Nachfolgend ein Beitrag vom 30.6.2017 von Geuer, jurisPR-ITR 13/2017 Anm. 4

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Der Inhaber eines Internetanschlusses kann seine vermutete Haftung für eine Urheberrechtsverletzung widerlegen, wenn er bei einem Filesharingvorfall aus dem Kreis der engsten Familienangehörigen mögliche Alternativtäter benennt
2. Macht der als Zeuge gehörte Familienangehörige von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, führt dies nicht zu einer Beweislastumkehr zulasten des Anschlussinhabers.

A. Problemstellung

Immer wieder stellt sich bei illegalem Filesharing die Frage, wer für die Verstöße gegen das UrhG haftbar gemacht werden kann, da sich oftmals hinter einem Anschluss nicht nur eine Person verbirgt, sondern mehrere. Rechteinhaber treten in diesem Fall an den Anschlussinhaber heran, der aber oftmals nicht derjenige ist, der die Urheberrechtsverletzung begangen hat. Das AG Kassel hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem der Anschlussinhaber die Urheberrechtsverletzung abstritt und es sich nicht mehr feststellen ließ, welches Familienmitglied die Urheberrechtsverletzung begangen hatte.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Rechteverwerter eines bei Jugendlichen beliebten PC-Spiels machte Ansprüche gegen die Inhaberin eines Internetanschlusses geltend, da das Spiel über diesen Anschluss auf einer sog. Tauschbörse heruntergeladen wurde und dabei zugleich anderen Nutzern der Tauschbörse zum Download zur Verfügung gestellt wurde.
Das AG Kassel hat die Klage abgewiesen.
Das AG Kassel stellt klar, dass zunächst nach § 97 Abs. 1 UrhG der Anschlussinhaber für Urheberrechtsverletzungen, die mit seinem Anschluss begangen werden, verantwortlich ist. Werden von einem bestimmten Internetanschluss entsprechende Handlungen begangen, liege der Verdacht nahe, dass der Inhaber auch derjenige sei, der gegen urheberrechtliche Vorschriften verstoßen habe. Könne diese Vermutung nicht widerlegt werden, komme es also zu einer Haftung des Anschlussinhabers.
Im Fall des AG Kassel konnte die Anschlussinhaberin die Vermutung aber entsprechend widerlegen, da es mögliche Alternativtäter gibt. Der Anschluss wurde von einer Familie genutzt; unter anderem nutzte auch der volljährige Sohn der Beklagten, der zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung im gleichen Haushalt wohnte, den Anschluss. Hierbei hebt das Amtsgericht hervor, dass der Anschlussinhaber nicht mit einem pauschalen Verweis auf Art. 6 GG jede Durchsetzung des Anspruchs blockieren kann und zugleich von der eigenen Haftung frei wird. Dies bedeute aber im Umkehrschluss nicht, dass eine problemlose Durchsetzung des Anspruchs nach den Angaben des Anschlussinhabers möglich sein müsse. Der Inhaber des Anschlusses müsse also im familiären Umfeld nicht inquisitorisch vorgehen oder gar seine Familienmitglieder überwachen. Es genüge mithin, wenn mögliche Alternativtäter benannt werden, an die sich der Rechteinhaber dann wenden könne. Hierbei komme es nicht darauf an, ob diese die Verletzungshandlung einräumen oder bestreiten.
Im Fall des AG Kassel hatte der Sohn der Inhaberin als Zeuge im Prozess auf seine Rolle als möglicher Alternativtäter die Aussage verweigert. Somit käme allenfalls eine Störerhaftung der Beklagten in Betracht. Dies sei jedoch, wegen Art. 6 GG, im Familienkreis nur der Fall, wenn es für den Anschlussinhaber konkrete Hinweise auf einen Missbrauch des Anschlusses gebe. Eine Kontrolle oder persönliche Nachforschung verbiete sich bei volljährigen Familienmitgliedern gerade wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie.

C. Kontext der Entscheidung

Wie bereits auch andere Entscheidungen bekräftigt das AG Kassel, dass eine generelle Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers bei Urheberrechtsverletzungen durch Familienmitglieder nicht in Betracht kommt. Vielmehr ist auf den Einzelfall abzustellen.
Die Gerichte sehen die Nutzung des Internets unter einem Anschluss im familiären Verband als etwas an, bei dem Eltern Kinder gemäß dem Grad der Reife und des Alters zu instruieren haben (so bereits LG Mannheim, Urt. v. 29.09.2006 – 7 O 76/06 – MMR 2007, 267, 268). Ab der Volljährigkeit kann davon ausgegangen werden, dass eine solche Instruierung gar nicht mehr nötig ist, mithin ohne konkrete Verdachtsmomente den Anschlussinhaber keine weiteren Pflichten treffen und er nicht als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden kann (vgl. auch AG Frankfurt, Urt. v. 12.02.2010 – 32 C 1634/09 – 72 – ZUM-RD 2011, 116).
Das AG Kassel setzt sich auch bewusst nicht in Widerspruch zur „Everytime we touch“-Entscheidung des BGH (Urt. v. 12.05.2016 – I ZR 48/15 „Everytime we touch“). Dort führt der BGH aus, dass die „pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Beklagten lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss

[…] den an die Erfüllung der sekundären Darlegungslast zu stellenden Anforderungen daher nicht gerecht [wird]“.
Somit wird man die vermutete Urheberrechtsverletzung durch den Anschlussinhaber nur dann entkräften können, wenn nicht pauschal auf andere Familienmitglieder, Gäste, etc. verwiesen wird, sondern konkrete Alternativtäter genannt werden.

D. Auswirkungen für die Praxis

In der Praxis wird sich, sofern der Anschlussinhaber Alternativtäter im familiären Umfeld benennt und diese entweder aufgrund ihres Alters und Reifegrades instruiert hat oder diese ohnehin volljährig sind, eine Störerhaftung des Anschlussinhabers nicht begründen lassen. Anschlussinhaber sollten in diesem Fall keinesfalls Unterlassungserklärungen abgeben oder außergerichtliche Anwaltskosten von Rechteinhabern ersetzen.