Nachfolgend ein Beitrag vom 10.11.2017 von Itzel, jurisPR-BGHZivilR 21/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Bei der Erstellung eines amtlichen Lageplans nach § 3 Abs. 3 Satz 1 der nordrhein-westfälischen Verordnung über bautechnische Prüfungen vom 06.12.1995 (GV NRW, S. 2018) handelt der Öffentlich bestellte Vermessungsingenieur in Ausübung eines öffentlichen Amtes i.S.d. § 839 Abs. 1 BGB.
2. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 29.11.2012 (III ZR 21/12 – NJW 2013, 603 Rn. 7) für das Land Berlin entschieden hat, die Lageplanerstellung sei privatrechtlicher Natur, wird klargestellt, dass dies nicht für Lagepläne gilt, die gemäß § 3 Abs. 2 bis 6 der Verordnung über Bauvorlagen, bautechnische Nachweise und das Verfahren im Einzelnen vom 19.10.2006 (GVBl Berlin, S. 1035) für die Beurteilung von Bauvorhaben oder die Bearbeitung eines Bauantrags bei der Bauaufsichtsbehörde einzureichen sind.
3. Die Abweisung einer Amtshaftungsklage wegen Eingreifens einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB als „derzeit unbegründet“ setzt voraus, dass die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs erfüllt sind.
4. Sind mehrere Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure in einer Arbeitsgemeinschaft oder Bürogemeinschaft zusammengeschlossen, so haftet jeder von ihnen nur insoweit, als er in seiner Eigenschaft als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur selbstständig hoheitliche Aufgaben wahrgenommen hat.

A. Problemstellung

Der BGH hat in dieser Entscheidung zentral vier Problemfelder des Amts- und Staatshaftungsrechts angesprochen und Lösungen präzisiert.
Für den Vermessungsingenieur war zu klären, welche Tätigkeiten in Ausübung eines öffentlichen Amtes und welche rein privatrechtlich erfolgen. Sodann war festzustellen, ob und ggf. in welchem Umfang diese Amtshaftung gemäß Art. 34 GG auf das Land übergeleitet wird. Als dritter Bereich war darzustellen, wie die prozessuale Lage, in der mit einer einheitlichen Klage gegen den Amtswalter, das Land und einen möglicherweise ersatzbereiten Dritten (vgl. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB) vorgegangen wird, konstruktiv aufgelöst werden kann. Zuletzt war noch die Frage der Zurechnung und Haftung in einer BGB-Gesellschaft zu lösen, wenn nur einer der Gesellschafter gehandelt hat und aus § 839 BGB haftet.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Für ein Bauvorhaben der Klägerin erstellte der Beklagte zu 3) (öffentlich bestellter Vermessungsingenieur) im Auftrag des Beklagten zu 1) (Architekt der Klägerin) einen amtlichen Lageplan mit Abstandsflächenberechnung zur Bauvorlage. Wegen fehlerhafter Abstandsflächenberechnung konnte das Bauvorhaben erst nach mehreren Umplanungen realisiert werden. Die Klägerin verlangt Ersatz des Verzögerungsschadens von den drei Beklagten. Der Beklagte zu 2) arbeitet gemeinsam mit dem Beklagten zu 3) in einer Arbeitsgemeinschaft.
Das Berufungsgericht hat die Klage gegen den Architekten als dem Grunde nach gerechtfertigt angesehen und die Klageabweisung hinsichtlich der Beklagten zu 2) und 3) bestätigt.
Der BGH hat die Klageabweisung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Intensiv setzt sich der BGH mit der Frage auseinander, ob der Beklagte zu 3) in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt hat, wobei er durchaus sieht, dass der öffentlich bestellte Vermessungsingenieur auch rein privatrechtliche Tätigkeiten ausüben kann. Somit war (funktional) zu klären, ob die konkrete schadensauslösende Tätigkeit „hoheitlich“ war. Unter eingehender Analyse der baurechtlichen Vorschriften von NRW gelangt der BGH zu dem Ergebnis, dass die Anfertigung des Lageplanes mit Darstellung der Abstandsflächen in Ausübung eines öffentlichen Amtes erfolgt ist. Klarstellend zu seinem Beschluss vom 29.11.2012 (III ZR 21/12 – NJW 2013, 603) führt er aus, dass die Erstellung von Lageplänen, die zur amtlichen Beurteilung eines Bauvorhabens und zur Vorlage bei der Baugenehmigungsbehörde dienen, stets in Ausübung eines öffentlichen Amtes erfolgt.
Eher beiläufig verneint der BGH eine Überleitung der Haftung aus Art. 34 GG auf das Land und kommt so zur persönlichen Haftung des öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs in NRW. Er leitet dies aus den gesetzlichen Regelungen ab, wobei offenbleibt, ob dieses Ergebnis letztlich aus der Stellung des Ingenieurs als „Gebührenbeamter“ abgeleitet wird.
Überzeugend löst der BGH sodann die prozessuale Problemlage auf, die durch die gleichzeitige Inanspruchnahme der drei Beklagten entstanden ist. Solange nicht geklärt ist, ob tatsächlich eine zumutbare anderweitige Ersatzmöglichkeit nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (gegen den Architekten) gegeben ist, kann die Klage gegen den „Beamten“ nur dann endgültig abgewiesen werden, wenn die Amtshaftung aus anderen Gründen nicht eingreift, die Klage an dem Fehlen anderer Tatbestandsmerkmale des § 839 BGB scheitert. Sind alle übrigen Voraussetzungen erfüllt, kann die Klage nur als derzeit unbegründet abgewiesen werden. Damit war die unbedingte Klageabweisung hinsichtlich der Beklagten zu 2) und 3) aufzuheben, da nicht feststand, ob und ggf. in welchem Umfang die Ersatzforderung gegen den Beklagten zu 1) (Architekt) zumutbar zu realisieren ist. Bleibt in einer Entscheidung (Klageabweisung) offen, ob die weiteren Haftungsvoraussetzungen – neben § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB – vorliegen, so handelt es sich nach dem BGH stets um eine vorläufige Klageabweisung mit beschränkter Rechtskraft, und in einem neuen Prozess kann dann das Fehlen anderer tatbestandlicher Voraussetzungen gerügt werden.
Abschließend stellt der BGH klar, dass eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Amtswalter nur dann eingreift, wenn alle hinsichtlich der schadensauslösenden Amtshandlung aktiv geworden sind. Dies leitet er aus der grundsätzlich persönlichen Haftungsverantwortung des jeweils handelnden Amtsträgers ab. Insoweit hat er noch Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Tätigkeitsanteile des Beklagten zu 2) gesehen.

C. Kontext der Entscheidung

Hervorzuheben ist hier die Klarstellung zum vorangegangenen Beschluss zum Vermessungsingenieur in Berlin (BGH, Beschl. v. 29.11.2012 – III ZR 21/12).

D. Auswirkungen für die Praxis

Neben der stets für die Praxis in höchstem Maße relevanten und interessanten Frage nach dem Haftungsregime von und für Personen, die sowohl hoheitlich wie auch rein privatrechtlich handeln können (D-/H-Arzt, TÜV-Prüfer, Vermessungsingenieur u.a.), zeigt die Entscheidung die Problematik der Fälle auf, in denen der möglicherweise nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB vorrangig Ersatzpflichtige gemeinsam mit den haftungsrechtlichen Beamten in Anspruch genommen wird. Meist erfolgt in diesen Fällen eine schnelle (unbedingte) Klageabweisung hinsichtlich des Amtshaftungsanspruchs, da der Ausschluss des anderweitigen Ersatzes nicht schlüssig vorgetragen wurde, sondern sogar gerade diese Möglichkeit klageweise verfolgt wird. Dass diese Klageabweisung (meist unerkannt) nach BGH nur beschränkte Rechtskraft besitzt und in einem Folgeprozess weiter geprüft werden muss, führt in der Praxis der „Untergerichte“ zu nicht geringen Unsicherheiten. Zur Vermeidung von derartigen Prozessrisiken und Fehlerquellen sollte nach wie vor der Weg der vorrangigen Inanspruchnahme des Dritten bei Streitverkündung des Ersatzpflichtigen aus Amtshaftung gewählt werden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Weiter stellt der BGH bestätigend klar, dass die Entschuldigung auf Grundlage der Kollegialgerichtsrichtlinie nicht eingreift, wenn das (Verwaltungs-)Gericht in einem summarischen Verfahren (Eilrechtsschutz) entschieden hat.
Und nicht zuletzt stellt er dar, dass Ansprüche aus einem „verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis“, in dem § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gilt, vorliegend nicht eingreifen. Weder liegt ein besonders Näheverhältnis zwischen Klägerin und den Vermessungsingenieuren vor noch fehlt es an einer rechtlichen Regelung in diesem Verhältnis für die vorgenommenen Handlungen.

Haftung des Vermessungsingenieurs bei Erstellung und Vorlage eines amtlichen Lageplanes
Matthias FrankRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
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