Nachfolgend ein Beitrag vom 7.4.2017 von Lach, jurisPR-ITR 7/2017 Anm. 5
Leitsätze
1. Ein günstiges Angebot in einem Internetshop nutzen zu wollen ist grundsätzlich nicht zu beanstanden und auch nicht treuwidrig.
2. Ist aber für den Kunden ganz offensichtlich, dass es sich um eine fehlerhafte Preisauszeichnung erheblichen Ausmaßes handelt und nutzt der Kunde dies z.B. durch Bestellung mehrerer Gegenstände – auch für Freunde – aus, handelt er treuwidrig.
3. Das Festhalten am Vertrag ist dann unbillig und rechtsmissbräuchlich, sodass der Händler gemäß Treu und Glaube nicht zur Lieferung verpflichtet ist.
A. Problemstellung
Entsteht ein durchsetzbarer Anspruch auf Vertragserfüllung, wenn ein Onlinekunde in einem Webshop vier Markisen zu je 1% der UVP bestellt, die mit einer Preisreduktion von „-98%“ ausgezeichnet sind, und der Onlinehändler den Antrag automatisiert angenommen hat?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte betrieb einen Onlineshop für Markisen. U.a. bot sie darin einen Typ Markisen zum Preis von 29,90 Euro an. Das dazugehörige Bild war mit „-98%“ überschrieben. Die Beklagte behauptet, dass dies irrtümlich erfolgt sei; sie habe einen UVP i.H.v. 2.990 Euro und sodann einen reduzierten Preis von 1.499 Euro auszeichnen wollen. Jedoch habe sie bei der Eingabe des Preises von 2.990 Euro versehentlich ein Komma falsch gesetzt, sodass der Artikel zu 29,90 Euro eingestellt worden sei.
Die Klägerin bestellte vier dieser Markisen inklusive Versandkosten zum Gesamtpreis von 125,59 Euro. Am selben Tag ging der Klägerin die Bestellbestätigung mitsamt Widerrufsbelehrung und den AGB der Beklagten zu. In den AGB hieß es, dass der Vertragsschluss durch das automatisierte Versenden der Auftragsbestätigung per E-Mail unmittelbar nach Bestellung erfolge. Die Klägerin bezahlte die erhaltene Rechnung. Sechs Tage später wurde der Klägerin mitgeteilt, dass man ihr den gezahlten Betrag zurückerstatte. Die Klägerin teilte mit, auf der Erfüllung des Vertrags zu bestehen. Die Beklagte behauptete, den Kaufvertrag einen Tag nach Bestellungseingang per E-Mail angefochten zu haben. Diese sei der Klägerin auch zugegangen. Die Klägerin bestritt den Zugang und vertrat die Auffassung, es liege kein Anfechtungsgrund vor. Mit der Klage begehrte sie die Verurteilung der Beklagten auf Lieferung.
Das AG Dortmund hat die Klage abgewiesen.
Nach Auffassung des Amtsgerichts ist zwar ein Vertragsschluss zu einem Stückpreis von 29,90 Euro zustande gekommen. Das Festhalten der Klägerin an der Vertragserfüllung sei jedoch treuwidrig. Die Klägerin handele rechtsmissbräuchlich, da sie kein schutzwürdiges Eigeninteresse habe. Angesichts des enormen Preisunterschieds zum angegebenen UVP des Herstellers und vergleichbarer Angebote von Markisen sei für die Klägerin offensichtlich gewesen, dass es sich bei der Preisgestaltung nur um einen Fehler habe handeln können. Auch die Anzeige der vermeintlich richtigen Reduzierung des Preises um volle 98% lasse objektiv nicht den Schluss der Richtigkeit der Angaben zu, sondern mache den Fehler der Beklagten noch offensichtlicher. Die Klägerin habe sich durch die Bestellung von gleich vier Markisen diesen Fehler eindeutig zu Nutze machen wollen. Daher erscheine ihr Festhalten an der Vertragsgestaltung unbillig und rechtsmissbräuchlich.
C. Kontext der Entscheidung
Die Rechtsprechung hatte schon wiederholt über Fälle zu entscheiden, in denen Onlinehändler Waren (irrtümlich) weit unterhalb der UVP angeboten hatten und die Vertragserfüllung bzw. die Zahlung von Schadensersatz verweigerten.
So hatte das OLG München eine Beschwerdeentscheidung in einem Prozesskostenhilfeverfahren zu treffen, dem zugrunde lag, dass der Antragsteller online ein preislich falsch ausgezeichnetes First Class Flugticket für einen Preis von ca. 20% des Marktwertes erworben hatte. Nach der Mitteilung der Antragsgegnerin, dass ein Preisauszeichnungsfehler vorliege, hatte er noch ein Ticket erworben. Das Angebot der Antragsgegnerin, für den gezahlten Preis Economy Tickets für dieselbe Flugstrecke zu erhalten, lehnte er ab und wollte monetären Schadensersatz geltend machen. Hierfür sah das OLG München keine Erfolgsaussichten. Der Antragsteller habe wider Treu und Glauben eine Rechtslage für die Erreichung vertragsfremder oder unlauterer Zwecke ausnutzen wollen. Dies ergebe sich aus seiner Kenntnis der Fehlerhaftigkeit der Preisangabe, seinem Rechtsschutzziel (Zahlung einer „Vergleichssumme”) und dem Umstand, dass er Flüge in der Economy-Class abgelehnt habe. Er habe den Fehler absichtlich dafür ausnutzen wollen, einen Vorteil für sich herauszuschlagen (OLG München, Beschl. v. 15.11.2002 – 19 W 2631/02 – NJW 2003, 367).
Das OLG Nürnberg führte in einem obiter dictum aus, dass bei einem Kunden, der für einen Preis von 10% des vorgesehenen Preises von 1.999 Euro einen Flachbildschirm bei erkennbar höheren Preisen für vergleichbare Produkte in demselben Onlineshop und angesichts des Fehlens eines Hinweises auf ein Sonderangebot bestellt hat, angesichts der erkennbaren Umstände davon auszugehen sei, dass er gewusst habe, dass „etwas nicht mit richtigen Dingen” zugehe. Einen Rechtsmissbrauch bejahte es auch, weil er 18 Stück bestellt hatte und damit eine Menge, die einen normalen Umfang für einen Privathaushalt bei weitem überstieg (OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.06.2009 – 14 U 622/09).
Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf soll der Onlinehändler dagegen im Falle eines Erklärungsirrtums abschließend auf die Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB verwiesen sein. Die Frage der positiven Kenntnis des Erklärungsirrtums der anderen Partei habe mit den §§ 122 Abs. 2, 142 Abs. 2 BGB eine abschließende gesetzliche Regelung gefunden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.05.2016 – I-16 U 72/15).
Im vorliegenden Fall dürfte von einem Erklärungsirrtum der Beklagten i.S.d. § 119 Abs. 1 BGB auszugehen sein (vgl. BGH, Urt. v. 26.01.2005 – VIII ZR 79/04). Hierfür sprach bereits, dass die Beklagte bei der Eingabe nicht nur den Preis falsch eingegeben hatte, sondern offensichtlich UVP und Angebotspreis verwechselt hatte, da sich die Rabattkennzeichnung (98%) auf das Verhältnis des (irrigen) Angebotspreises zu dem eigentlich gewünschten Angebotspreis und nicht auf das Verhältnis zur UVP bezog. Nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf wäre die Frage dann vorrangig zu klären gewesen, da ggf. die Einhaltung der Anfechtungsfrist entscheidungserheblich gewesen wäre.
Nach der Rechtsprechung des BGH kann ein Rechtsmissbrauch auch dann, wenn kein Erklärungsirrtum, sondern ein Kalkulationsirrtum vorliegt, nicht ohne weiteres aus dem reinen Missverhältnis zwischen Angebotspreis und Marktpreis oder UVP abgeleitet werden. Notwendig ist das positive Wissen des Bestellers im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, dass das Angebot auf einem Kalkulationsirrtum des Erklärenden beruht. Dem steht gleich, dass der Besteller sich treuwidrig dieser Kenntnis entzieht. Notwendig ist ferner die Feststellung, dass das Festhalten an dem Vertrag für den Irrenden schlechthin unzumutbar ist. Auch die diesbezüglichen Umstände müssen für den anderen Teil erkennbar sein (BGH, Urt. v. 07.07.1998 – X ZR 17/97). In einer jüngeren Entscheidung bejahte der BGH die vorgenannten Voraussetzungen bei einer Preisabweichung von 27%, wobei eine Einzelposition zu ca. 16% des üblichen Preises angeboten worden war (BGH, Urt. v. 11.11.2014 – X ZR 32/14).
D. Auswirkungen für die Praxis
Wenn der Preis „zu schön ist, um wahr zu sein“, dann bleibt es im Grundsatz dabei, dass der Onlinehändler sich nach der Rechtsprechung erfolgreich gegen die Durchführung des Kaufvertrags wehren kann. Der Käufer wird im Regelfall leer ausgehen und läuft bei Widerstand Gefahr, zusätzlich auf möglichen Rechtsverfolgungskosten sitzen zu bleiben.
Der Onlinehändler hätte freilich bei einer anderen Strukturierung seines Bestellprozesses jede Inanspruchnahme schon von vorneherein abwehren können, etwa indem er den Vertragsschluss an den Versand der Ware geknüpft hätte. Nachdem er jedoch den Antrag auf Vertragsschluss bereits durch die automatisierte Bestellbestätigung angenommen hatte, war er auf die erfolgreiche Anfechtung oder den Einwand gemäß § 242 BGB angewiesen, um zu obsiegen.
Nachdem höchstrichterlich ungeklärt ist, ob auch Fälle des Erklärungsirrtums über den Einwand des Rechtsmissbrauchs gelöst werden können, bietet sich aus Sicht des Händlers zudem weiterhin an, in Fällen von Bestellungen preislich falsch ausgezeichneter Waren unverzüglich vorsorglich die Anfechtung zu erklären.