Nachfolgend ein Beitrag vom 4.8.2017 von Ebert, jurisPR-BGHZivilR 15/2017 Anm. 1
Leitsatz
Wählt der Eigentümer eines durch einen Verkehrsunfalls beschädigten Taxis den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, sind, wenn ein Markt für die Ersatzbeschaffung eines Gebrauchtwagens mit Taxiausrüstung nicht existiert, die Umrüstung eines im Übrigen gleichwertigen Gebrauchtwagens zu einem Taxi jedoch mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist, die (fiktiven) Umrüstungskosten als zusätzlicher Rechnungsposten in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts einzustellen und damit im Rahmen des Anspruchs des Geschädigten auf Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB) ersatzfähig.
A. Problemstellung
Wie berechnet sich die zu leistende Entschädigung für ein Fahrzeug, wenn der Geschädigte sich für eine Abrechnung auf Gutachterbasis in Höhe der Kosten für eine fiktive Ersatzbeschaffung entscheidet und es an einem Gebrauchtwagenmarkt für derartige Fahrzeuge fehlt?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Bei einem Unfall wurde 2013 ein älteres Taxi (Erstzulassung 1999) mit einer Gesamtlaufleistung von 280.000 km beschädigt. Der Eigentümer des Taxis nimmt den Unfallverursacher, dessen volle Haftung dem Grunde nach unstreitig ist, und dessen Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz für das Taxi in Anspruch. Nach einem vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachten würden die Reparaturkosten 4.590,18 Euro betragen, die Wiederbeschaffung eines vergleichbaren Fahrzeugs ohne Taxiausrüstung 2.800 Euro und die Umrüstung eines solchen Fahrzeugs als Taxi 1.835,08 Euro.
Der Kläger, der sein Taxiunternehmen zwischenzeitlich aufgegeben und das beschädigte Fahrzeug verkauft hat, verlangt von den Beklagten die fiktiven Ersatzbeschaffungskosten von 4.635,08 Euro. Noch streitig waren allein die fiktiven Umrüstungskosten i.H.v. 1.835,08 Euro.
Das Amtsgericht hatte die Klage hinsichtlich der Umrüstungskosten abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung vor dem Landgericht war im Wesentlichen erfolglos geblieben: Die Erstattung zusätzlicher Umrüstungskosten würde bei einer fiktiven Schadensberechnung dazu führen, dass in Fällen eines wirtschaftlichen Totalschadens über den Umweg des § 251 Abs. 2 BGB fiktiv Reparaturkosten von mehr als 130% des Wiederbeschaffungswerts abgerechnet werden könnten. Die Ausstattung des klägerischen Fahrzeugs als Taxi sei daher nur dann und insoweit zu berücksichtigen, als durch diese der Wiederbeschaffungswert an sich erhöht werde. Dies sei im Streitfall in Anbetracht des Alters und der Laufzeit des Fahrzeugs jedoch nicht gegeben. Die Umrüstungskosten seien daher nach allgemeiner Lebenserfahrung als abgeschrieben anzusehen und demzufolge nicht zu ersetzen.
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte Erfolg. Der BGH hob das berufungsgerichtliche Urteil hinsichtlich der Umrüstungskosten auf und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht:
Zutreffend sei zwar, dass der Ersatzanspruch des Klägers bei fiktiver Ersatzbeschaffung auf die Wiederbeschaffungskosten beschränkt sei. Das Berufungsgericht habe dem Begriff des Wiederbeschaffungswerts jedoch eine falsche Bedeutung beigemessen.
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Geschädigte nach einem Sachschaden dazu berechtigt, vom Schädiger den zur Wiederherstellung des früheren Zustands erforderlichen Betrag zu verlangen. Der Schädiger kann dies nur ablehnen und den Geschädigten auf eine Geldentschädigung für den erlittenen Wertverlust verweisen, wenn eine Wiederherstellung nicht möglich oder zur Entschädigung nicht genügend ist oder wenn damit ein unverhältnismäßiger Aufwand verbunden wäre (§ 251 BGB). Sofern eine Naturalrestitution ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich sei, habe diese also Vorrang vor dem Wertausgleich.
Bei einem Schaden an einem Kfz könne die Naturalrestitution (Wiederherstellung des vorherigen Zustands) auf zwei Wegen erfolgen: Der Geschädigte könne entweder die Kosten für die Reparatur oder die Kosten für die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs verlangen. Dabei sei der Geschädigte in der Verwendung der Mittel, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich verlangen könne, frei. Er sei weder zur tatsächlichen Vornahme der Reparatur noch zur tatsächlichen Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs verpflichtet.
Entscheidet sich der Geschädigte wie hier zur Abrechnung auf Gutachtenbasis in Höhe der Kosten einer fiktiven Ersatzbeschaffung, bemesse sich sein Anspruch auf die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert des Unfallwagens in unbeschädigtem Zustand und dem Restwert des beschädigten Fahrzeugs. Dieser Wiederbeschaffungswert sei auf der Grundlage des Preises zu ermitteln, den der Geschädigte einem seriösen Händler für ein dem Unfallfahrzeug entsprechendes Fahrzeug zahlen müsste. Entscheidend sei dabei allein die wirtschaftliche Gleichwertigkeit unter objektiven Gesichtspunkten. Auf bestimmte Ausstattungsmerkmale und Sonderfunktionen komme es daher nur an, soweit sie sich objektiv werterhöhend auswirken. Andererseits setze eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit voraus, dass „das Ersatzfahrzeug das beschädigte Fahrzeug in seiner konkreten, ihm vom Geschädigten in objektiv nachvollziehbarer Weise zugedachten und wirtschaftlich relevanten Funktion ersetzen“ könne. Maßgeblich sei daher anders als bei einem bloßen Wertausgleich nach § 251 BGB weder der Abschreibungswert noch der Preis, den der Geschädigte beim Verkauf des Unfallfahrzeugs in unbeschädigtem Zustand erzielt hätte, sondern der unter Umständen höhere Wert, den der Geschädigte beim Kauf eines gleichwertigen Fahrzeugs aufwenden müsste.
Somit wären die auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu zahlenden Mehrkosten für die Taxiausrüstung vom Wiederbeschaffungswert umfasst und folglich ersatzfähig. Nichts anderes könne gelten, wenn es wie hier an einem Markt für die Beschaffung gleichwertiger Fahrzeuge fehle. Daher seien die Umrüstungskosten als zusätzliche Rechnungsposten bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts zu berücksichtigen. Anders als bei der Umrüstung eines Oldtimer-Unikats (BGH, Urt. v. 02.03.2010 – VI ZR 144/09 – VersR 2010, 785) handele es sich nicht um Ausstattungsmerkmale ohne objektivierbaren wirtschaftlichen Wert, sondern um den Einbau von durch Rechtsverordnung (BOKraft) vorgeschriebenen besonderen Ausrüstungs- und Beschaffenheitselementen. Die Umrüstung sei daher für eine Naturalrestitution zwingend, die entsprechenden Kosten demnach ersatzfähig.
Da das Berufungsgericht weder zur Erforderlichkeit der geltend gemachten Umrüstungskosten, noch zur etwaigen Notwendigkeit eines Vorteilsausgleichs unter dem Gesichtspunkt „neu für alt“, noch zur Zumutbarkeit der Umrüstungskosten im Rahmen der Zumutbarkeitsschranke des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB Feststellungen getroffen hatte, verwies der BGH die Sache zurück an das Berufungsgericht. Dabei hat der BGH vorsorglich darauf hingewiesen, dass der Einwand der Beklagten, wegen der Aufgabe seines Taxiunternehmens habe der Kläger kein schützenswertes Interesse mehr an einer Umrüstung, irrelevant sei, da der Wille des Geschädigten zur tatsächlichen Wiederherstellung bei der fiktiven Schadensberechnung nicht Voraussetzung für den Anspruch auf Zahlung des hierzu erforderlichen Geldbetrags sei. Vielmehr gehe es den Schädiger „nichts an“, wie der Geschädigte tatsächlich mit der Entschädigung verfahre.
C. Kontext der Entscheidung
Das Urteil bestätigt in vollem Umfang die bisherige Rechtsprechung zur Schadensbemessung bei beschädigten Kfz (BGH, Urt. v. 15.10.1991 – VI ZR 314/90 – BGHZ 115, 364; BGH, Urt. v. 15.02.2005 – VI ZR 70/04 – BGHZ 162, 161 f.; BGH, Urt. v. 06.03.2007 – VI ZR 120/06 – BGHZ 171, 287; BGH, Urt. v. 09.06.2009 – VI ZR 110/08 – BGHZ 181, 242). Zugleich werden einige noch offene Fragen zur Berücksichtigungsfähigkeit von Sonderausstattungen eines beschädigten Fahrzeugs bei der Schadensermittlung geklärt, wenn ein Gebrauchtwagenmarkt für vergleichbare Fahrzeuge fehlt (insoweit in Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 02.03.2010 – VI ZR 144/09 – VersR 2010, 785 „Oldtimer-Unikat“). Dabei wird zutreffend bejaht, dass bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts eines beschädigten Fahrzeugs objektiv werterhöhende Sonderausstattungen zu berücksichtigen sind, unabhängig davon, ob diese bei einem Verkauf des Fahrzeugs vor dem Unfall zu einer Steigerung des Verkaufspreises geführt hätten.
D. Auswirkungen für die Praxis
Wird ein Fahrzeug beschädigt, das so speziell beschaffen oder ausgestattet ist, dass es an einem Markt für vergleichbare Fahrzeuge fehlt, stellt sich die Frage, wie der (fiktive) Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs im Rahmen der Naturalrestitution zu ermitteln ist. Die Entscheidung des BGH zeigt einmal mehr, dass es Fälle geben kann, bei denen der im BGB festgelegte Vorrang der Naturalrestitution dazu führen kann, dass die Entschädigung höher ausfällt als bei einer bloßen Geldentschädigung für den Wertverlust. Praktisch dürfte dies vor allem bei gewerblich genutzten Fahrzeugen hohen Alters oder mit sehr ungewöhnlicher Spezialausstattung relevant werden. Dort kann der Unterschied im Einzelfall allerdings erheblich sein. Allzu große Mehrkosten werden aber durch die Schranke des unverhältnismäßigen Aufwands in § 251 BGB vermieden, die dem Schädiger die Möglichkeit gibt, statt der Kosten für eine Naturalrestitution nur eine Geldentschädigung zu leisten.