Nachfolgend ein Beitrag vom 12.5.2017 von Nassall, jurisPR-BGHZivilR 9/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Bei der Besicherung eines Darlehensrückzahlungsanspruchs des Sicherungsnehmers gegen den Aktionär durch die Aktiengesellschaft mit einer dinglichen Sicherheit ist der Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch i.S.d. § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG der Freistellungsanspruch gegen den Aktionär. Dieser ist vollwertig, wenn nach einer vernünftigen kaufmännischen Beurteilung im Zeitpunkt der Besicherung ein Forderungsausfall für den Darlehensrückzahlungsanspruch unwahrscheinlich ist.
2. Eine Besicherung zum Zweck des Erwerbs von Aktien nach § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG setzt einen Zusammenhang der Besicherung mit dem Erwerb voraus. Dieser Zusammenhang besteht, wenn die Leistung der Gesellschaft objektiv dem Aktienerwerb dient, die Parteien des Finanzierungsgeschäfts dies wissen und die Zweckverknüpfung rechtsgeschäftlich zum Inhalt ihrer Vereinbarung machen. Die Unterstützung eines zahlungsschwachen Aktionärs, der ansonsten seine Anteile verkaufen müsste, steht nicht mehr im Zusammenhang mit dem Erwerb der Aktien.

A. Problemstellung

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, unter welchen Umständen die Finanzierung des Aktienerwerbs von Mitarbeitern einer AG durch die AG eine unzulässige Einlagenrückgewähr darstellt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer AG. Der Beklagte war deren Vorstandsmitglied. Unter seiner Leitung bot die AG ihren Mitarbeitern und Handelsvertretern vor ihrem Börsengang die bevorrechtigte Zeichnung von Aktien an. Die Angehörigen dieses Personenkreises hatten indes weder genügend Eigenkapital für den Kauf von Aktien noch konnten sie die für eine Fremdfinanzierung erforderliche bankübliche Sicherheit stellen. Der Aktienerwerb wurde deshalb dadurch ermöglicht, dass eine Bank den jeweiligen Kaufpreis gegen Verpfändung der Aktien finanzierte und der Beklagte zur weiteren Besicherung dieser Darlehen Kontoguthaben einer anderen Gesellschaft verpfändete. Diese Finanzierung war befristet. Nach ihrem Auslauf wollte ein Teil der Kreditnehmer die Aktien behalten und die Finanzierung verlängern. Die Bank verlängerte daraufhin die Darlehensgewährung, nunmehr allerdings gegen vom Beklagten verantwortete Verpfändung von Kontoguthaben der AG. In der Folgezeit kam es zu Kursverlusten der Aktien. Die Bank forderte deshalb die Kreditnehmer zur Darlehensrückzahlung auf und befriedigte sich letztlich i.H.v. 1,4 Mio. Euro aus dem ihr verpfändeten Kontoguthaben der AG.
Der Kläger wirft dem Beklagten vor, er habe gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen, und verlangt von ihm deshalb Erstattung des an die Bank geflossenen Betrages. Das Berufungsgericht hatte die Klage für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Der BGH hat die dagegen gerichtete Revision des Beklagten zurückgewiesen:
In der Besicherung der von den Aktionären verlängerten Darlehen durch die Verpfändung von Kontoguthaben der AG liege eine verbotene Einlagenrückgewähr, weil den Aktionären die erforderliche Bonität gefehlt habe und sie bei der Bestellung der Sicherheit voraussichtlich nicht in der Lage gewesen seien, die Darlehensrückzahlungsansprüche zu bedienen. Das Berufungsgericht habe ohne Rechtsfehler verneint, dass die Besicherung durch Verpfändung der Aktiendepots genügt habe, einen Forderungsausfall der Nebenintervenientin unwahrscheinlich zu machen. Bei den Aktienerwerben habe es sich um ein spekulatives Geschäft gehandelt; auf einen bleibenden oder steigenden Kurswert der Aktien habe der Beklagte nach vernünftiger kaufmännischer Betrachtung nicht vertrauen können. Die zusätzliche Besicherung durch die Schuldnerin habe damit das konkret bestehende Ausfallrisiko bei einer ungünstigen Kursentwicklung abgedeckt. Die Besicherung sei auch nicht nach § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG i.V.m. § 71a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AktG erlaubt gewesen. Die Leistung der AG habe nämlich nicht mehr objektiv dem Erwerb der Aktien gedient. Im ursprünglichen Erwerbsplan sei nicht vorgesehen gewesen, die Anfangsfinanzierung nur als Zwischenfinanzierung anzusehen und danach eine Anschlussfinanzierung durch die Gesellschaft vorzunehmen. Eine über die Laufzeit der Erstkredite hinausreichende Perspektive habe nicht bestanden. Der Beklagte habe über keinen unternehmerischen Ermessensspielraum verfügt. Eine Einlagenrückgewähr sei immer pflichtwidrig.

C. Kontext der Entscheidung

Der rechtliche Rahmen des Streitfalls ergibt sich aus den §§ 57 Abs. 1 Sätze 1 bis 3, 71 Abs. 1 Nr. 2, 71a Abs. 1 Satz 2 AktG: Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG dürfen den Aktionären die Einlagen nicht zurückgewährt werden. Als Rückgewähr gilt dabei nach § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien. Diese Vorschrift verweist der Sache nach auf § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG und § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG: Gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG darf die Gesellschaft eigene Aktien erwerben, wenn die Aktien Personen, die im Arbeitsverhältnis zu ihr oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen stehen oder standen, zum Erwerb angeboten werden sollen; in diesem Fall ist nach § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG ein Rechtsgeschäft, das die Gewährung eines Vorschusses oder eines Darlehens oder die Leistung einer Sicherheit durch die Gesellschaft an einen anderen zum Zweck des Erwerbs von Aktien dieser Gesellschaft zum Gegenstand hat, nicht nichtig. Die zuletzt genannte Vorschrift muss man genauer lesen: Sie gestattet die Finanzierung oder Besicherung „nur zum Zweck“ des Erwerbs von Aktien durch den begünstigten Personenkreis. Es stellt sich deshalb die Frage, wie weit diese Zweckbedingung reicht: Fällt darunter nur die Erstfinanzierung oder -besicherung des Erwerbs, oder erfasst sie auch Folgegeschäfte, die notwendig werden, weil der Aktienerwerber die Erstfinanzierung oder -besicherung bei deren Auslaufen nicht mit eigenen Mitteln ablösen kann? Die Frage ist umstritten, wobei das Meinungsspektrum von einer engen Zweckauslegung – Ausschluss jeder Finanzierung oder Besicherung, wenn sie dem Aktienerwerb nachfolgt – bis zu einem weiten Zweckverständnis – Zulässigkeit der Finanzierung oder Besicherung auch dann, wenn sie nur dem „Behalt“ der Aktien dient – reicht (vgl. einerseits Otto, DB 1989, 1389, 1395; andererseits Lutter/Drygala in: Kölner Komm. AktG, § 71a Rn. 41). Der Streit wird noch verschärft durch den Umstand, dass der Wortlaut des § 71a AktG nicht dem des Art. 23 Abs. 2 der Kapitalschutzrichtlinie 91/77/EWG des Rates vom 13.12.1976 entspricht, wo nicht von einer Finanzierung oder Besicherung zum Zweck des Erwerbs von Aktien die Rede ist, sondern von solchen Geschäften „im Hinblick auf den Erwerb von Aktien“.
Diesen Streit klärt die hier besprochene Entscheidung teilweise, nämlich dahin, dass eine Finanzierung oder Besicherung dann nicht mehr zum Zweck des Erwerbs von Aktien durch den von § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG begünstigten Personenkreis führt, wenn sie nur dem „Behalt“ der Aktien dient und im ursprünglichen Erwerbsplan nicht vorgesehen war, weil es dort nicht darum gegangen war, dauerhaft Mitarbeiter mit Belegschaftsaktien zu binden, sondern darum, ihnen mit tilgungsfreien Darlehen zu ermöglichen, an erhofften starken Wertsteigerungen in der Anfangsphase teilzuhaben.
Liegt indes keine nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG zulässige Finanzierungshilfe vor, scheidet auch die Anwendung des § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG aus. Es kommt dann nur noch darauf an, ob in der Finanzierungshilfe eine Einlagenrückgewähr gesehen werden muss. Hierzu ist in der Rechtsprechung des BGH geklärt, dass in der Bestellung einer dinglichen Sicherheit für ein Darlehen des Aktionärs bei einem Dritten eine „Auszahlung“ an den Aktionär liegt; der Vermögensvorteil, der ihm zugewandt wird, liegt in der Besicherung; jede Haftungsübernahme durch die AG zugunsten eines Aktionärs gewährt diesem einen wirtschaftlichen Vorteil (BGH, Urt. v. 31.05.2011 – II ZR 141/09 Rn. 21 – BGHZ 190, 7, 15). Die Einlagenrückgewähr stellt eine solche Besicherung einer Aktionärsverbindlichkeit durch die AG nur dann nicht dar, wenn sie durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt ist, § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG. Als Anspruch in diesem Sinne kommt der Anspruch der AG gegen den Aktionär auf Rückgewähr der Sicherheit oder Befreiung von der Haftung in Betracht; ob dieser Anspruch vollwertig ist, erfordert nach der Rechtsprechung eine vernünftige kaufmännische Beurteilung dahin, dass ein Forderungsausfall unwahrscheinlich ist (vgl. BGH, Urt. v. 01.12.2008 – II ZR 102/07 Rn. 13 – BGHZ 179, 71, 78). Maßgebend ist deshalb eine ex-ante-Sichtweise.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung klärt einen Teilbereich der Finanzierung der Beteiligung von Mitarbeitern an einer AG durch die AG: Zielt die Beteiligung der Mitarbeiter nicht darauf, diese durch eine dauerhafte Beteiligung an das Unternehmen zu binden, sondern geht es darum, ihnen in der Gründungsphase zu ermöglichen, von einem steigenden Aktienkurs zu profitieren, ist der AG nach den §§ 71 Abs. 1 Nr. 2, 71a Abs. 1 Satz 2, 57 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AktG nur die Anfangsfinanzierung bzw. Besicherung der Anfangsfinanzierung gestattet. Läuft diese aus und sind die Mitarbeiter danach nicht in der Lage, die Anschlussfinanzierung bzw. -besicherung aus eigenen Mitteln zu bewerkstelligen, verstößt die Beteiligung der AG an der Anschlussfinanzierung bzw. -besicherung gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG: Die Privilegierung nach § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG i.V.m. §§ 71 Abs. 1 Nr. 2, 71a Abs. 1 Satz 2 AktG scheitert daran, dass diese Anschlussfinanzierung bzw. -besicherung nicht mehr zum Zweck des Erwerbs der Aktien erfolgt, sondern nur zum Zweck des „Behalts“. Regelmäßig wird es in diesen Fällen auch an einem vollwertigen Befreiungsanspruch der AG gegen ihre Mitarbeiter (§ 57 Abs. 1 Satz 3 AktG) fehlen. Offen bleibt, ob im Hinblick auf die Anschlussfinanzierung und -besicherung etwas anderes gilt, wenn es bei der Finanzierung des Aktienerwerbs durch die AG nicht um die Ermöglichung der Teilnahme an der „Gründungsspekulation“ geht, sondern um eine dauerhafte Mitarbeiterbeteiligung und -bindung. Wegen des von Art. 23 Abs. 2 der Kapitalschutzrichtlinie 77/91 EWG abweichenden Wortlauts des § 71a Abs. 1 Satz 2 AktG wird sich diese Frage wohl nicht ohne Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH klären lassen.