Nachfolgend ein Beitrag vom 5.4.2017 von Göhle-Sander, jurisPR-ArbR 14/2017 Anm. 1
Leitsatz
Die Elternzeit endet gemäß § 16 Abs. 4 BEEG spätestens drei Wochen nach dem Tod des Kindes. § 16 Abs. 4 BEEG kann entgegen seines Wortlauts nicht so ausgelegt werden, dass die Elternzeit unmittelbar mit dem Tod des Kindes endet (a.A. Gallner in: ErfKomm, § 16 BEEG Rn 10).
A. Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, wann die mit dem Kündigungsverbot des § 18 BEEG behaftete Elternzeit endet, wenn das in der Elternzeit betreute Kind stirbt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die seit Mai 2013 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin wurde am 14.09.2015 Mutter eines Kindes. Im Anschluss an den gesetzlichen Mutterschutz nahm sie Elternzeit in Anspruch. Ihr Kind verstarb am 22.08.2016. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.08.2016, das der Klägerin am 30.08.2016 zuging, zum 30.09.2016. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin beim ArbG Bonn Klage. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin am 26.10.2016 vorsorglich erneut zum 30.11.2016.
Die Klägerin hält der Kündigung vom 29.08.2016 entgegen, diese sei unwirksam, denn sie habe sich im Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch in Elternzeit befunden. Das Arbeitsverhältnis habe somit erst aufgrund der zweiten Kündigung zum 30.11.2016 geendet. Die Beklagte meint demgegenüber, die Elternzeit habe unmittelbar mit dem Tod des Kindes geendet, so dass schon die erste Kündigung zulässig gewesen sei.
Das ArbG Bonn ist der Ansicht der Klägerin beigetreten. Es folgt – auch wenn der Leitsatz der Entscheidung missverständlich formuliert ist – dem Gesetzeswortlaut des § 16 Abs. 4 BEEG, wonach die Elternzeit spätestens drei Wochen nach dem Tod des Kindes endet. Die Klägerin habe sich damit am 30.08.2016 noch in Elternzeit befunden. Zwar seien die Anspruchsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme von Elternzeit mit dem Tod des Kindes entfallen. § 16 Abs. 4 BEEG beinhalte aber eine Spezialregelung. Dies ergebe sich auch aus der Gesetzeshistorie und der Systematik der in Rede stehenden Regelungen. Das Wort „spätestens“ erkläre sich daraus, dass Sachverhalte denkbar sein, in denen die Elternzeit unabhängig vom Versterben des Kindes vor Ablauf von drei Wochen nach dem Todeszeitpunkt aus anderen Gründen geendet hätte.
C. Kontext der Entscheidung
Während der Elternzeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen (§ 18 Abs. 1 Satz 3 BEEG), es sei denn, die Kündigung wird durch die zuständige Arbeitsschutzbehörde ausnahmsweise für zulässig erklärt (§ 18 Abs. 1 Satz 4, 5 BEEG). Eine verbotswidrig ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 134 BGB nichtig (BAG, Urt. v. 10.05.2016 – 9 AZR 145/15 – NZA 2016, 1137). Der besondere Kündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 Satz 3 BEEG ist an die wirksame Inanspruchnahme der Elternzeit bei Zugang der Kündigungserklärung geknüpft. Das Kündigungsverbot endet mit der Elternzeit, auch bei vorzeitiger Beendigung der Elternzeit (Bader in: KR, 11. Aufl., § 18 BEEG Rn. 56, 57). Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a, 2 BEEG besteht der Anspruch auf Elternzeit (u.a.), wenn Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und sie dieses Kind selbst betreuen und erziehen. Diese Anspruchsvoraussetzungen sind nicht mehr erfüllt, wenn das Kind verstirbt.
Dem ArbG Bonn ist darin beizupflichten, dass für diesen tragischen Fall § 16 Abs. 4 BEEG als spezielle Regelung greift und sich ausnahmsweise die bis dahin zu Recht in Anspruch genommene Elternzeit um – maximal – drei Wochen verlängert (ebenso etwa Bader in: KR, § 18 BEEG Rn. 57; Klose in: AR, 8. Aufl., § 16 BEEG Rn. 9; im Rahmen einer Lohnklage: LArbG Düsseldorf, Urt. v. 19.04.2011 – 16 Sa 1570/10 Rn. 34).
Die Gegenansicht (Gallner in: ErfKomm, 16. Aufl., § 16 BEEG Rn. 10) möchte an dem Gleichklang von Wegfall einer Anspruchsvoraussetzung für die Elternzeit = Ende der Elternzeit festhalten und interpretiert § 16 Abs. 4 BEEG im Sinne einer Suspendierung der mit dem Ende der Elternzeit auflebenden Arbeitspflicht des Arbeitnehmers für die Dauer von höchstens drei Wochen. Der Arbeitnehmer könne, wie sich aus der Zeitbestimmung „spätestens“ ergebe, bereits vor Ablauf der drei Wochen die Wiederaufnahme der Arbeit verlangen. Diesem Verlangen habe der Arbeitgeber nachzukommen. Dem Nachteil der sofortigen Aufhebung des Kündigungsverbots steht bei dieser Ansicht das Recht des Arbeitnehmers gegenüber, während der Drei-Wochen-Frist nach eigenem Vermögen den Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Arbeit zu wählen. Dabei könnte abgesehen von der von dem schweren Schicksalsschlag gekennzeichneten mentalen Verfassung des Arbeitnehmers eine Rolle spielen, dass der Arbeitnehmer auf eine Einkommensquelle angewiesen ist, denn die Zahlung des Elterngeldes entfällt gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 BEEG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 BEEG mit Ablauf des Lebensmonats des Kindes, in dem es verstorben ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.05.2016 – L 17 EG 13/12; a.A. SG Darmstadt, Urt. v. 13.02.2012 – S 6 EG 14/11). Je nach Geburts- und Todeszeitpunkt des Kindes kann damit zwischen dem Ende des Bezuges von Elterngeld und dem Ende der Elternzeit bzw. der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit eine Lücke von bis zu drei Wochen bestehen. Die ursprünglich geltende Regelung zu § 4 Abs. 3 BErzGG, wonach „in den Fällen des § 16 Abs. 4 das Erziehungsgeld bis zur Beendigung des Erziehungsurlaubs weitergewährt wird“, ist mit Wirkung vom 01.01.2004 aufgehoben worden.
Nach dem klaren Wortlaut des § 16 Abs. 4 „endet diese“, nämlich die Elternzeit. Darauf stellt das ArbG Bonn zu Recht ab. Dafür spricht auch der gesetzeshistorische Hintergrund. Der Gesetzgeber hat ersichtlich § 16 Abs. 4 BErzGG bereits seit seiner Ursprungsfassung im Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub vom 06.12.1985 (BGBl I 1985, 2154) als Tatbestand der Verlängerung der Elternzeit für den Fall verstanden, dass das Kind während der Elternzeit verstirbt. Das Erziehungsgeld sollte eben gerade „bis zur Beendigung des Erziehungsurlaubs“ gemäß § 16 Abs. 4 BErzGG weitergezahlt werden. Schon § 16 Abs. 4 BErzGG verhält sich damit über die zeitliche Dauer des Erziehungsurlaubs wie nachfolgend § 16 Abs. 4 BEEG über die Zeitdauer der Elternzeit. Dass sich die Dauer des Erziehungsgeld-/Elterngeldbezuges ab 2004 für den Fall des Todes des Kindes nicht mehr an § 16 Abs. 4 BErzGG/BEEG orientierte, ändert nichts an der Bedeutung der Norm als Bestimmung der Dauer des Erziehungsurlaubs bzw. der Elternzeit für diesen Sachverhalt. Dem entspricht auch der Verweis des ArbG Bonn auf die weitere Entstehungsgeschichte zu § 16 Abs. 4 BEEG. Bereits für den 1979 eingeführten Mutterschaftsurlaub (BGBl I 1979, 797) galt gemäß § 8a Abs. 4 Satz 1 MuSchG a.F.: „Stirbt das Kind während des Mutterschaftsurlaubs, endet dieser abweichend von Abs. 1 drei Wochen nach dem Tod des Kindes, spätestens an dem Tag, an dem das Kind sechs Monate alt geworden wäre.“ Die dieser Regelung entsprechende Festlegung wurde für den Erziehungsurlaub entgegen der ursprünglichen Fassung des Gesetzesentwurfs in § 16 Abs. 4 Satz 1 BErzGG übernommen. In § 16 Abs. 4 BEEG ist diese Regelung ebenfalls aufgenommen, wobei der Halbsatz, wonach die Elternzeit spätestens mit einem bestimmten Höchstalter des Kindes endet, auf das Wort „spätestens“ verknappt ist. Der Sinn bleibt aber erhalten, denn aus dem systematischen Zusammenhang erschließt sich, dass die Elternzeit jedenfalls nicht länger dauern soll, als sie auch ohne den Tod des Kindes gedauert hätte (Klose in: AR, § 16 BEEG Rn. 9).
Da im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 30.08.2016 die Elternzeit der Klägerin noch andauerte, unterlag die Kündigung dem Verbot des § 18 Abs. 1 Satz 3 BEEG. Diese ist somit unwirksam. Sie kann nicht in eine Kündigung nach Ablauf der Elternzeit umgedeutet werden (Gallner in: ErfKomm, § 18 BEEG Rn. 9). Da die Beklagte das Arbeitsverhältnis aber vorsorglich erneut zum 30.11.2016 gekündigt und die Klägerin diese Kündigung nicht angegriffen hatte, endet das Arbeitsverhältnis folglich mit Ablauf des Monats November.
Die Frage, ob die erste Kündigung etwa gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 BGB), hat die Klägerin und mit ihr das Arbeitsgericht nicht aufgeworfen. Das ist angesichts der strengen Anforderungen, die an die Sittenwidrigkeit einer Kündigung gestellt werden, nachvollziehbar. Sie wäre nach der ständigen Rechtsprechung des BAG anzunehmen, wenn sie auf einem verwerflichen Motiv des Kündigenden beruht oder wenn sie aus anderen Gründen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Darlegungs- und beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit der Kündigung ist der Arbeitnehmer (BAG, Urt. v. 16.02.1989 – 2 AZR 347/88 – NZA 1989, 962). Es muss sich um einen besonders krassen Fall handeln, in dem nicht einmal ein „ethisches Minimum“ eingehalten ist (BAG, Urt. v. 21.02.2001 – 2 AZR 15/00 – NZA 2001, 833). Unterhalb der Schwelle der sittenwidrigen Kündigung liegt die gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßende Kündigung, zu der die Kündigung „zur Unzeit“ gehört (Kiel in: ErfKomm, § 13 KSchG Rn. 13, 14). Dabei führt allerdings in der Regel nicht der den Arbeitnehmer besonders belastende Zeitpunkt für sich allein (z.B. Tod des Lebensgefährten: BAG, Urt. v. 05.04.2001 – 2 AZR 185/00 – NZA 2001, 890) zur Unwirksamkeit der Kündigung. Hinzukommen müssen vielmehr weitere Umstände, die die berechtigten Belange des Arbeitnehmers, insbesondere sein Interesse auf Achtung seiner Persönlichkeit, missachten (BAG, Urt. v. 12.12.2013 – 8 AZR 838/12 – NZA 2014, 722). Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber die mit dem Kündigungsverbot des § 18 Abs. 1 BEEG verbundene Elternzeit im Fall des Versterbens des Kindes als um drei Wochen verlängert ansieht, lässt sich zumindest ein Anhaltspunkt für die dem ersten Impuls entsprechende Bewertung der Kündigung als treuwidrig finden.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die besprochene Entscheidung trägt zur Klärung bei, ab welchem Zeitpunkt die Elternzeit und das mit ihr verknüpfte Verbot der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses endet, wenn das betreute Kind in der Elternzeit verstirbt. Ein Arbeitgeber, der ungeachtet der tragischen Situation seines Arbeitnehmers/seiner Arbeitnehmerin eine möglichst schnelle Trennung herbeiführen will, wird jedenfalls das mit § 16 Abs. 4 BEEG hinausgeschobene Ende der Elternzeit beachten müssen.