Nachfolgend ein weiterer Beitrag vom 18.7.2017 von Herberger, jurisPR-FamR 14/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Überlassen Eltern ihrem minderjährigen Kind ein digitales „smartes“ Gerät (z.B. Smartphone) zur dauernden eigenen Nutzung, so stehen sie in der Pflicht, die Nutzung dieses Geräts durch das Kind bis zu dessen Volljährigkeit ordentlich zu begleiten und zu beaufsichtigen.
2. Verfügen die Eltern selbst bislang nicht über hinreichende Kenntnisse von „smarter“ Technik und über die Welt der digitalen Medien, so haben sie sich die erforderlichen Kenntnisse unmittelbar und kontinuierlich anzueignen, um ihre Pflicht zur Begleitung und Aufsicht durchgehend ordentlich erfüllen zu können.
3. Es bestehen keine vernünftigen Gründe, einem Kind ein Smartphone auch noch während der vorgesehenen Schlafenszeit zu überlassen.
4. Zur Notwendigkeit einer Eltern-Kind-Medien-Nutzungsvereinbarung bei erheblichem Fehlverhalten in der Medien-Nutzung durch das Kind als auch durch ein Elternteil sowie aufkommender Medien-Sucht-Gefahr.
5. Wer den Messenger-Dienst „WhatsApp“ nutzt, übermittelt nach den technischen Vorgaben des Dienstes fortlaufend Daten in Klardaten-Form von allen in dem eigenen Smartphone-Adressbuch eingetragenen Kontaktpersonen an das hinter dem Dienst stehende Unternehmen. Wer durch seine Nutzung von „WhatsApp“ diese andauernde Datenweitergabe zulässt, ohne zuvor von seinen Kontaktpersonen aus dem eigenen Telefon-Adressbuch hierfür jeweils eine Erlaubnis eingeholt zu haben, begeht gegenüber diesen Personen eine deliktische Handlung und begibt sich in die Gefahr, von den betroffenen Personen kostenpflichtig abgemahnt zu werden.
6. Nutzen Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren den Messenger-Dienst „WhatsApp“, trifft die Eltern als Sorgeberechtigte die Pflicht, ihr Kind auch im Hinblick auf diese Gefahr bei der Nutzung des Messenger-Dienstes aufzuklären und die erforderlichen Schutzmaßnahmen im Sinne ihres Kindes zu treffen.

A. Problemstellung

Schon im März diesen Jahres hat sich das AG Bad Hersfeld im Beschluss vom 20.03.2017 (F 111/17 EASO – Herberger, jurisPR FamR 14/2017 Anm. 2, in dieser Ausgabe) mit Gefahren beschäftigt, die bei einer WhatsApp-Nutzung durch Minderjährige auftreten können. Die vorliegende Entscheidung knüpft daran an, indem ganze Passagen wörtlich identisch übernommen werden. Dabei werden im vorliegenden Fall Maßnahmen nach § 1666 Abs. 1 BGB nicht nur wegen einer Vermögensgefährdung für das Kind getroffen, sondern auch zum Schutz des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls des Kindes.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der 11 1/4 Jahre alte Sohn der geschiedenen Kindeseltern lebt bei seiner Mutter. Mit seinem Vater pflegt er Umgang an Wochenenden. Der Kindesvater beantragte eine verbindlichere Regelung der Umgangszeiten. Nachdem der Umgang in einem anderen Verfahren mittlerweile verbindlich geregelt wurde, hat das Gericht die in diesem Verfahren thematisierte Handy-Nutzung durch das Kind im hiesigen Verfahren weiter überprüft.
Das AG Bad Hersfeld hat daraufhin Auflagen nach § 1666 Abs. 1 BGB getroffen.
Nach Auffassung des Amtsgerichts besteht aufgrund der mit der WhatsApp-Nutzung verbundenen Abmahngefahr wegen Übermittlung von Adressbuchkontakt-Datensätzen an WhatsApp (§ 1004 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG – Recht auf informationelle Selbstbestimmung) eine Gefahr für das Vermögen des Kindes. Deshalb wurde die Kindesmutter verpflichtet,
– von allen Personen, die im Adressbuch des Handys ihres Sohnes verzeichnet sind, eine schriftliche Zustimmungserklärung mit der Speicherung einzuholen. Dabei muss sich die Zustimmung auch auf die konkrete Form der Speicherung beziehen (Vor- und/oder Nachname, Pseudonym,…),
– die Einholung der Zustimmungserklärungen dem Gericht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses nachzuweisen,
– mindestens einmal monatlich Gespräche mit ihrem Sohn über die Handy-Nutzung zu führen, insbesondere über die gespeicherten Kontakte und dabei das Adressbuch selbst in Augenschein zu nehmen,
– sich auf der Internetplattform „Klicksafe“ über die digitale Mediennutzung weiterzubilden,
– dem Gericht zu näher genannten Daten schriftlich mitzuteilen, welcher neuere Stand sich in Bezug auf die Gespräche mit ihrem Sohn ergeben hat,
– WhatsApp von dem Handy ihres Sohnes zu löschen, wenn sie zu bestimmten Stichtagen nicht hinsichtlich aller im Adressbuch verzeichneten Kontakte eine schriftliche Zustimmungserklärung zur Speicherung nachweisen kann.
Insofern sind die Auflagen identisch mit denen, die das Amtsgericht bereits im März 2017 in einem anderen Fall getroffen hat (AG Bad Hersfeld, Beschl. v. 20.03.2017 – F 111/17 EASO).
Im vorliegenden Fall hat das AG Bad Hersfeld ergänzend angeführt, dass es für Kindeseltern als tunlich erscheine, ein ihrem Kind überlassenes Handy regelmäßig auf die dortigen Inhalte und Anwendungen zu überprüfen. Dies könne nicht mit der Begründung als unangemessen eingestuft werden, dass Smartphones heutzutage quasi ein „elektronisches Tagebuch“ darstellen würden, sodass eine Kontrolle und Durchsicht durch die Eltern wegen des Grundrechtsschutzes des Kindes unterbleiben sollte. Anders als ein offline geführtes Tagebuch würden Bilder und Notizen sowieso laufend und vornehmlich online geführt und dabei an Dritte weitergeleitet, sodass kein vernünftiger Grund ersichtlich sei, den Eltern den Einblick zu verweigern. Zudem hat das Amtsgericht Gefahren für das geistige und seelische Wohl des Kindes gesehen.
Die Kindesmutter habe die Nutzung des Handys durch ihren Sohn bisher nicht einmal klar, vernünftig und verbindlich geregelt. Hinzu komme, dass sie selbst gerne ihr Handy nutzt und insofern ihrem Sohn nicht die Aufmerksamkeit in der realen Welt zukommen lassen kann, die der jeweiligen Situation geschuldet wäre (z.B. Spielen eines Gesellschaftsspiels). Deshalb hat das Amtsgericht die Kindesmutter verpflichtet, mit ihrem Sohn eine schriftliche Mediennutzungsvereinbarung zu schließen und diese dem Gericht binnen einen Monats ab Zustellung dieses Beschlusses in Kopie zukommen zu lassen.
Eine Gefahr für das körperliche, geistige und seelische Wohl des Kindes ergebe sich weiterhin daraus, dass die Kindesmutter ihrem Sohn das Smartphone auch über Nacht zur Verfügung stelle, sodass dieser es auch noch nachts und frühmorgens nach Belieben nutzen könne. Dass sich das Kind teilweise den Wecker stelle, um das Handy schon ab 04.30 Uhr bedienen zu können, stelle ein anfängliches Indiz für ein sich anbahnendes Suchtverhalten dar. Da kein vernünftiger Grund ersichtlich sei, weshalb ein Kind sein Smartphone über Nacht griffbereit habe, hat das Amtsgericht als weitere Maßnahme die Anordnung getroffen, dass das Smartphone während der Abend- und Nachtzeit aus dem Schlafbereich des Kindes strikt fernzuhalten sei. Die Mutter solle ihrem Sohn stattdessen einen nicht online vernetzten Wecker zur Verfügung stellen.

C. Kontext der Entscheidung

In einer ersten Entscheidung hatte das AG Bad Hersfeld mit Beschluss vom 22.07.2016 (F 361/16 EASO) im Rahmen von § 1666 Abs. 1 BGB auf das seelische Wohl der Kinder abgestellt und Maßnahmen getroffen, die verhindern sollten, dass die Kinder Opfer von sog. „Sex-Texting“ (abgekürzt „Sexting“) würden.
In der Entscheidung vom März 2017 hat sich das AG Bad Hersfeld auf die mit der WhatsApp-Nutzung verbundene Vermögensgefahr fokussiert. Ergänzend dazu hat das AG Bad Hersfeld in der hier besprochenen Entscheidung aufgezeigt, dass mit der WhatsApp-Nutzung – unabhängig von dem Spezialfall des Sexting – generell Gefahren für das körperliche, geistige und seelische Wohl von Kindern verbunden sein können.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Beschluss des AG Bad Hersfeld zeigt, dass umfassende IT-Kenntnisse erforderlich sind, um das Phänomen „WhatsApp“ rechtlich einzuordnen. Damit Anwälte in einer vergleichbaren Tiefe wie das Amtsgericht argumentieren können, müssen sie sich die notwendigen IT-Kenntnisse aneignen. Dann können sie beispielsweise bei der Frage intervenieren, ob eine Beschränkung von WhatsApp durch ein Zusatzprogramm in den technischen Rechten nach den Nutzungsbedingungen der App überhaupt rechtlich zulässig ist und somit als taugliche Maßnahme angeordnet werden kann.
Zudem sollten Anwälte in dem Sinne auf ihre Mandanten einwirken, dass sie sich eigenverantwortlich im digitalen Bereich weiterbilden, damit sie gerichtliche Auflagen in diesem Bereich vermeiden können. Ggf. sollten die Anwälte Informationen zum Kenntnisstand ihrer Mandanten vortragen und diese auf entsprechende Gespräche im Rahmen des Verfahrens vorbereiten.
Insgesamt sei der Praxis geraten, die Entscheidung nicht ohne Einschränkungen als eine Art Präjudiz hinzunehmen, sondern als Anlass zu sehen, die angesprochenen rechtlichen Fragen zu diskutieren. So könnte beispielsweise im Einzelfall eine konkludente Einwilligung der im Adressbuch Eingetragenen zur Datenweitergabe an WhatsApp vorliegen. Auch ist im Einzelfall festzustellen, ob das Kind in Bezug auf die Datenweitergabe an WhatsApp schuldhaft gehandelt hat.