Nachfolgend ein Beitrag vom 7.11.2018 von Kratz, jurisPR-StrafR 22/2018 Anm. 5

Leitsatz

Zur Verwerflichkeit des Erzwingens des Vorrechts auf einen Parkplatz gemäß § 12 Abs. 5 StVO.

A. Problemstellung

Das Urteil beschäftigt sich mit dem Massenphänomen bei der konkurrierenden Parkplatzsuche. Gerade in dicht besiedelten Innenstädten kennen Kraftfahrzeugnutzer derartige Situationen zu genüge. Umso mehr verwundert es, dass auch im ländlich geprägten Gerichtsbezirk des AG Villingen-Schwenningen ein derartiger Konflikt entstand, der im vorliegenden Urteil behandelt wurde.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Angeklagte fuhr mit seinem Pkw auf einen Parkplatz. Er beabsichtigte eine Parklücke zu beanspruchen, vor der sich die Geschädigte befand. Diese war im Begriff ihr eigenes Fahrzeug, das gerade von ihrem Sohn gelenkt wurde, in die Parklücke einzuweisen. Hierbei hatte sie dem Fahrzeug des Angeklagten den Rücken zugedreht. Der Sohn, der für das Wendemanöver in den schräg gegenüberliegenden Behindertenparkplatz eingefahren war, wollte zurücksetzen, stoppte allerdings, nachdem er in der Rückfahrkamera das Fahrzeug des Angeklagten herannahen sah.
Der Angeklagte, der die – einzige noch übrige – Parklücke für sich beanspruchte, fuhr langsam auf die Geschädigte zu und gestikulierte mit den Händen. Die Geschädigte drehte sich um, und bedeutete dem Angeklagten mit abwehrender Geste und Worten, dass ihr Sohn den Parkplatz benutzen wolle. Der Angeklagte forderte mit Gesten und Rufen im Auto, den Parkplatz zu räumen. Hierauf drehte sich die Geschädigte um, zeigte dem Angeklagten erneut den Rücken und winkte ihrem Sohn. Letzteres war wiederum für den Angeklagten nicht zu erkennen. Der Angeklagte fuhr sodann langsam auf die Geschädigte zu, um sie mit der Fahrzeugfront aus der Parklücke zu drängen, wobei er vorhatte, in einem Abstand von höchstens fünf Zentimeter seitlich an die Geschädigte heranzufahren. Eine Berührung der Geschädigten wollte der Angeklagte nicht herbeiführen, nahm aber billigend in Kauf, dass die Größe und Kraft des Fahrzeugs die Geschädigte dazu bewegen würde, beiseite zu treten. Gleichwohl kam es dazu, dass das Fahrzeug des Angeklagten die Geschädigte, welche am Tattag eine dicke Daunenjacke trug, leicht an der Hüfte touchierte. Eine körperliche Verletzungserscheinung blieb bei der Geschädigten aus.
Der Angeklagte ging davon aus, bevorrechtigt zu sein, den Parkplatz zu beanspruchen. Weiterhin nahm er an, es sei ihm gestattet, dies wenn nötig durch sein Fahrzeug zu erzwingen. Es wäre nach den Feststellungen des Amtsgericht möglich gewesen, hierzu rechtlichen Rat einzuholen.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1, Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt und außerdem als Nebenstrafe ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.
Den Schwerpunkt der Entscheidung stellte die Begründung der Rechtswidrigkeit der Nötigung dar. Dabei ist im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB die sogenannte Verwerflichkeitsprüfung vorzunehmen, bei der im Rahmen einer Zweck-Mittel-Relation eine Gesamtwürdigung der Umstände des Falles erfolgt. Hierzu schickt das Gericht voraus, je billigenswerter der verfolgte Zweck, umso eher ist die Anwendung von Zwang zu seiner Durchsetzung tolerierbar, je minderwertiger oder sinnloser der Zweck, umso eher ist bei der Anwendung von Zwang zu seiner Durchsetzung die Schwelle zur Verwerflichkeit überschritten. Im hiesigen Fall bewertete das AG Villingen-Schwenningen sowohl den Zweck der vorliegenden Handlung als auch das Mittel als verwerflich.
Mit Blick auf den verfolgten Zweck der Handlung, das Einfahren auf die vermeintlich freie Parklücke, führt das Amtsgericht aus, es sei zwar zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er der Auffassung war, gemäß § 12 Abs. 5 StVO bevorrechtigt in den Parkplatz einfahren zu dürfen. Allerdings gelte auch dann, dass das Nötigungsziel durch die Rechtsordnung missbilligt werde. Dies entnimmt das Amtsgericht der Wertung des § 1 Abs. 2 StVO. Der Grundsatz der allgemeinen Rücksichtnahme erfordert, dass jeder so am Verkehr teilzunehmen habe, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Auch der vorschriftsmäßig Fahrende sei zur Unfallverhütung verpflichtet und dürfe nicht auf sein Recht pochen, sondern müsse seinerseits das möglichste tun, um Gefahren abzuwenden. Dies habe der Angeklagte gerade nicht getan, sondern die Geschädigte den Gesundheitsgefahren ausgesetzt, die mit einer Kollision mit einem Fahrzeug verbunden sind.
Weiter urteilte das Amtsgericht auch, das Nötigungsmittel sei verwerflich, denn der Angeklagte wandte Gewalt an. An dieser Stelle wird eine Notwehrsituation erörtert. Es könne aber dahinstehen, ob aus § 12 Abs. 5 StVO ein notwehrfähiges Recht abgeleitet werde, denn der Angeklagte wäre auch dann nicht gerechtfertigt, weil nach Einschätzung des Gerichts das Handeln des Angeklagten jedenfalls nicht geboten gewesen wäre. Es bestehe zwischen Art und Umfang der aus dem Angriff drohenden Verletzung und der mit der Verteidigung verbundenen Beeinträchtigung ein grobes Missverhältnis, sodass die Notwehr unzulässig sei. Dabei ergebe sich dies vorliegend aus den mit der Verteidigungshandlung verbundenen Risiken.
Abschließend wertet das Gericht die Tat auch als schuldhaft. Zwar habe der Angeklagte einem Subsumtionsirrtum unterlegen, also einem Verbotsirrtum i.S.d. § 17 Satz 1 StGB, denn er habe die Tat für nicht verwerflich gehalten. Dieser Irrtum sei allerdings vermeidbar gewesen, denn er hätte rechtlichen Rat einholen müssen. Ihm sei zumutbar gewesen, alle seine Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen einzusetzen, um das Unrecht des Handelns zu ergründen.

C. Kontext der Entscheidung

Das Anfahren eines Fußgängers, der die Parklücke für einen anderen freihalten will, ist in der Rechtsprechung vielfach behandelt worden, sodass sich die Vielgestaltigkeit der Fälle kaum überblicken lässt. Bezweifelt werden muss an der Entscheidung des AG Villingen-Schwenningen die Annahme der Verwerflichkeit insoweit, als dass sowohl der Zweck als auch das Mittel bei isolierter Betrachtung für verwerflich erachtet wurden.
Es ist zunächst fraglich, ob allein der verfolgte Zweck, die Parklücke besetzen zu wollen, verwerflich erscheint. Dies hat das Gericht bejaht. Dass man die Verwerflichkeit dieses Zwecks bei losgelöster Bewertung auch anders hätte beurteilen können, ist offensichtlich. Geht der Kraftfahrzeugfahrer davon aus, die Parklücke als erster erreicht zu haben und damit bevorrechtigt zu sein, ist es nicht prinzipiell als verwerflich zu erachten, dieses Recht einzufordern. Dass das Nötigungsziel durch die Rechtsordnung missbilligt werde, kann nicht aus § 1 Abs. 2 StVO gefolgert werden. Die allgemeine Rücksichtnahme im Straßenverkehr gebietet es zwar Gefährdungen zu vermeiden, begründet aber nicht die Verwerflichkeit jedweden Verhaltens, das bezweckt, einen Parkplatz für sich zu beanspruchen. Sonst müsste man es konsequenterweise auch dann als verwerflich ansehen, wenn der Kraftfahrer nur verbal dazu aufgefordert hätte, den Parkplatz freizugeben. Das Urteil ist in diesem Punkt nicht ganz eindeutig, denn die Ausführungen deuten in der Folge eher dahin, dass sich die Verwerflichkeit jedenfalls aus der Zweck-Mittel-Relation ergibt.
Schließlich ist auch die Beurteilung der Verwerflichkeit des Nötigungsmittels angreifbar. Das Gericht nimmt an, die Nötigungshandlung sei bereits derart gefährlich, dass aufgrund der mit der Handlung verbundenen Gefahren die Gebotenheit der Handlung ausgeschlossen sei. Auch diese Annahme erscheint nicht zwingend, denn es ist immerhin denkbar, dass das Anfahren mit dem Kraftfahrzeug derart behutsam erfolgt, dass eine Gefährdung auszuschließen ist. Auch die Feststellungen des vorliegenden Falles ließen sich mit einer derartigen Annahme in Einklang bringen, denn immerhin trug die Geschädigte eine dicke Daunenjacke und wurde lediglich leicht touchiert. Die Darlegungen einer gefährlichen Verhaltensweise genügen daher im vorliegenden Fall insoweit nicht, als dass Angaben zur Geschwindigkeit und der Vehemenz des Vorgehens des Angeklagten fehlen. Der Einsatz des Kraftfahrzeuges als Mittel ist aber nur dann verwerflich, wenn die Gefährlichkeit des Vorgehens hinreichend durch konkrete Anhaltspunkte belegt ist. Diese Einschränkung wird in der amtsgerichtlichen Entscheidung selbst durch Zitierung des OLG Naumburg (Beschl. v. 26.05.1997 – 2 Ss 54/97) erwähnt. Auch weitere Gerichte haben hierzu bereits ausgeführt, dass in derartigen Fällen, wenn das Hineinfahren in die Parklücke in maßvoller Weise geschieht und die dort stehende Person keiner erheblichen Gefährdung ausgesetzt wird, die Verwerflichkeit nicht bestehe.
Die Bejahung der Verwerflichkeit kann bei einer intensiveren Gesamtwürdigung der Umstände zumindest aus der Verknüpfung eines potentiell gefährlichen Werkzeuges als Nötigungsmittel zum Zwecke der Durchsetzung einer vermeintlichen Bevorrechtigung im Straßenverkehr angenommen werden. Dass der Kraftfahrzeugfahrer sein Fahrzeug vorliegend nicht in dieser Weise einsetzen durfte, erscheint bei wertender Betrachtung überzeugend. Das Anfahren mit einem Fahrzeug als grob unverhältnismäßig zu dem Zwecke der Durchsetzung eines angeblichen Anspruches auf einen Parkplatz zu werten, überzeugt. Schlüssig ist auch die Bezugnahme auf die Rücksichtnahmepflicht aus § 1 Abs. 2 StVO. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die Geschädigte ebenfalls eine derartige Rücksichtnahmepflicht trifft. Gleichwohl kann aus der Systematik der StVO abgeleitet werden, dass den Kraftfahrer gegenüber dem Fußgänger eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft, was normativ auch durch § 2 Abs. 5 Satz 4 StVO belegt wird. Die Verwerflichkeit kann daher mit guten Gründen aus der Abwägung von Zweck und Mittel und nicht bereits bei singulärer Betrachtung abgeleitet werden.
Das Amtsgericht stuft den Irrtum des Angeklagten zutreffend als Verbotsirrtum ein. Nicht einschlägig ist ein Erlaubnistatbestandsirrtum, denn auch wenn der Angeklagte über Tatsachen irrte, begründen diese vorliegend kein Notwehrrecht, denn auch bei zutreffender Vorstellung des Angeklagten, er habe die Parklücke als erster erreicht, wäre die Gebotenheit der Notwehrhandlung zu verneinen.

D. Auswirkungen für die Praxis

In der Gesamtschau der zahlreichen Entscheidungen zu Fällen der Nötigung im Zusammenhang mit Parkplätzen neigen die Gerichte dazu, den Einsatz eines Kraftfahrzeuges im Verhältnis zur Beanspruchung des begehrten Parkplatzes als verwerflich zu erachten. Eine Verteidigungsstrategie kann darauf aufbauen, dass das Anfahren mittels eines motorisierten Fahrzeuges derart geringfügig war, dass eine Gefährdung auszuschließen war. Und selbst dann, spricht vieles dafür, bei Abwägung der Gesamtumstände eine Verwerflichkeit jedenfalls wegen der Zweck-Mittel-Verknüpfung anzunehmen. Dies wird jedoch in der Rechtsprechung mitunter unterschiedlich bewertet. Bei der Abwägung der Gesamtumstände kann für den Kraftfahrer angeführt werden, dass derjenige, der den Parkplatz freihält, regelmäßig ebenfalls eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 2 StVO begeht.
Das Urteil stellt ferner einen praktischen Anwendungsfall des seit etwa einem Jahr neu geregelten Fahrverbots dar, denn es kann seither auch bei Nichtverkehrsdelikten verhängt werden. Es belegt, dass von dieser Möglichkeit offenbar in der Praxis vermehrt Gebrauch gemacht wird. Auch dies sollte der Verteidiger im Blick behalten und dabei bedenken, welche individuell in der Person des Angeklagten bestehenden Gründe gegen die Verhängung eines Fahrverbots sprechen. Dabei ist auch anlässlich des hiesigen Falles zu bemerken, dass die ländliche Bevölkerung durch eine derartige Strafe ungleich härter getroffen wird, als dies bei Bewohnern einer Stadt der Fall wäre.

Erzwingung eines Parkplatzes durch Anfahren ist verwerfliche Nötigung
Andrea KahleRechtsanwältin

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