„Die Regierung brauchte ein Bauernopfer“

Seit Tagen steht Generalbundesanwalt Harald Range wegen den Ermittlungen gegen die Blogger von „netzpolitik.org“  in der Kritik. Er geht auf Konfrontationskurs und muss seinen Posten räumen. Range ist nicht der einzige, dem ein Fehlverhalten angelastet werden kann, findet die Presse. Für Justizminister Heiko Maas ist die Affäre mit dem Personalwechsel noch nicht abgehakt, prophezeien sie.

Der Nordbayerische Kurier konstatiert: „Der Rausschmiss von Generalbundesanwalt Harald Range war die Quittung dafür, dass dieser sich Stunden zuvor öffentlich gegen seinen Dienstherren aufgelehnt und seine Entlassung damit provoziert hat. Wenige Monate vor Ranges Pensionierung ein kalkulierbares Risiko.“ Der SPD-Minister habe rasch auf die Angriffe seines Untergebenen reagiert, „auf ein Ende der Affäre kann er aber nicht hoffen.“

„Das kurze Drama um den Generalbundesanwalt endet so wie es begonnen hat: Mit einem Knall“, stellt der Weser-Kurier fest. „Aus dem Buhmann Harald Range ist ein Bauernopfer geworden. Vom Bundesjustizminister in den Ruhestand versetzt, weil das Vertrauen zu ihm ’nachhaltig gestört‘ sei, wie es dann immer so schön heißt. Dass es eine politische Schlammschlacht werden würde, war schnell klar in dieser undurchsichtigen Causa Netzpolitik.org.“ Gegenseitige Schuldzuweisungen kursierten in immer kürzeren Abständen zwischen Ministerium, Generalbundesanwaltschaft und dem Amt für Verfassungsschutz. „Dabei wurde offensichtlich: Nicht nur Range lieferte eine schlechte Figur ab, Verfassungsschutzchef Maaßen und Justizminister Maas taten es ihm gleich.“

Auch der Münchner Merkur attestiert dem Justizminister eine Mitschuld und verweist auf das große Ganze: „Ranges gestriger Frontalangriff auf seinen Dienstherren war nur die verzweifelte Flucht nach vorne in einer für ihn aussichtslosen Lage. Spätestens als Kanzlerin Merkel dem Liberalen öffentlich ihre schützende Hand entzog und in der Affäre um angeblichen Landesverrat durch investigativen Journalismus auf Distanz ging, waren die Würfel gefallen. Harald Range beginnt den Ruhestand nun ein halbes Jahr früher als geplant. Es gibt Schlimmeres. Etwa dies: Die Große Koalition taumelt nach wie vor ohne Kompass durch das Minenfeld zwischen Aktivitäten der Geheimdienste einerseits und dem Recht der Bürger auf Sicherheit wie auf geschützte Privatsphäre andererseits. Je nachdem, welche Mine gerade hochgeht – mal illegale Abhöraktionen der Spione, mal Whistleblower-Veröffentlichungen von Medien – springt man verschreckt in die entgegengesetzte Richtung. Und die beteiligten Minister machen allesamt keine gute Figur.“

Auch die „Frankfurter Rundschau“ ist der Meinung, dass die Regierung Harald Range von vornherein am Verfahren hätte hindern müssen: „Ranges Pech: Zu den ‚Zielsetzungen der Regierung‘ gehörte es seit ein paar Tagen, den Eindruck zu vermitteln, dass sie es doch nicht so gut findet, mit der Kanone des Landesverrats-Paragrafen auf Blogger zu schießen. Nur so können die politisch Verantwortlichen davon ablenken, dass sie nichts getan haben, um Range an dem absurden Verfahren zu hindern – bis die Aufregung zu groß wurde, um weiter wegzusehen. Die Regierung brauchte ein Bauernopfer. Range blieb nur noch Zeit, zu Protokoll zu geben, dass er dafür der Falsche sei. Das ist er nicht. Ungerecht wäre es nur, wenn er am Ende der Einzige wäre, der für den kollektiven Wahnsinn büßt.“

Zusammengestellt von Lara Dalbudak (Quelle: n-tv.de)


Anmerkung: Die Entlassung des „Generals“ war fällig. Allein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachtes des Landesverrates gegen zwei wirklich renommierte Netzblogger war schon ein Stück aus dem Lande Absurdistan. Die Pressefreiheit ist ein außerordentliches hohes Gut von Verfassungsrang. Dass ausgerechnet der Verfassungsschutz die Ermittlungen gegen die Netzblogger initiiert hat, ist der zweite bzw. zeitlich erste Teil des Stücks. Ein Drama ist es indes nicht, dass Range gehen musste. Als sich Harald Range seinerzeit bei einer Pressekonferenz zu Ermittlungen im Kontext NSA verhaspelte und von der „NASA“-Affäre sprach, war sein Spitzname „Opi Range“ bzw. frei nach Loriot „Opa Hoppenstedt“ geboren. Derartige Häme ist hier jedoch sicher nicht angebracht gewesen.

Einige Fragen, die er bis heute nicht schlüssig beantwortet hat, geben aber Einblick in die Tätigkeit eben dieses Generalbundesanwalts aus dem niedersächsischen Celle: Warum beispielsweise ermittelte der Generalbundesanwalt wegen des Mobiltelefons der Bundeskanzlerin, aber nicht wegen der massenhaften Ausforschung von Daten in Deutschland durch US-amerikanische Nachrichtendienste? Range war wie jeder Generalbundesanwalt vor ihm weisungsabhängiger politischer Beamter. Er tat das, was man ihm sagte und unterließ das, was man ihm verbot. Irgendwann einmal ist der oberste Ankläger Deutschlands, der immerhin über eine Behörde mit 200 Mitarbeitern, davon 90 hochkarätige Juristen, verfügt, auch gezwungen, etwa entgegenstehende Weisungen zu missachten, spätestens dann nämlich, wenn vorsätzlich gegen Recht und Gesetz unter Missachtung höchster Verfassungsgrundsätze agiert wird. Auch führende Politiker, Minister und Kanzler, stehen nicht über dem Gesetz und über der Verfassung. Insoweit ist das Stück auch keine Komödie, denn zum Lachen ist hier niemandem mehr zumute.

Das muss auch gesagt werden, wenn man sich wundert, warum das Ermittlungsverfahren gegen die Netzblogger auf einmal eine solche Bedeutung bekam.

„Zweierlei Maß wurde dem Generalbundesanwalt vorgeworfen – der zudem widersprüchlich zu agieren schien: Einerseits informierte er die betroffenen Journalisten, um eine Verjährung zu verhindern. Von den Betroffenen wurde dies als Bedrohung aufgefasst. Die Bundesanwaltschaftschaft will diesen Schritt indes nach wie vor als Transparenz verstanden wissen.“ – (Quelle: tagesschau.de)

Merkwürdige Transparenz, merkwürdige Verhaltensweisen, eine merkwürdige Behörde. Aber da gibt es ernst zu nehmende Stimmen, die die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaften insgesamt mit guten Gründen sehr kritisch beleuchten. Der Abgang von Range war nicht nur fällig, er war überfällig. Andere werden folgen, the show must go on. => Dresdner Plädoyer für eine unabhängige Staatsanwaltschaft