Nachfolgend ein Beitrag vom 7.7.2017 von Zwade, jurisPR-BGHZivilR 13/2017 Anm. 1

Leitsatz

Die Anerkennung eines Vereins als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO hat Indizwirkung dafür, dass er nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und in das Vereinsregister eingetragen werden kann.

A. Problemstellung

Das Vereinswesen hat in Deutschland Konjunktur. Seit seiner Einführung mit dem allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten im Jahre 1794 hat sich die Anzahl der eingetragenen Vereine in den Vereinsregistern nach statistischen Auswertungen des Bundesverbandes deutscher Vereine und Verbände e.V. bis Ende 2014 auf eine stattliche Zahl von mehr als 620.000 entwickelt. Je nach Sichtweise kann man dies als Beleg dafür werten, dass der Deutsche vom Wesen her ein Vereinsmeier ist oder aber, dass bürgerschaftliches Engagement in Deutschland eine Blüte erlebt und die oftmals beklagte Entsolidarisierung der Gesellschaft nicht mehr als eine Schimäre ist.
Darüber hinaus leisten gemeinnützige Vereine, die sich wirtschaftlich betätigen, nach wissenschaftlichen Untersuchungen des Stifterverbandes für die deutsche Wirtschaft sowie der Bertelsmann- und der Thyssen-Stiftung einen erheblichen Beitrag für die Bruttowertschöpfung (4,1% des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2007), stellen mehr als 2 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und zusätzlich ca. 300.000 geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (Quelle: F.A.Z. v. 19.07.2013).
Das Ausmaß der wirtschaftlichem Betätigung eines eingetragenen Vereines, der eine Gemeinnützigkeitsanerkennung nach den §§ 51 ff. AO innehält, kann jedoch auch schnell dazu führen, dass sich aus rechtlicher Sicht die Existenzfrage stellt. Die besprochene Entscheidung hatte sich exakt mit einer solchen Konstellation zu beschäftigen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

§ 395 Abs. 1 Satz 1 FamFG gibt dem Registergericht die Befugnis, unzulässige Eintragungen im (Vereins-)Register zum Schutze des Rechtsverkehrs von Amts wegen zu löschen. Der betroffene Verein ist in dem Verfahren über die Amtslöschung zu beteiligen.
In der besprochenen Entscheidung ist der beteiligte Verein seit dem 02.10.1995 im Vereinsregister beim Amtsgericht Charlottenburg eingetragen. Nach dem in § 2 seiner Satzung festgeschriebenen Zweck verfolgt er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts „steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung. Diese Zwecke sollen durch theoretische und praktische Arbeit auf dem Gebiet der Erziehung und Jugendberatung erreicht werden, wobei der Verein selbstlos tätig ist und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgte. Nach der weiteren Regelung in § 2 der Satzung dürfen die Mittel des Vereines nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden, und der Vorstand war ehrenamtlich tätig. Der Verein hat elf Mitglieder und betreibt neun Kindertagesstätten mit einer Größe von jeweils 16 bis 32 Kindern. Durch Bescheid des Finanzamtes ist der Verein von der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer befreit, weil er ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten und gemeinnützigen Zwecken i.S.d. §§ 51 ff. AO dient.
Das Amtsgericht Charlottenburg hatte mit Verfügung vom 19.03.2015 ein Amtslöschungsverfahren gegen den Verein eingeleitet. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg. Das Amtsgericht war der Überzeugung, dass der Verein mittlerweile neun Kindertagesstätten betreibe und wirtschaftlich tätig sei. Der dagegen erhobenen Beschwerde hatte das Amtsgericht nicht abgeholfen. Das Beschwerdegericht hatte die Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Das Beschwerdegericht (KG Berlin, Beschl. v. 16.02.2016 – 22 W 71/15 – Rpfleger 2016, 423) hat seine Entscheidung, wonach der Verein gemäß § 395 Abs. 1 FamFG von Amts wegen zu löschen sei, im Wesentlichen damit begründet, dass der Verein nicht (mehr) als ideeller Verein i.S.v. § 21 BGB angesehen werden könne, nachdem sein Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgerichtet sei. Der von dem Verein durchgeführte planmäßige und auf Dauer angelegte entgeltliche Betrieb von Kindertagesstätten stelle grundsätzlich eine unternehmerische Betätigung dar. Der Verein sei kein kleiner Anbieter am Markt. Zudem unterhalte er noch für alle Kindertagesstätten eine zentrale Kücheneinrichtung. Die wirtschaftliche Betätigung des Vereins falle deshalb nicht mehr unter das sog. Nebenzweckprivileg. Der Umstand, dass der Beteiligte nach § 2 Abs. 1 seiner Satzung „gemeinnützige Zwecke“ i.S.v. § 52 AO verfolge, ändere hieran nichts. Bei der Beurteilung der Frage der Gemeinnützigkeit handele es sich nämlich allein um eine steuerrechtlich zu beurteilende Frage.
Diese Ausführungen des KG Berlin haben der rechtlichen Nachprüfung durch den BGH nicht standgehalten. Nach Überzeugung des BGH war der Verein im Gegensatz zur Auffassung des Registergerichts und des Beschwerdegerichts als nichtwirtschaftlicher Verein i.S.d. §§ 21, 22 BGB anzusehen, weil sein Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kann ein Verein auch dann nicht wirtschaftlicher Verein sein, wenn er zur Erreichung seiner ideellen Ziele unternehmerische Tätigkeiten entfaltet, sofern diese dem nichtwirtschaftlichen Hauptzweck zu – und untergeordnet und Hilfsmittel zu dessen Erreichung sind (sog. Nebenzweckprivileg; vgl. RG, Beschl. v. 30.10.1913 – IV B 3/13 – RGZ 83, 231, 237; RG, Beschl. v. 29.06.1931 – II B 12/31 – RGZ 133, 170, 176; RG, Beschl. v. 26.04.1937 – IV B 9/37 – RGZ 154, 343, 354; BGH, Urt. v. 30.11.1954 – I ZR 147/53 – BGHZ 15, 315, 319; BGH, Urt. v. 29.09.1982 – I ZR 88/80 – BGHZ 85, 84, 92 f. m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 06.11.1997 – 1 C 18/95 – BVerwGE 105, 313, 316 f.; BVerwG, Urt. v. 20.03.1979 – I C 13.75 – NJW 1979, 2265). Dementsprechend kann die wirtschaftliche Tätigkeit eines Vereins als Gewerbe im Sinne des Gewerberechts einzustufen sein, auch wenn sie die zivilrechtliche Qualifikation des Vereins als Idealverein nicht berührt (BVerwGE 105, 313, 317 f.). Entscheidend für die Einordnung des Vereins im Sinne der §§ 21, 22 BGB ist nicht nur die Satzung des Vereins, sondern auch die Form, in welcher der Verein wirtschaftlich tätig wird (BVerwG, Urt. v. 06.11.1997 – 1 C 18/95 – BVerwGE 105, 313, 316 f.; BVerwG, Urt. v. 20.03.1979 – I C 13.75 – NJW 1979, 2265).
Nach Überzeugung des erkennenden II. Zivilsenats des BGH führt der entgeltliche Betrieb von Kinderbetreuung durch den Verein zu einer unternehmerischen Tätigkeit. Im Gegensatz zur Überzeugung des Beschwerdegerichts ist diese wirtschaftliche Tätigkeit aber dem nichtwirtschaftlichen Hauptzweck des Vereins zu- und untergeordnet und Hilfsmittel zu dessen Erreichung; sie unterfällt somit dem sog. Nebenzweckprivileg und macht den Verein nicht zu einem wirtschaftlichen Verein (auch Rn. 21).
Im Rahmen der Beurteilung dieser Frage kommt der Anerkennung des Vereins als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO nach Überzeugung des BGH entscheidende Bedeutung zu. Die Voraussetzungen der Anerkennung als gemeinnützig i.S.d. §§ 51 ff. AO sind nach Überzeugung des BGH zwar nicht automatisch gleichbedeutend damit, ob ein Verein nicht auf einen Geschäftsbetrieb i.S.d. §§ 21 BGB ausgerichtet ist (Rn. 23). Eine Indizwirkung kommt diesem Umstand gleichwohl zu (RN. 23 m.w.N.).
Dies leitet der BGH unter anderem aus der Gesetzgebungshistorie ab, nach der für die Eintragungsfähigkeit des Vereins allein darauf abgestellt wird, dass der Verein nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist und die gemeinnützigen Vereine gerade nicht aus dem Anwendungsbereich dieser Norm herausgenommen werden sollten (Rn. 24; RG, Beschl. v. 30.10.1913 – IV B 3/13 – RGZ 83, 231, 236; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., §§ 21, 22 Rn. 19). Vielmehr sollten lediglich Vereine als Idealverein i.S.d. § 21 BGB ausscheiden, deren ausschließlicher oder Hauptzweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (Mugdan, Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. I, S. 604).
Zu berücksichtigen ist nach Überzeugung des BGH auch, dass der Gesetzgeber als Gegenstück zum Idealverein die Gesellschaften (AG, GmbH etc.) vorgesehen hat, deren Gesellschaftsinteresse das Handeln bestimmt und die auf Geschäftsgewinn und den wirtschaftlichen Vorteil des Einzelnen abzielen (Rn. 25 mit Verweis auf Mugdan, a.a.O., S. 401). Hier sieht der erkennende Senat ein wesentliches Abgrenzungsmerkmal, da der als gemeinnützig anerkannte Idealverein nach § 55 AO nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen darf, sondern die Mittel der Körperschaft nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden sowie die Mitglieder keine Gewinnanteile und auch keine sonstigen Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten dürfen und ihnen bei Ausscheiden, Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft nur die eingezahlten Kapitalanteile und der gemeine Wert ihrer geleisteten Sacheinlagen zurückerstattet werden darf. Mittel des Vereins müssen vorbehaltlich des § 62 AO (Rücklagen- und Vermögensbildung) grundsätzlich zeitnah für die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden, so dass eine Kapitalanhäufung im Idealverein grundsätzlich ausgeschlossen und wegen des Ausschüttungsverbotes die Erzielung wirtschaftlicher Vorteile des einzelnen Gesellschafters nicht realisierbar ist (Rn. 25).
Nicht entgegenzuhalten ist demnach nach weiterer Überzeugung des BGH, dass das Gemeinnützigkeitsrecht nach den §§ 51 ff. AO keine Anhaltspunkte für die Vereinsklassifizierung bietet und somit auch eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung als gemeinnützig anerkannt werden kann. Soweit das Gesetz dem Einzelnen in Ausgestaltung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 GG eine bestimmte Form des Zusammenschlusses eröffnet, ist daraus nicht der Schluss gerechtfertigt, die ausgestaltenden Normen müssten einschränkend ausgelegt und der Zugang damit beschränkt werden, weil auch die Möglichkeit bestehe, die angestrebte Tätigkeit in anderer (gesellschaftsrechtlicher) Form zu verwirklichen (Rn. 26).
Es hat deshalb nach Überzeugung des Senats dabei zu bleiben, dass die tatsächlichen Umstände, die für die Anerkennung als gemeinnützig im Sinne der §§ 51 ff. AO von Bedeutung sind, auch in die Prüfung der Voraussetzungen des § 21 BGB einzubeziehen sind, zumal der Gesetzgeber mit den §§ 51 ff. AO klar zum Ausdruck gebracht hat, dass ein besonderes gesellschaftliches Interesse besteht, um die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.
Zuletzt hat der BGH ausgesprochen, dass auch der Umfang des Geschäftsbetriebs nicht gegen eine Anordnung des Vereins als Idealverein streitet. Größe und Umfang des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs sind allein nicht aussagekräftig dafür, ob dieser dem sog. Nebenzweckprivileg unterfällt (Rn. 29). Soweit ein Verein nach dem Willen des Gesetzgebers die Mittel in der erforderlichen Höhe zur Verwirklichung seiner ideellen Zwecke erwirtschaften darf, kann ihm gerade nicht verwehrt werden, den ideellen Zweck unmittelbar mit seinen wirtschaftlichen Aktivitäten zu erfüllen (Rn. 30 m.w.N.). Die Gefahr einer Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivitäten auf einen Idealverein, der als gemeinnützig anerkannt ist, sieht der BGH nicht, da die Einhaltung der Voraussetzungen der §§ 51 ff. AO und insbesondere das Verbot der Gewinnausschüttung an die Mitglieder einer solchen Gefahr entgegensteht.

C. Kontext der Entscheidung

Die besprochene Entscheidung ist zu begrüßen. Sie ist nicht nur von dogmatischer Stringenz, sondern auch von Weisheit geprägt.
Die Feststellung des BGH, wonach zwischen der Anerkennung eines Vereins als gemeinnützig i.S.d. §§ 51 ff. AO und der Erfüllung der Voraussetzungen des § 21 BGB als Idealverein eine Konnexität besteht und der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeitsanerkennung insoweit eine Indizwirkung zukommt, sichert vielen Idealvereinen die Existenz.
Die besprochene Entscheidung erzeugt im Bereich der gemeinnützigen Vereine einen Gleichklang zwischen Zivilrecht und Steuerrecht.

D. Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis ist die besprochene Entscheidung höchst bedeutsam.
Sie entzieht dem Registergericht die Grundlage, bei als gemeinnützig anerkannten Idealvereinen nach § 21 BGB Amtslöschungsverfahren nach § 395 Abs. 1 FamFG einzuleiten, weil nach Überzeugung des Registergerichts die wirtschaftliche Betätigung des Vereins ein zu großes Ausmaß einnimmt.
Ohnehin ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Betätigung eines als gemeinnützig anerkannten Vereines regelmäßig die Finanzverwaltung ein hinreichendes Kontrollinstrument. Denn in der Praxis ist die Erteilung einer Gemeinnützigkeitsbescheinigung nach den §§ 51 ff. AO für einen Idealverein im Hinblick auf die wirtschaftliche Betätigung in keinster Weise ein Freibrief. Die Finanzverwaltung überprüft regelmäßig bei gemeinnützigen Vereinen vor dem Hintergrund der Befreiung von der Körperschafts- und Gewerbesteuer die Erfüllung der betreffenden Voraussetzungen und damit die Aufrechterhaltung der Gemeinnützigkeitsbescheinigung anhand eines strengen Maßstabes.
Zuletzt stärkt die Entscheidung des BGH indirekt auch das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland. Sie sorgt für einen sicheren Rahmen, in dem sich engagierte Bürger unseres Landes bei ihrem gemeinwohlbezogenen Engagement, für das ihnen Dank gebührt, bewegen können. Das ist gut so!