Orientierungssätze
1. Die Unwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung zugunsten des Ehepartners aufgrund des § 2077 Abs. 1 BGB wegen Auflösung der Ehe vor dem Tod des Erblassers stellt einen Wegfall des zunächst bedachten Erben i.S.d. § 2096 BGB dar, so dass der Ersatzerbfall eintritt.
2. Die Einsetzung eines Ersatzerben ist im Verhältnis zur primären Erbeinsetzung eine selbstständige Verfügung i.S.d. § 2085 BGB und bleibt deshalb wirksam, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie ohne die unwirksame Erbeinsetzung nicht erfolgt wäre. Dies kommt auch dann in Betracht, wenn Verwandte des später gemäß § 2077 Abs. 1 BGB weggefallenen Ehepartners als Ersatzerben bestimmt wurden.
A. Problemstellung
- Nach Maßgabe von § 2077 BGB führt die Auflösung einer Ehe, insbesondere durch Scheidung, regelmäßig dazu, dass eine letztwillige Verfügung, durch die der Ehegatte bedacht worden ist, unwirksam wird. Das OLG Hamburg hatte sich vorliegend damit zu befassen, ob und inwieweit eine solche Unwirksamkeit Konsequenzen auch für die Berufung von Ersatzerben hat.
- B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
- Die Erblasserin hatte ein notarielles Testament errichtet, in dem sie ihren Ehemann zu ihrem Alleinerben einsetzte. Für den Fall, dass der Ehemann als Erbe wegfallen sollte, bestimmte sie dessen unehelichen Sohn sowie dessen Neffen zu gleichen Teilen als Ersatzerben. Einige Jahre später wurde die Ehe rechtskräftig geschieden. Das Nachlassgericht hatte den Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zugunsten von Sohn und Neffe (nachfolgend „Bedachte“ genannt) des vormaligen Ehemanns abgelehnt. Der ablehnende Beschluss wurde vorliegend durch das OLG Hamburg aufgehoben. Das Oberlandesgericht stellte zunächst heraus, dass auch die Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung nach § 2077 Abs. 1 BGB einen Wegfall des zunächst bedachten Erben i.S.v. § 2096 BGB darstelle.Nach der Auslegungsregel des § 2085 BGB hat die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem Testament enthaltenen Verfügungen die Unwirksamkeit auch der übrigen Verfügungen nur zur Folge, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde.Dafür, dass die Erblasserin ohne die Einsetzung ihres Ehemanns die beiden Bedachten nicht zu Ersatzerben berufen hätte, lagen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Zwar mag die seinerzeitige Einsetzung der Bedachten durchaus in einem Zusammenhang mit dem Eheverhältnis erfolgt sein. Allerdings könne daraus nicht geschlossen werden, dass die Einsetzung vom Fortbestand der Ehe abhängig sein sollte. Im Übrigen sprächen die weiteren Umstände eher dafür, dass die Ehe eben nicht ausschlaggebend für die Erbeinsetzung der Bedachten gewesen sei. Zum einen hatte die Erblasserin nicht nur den leiblichen Sohn ihres damaligen Ehemanns, sondern auch den Neffen, mithin einen weiter entfernteren Verwandten, eingesetzt. Unstreitig bestand zwischen der Erblasserin und beiden Bedachten jeweils ein sehr gutes Verhältnis. Auch nach der Scheidung wurde der Kontakt aufrechterhalten und es kam seitens der Erblasserin zu nicht unerheblichen lebzeitigen Schenkungen. Damit war die Vermutung des § 2085 BGB jedenfalls nicht widerlegt. Das Gericht ging daher davon aus, dass die Erblasserin von den beiden Bedachten zu je ½ beerbt worden war.
- C. Kontext der Entscheidung
- Jedenfalls bei privatschriftlichen Testamenten wird oftmals die Möglichkeit, dass der eingesetzte Erbe wegfallen könnte, schlichtweg übersehen. Wenn der Erblasser sich insoweit Gedanken macht, dann typischerweise nur in Bezug auf ein etwaiges Vorversterben des prospektiven Erben. Selbstverständlich steht es dem Erblasser frei zu bestimmen, für welche Fälle der Unwirksamkeit der Einsetzung des zunächst Berufenen die Ersatzberufung gelten soll (vgl. Otte in: Staudinger, BGB, 13. Neubearbeitung 2013, § 2096 Rn. 8). So kann die Ersatzerbschaft in der Weise angeordnet werden, dass einzelne Wegfallsgründe das Einrücken des Ersatzerben ausschließen; umgekehrt kann die Ersatzerbschaft aber auch auf den Fall beschränkt sein, dass der zunächst Berufene aus einem ganz bestimmten Grund wegfällt. Ohne nähere Anhaltspunkte für solche Beschränkungen ist die Ersatzerbschaft als allgemein angeordnet zu betrachten, vgl. § 2097 BGB. Dementsprechend ist es nur folgerichtig, dass das OLG Hamburg aufgrund der Scheidung und der Unwirksamkeitsfolge nach § 2077 Abs. 1 BGB grundsätzlich einen „Wegfall“ i.S.v. § 2096 BGB bejaht. Hierfür spricht auch, dass es sich um ein notarielles Testament gehandelt hat, und der beurkundende Notar sich in seinen Belehrungen mutmaßlich nicht lediglich auf das Vorversterben als Wegfallsgrund beschränkt haben wird.
- D. Auswirkungen für die Praxis
- Soweit ersichtlich, handelt es sich um die bislang einzige obergerichtliche Entscheidung zur Frage, ob die Fälle des § 2077 Abs. 1 BGB unter § 2096 BGB fallen. Auch das vorhandene Schrifttum ist insoweit unergiebig. Daher kann die Entscheidung auch für ähnlich liegende Fälle relevant werden. Sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis verdient die Entscheidung Zustimmung. Dass die Berufung eines Ersatzerben im Verhältnis zur Einsetzung des zunächst eingesetzten Erben eine selbstständige Verfügung darstellt, ist weitestgehend unstreitig (vgl. OLG München, Beschl. v. 20.04.2010 – 31 Wx 83/09 – FamRZ 2010, 1846; dazu Adolf-Kapgenoß, jurisPR-FamR 15/2010 Anm. 4; ferner Otte in: Staudinger, § 2096 Rn. 6). Damit greift die Auslegungsregel des § 2085 BGB, wonach die Wirksamkeit der weiteren Verfügung vermutet wird. Soll diese Vermutungswirkung durchbrochen werden, ist zu berücksichtigen, dass die Feststellungslast hierfür bei demjenigen liegt, der sich auf die Unwirksamkeit des gesamten Testaments beruft (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.04.2003 – 3 W 48/03 – NJW-RR 2003, 872; Linnartz in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 2085 Rn. 20). Wer als Erblasser ganz sichergehen möchte, dass keine Zweifel oder sogar Streit bezüglich der Auslegung seines letzten Willens aufkommen, tut daher gut daran, seine Vorstellungen über den Eintritt des Ersatzerbfalls möglichst präzise zu fassen. Dieses Petitum gilt naturgemäß auch und gerade in der rechtlichen Beratung.