Nachfolgend ein Beitrag vom 21.4.2017 von Weller, jurisPR-ITR 8/2017 Anm. 3

Leitsatz

Dem EuGH wird zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.05.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stellt die Einfügung eines auf einer fremden Internetseite mit Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers für alle Internetnutzer frei zugänglichen Werkes in eine eigene öffentlich zugängliche Internetseite ein öffentliches Zugänglichmachen i.S.d. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG dar, wenn das Werk zunächst auf einen Server kopiert und von dort auf die eigene Internetseite hochgeladen wird?

A. Problemstellung

In der jüngeren Vergangenheit hat der EuGH die Frage des öffentlichen Zugänglichmachens als besondere Form der öffentlichen Wiedergabe damit verknüpft, dass ein digital verfügbarer Inhalt an einer Stelle aufgenommen und an anderer Stelle wieder angebracht wurde. Urheberrechtlich relevant sollte dies immer dann sein, wenn durch das Aufnehmen und Wiederanbringen ein neues Publikum erreicht wird. Das Ersetzen von Papier, Schere und Leim durch World Wide Web, rechte Maustaste und Datei auch in der Schule führt dabei zu besonderen Problemen, die den BGH vorliegend zu einer Vorlage an den EuGH veranlasst haben.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Dem Vorlagebeschluss liegt eine Klage eines Berufsfotografen zugrunde. Dieser hat einem Online-Reisemagazin-Portal ein einfaches Nutzungsrecht für ein von ihm angefertigtes Foto der spanischen Stadt Cordoba eingeräumt. Über das Portal war das Bild für jedermann abrufbar. So fiel es einem Teilnehmer der Spanisch-Arbeitsgemeinschaft einer Gesamtschule auf, der es zur Illustration seines Schülerreferats verwendete und dort unter Hinweis auf die URL der Internetseite des Portals, über die das Bild abgerufen wurde, einfügte. Das Schülerreferat wurde über die Website der Gesamtschule seit dem 25.03.2009 einschließlich der illustrierend eingefügten Fotografie zum Abruf bereit gehalten. Der Kläger nimmt zuletzt noch das Land als Schulaufsicht und Dienstherr der an der Gesamtschule tätigen Lehrkräfte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch.
Das beklagte Land verfolgt dagegen seinen Antrag auf Klageabweisung mit der Revision weiter. Der Kläger hat Anschlussberufung eingelegt und hält, nachdem das Berufungsgericht das erstinstanzliche, nicht umfassend obsiegende Urteil weiter zu seinen Lasten modifiziert hatte, an seinem ursprünglichen Klageantrag fest. Zur Begründung führt er an, das Einstellen der Fotografie im Rahmen des Schülerreferats auf der Internetseite der Schule verletze ihn in seinem Vervielfältigungsrecht und seinem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.
Der BGH hat seinen Vorlagebeschluss nun damit begründet, dass der Erfolg des Klageantrags maßgeblich von der Auslegung des Begriffs der öffentlichen Zugänglichmachung gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft abhängt. Der BGH geht offenkundig davon aus, dass es sich bei der Fotografie um einen urheberrechtlich schutzfähigen Gegenstand handelt, denn er erachtet die Angriffe der Revision gegen die Sichtweise des Berufungsgerichts, das eine Schutzfähigkeit jedenfalls als Lichtbild gemäß § 72 UrhG angenommen hat, für nicht begründet.
Gleichwohl weist der BGH darauf hin, dass für die Frage der öffentlichen Zugänglichmachung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG die Rechtsprechung des EuGH Fragen offenlässt. Zwar erkennt der BGH den Anwendungsbereich der Regelung als eröffnet und auch eine Wiedergabehandlung für gegeben, allerdings fragt er, ob die von dem Kläger angeführte öffentliche Zugänglichmachung über die Internetseite der Schule auch ein Publikum erreicht, an das dieser bei Erteilung der Erlaubnis zur Verwendung der Fotografie gegenüber dem Portal nicht gedacht hat. Auf diese Frage kommt es aus Sicht des BGH hier an, da das technische Verfahren der Wiedergabe vorliegend nicht geändert wurde.
Der I. Zivilsenat des BGH äußert Bedenken gegen eine Übertragbarkeit der zum Hyperlinking und Framing entwickelten Rechtsprechung des EuGH auf die vorliegende Fallkonstellation. Hierzu macht er unter anderem darauf aufmerksam, dass sich die ihm zur Beurteilung vorgelegte Konstellation vor allem von einer bloßen Inbezugnahme fremder, urheberrechtlich geschützter digitaler Inhalte dadurch unterscheidet, dass durch die Aufnahme des Fotos in das Referat dieses selbst dann sichtbar bleibt, wenn es am ursprünglichen Ort der Veröffentlichung, wo es der Schüler aufgefunden und aufgenommen hat, entfernt wird. Dies widerspricht nach seinem Dafürhalten dem in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG niedergelegten Grundsatz vom Fehlen einer Erschöpfung bei Ausübung eines in Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG genannten Rechte.

C. Kontext der Entscheidung

Die Sichtweise des BGH zur fehlenden Vergleichbarkeit der vorliegenden Fallkonstellation mit dem Setzen eines Links oder mit Framing scheint auf den ersten Blick plausibel. In der rein analogen Welt würde der Schüler für sein Referat ein passendes Bild aus dem Reisekatalog herausgesucht, mit der Schere aus dem Katalog herausgeschnitten und mit Leim an passender Stelle in sein Referat eingefügt haben. Das Referat würde den Bereich der Arbeitsgemeinschaft und erst der Schule kaum verlassen haben. Die Frage der öffentlichen Zugänglichmachung würde sich also gar nicht gestellt haben, jedenfalls dürfte der Fotograf die Nutzung seiner Fotografie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gar nicht zur Kenntnis genommen haben.
Heute werden statt Reisekatalogen das World Wide Web, statt Schere und Kleber die rechte Maustaste benutzt und das Referat wird nicht mehr vom Schüler mit Füller und Tinte, sondern mit dem PC geschrieben, sodass es anschließend auch viel leichter als ein in Papier vorliegendes Schriftstück nicht nur der Klasse, sondern über das World Wide Web der Öffentlichkeit präsentiert wird. Die Frage, die der BGH stellt, ist vereinfacht ausgedrückt diejenige, ob man ein Foto, das der Internetöffentlichkeit ohne weiteres zugänglich gemacht wurde, nochmals öffentlich zugänglich machen kann. Bei dem analogen Foto wäre klar, dass die Entnahme aus dem Katalog unweigerlich dazu geführt haben würde, dass jedenfalls in dem betreffenden Exemplar kein Foto mehr zu sehen wäre. Im Internet bleibt jedoch auch das Ausgangsfoto erhalten.
Der EuGH hat zu diesem Effekt, dass ein urheberrechtlich schutzfähiger Gegenstand in der digitalen Welt nicht nur an einem, sondern an vielen Orten sein kann, in den Entscheidungen „Svenson“ (EuGH, Urt. v. 13.02.2014 – C-466/12 – GRUR 2014, 360 m. Anm. Walter, Medien und Recht 2014, 30) und „Best Water“ (EuGH, Beschl. v. 21.10.2014 – C-348/13 – GRUR 2014, 1196 m. Anm. Ernst, jurisPR-WettbR 1/2015 Anm. 2) sowie „Sanoma“ (EuGH, Urt. v. 08.09.2016 – C-160/15 – GRUR 2016, 1152 m. Anm. Ohly, GRUR 2016, 1155) festgehalten, dass eine öffentliche Wiedergabe jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn ein im Internet frei, d.h. ohne jegliche Schutzwehren zugänglich gemachtes Werk mittels eines Links oder mittels Framing in einen anderen Kontext eingebunden wird. Nicht nur das, sondern das Fehlen eines erkennbaren Konzepts zum Umgang mit dem Inbezugnehmen von digitalen Fremdinhalten im Internet mittels der diesem Medium wesenseigenen und daher typischen Technik des Linksetzens, auch des vergleichbaren Framings war bereits Gegenstand der Kritik (z.B. Ohly, GRUR 2016, 1155, 1156) und lassen die Vorlage vorhersehbar und in der Sache auch konsequent erscheinen.
Die Sache liegt aber in dem dem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Sachverhalt anders, denn hier wurde nicht ein Fremdinhalt in Form des Fotos mittels eines Links oder Frames in einen neuen Kontext gerückt, sondern gleich der Inhalt selbst nicht nur in einen neuen Sinnzusammenhang gesetzt, sondern auch im technischen Kontext verschoben. Wäre das betreffende Bild mittels Link oder Frame in das Referat einbezogen worden, so wäre der das Bild bildende technische Informationsgehalt physikalisch ausschließlich an dem Ort vorhanden, an dem ihn der Berechtigte abgelegt hat. Hier wurde aber die Bilddatei, also der das Bild bildende technische Informationsgehalt dupliziert und an einer Stelle physikalisch abgelegt, wo er dem Zugriff des Berechtigten entzogen ist. Aufgrund dessen hätte sich hier aufgedrängt zu fragen, ob tatsächlich noch dasselbe technische Verfahren der Wiedergabe zugrunde liegt, denn die technischen Parameter haben sich geändert – das Bild wird gerade nicht mehr nur von dort aus zugänglich gemacht, wo es vom Berechtigten zur Verfügung gestellt wurde. Das technische Verfahren ist also hier genau betrachtet nicht mehr dasselbe, vielmehr sind die Adressierungen zu modifizieren, damit der Inhalt – hier das Foto – angezeigt wird.

D. Auswirkungen für die Praxis

Es darf mit Spannung erwartet werden, welche Hinweise der EuGH zu seiner bisherigen Rechtsprechung auf die Vorlagefrage des BGH geben wird. Es erscheint aber auch im Hinblick auf die Diskussion um das europäische Urheberrecht unumgänglich, sich mit der Frage der urheberrechtlichen Behandlung digitaler Inhalte genauer zu befassen. Digitale Inhalte sind ihrer Natur nach frei, denn die Freiheit der Inhalte macht das Wesen der digitalen Welt aus. Digitale Kommunikation kann nur funktionieren, wenn alle dieselbe technische Sprache sprechen, also man sich auf einen technischen Standard verständigt hat. Dies liegt auch im Interesse aller Beteiligter, denn der gemeinsame technische Standard ist Grundlage der digitalen Innovation und damit des digitalen Marktes. Akzeptiert man, dass sich das Erschöpfungsprinzip nicht auf digitale Inhalte erstreckt, so bleibt hier nur, den BGH in seinen Zweifeln zu bestätigen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Der BGH wird nach einer Entscheidung des EuGH zur Reichweite der öffentlichen Wiedergabe durch Copy & Paste eines Fremdinhalts in einen anderen zum Abruf bereitgehaltenen Fremdinhalt im Falle der Bestätigung der im Vorlagebeschluss geäußerten Zweifel weiter darüber zu entscheiden haben, ob das beklagte Land tatsächlich als Störer für eine Urheberrechtsverletzung haften muss, weil die in seinen Diensten stehenden Lehrkräfte zumutbare Prüfpflichten verletzt haben. Dass es hier zu einer Verurteilung kommen kann, deutet sich ebenfalls im Vorlagebeschluss bereits an. Das an der Europäischen EDV-Akademie des Rechts beheimatete Projekt „remus – Rechtsfragen von Multimedia und Internet in Schule und Hochschule“, dessen Finanzierung leider nur noch bis zum Ende des laufenden Jahres 2017 gesichert ist, konnte hier in fast zwei Jahrzehnten den Lehrkräften im Saarland und anderen Bundesländern dabei behilflich sein, urheberrechtliche Fragen aus dem Schulalltag einer Beantwortung zuzuführen und sich auf sicherem Terrain zu bewegen. Es bleibt zu hoffen, dass ein Weg gefunden wird, ein solches Informationsangebot auch über den 31.12.2017 hinaus zu erhalten.