Nachfolgend ein Beitrag vom 7.4.2016 von Mummenhoff, jurisPR-MietR 7/2016 Anm. 2

Orientierungssatz

Nach der Orientierungshilfe des Berliner Mietspiegels 2013 entfällt das wohnwertmindernde Merkmal des nicht vorhandenen Balkons, wenn ein solcher aus baulichen und/oder rechtlichen Gründen nicht möglich oder nicht zulässig ist.

A. Problemstellung

Das LG Berlin als Berufungsinstanz hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob das Mieterhöhungsverlangen der Klägerin begründet ist und ob ein von den Beklagten eingereichter Schriftsatz mit Sachvortrag in zweiter Instanz zu berücksichtigen war.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin (Vermieterin einer Wohnung) begehrt von den Beklagten (Mieter) die Zustimmung zu einer Mieterhöhung. Nachdem sie sich erstinstanzlich nicht durchsetzen konnte, legte die Klägerin Berufung beim LG Berlin ein.
Mit dem Berufungsurteil konnte die Klägerin ihren Anspruch auf Zustimmung zur Mieterhöhung vollumfänglich durchsetzen.
Nach Auffassung des LG Berlin übersteigt der geforderte Mietzins weder die ortsübliche Vergleichsmiete des Berliner Mietspiegels von 2013 noch sei das wohnwertmindernde Merkmal „kleines Bad (kleiner als 4 m²)“ zu berücksichtigen. Zu Recht sei das AG Tempelhof-Kreuzberg davon ausgegangen, die Beklagten sei als darlegungs- und beweispflichtige Partei dem Sachvortrag der Klägerin (Bad ist größer als 4 m²) nicht innerhalb der gesetzten Frist entgegengetreten. Denn entgegen der vom Amtsgericht gewährten Frist zur Stellungnahme zum 23.03.2015 ging der Schriftsatz der Beklagten datiert vom 01.04.2015 erst am 09.04.2015 beim AG Tempelhof-Kreuzberg ein; der Sachvortrag aus diesem Schriftsatz musste daher unberücksichtigt bleiben. Dies gelte auch in zweiter Instanz, da die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht gegeben seien.
Der Einwand der Beklagten in der Berufungserwiderung, der gegnerische (erstinstanzliche) Schriftsatz sei ihnen nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, wurde vom LG Berlin unter Beachtung des § 177 ZPO zurückgewiesen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls des AG Tempelhof-Kreuzberg war den Beklagten dieser Schriftsatz im Termin zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß überreicht worden. Soweit die Beklagten in der Berufungserwiderung weiter behaupteten, das Sitzungsprotokoll nicht erhalten zu haben, sei festzustellen, dass dies aufgrund der direkten Inbezugnahme der Beklagten auf den Inhalt des Protokolls in einem ihrer späteren Schiftsätze offenkundig unzutreffend sein müsse. Ungeachtet dessen, habe der Lauf der Frist bereits mit Verkündung der Entscheidung am Schluss der Sitzung begonnen. Insgesamt müsse daher der Sachvortrag der Beklagten zum Mindermerkmal „Kleines Bad“ wegen Verspätung unbeachtet bleiben.
Zudem sei unter Zugrundelegung der Orientierungshilfe des Berliner Mietspiegels von 2013 darauf abzustellen, dass das Mindermerkmal „nicht vorhandener Balkon“ nicht einschlägig sei. Denn nach der vorhandenen Orientierungshilfe des qualifizierten Mietspiegels sei ein nicht existenter Balkon, sofern er aus rechtlichen und/oder baulichen Umständen nicht möglich sei, nicht als wohnwertminderndes Merkmal anzusehen. Im streitgegenständlichen Fall fehle es für einen im Hofbereich gelegenen Balkon an der erforderlichen Zustimmung des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg; eine Errichtung sei aus rechtlichen Gründen unmöglich. Ferner sei das Anbringen eines Balkons im Lichthofbereich aus den konkreten baulichen Gegebenheiten der Wohnanlage nicht umsetzbar, sodass auch das Fehlen eines Balkons nicht als wohnwertminderndes Merkmal einzuordnen sei. Nach Ansicht des LG Berlin könnte eine solche Anbringung vielmehr zu einer Mietminderung berechtigen, da mit dem Ausbau erhebliche Nachteile, etwa eine weitere Verschattung des bereits dunklen Lichthofes oder eine starke Einsehbarkeit in die jeweils anderen Balkone und Wohnungen, einhergehen würde.

C. Kontext der Entscheidung

Sowohl das AG Tempelhof-Kreuzberg, als auch das LG Berlin haben konsequent die Fristenregelungen im Hinblick auf das Vorbringen einer Partei angewendet und den verspätet eingegangenen Schriftsatz der Beklagten unberücksichtigt gelassen. Dabei stellte das LG Berlin im Einklang mit der Rechtsprechung des KG Berlin ausdrücklich klar, dass die (Erwiderungs-)Frist bereits mit Verkündung der Entscheidung am Schluss der Sitzung auch für denjenigen Adressaten zu laufen beginnt, der keine Kenntnis von dem verkündeten Beschluss genommen hat (vgl. KG Berlin, Urt. v. 08.01.2004 – 12 U 292/02 Rn. 8).
Insoweit das LG Berlin unter Berücksichtigung der rechtlichen und tatsächlichen Umstände dieses Einzelfalls von seinem richterlichen Ermessen Gebrauch gemacht und bei seiner Entscheidung die Orientierungshilfe zum Berliner Mietspiegel aus 2013 lediglich als Schätzgrundlage zur Einordnung der Wohnung in die im Mietspiegel ausgewiesenen Mietpreisspannen heranzog, steht dies im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach hat der Tatrichter auch weiterhin alle wesentlichen Gesichtspunkte, die Erfahrungssätze und Denkgesetze zu beachten und – um eine etwaig erforderliche Überprüfung gewährleisten zu können – die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung und ihrer Auswertung darzulegen (so BGH, Urt. v. 20.04.2005 – VIII ZR 110/04 Rn. 14, 16; BGH, Urt. v. 26.03.2003 – XII ZR 167/01 Rn. 17).

D. Auswirkungen für die Praxis

Insbesondere den Prozessbevollmächtigten der Parteien wird mit dieser Entscheidung des LG Berlin vor Augen gehalten, dass sie auf einen rechtzeitigen Sachvortrag hinzuarbeiten haben, sprich den jeweiligen Parteien verdeutlicht wird, welche Folgen ein nicht rechtzeitiger Sachvortrag (hier: Grundfläche des streitigen Bades mehr/weniger als 4 m²) für den Ausgang eines Rechtsstreits haben kann.