Nachfolgend ein Beitrag vom 17.12.2018 von Fischer, jurisPR-SteuerR 50/2018 Anm. 5

Leitsatz

Die Übertragung des Inventars einer Gaststätte ist auch dann eine nicht der Umsatzsteuer unterliegende Geschäftsveräußerung, wenn der Erwerber mit dem übertragenen Inventar die Gaststätte dauerhaft fortführen kann und selbst über die zur Fortführung der Tätigkeit erforderliche Immobilie verfügt, weil er diese von einem Dritten gepachtet hat (Anschluss an BFH, Urt. v. 18.01.2012 – XI R 27/08 – BFHE 235, 571 – BStBl II 2012, 842; Abgrenzung vom BFH, Urt. v. 04.02.2015 – XI R 42/13 – BFHE 248, 472 – BStBl II 2015, 616).

A. Problemstellung

Der Kläger übernahm im Frühjahr 2015 in M einen Gastronomiebetrieb vom vorherigen Betreiber C. Die Gaststätteneinrichtung („das Inventar“) erwarb der Kläger von C, ferner von Dritten weitere Einrichtungsgegenstände und Waren. Der Kläger schloss am 30.01.2015 einen Mietvertrag mit einer GmbH über die Räumlichkeiten zu den gleichen Konditionen, zu denen auch C die Räume angemietet hatte. Der BFH hatte zu entscheiden, ob eine nicht der Umsatzsteuer unterliegende Geschäftsveräußerung vorlag.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger machte die im Kaufvertrag ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer i.H.v. 7.600 Euro geltend. Dies lehnte das Finanzamt ab, da eine Geschäftsveräußerung i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG vorliege. Das Finanzgericht hatte die Klage abgewiesen (FG Düsseldorf, Urt. v. 13.10.2017 – 1 K 3395/15 U – EFG 2018, 881). Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der BFH führte zur Begründung aus:
I. Das Recht auf Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) erstrecke sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet werde, weil sie in der Rechnung ausgewiesen sei. Denn bei richtlinienkonformer Auslegung (Art. 169 Buchst. a MwStSystRL) sei nicht jeder, sondern nur der geschuldete Steuerbetrag als Vorsteuer abziehbar (vgl. BFH, Urt. v. 16.09.2015 – XI R 47/13 – BFH/NV 2016, 428, Rn. 54; EuGH, Urt. v. 21.02.2018 – C-628/16 – MwStR 2018, 308 = UR 2018, 282 Rn.43 „Kreuzmayr“).
II. Die von C gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer werde nicht gesetzlich geschuldet. Das Finanzgericht habe in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung (§ 1 Abs. 1a Satz 1 UStG; Art. 19 MwStSystRL; vgl. BFH, Urt. v. 06.07.2016 – XI R 1/15 – BStBl II 2016, 909, Rn. 29, m.w.N.) bejaht. Die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterlägen nicht der Umsatzsteuer.
Bei dem Begriff „Teilvermögen“ handele es sich um einen autonomen unionsrechtlichen Begriff, der eine einheitliche Auslegung finden müsse, um eine unterschiedliche Anwendung der Mehrwertsteuerregelung in den Mitgliedstaaten zu verhindern (vgl. EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – C-444/10 Rn. 22 – BStBl II 2012, 848 „Schriever“). Er beziehe sich auf eine Kombination von Bestandteilen eines Unternehmens, die zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausreicht. Die organisatorischen Verhältnisse beim Veräußerer seien unmaßgeblich (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 19.12.2012 – XI R 38/10 – BStBl II 2013, 1053, Rn. 45; Prätzler, jurisPR-SteuerR 20/2013 Anm. 6; BFH, Urt. v. 04.02.2015 – XI R 42/13 Rn. 20 – BStBl II 2015, 616 – keine Geschäftsveräußerung im Ganzen bei Veräußerung von Teilen des Inventars einer Gaststätte; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 26/2015 Anm. 5). Es komme darauf an, ob ein Teilvermögen übertragen werde, das vom Erwerber selbstständig hätte übernommen werden können und für das im Falle der entgeltlichen Übertragung der Erwerber eine Gegenleistung gezahlt hätte (vgl. EuGH, Urt. v. 30.05.2013 – C-651/11 – MwStR 2013, 337 = UR 2013, 582 Rn.53 „X“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 33/2013 Anm. 6; vgl. a. Abschn. 1.5 Abs. 6 Satz 2 UStAE). Ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermögliche und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln, sei von den nationalen Gerichten im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden. Dabei sei der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, deren Fortführung geplant ist, besondere Bedeutung zuzumessen.
II. Das Finanzgericht habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger aufgrund der Übertragung des beweglichen Inventars und der festen Ladeneinrichtung – bei gleichzeitiger Übernahme des Mietvertrages – den Gastronomiebetrieb X habe weiter betreiben können und weiter betrieben habe. Der Kläger habe – anders als im BFH-Urteil vom 04.02.2015 (XI R 42/13 – BStBl II 2015, 616) nahezu das gesamte bewegliche und unbewegliche Inventar bzw. die Ladeneinrichtung von C erworben. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger einzelne – unwesentliche – Gegenstände von Dritten hinzuerworben habe. Dass kein Warenbestand übereignet worden sei, sei hier unter den Bedingungen eines Schank- und Speisebetriebs unschädlich. Im Falle des BFH-Urteils vom 04.02.2015 (XI R 42/13 Rn. 22 – BStBl II 2015, 616) seien nur einzelne zum Betrieb einer Gaststätte notwendige Gegenstände an den „Nachfolger“ veräußert worden, während hier das „Inventar des Gastronomiebetriebs“ X an den Kläger verkauft wurde. Dies reiche für eine Geschäftsveräußerung aus (BFH, Urt. v. 18.01.2012 – XI R 27/08 Rn. 26 – BStBl II 2012, 842, zu Ladeneinrichtung und Warenbestand; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 20/2012 Anm. 4).
III. Der Annahme einer Geschäftsveräußerung stehe nicht entgegen, dass der Kläger zum Weiterbetrieb der Gaststätte die von der Vermieterin angemieteten Räume benötige. Dazu habe der EuGH in der Rechtssache Schriever (EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – C-444/10 – BStBl II 2012, 848) ausgeführt, dass die Frage, ob die übertragene Gesamtheit sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen umfassen müsse, nach der Art der in Rede stehenden wirtschaftlichen Tätigkeit zu beurteilen sei.
Das Finanzgericht habe dazu angenommen, für die Fortführung der Tätigkeit des C durch den Kläger sei zwar, da im Streitfall ein seit Jahren oder Jahrzehnten bestehender Gastronomiebetrieb übernommen worden sei, erforderlich, dass der Erwerber über dasselbe Geschäftslokal wie der Verkäufer verfügen müsse. Diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt. Der Erwerber verfüge aber auch dann über eine „eigene“ Immobilie, wenn er diese nur aufgrund eines eigenen Mietvertrages innehabe. Dies entspreche sowohl der Rechtsprechung des BFH, wonach für die Annahme einer Geschäftsveräußerung die Übernahme des Inventars und des Warenbestands ausreiche, wenn der Erwerber selbst über die erforderliche Immobilie verfüge (vgl. BFH, Urt. v. 18.01.2012 – XI R 27/08 Rn. 26 – BStBl II 2012, 842), als auch den Grundsätzen des EuGH-Urteils in der Rs. Schriever (EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – C-444/10 Rn. 36 – BStBl II 2012, 848). Insoweit komme es nur auf den Besitz an. Die Nutzungsüberlassung der Immobilie dürfe auch durch einen Dritten erfolgen, ohne dass es darauf ankäme, welche Vereinbarung zuerst getroffen worden sei (vgl. BFH, Urt. v. 03.12.2015 – V R 36/13 Rn. 19 und 21 – BStBl II 2017, 563; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 22/2016 Anm. 6).
IV. Auch die erforderliche Fortführung der unternehmerischen Tätigkeit des C durch den Kläger als Erwerber liege vor. Nicht begünstigt sei die sofortige Abwicklung der übernommenen Geschäftstätigkeit (EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – C-497/01 Rn. 40 – UR 2004, 19 „Zita Modes“; BFH, Urt. v. 19.12.2012 – XI R 38/10 Rn. 34 – BStBl II 2013, 1053; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 20/2013 Anm. 6). Es sei ferner nicht erforderlich, dass der Erwerber vor der Übertragung eine wirtschaftliche Tätigkeit derselben Art ausgeübt hat wie der Übertragende (EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – C-497/01 Rn. 45 – UR 2004, 19 „Zita Modes“). Der Erwerber dürfe den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb z.B. in seinem Zuschnitt ändern oder modernisieren (vgl. BFH, Urt. v. 29.08.2012 – XI R 10/12 Rn. 22 – BStBl II 2013, 221; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 15/2013 Anm. 6). Nicht erforderlich sei ferner, dass die Fortführung des Unternehmens ohne großen finanziellen Aufwand möglich ist. Es sei ferner unschädlich, dass C in M ein weiteres Lokal betrieben habe (BFH, Urt. v. 06.07.2016 – XI R 1/15 – BStBl II 2016, 909, Rn. 42, m.w.N.).

C. Kontext der Entscheidung

I. Der Tatbestand der Geschäftsveräußerung erfasst die Übertragung von Geschäftsbetrieben und von selbstständigen Unternehmensteilen, die als Zusammenfassung materieller und immaterieller Bestandteile ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann (EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – C-497/01 – UR 2004, 19, Rn. 40 „Zita Modes“; EuGH, EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – C-444/10 Rn. 25; BFH, Urt. v. 19.12.2012 – XI R 38/10 Rn. 33 – BStBl II 2013, 1053).
II. Das EuGH-Urteil in der Rs. Schriever (EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – C-444/10 – BStBl II 2012, 848) unterteilt drei Fallgruppen:
(1) Ist kein Lokal mit einer für die Fortführung der wirtschaftlichen Tätigkeit notwendigen festen Ladeneinrichtung erforderlich, kann eine Übertragung eines Gesamtvermögens i.S.v. Art. 5 Abs. 8 der RL 77/388/EWG auch ohne Übereignung einer unbeweglichen Sache vorliegen (Fallgruppe 1).
(2) Erhält der Erwerber keinen Besitz an dem Geschäftslokal und besteht die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit in der Nutzung einer untrennbaren Gesamtheit von beweglichen und unbeweglichen Sachen, müssen die unbeweglichen Sachen zu den übertragenen Bestandteilen gehören, damit es sich um die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens handeln kann (Fallgruppe 2).
(3) Eine Vermögensübertragung liegt auch vor, wenn das Geschäftslokal dem Erwerber mittels eines Mietvertrages zur Verfügung gestellt wird (Ausnahme 1) oder wenn der Erwerber selbst über eine geeignete Immobilie verfügt (Ausnahme 2), in die er sämtliche übertragenen Sachen verbringen und in der er die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit weiterhin ausüben kann. Die Fallgruppe 3 wird dadurch gekennzeichnet, dass ein Gesamtvermögens unter gleichzeitigem Abschluss eines Mietvertrages über ein Geschäftslokal übertragen wird.
Im entschiedenen Fall liegt die Ausnahme 2 der Fallgruppe 2 vor.
III. Der BFH legt dar, dass er nicht von den Urteilen des EuGH in der Rs. X (EuGH, Urt. v. 30.05.2013 – C-651/11 – MwStR 2013, 337 = UR 2013, 582) und von den Senatsurteilen BFH, Urt. v. 04.02.2015 – XI R 42/13 – BStBl II 2015, 616 und BFH, Urt. v. 04.02.2015 – XI R 14/14 – BStBl II 2015, 908 abweicht. Er analysiert vergleichend die anders gelagerten Sachverhalte jener Streitfälle.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die unionsrechtlichen Grundsätze der Geschäftsübertragung sind durch das EuGH-Urt. in der Rs. Schriever (EuGH, Urt. v. 10.11.2011 – C-444/10 – BStBl II 2012, 848) geklärt. Das Schreiben des BMF v. 24.10.2012 (IV D 2-S 7100-b/11/10002 – BStBl I 2012, 1086) fasst die Folgerungen aus diesem EuGH-Urteil sowie aus dem BFH-Urt. v. 18.01.2012 – XI R 27/08 – BStBl II 2012, 842 zusammen.

Geschäftsveräußerung: Übereignung des Inventars einer Gaststätte bei gleichzeitiger Anmietung der Gaststätte vom Eigentümer der Immobilie
Silvia SlubikSteuerberater
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Geschäftsveräußerung: Übereignung des Inventars einer Gaststätte bei gleichzeitiger Anmietung der Gaststätte vom Eigentümer der Immobilie
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