Nachfolgend ein Beitrag vom 29.8.2018 von Hiéramente, jurisPR-StrafR 17/2018 Anm. 1
Leitsatz
Rechtsgrundlage für das Versenden sogenannter „stiller SMS“ durch die Ermittlungsbehörden ist § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO.
A. Problemstellung
Technische Ermittlungsmaßnahmen sind in der Strafprozessordung äußerst detailliert geregelt (vgl. die §§ 100a ff. StPO). Hintergrund der gesetzlichen Ausdifferenzierung ist eine von BVerfG und dem Gesetzgeber gewollte Abstufung der verschiedenen Maßnahmen nach der Schwere des Grundrechtseingriffs. Während einige Maßnahmen nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig sein sollen (z.B. Online-Durchsuchung, § 100b StPO, oder akustische Wohnraumüberwachung, § 100c StPO), sind etwa die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) oder die Verkehrsdatenabfrage (§ 100g StPO) aus dem Alltag der Kriminalpolizei kaum mehr wegzudenken und werden regelmäßig eingesetzt. Aufgrund divergierender gesetzlicher Hürden sowie unterschiedlicher begleitender Regelungen (z.B. zur Verwendung und Löschung der Daten) ist eine genaue Bestimmung der korrekten Eingriffsgrundlage unerlässlich. Dies gilt insbesondere für die Verwendung neuer Technologien, die vom Gesetzgeber nicht konkret berücksichtigt worden sind.
Eine dieser technischen Errungenschaften ist die sog. „Stille SMS“. Diese wird an eine Mobilfunknummer gesendet, ohne dass der Empfänger hiervon Kenntnis erlangt. Durch den Empfang der „Stillen SMS“ baut das Mobilfunkgerät eine gewöhnliche Telefonverbindung zur nächsten Funkzelle des Netzbetreibers auf. Dabei entstehen Verkehrsdaten, die erhoben und gespeichert werden. Beim Netzbetreiber kann daher der betreffende Verkehrsdatensatz abgefragt und zur Ortung des Mobilfunkgeräts eingesetzt werden. Vor allem bei der Bestimmung des aktuellen Aufenthaltsortes kann diese Vorgehensweise hilfreich sein. Der Einsatz der „Stillen SMS“ ist vom Gesetzgeber allerdings nicht explizit normiert worden. Dementsprechend wurden in der Literatur unterschiedliche Sichtweisen zur Frage der Zulässigkeit des Einsatzes vertreten (vgl. z.B. Bär in: BeckOK StPO, Stand: 01.06.2018, § 100g StPO, Rn. 24 f.; Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62).
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH hatte sich mit dieser Thematik aufgrund einer Verfahrensrüge des Angeklagten zu befassen. Dieser hatte gerügt, dass es an einer Eingriffsermächtigung fehle. Dem folgt der BGH nicht. Mit § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO liege eine ausreichend klare Rechtsgrundlage für den Einsatz der „Stillen SMS“ vor. Um zu dieser Feststellung zu kommen, setzt sich der BGH ausführlich mit den in der Literatur vertretenen Ansichten auseinander.
Zunächst betont der BGH, dass § 100a StPO jedenfalls nicht als Eingriffsermächtigung in Betracht komme. Zum einen werde mit einer „Stillen SMS“ nicht eine bestehende Kommunikationsverbindung überwacht. Es sei vielmehr so, dass die Verbindung zum Mobilfunkgerät durch die „Stille SMS“ erst begründet werde. Sinn und Zweck der Telekommunikationsüberwachung sei etwas anderes. Durch eine „Stille SMS“ werde der Datenbestand erst erzeugt, was nach zutreffender Ansicht von Eisenberg/Singelnstein (NStZ 2005, 62, 63 u.a.) nicht von der Norm gedeckt sei. Zum anderen fehle es auch an einem menschlich veranlassten Informationsaustausch, der sich auf zu übermittelnde Inhalte beziehe. Auch die Ermittlungsgeneralklauseln der § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO und § 163 Abs. 1 StPO seien keine geeignete Ermächtigungsgrundlage, da die mittels „Stiller SMS“ erfolgte Ortung die Erstellung eines Bewegungsprofils ermögliche und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erheblich berühre.
In der Folge befasst sich der BGH ausführlich mit § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO, der nach seinem Wortlaut grundsätzlich Anwendung finden könne. Allerdings sei die Norm insofern unpassend, da sich das zu ortende Mobilfunkgerät im Zeitpunkt des Einsatzes der „Stillen SMS“ in einer Wohnung befinden könne. Dies sei zwar grundsätzlich im Hinblick auf Art. 13 GG unproblematisch, da nach der Rechtsprechung des BVerfG (Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07) durch Art. 13 GG kein genereller, von den Zugriffsmodalitäten unabhängiger Schutz gegen Eingriffe, deren spezifische Gefährdung durch den raumbezogenen Schutzbereich nicht abgewendet werden kann, bestehe. Dennoch sei es so, dass der § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO den Einsatz technischer Mittel explizit regele, ohne dass der Anwendungsbereich auf die Wohnung begrenzt sei. § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO sei lex specialis.
Die Anwendbarkeit auf die „Stille SMS“ sei auch nicht ausgeschlossen, weil bei der Schaffung der Norm der sog. IMSI-Catcher im Fokus gestanden habe. Die Norm sei aufgrund der Wahl des Terms „technische Mittel“ offen für technologischen Fortschritt. Zudem sei durch die Ausweitung der Norm im Jahr 2007 klargestellt worden, dass der Einsatz auch zur Unterstützung von Observationsmaßnahmen und zur Vorbereitung einer Verkehrsdatenerhebung erfolgen könne. Der BGH verweist hier auf die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5846, S. 56).
Der BGH resümiert, dass § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO eine geeignete Rechtsgrundlage für die „Stille SMS“ sei und die weiteren Daten dann über eine Verkehrsdatenabfrage nach § 100g StPO erhoben werden könnten.
C. Kontext der Entscheidung
Die genaue Bestimmung der Ermächtigungsgrundlage ist gerade im Bereich der technischen Ermittlungsmaßnahmen und den abgestuften Eingriffsvoraussetzungen von großer Bedeutung. In der Sache ist die Wahl des § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO durchaus nachvollziehbar.
Zwar ist es zutreffend, dass der Wortlaut nicht komplett auf den Sachverhalt passt, da der Standort „durch“ die „Stille SMS“ nicht ermittelt wird (vgl. Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, 62, 63 f.). Hinzukommt, dass auch normsystematische Gründe Zweifel an der Anwendbarkeit begründen. So ist § 100i Abs. 2 StPO erkennbar mit Blick auf den „IMSI-Catcher“ formuliert worden, bei dessen Einsatz regelmäßig Daten Dritter erhoben werden, die nach § 100i Abs. 2 Satz 2 StPO daher besonders geschützt werden müssen. Wünschenswert wäre daher eine gesetzliche Klarstellung, die der Eingriffstiefe der Maßnahme Rechnung trägt. Es sprechen allerdings keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Einsatz von „Stillen SMS“. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass insbesondere im Bereich der Organisierten Kriminalität technische Hilfsmittel zur Standortortung eingesetzt werden sollen (vgl. zum Einsatz der „Stillen SMS“ auch Singelnstein, NStZ 2012, 493, 601). Trotz des Fehlens einer passgenauen Normierung verwundert es daher nicht, dass der BGH auch de lege lata eine Anwendbarkeit bejaht.
Der Rückgriff auf § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO ist insoweit begrüßenswert, da die Anwendungsvoraussetzungen der Norm erhöht sind und so einem leichtfertigen Einsatz vorgebeugt werden kann. Insbesondere die Absage an einen Rückgriff auf die Ermittlungsgeneralklausel ist positiv zu sehen. Das Versenden einer „Stillen SMS“ ist ein nicht unbeachtlicher Grundrechtseingriff (vgl. aber Graf in BeckOK-StPO, Stand: 01.06.2018, § 100a, Rn. 233). Auch im Vergleich zu § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO ist die Anwendung des § 100i StPO grundrechtsschonender. So fordert § 100i Abs. 1 StPO im Gegensatz zu § 100h Abs. 1 Satz 2 StPO, dass die zu ermittelnde Straftat „auch im Einzelfall“ erheblich ist. Schließlich ist es richtig, dass der BGH die Anwendbarkeit des § 100a StPO verneint hat und betont, dass als Kommunikation die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger zu verstehen ist und Kommunikationsbeziehungen und -inhalte geschützt werden. So ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten, was genau unter Kommunikation i.S.d. § 100a StPO zu verstehen ist (BVerfG, Beschl. v. 06.07.2016 – 2 BvR 1454/13 mit Anm. Eidam, NJW 2016, 3511 f. und Hiéramente, HRRS 2016, 448). Die vom BGH hervorgehobene Beziehung zu einem individuellen Empfänger ist treffend.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung liefert Rechtsklarheit und Orientierung für die Praxis. Der BGH stellt fest, dass die „Stille SMS“ zum legalen Repertoire der Ermittlungsbehörden gehört und dass die Rechtmäßigkeit am Maßstab des § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO zu messen ist. Die praktische Bedeutung der „Stillen SMS“ wird von den Ermittlungsbehörden stets bejaht. Ist die Mobilnummer eines Beschuldigten bekannt und nutzt dieser das Mobilfunkgerät regelmäßig, so kann zwar auch über eine normale Verkehrsdatenabfrage eine Ortung stattfinden. Hilfreich dürfte die „Stille SMS“ allerdings dann sein, wenn Beschuldigte das Mobilfunkgerät nicht über den klassischen Kommunikationsweg nutzen und der Mobilfunkdiensteanbieter dementsprechend nur über wenige Verkehrsdaten verfügt. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Datenaustausch nicht über die SIM-Karte, sondern wechselnde WLAN-Verbindungen erfolgt (vgl. dazu etwa Hiéramente/Pfister, StV 2017, 477, 477 f.). Hier kann ein Bedürfnis bestehen, eine gewöhnliche Telefonverbindung herzustellen und so die Ortung durchzuführen.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH befasst sich in der Entscheidung mit drei weiteren Verfahrensrügen:
1. In einer der Verfahrensrügen hatte der Beschwerdeführer die Verwertbarkeit von TKÜ-Aufzeichnungen aus einem Parallelverfahren gerügt. Der dortige Erlass der Überwachungsanordnung sei rechtswidrig gewesen. Der BGH konstatiert zunächst, dass der für den Erlass einer TKÜ-Anordnung zuständige Richter einen Beurteilungsspielraum habe. Revisionsgericht und Tatgericht dürften dementsprechend nur eine Kontrolle der Vertretbarkeit der Anordnung vornehmen. Bei einer ausreichenden Begründung durch den die TKÜ anordnenden Richter könne sich das Tatgericht regelmäßig hierauf verlassen. Erst bei unzureichender Begründung oder konkreten Zweifeln habe es die Verdachtslage im Zeitpunkt des Erlasses anhand der Akte zu rekonstruieren. Bei einer Verwertung von Erkenntnissen aus einer TKÜ eines anderen Verfahrens seien dann im Regelfall die Akten beizuziehen. Dies war im konkreten Fall unterblieben. Die Crux: Für eine zulässige Rüge fordert der BGH eine Darlegung, warum sich das Tatgericht zur Beiziehung der Akten hätte veranlasst sehen müssen. So habe der Beschwerdeführer nicht dargelegt, ob aus bereits beigezogenen Aktenteilen und den ergangenen Beschlüssen eine Bewertung der Vertretbarkeit der TKÜ-Anordnung möglich oder eine vollständige Beiziehung der Akten erforderlich sei. Die Rüge einer nicht erfolgten Beiziehung von Akten sei als Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO zu behandeln und erfordere die Darlegung der Umstände.
2. Der BGH befasst sich ferner mit der Zulässigkeit einer vernehmungsergänzenden Verlesung polizeilicher Berichte. Eine solche sei zulässig, wenn damit Lücken in der Zeugenaussage geschlossen werden könnten. § 250 Satz 2 StPO normiere keinen absoluten Vorrang des Personalbeweises.
3. Schließlich befasst sich der BGH mit einer Besetzungsrüge. Diese wird als unzulässig zurückgewiesen, weil der Beschwerdeführer nicht ausreichend zum Geschäftsverteilungsplan vorgetragen habe. Interessanter ist, dass der BGH entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts klargestellt hat, dass im Rahmen der Zulässigkeit ausreichend sei, dass der Beschwerdeführer alle entscheidungserheblichen Verfahrenstatsachen vortrage. Die unterlassene Vorlage des Protokolls des ersten Hauptverhandlungstags zum Beweis der Tatsache, dass die Rüge in der Hauptverhandlung fristgerecht erfolgte, sei im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit unbeachtlich. Dies sei ausschließlich eine Frage des Beweises. Darüber habe das Revisionsgericht zu befinden. Da die Besetzungsrüge aus den zuvor genannten Gründen allerdings unzulässig war, wurde der Rüge in der Sache nicht weiter nachgegangen.
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