalanlage auch bei Kenntnis der fehlerhaften Information erworben hätte. Nach dem Wortlaut des § 280 Abs. 1 BGB trägt der Anspruchsteller zwar die objektive Beweislast für die Kausalität zwischen der behaupteten Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden. Dem Anleger soll jedoch zugutekommen, dass die Kausalität des Beratungsfehlers für den Kaufentschluss vermutet wird. Problematisch ist dies, wenn sich dem Anleger mehrere Entscheidungsmöglichkeiten bieten. Deshalb griff diese Vermutung nur ein, wenn es für den anderen Teil vernünftigerweise nur eine bestimmte Möglichkeit der Reaktion auf die Aufklärung gibt und die Möglichkeit eines Entscheidungskonflikts ausscheidet. In Abkehr von dieser früheren Rechtsprechung ist nach dem II. (BGH, Urt. v. 11.02.2014 – II ZR 273/12 Rn. 10), III. (BGH, Urt. v. 08.07.2010 – III ZR 249/09 Rn. 20) und XI. Zivilsenat (BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10) von dieser Beweislastumkehr auch dann auszugehen, wenn der Anleger bei gehöriger Aufklärung nicht nur eine Handlungsalternative gehabt hätte, sondern mehrere Entscheidungsmöglichkeiten möglich waren. Nur der V. Zivilsenat verblieb bei seiner bisherigen Auffassung (BGH, Urt. v. 06.04.2001 – V ZR 402/99; BGH, Urt. v. 30.11.2007 – V ZR 284/06; BGH, Urt. v. 01.03.2013 – V ZR 279/11 und BGH, Urt. v. 25.10.2013 – V ZR 9/13), wonach die Vermutung der Ursächlichkeit eines Beratungsfehlers für den Entschluss des Käufers zum Erwerb einer als Kapitalanlage angebotenen Immobilie nur dann anzuwenden sei, wenn es nur eine bestimmte Reaktion auf die Aufklärung gibt und die Möglichkeit eines Entscheidungskonflikts ausscheidet. Der V. Zivilsenat hatte Gelegenheit zu überprüfen, ob er seine bisherige Rechtsprechung aufrechterhält oder sich der Rechtsprechung der anderen Zivilsenate anschließen werde.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Mit notariellem Vertrag kaufte der Kläger von der Beklagten eine Eigentumswohnung zu einem Preis von 144.000 Euro. Der Vertragsschluss wurde durch eine GmbH herbeigeführt, deren Geschäftsführer der Zeuge E. war. Aus den Finanzierungsverträgen des Erwerbs ergibt sich für den Kläger eine monatliche Belastung von 797,25 Euro (675,25 Euro Darlehenszinsen und 122 Euro Ansparleistung für einen Bausparvertrag). Der Kläger hat zudem einen nicht umlegungsfähigen Hausgeldanteil von 63,93 Euro monatlich zu leisten. Diesen Ausgaben für die Wohnung stehen Mieteinkünfte von 560 Euro monatlich sowie eine Steuerersparnis von umgerechnet 74,69 Euro monatlich gegenüber. Der Kläger behauptet, der Zeuge E. habe ihn über die Belastung aus dem Erwerb der Wohnung falsch informiert, da dieser einen Überschuss der Einnahmen einschließlich der Steuervorteile über die Ausgaben von etwa 50 Euro monatlich (640 Euro jährlich) zu niedrig errechnet habe, so dass sich eine Zuzahlung von etwa 225 Euro ergebe. Es sei Grundlage für seinen Kaufentschluss gewesen, dass die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Darlehensbelastung i.H.v. 146.000 Euro Zug um Zug gegen Rückübereignung der Wohnung freizustellen, an ihn 11.173,21 Euro zuzüglich Zinsen für verschiedene Aufwendungen (Vorfälligkeitsentschädigung, Grunderwerbsteuer, Vollstreckungskosten, Notarkosten, nicht umlagefähiger Hausgeldaufwand) zu zahlen, die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weiterer Vermögensschäden festzustellen und an ihn vorgerichtliche Kosten von 3.127,92 Euro zuzüglich Zinsen zu zahlen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Auf die Revision des Klägers hat der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Senat ging von folgenden Erwägungen aus:
Verlange der Käufer wegen schuldhafter Verletzung eines Beratungsvertrags nach den §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 1, 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB so gestellt zu werden, als hätte er von dem Vertragsschluss abgesehen, dann müsse der Beratungsfehler – etwa durch ein fehlerhaftes Berechnungsbeispiel, in dem die mit dem Erwerb der Immobilie für den Käufer verbundenen Belastungen zu niedrig ausgewiesen worden sind – für das Zustandekommen des Kaufvertrags ursächlich geworden sein. Die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Vertragsschluss zugunsten des Käufers werde vermutet. Derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt, sei darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, der Geschädigte also den Hinweis unbeachtet gelassen und auch bei wahrheitsgemäßen Tatsachenangaben den Vertrag so wie geschehen geschlossen hätte. Seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Kausalitätsvermutung voraussetze, dass es für den anderen Teil bei aufklärungsrichtigem Verhalten des Verkäufers vernünftigerweise nur eine bestimmte Reaktion auf die Aufklärung geben müsse und die Möglichkeit eines Entscheidungskonflikts ausscheide, gebe der Senat auf.
Beim Kläger könne bei richtiger Beratung ein Entscheidungskonflikt nicht ausgeschlossen werden, da er nach seinen persönlichen Verhältnissen die tatsächlichen monatlichen Belastungen tragen könne. Deshalb hätte sich der Erwerb der Wohnung gemäß seinen Anlagezielen auch aus anderen Gründen als eine für ihn wirtschaftlich vernünftige Entscheidung darstellen können. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der II., III. und XI. Zivilsenate gehe der Senat nunmehr davon aus, dass die Vermutung der Ursächlichkeit eines Beratungsfehlers auch anzuwenden sei, wenn sich der Käufer bei richtiger Information in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte.
Der Ausschluss der Kausalitätsvermutung in den Fällen eines Entscheidungskonflikts vertrage sich nicht mit dem Zweck der Aufklärungs- und Beratungspflichten, dem Anleger eine sachgerechte Entscheidung über den Abschluss bestimmter Geschäfte zu ermöglichen. Dieser Zweck könne nur erreicht werden, wenn auch in solchen Fällen Unklarheiten, die durch die Aufklärungspflichtverletzung bedingt seien, zulasten des Aufklärungspflichtigen gingen, dieser also die Nichtursächlichkeit seiner Pflichtverletzung zu beweisen habe.
Die Beratung durch den Verkäufer, der gewöhnlich nicht verpflichtet sei, den Käufer über die Wirtschaftlichkeit des Erwerbs und seinen Nutzen aufzuklären oder zu beraten, insbesondere durch die Vorlage eines Berechnungsbeispiels, diene vornehmlich dem Interesse des Verkäufers, die Vermittlung des Immobilienkaufs zu fördern. Nach der Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass die Beratung gewirkt habe und damit für den Vertragsentschluss des Käufers ursächlich gewesen sei. Daran ändere es nichts, wenn dem Käufer bei richtiger Beratung mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten. In diesem Fall habe der Verkäufer die die tatsächliche Vermutung entkräftenden Umstände aufzuzeigen.
Die Kausalitätsvermutung sei nicht deswegen entkräftet, weil der Kläger nach dem Erwerb die Lasten der Sache getragen und nach dem Erkennen des Beratungsfehlers mit der Inanspruchnahme des Verkäufers zugewartet habe. Die weitere Bedienung des zum Erwerb aufgenommenen Darlehens besage nichts darüber, dass der Kauf eine für den Kläger vernünftige Anlageentscheidung darstellte. Die Zahlung sei schon deshalb geboten gewesen, um eine Kreditkündigung und Vollstreckungsmaßnahmen zu vermeiden.
Die Vermutung der Kausalität des Beratungsfehlers für den Kaufentschluss werde auch nicht deswegen entkräftet (oder i.S.d. § 292 ZPO widerlegt), weil der Kläger trotz Kenntnis von der monatlichen Zuzahlung von etwa 225 Euro die Beklagte nicht sofort in Anspruch genommen habe. Die erst im Jahr 2010 erhobene Klage lasse sich mit dem Vortrag des Klägers vereinbaren, dass er einen mit erheblichen Kosten und Risiken verbundenen Rechtsstreit zur Durchsetzung eines Anspruchs auf schadensersatzrechtliche Rückabwicklung jedenfalls so lange gescheut habe, wie er keine Chancen dafür gesehen habe, die Falschberatung durch den Vermittler zu beweisen.
Die Kausalitätsvermutung werde auch nicht durch die Tatsache entkräftet, dass der Kläger sich nicht unmittelbar nach Aufdeckung des Beratungsfehlers zu einem außergerichtlichen Vorgehen gegen die Vermittlerin oder die Beklagte entschlossen habe. Das Zuwarten des Klägers sei zwar ein Indiz dafür, dass die Belastung für ihn insofern tragbar war als sie nicht zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führte. Ein solches Verhalten des Käufers rechtfertige nicht den Schluss, dass der Beratungsfehler für seinen Kaufentschluss irrelevant gewesen ist, er also auch bei richtiger Beratung gekauft hätte. Die Situation für den Käufer bei einer Aufdeckung des Beratungsfehlers stelle sich vor und nach dem Erwerb grundsätzlich anders dar. Werde der Fehler noch vor dem Vertragsschluss entdeckt, könne der Käufer ohne weitere wirtschaftliche Nachteile von dem Erwerb Abstand nehmen. Nach dem Erwerb müsse der Käufer jedoch abwägen, ob ein Vorgehen gegen den Verkäufer unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken für ihn sinnvoll sei oder ob es aus wirtschaftlichen Erwägungen zweckmäßiger erscheine, sich mit dem unvorteilhaften Kauf abzufinden. Der Käufer sei nicht im Interesse des Verkäufers gehalten, sofort nach der Entdeckung eines Beratungsfehlers die schadensersatzrechtliche Rückabwicklung des Kaufvertrags zu verlangen. Das Interesse des Verkäufers gegenüber einer verspäteten Inanspruchnahme werde durch die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) geschützt.
Zur Entkräftung der Vermutung geeignete Tatsachen seien weder von dem Berufungsgericht festgestellt noch von der Beklagten aufgezeigt worden. Deshalb sei die Sache zwecks weiterer Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

C. Kontext der Entscheidung

Der V. Zivilsenat schließt sich der Rechtsprechung der übrigen Senate an. Übereinstimmend ist davon auszugehen, dass die Kausalitätsvermutung eines Beratungsfehlers für den Entschluss des Erwerbers auch dann anzuwenden ist, wenn sich der Erwerber bei richtiger Information wegen mehrerer Handlungsalternativen in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Nicht entschieden hat der Senat (ebenso wie der II. Zivilsenat, Urt. v. 11.02.2014 – II ZR 273/12 Rn. 10) die Frage, ob es sich bei der Kausalitätsvermutung um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises oder um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (so der XI. Zivilsenat, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 262/10 – BGHZ 193, 159 Rn. 29) handelt.

D. Auswirkungen für die Praxis

Mit dieser Entscheidung wird endlich eine einheitliche Rechtsprechung innerhalb der Zivilsenate erreicht. Für Beratungsfehler beim Erwerb einer als Kapitalanlage angebotenen Immobilie greift die Kausalitätsvermutung nach der nunmehr geänderten Rechtsprechung auch des V. Zivilsenats selbst im Falle eines bestehenden Entscheidungskonflikts des Käufers ein. Der V. Zivilsenat schließt sich der Rechtsprechung der II., III. und XI. Zivilsenate an. Steht die Verletzung einer Aufklärungspflicht fest, streitet für den Anleger die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, die zu einer Beweislastumkehr führt. Der Anlageberater hat die zugunsten des Geschädigten wirkende Vermutung mit den ihm zur Verfügung stehenden Beweismitteln zu widerlegen. Es ist deshalb Sache des Anlageberaters darzutun, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den (richtigen) Rat oder Hinweis nicht befolgt hätte. Ein non liquet geht zulasten des Anlageberaters.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Der Senat hat die Voraussetzungen für eine konkludent vereinbarte Haftungsfreizeichnung bestimmt (hier: Verzicht auf Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Beratung im unterzeichneten Beratungsprotokoll). Dafür müssen konkrete Anhaltspunkte für einen Willen vorliegen, auf Schadensersatzansprüche wegen eines Beratungsfehlers zu verzichten. Eine nach erfolgter Beratung vereinbarte Freizeichnungsklausel könne weder das Zustandekommen des Beratungsvertrags hindern noch die dem Grunde nach durch den Beratungsfehler bereits entstandene Schadensersatzpflicht beseitigen. Der Wille für einen Erlassvertrag nach § 397 BGB erfordere strenge Anforderungen. Deshalb könne ein Verzichtswille nicht vermutet werden. Da bei Erklärungen, die als Verzicht, Erlass oder in ähnlicher Weise rechtsvernichtend gewertet werden sollen, das Gebot einer interessengerechten Auslegung beachtet werden muss und die der Erklärung zugrunde liegenden Umstände besondere Bedeutung haben, bedarf es konkreter Anhaltspunkte für die Feststellung des Willens des Käufers, durch eine nachträglich vereinbarte Haftungsfreistellung auf Ansprüche aus fehlerhafter Beratung zu verzichten.