Nachfolgend ein Beitrag vom 11.10.2018 von Vyvers, jurisPR-VersR 10/2018 Anm. 5

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die zwischen Verkäufer und Käufer vereinbarten Lieferbedingungen (hier: die Incoterms 2010) sind bei der Frage der Anspruchsberechtigung zur Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche auf Basis der CMR zwingend zu berücksichtigen.
2. Wurde das Gut auf Basis der Lieferbedingung „ex works“ (auf Deutsch: „ab Werk“) veräußert, besteht trotz etwaiger Eintragungen im Frachtbrief kein Vertragsverhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Frachtführer.
3. Ergibt sich aus den Vorschriften der CMR keine Anspruchsberechtigung des Geschädigten, kann dieser sich nicht subsidiär auf das nationale Recht berufen.

A. Problemstellung

Kann die als Absender im Frachtbrief eingetragene Person in jedem Fall vom Frachtführer Schadensersatz verlangen, oder sind hierfür weitere Anspruchsvoraussetzungen zu berücksichtigen?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen der angeblichen Falschauslieferung einer Sendung. Die Klägerin hatte ihre Ware unter Verwendung des Incoterms 2010 „ex works“ veräußert und dem ausführenden Frachtführer zum Transport übergeben.
Zugrunde lag vermeintlich eine Bestellung eines angeblich in Frankreich ansässigen Unternehmens bei der in Italien beheimateten Klägerin. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sich jedoch ein Betrüger des „guten Namens“ des Käufers bedient und unter Ausnutzung der Gutgläubigkeit der Klägerin diese zu einem Warenversand bewegt. Die Klägerin hatte, obwohl es sich um das erste Geschäft mit diesem Kunden handelte, jedenfalls auf eine Absicherung des Warenverkaufes durch Verlangung einer Vorauszahlung o.ä. verzichtet. Ebenso unterblieben Rückfragen oder eine schriftliche Auftragsbestätigung, welche vermutlich bereits zu einer Aufdeckung des Betruges geführt hätten. Ein drittes, ebenfalls in Frankreich ansässiges Unternehmen beauftragte die in Deutschland ansässige Beklagte mit der Durchführung des Transportes. Die Beklagte gab den Beförderungsauftrag an ein österreichisches Fuhrunternehmen weiter, dieses beauftragte wiederum ein ungarisches Transportunternehmen. Zielort der Sendung sollte schließlich ein Lager im Großraum von London sein. Die Ware wurde zur bestimmungsgemäßen Ablieferadresse gebracht und dort ausgeliefert. Erst Nachfragen beim vermeintlichen Käufer in Frankreich über die Zufriedenheit mit der gelieferten Ware führten zur Aufdeckung des Betruges. Trotz Einschaltung einer Detektei konnte die Ware nicht wiederaufgefunden werden.
Die Klägerin wandte sich dann an die Beklagte und verlangte von dieser Schadensersatz auf Basis der CMR in Höhe von 49.000 Euro. Ihrer Auffassung nach hätte der Frachtführer aufgrund der fehlenden Identität zwischen dem Sitz des Käufers und der Ablieferadresse Zweifel an der Empfangsberechtigung des Empfängers haben und vor Aushändigung der Ware vorab mit ihr sprechen müssen. Dies sei unterblieben und der Frachtführer hätte den Verlust der Ware daher zu vertreten. Die Beklagte lehnte eine Einstandsverpflichtung ab. Die Ware sei an die im Frachtbrief genannte Adresse abgeliefert worden. Informationen über den Käufer selbst habe sie zu keinem Zeitpunkt erhalten.
Die Klägerin hat Klage zum LG Saarbrücken erhoben. Warum sie nicht am Gericht ihres Hauptsitzes in Italien, welcher mit dem Abgangsort der Ware identisch gewesen ist und daher einen Gerichtsstand nach der CMR dargestellt hätte, Klage erhoben hat, blieb unklar. Die Klägerin verlangt ursprünglich Schadensersatz auf Basis der CMR, später stützt sie sich hilfsweise auf italienisches und äußerst hilfsweise auf britisches Recht. Würde das Landgericht die letztgenannten Ansprüche ablehnen, sei ihrer Auffassung nach eine Vorlage an den EuGH geboten.
Die Beklagte ist der Klageforderung entgegengetreten. Sie verkündet dem österreichischen Unternehmen dem Streit, dieses bezieht das ungarische Unternehmen mit in das Verfahren ein. Alle drei Beteiligten auf Beklagtenseite bestreiten die Aktivlegitimation der Klägerin. Ein Anspruch scheide bereits aus, weil zwischen der Klägerin und der Beklagten keine vertragliche Beziehung bestehe und die Klägerin sich auch nicht direkt gegen das angeblich den Schaden verursachende Unternehmen, die Streitverkündete zu 2., wenden würde.
Das LG Saarbrücken hat die Klage abgewiesen. Es hat sich der Argumentation der Beklagtenseite, wonach bereits die Aktivlegitimation der Klägerin nicht gegeben sei, angeschlossen.
Die Regelungen der internationalen Vereinbarung über Beförderungen im Straßenverkehr (CMR) fänden zwingend Anwendung. Sowohl Italien als auch Großbritannien seien Unterzeichnerstaaten der CMR. Die Regelungen der CMR seien jedoch abschließend. Eine Norm, auf deren Basis die Klägerin Schadensersatz von der Beklagten verlangen könne, existiere nicht. Zwar sei der Absender nach der CMR zur Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Frachtführer berechtigt. Die bloße Bezeichnung der Klägerin als „Absenderin“ auf dem ausgestellten CMR-Frachtbrief reiche hierfür jedoch nicht aus. Selbst wenn diesem Dokument eine Beweiserleichterung zukomme, sei diese im vorliegenden Fall von der Klägerin selbst wiederlegt worden. Unstreitig habe keine vertragliche Beziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten bestanden. Eine autonome Auslegung der CMR ergäbe jedoch, dass es nicht allein auf die Eintragungen im Frachtbrief selbst ankomme, sondern nur der Vertragspartner des Frachtführers als Absender bezeichnet werden dürfe. Ausnahmen hierfür sehe die CMR nicht vor. Diese räume allenfalls dem Empfänger einer Sendung unter bestimmten, hier nicht interessierenden Voraussetzungen das Recht ein, Ansprüche gegenüber dem Frachtführer geltend zu machen. Andere, am Frachtvertrag nicht beteiligte Dritte erkennt die CMR nicht als Anspruchsberechtigte an. Etwaige hierdurch entstehende Lücken seien (zulasten der Klägerin im hiesigen Verfahren) hinzunehmen. Gründe, welche für eine Planwidrigkeit der Lücke sprächen, seien nicht ersichtlich. Der Gedanke der Rechtsvereinheitlichung und möglichst einheitlichen Rechtsanwendung im Geltungsbereich der CMR verbiete es auch, auf das von der Klägerin (äußerst) hilfsweise angeführte, nationale Recht zurückzugreifen. Andernfalls drohe entgegen der eigentlich bezweckten Rechtsvereinheitlichung eine Zersplitterung des Rechts, da die nationalen Gesetze die Frage der Aktivlegitimation jeweils unterschiedlich regeln. Die CMR erlaube nur in konkret benannten Einzelfällen einen Rückgriff auf das nationale Recht. Solch eine Fallkonstellation liege hier nicht vor. Dementsprechend sei auch keine Vorlage an den EuGH geboten. Die Auslegung der CMR erfolge in ständiger Rechtsprechung autonom ohne Rückgriff auf das nationale Recht. Die Unterzeichnerstaaten der CMR seien mit den Mitgliedstaaten der EU nicht identisch und die CMR kein Unionsrecht, welches nur der EuGH auslegen könne. Die von der Klägerin angeführten Regelungen des Unionsrechts seien aufgrund des Vorrangcharakters der CMR ebenfalls nicht anwendbar.

C. Kontext der Entscheidung

Die Bedeutung der Incoterms auch und gerade in transportrechtlichen Auseinandersetzungen sollte nicht unterschätzt werden (vgl. beispielsweise OLG Nürnberg, Urt. v. 22.02.2017 – 12 U 812/15; Vyvers, jurisPR-VersR 2/2018 Anm. 7, zur Verpflichtung der Ladungssicherung von Verkäufer oder Käufer). Diese regeln u.a. den Gefahrübergang und stellen damit klar, wer im Schadensfalle die hierdurch entstehenden Kosten und Risiken zu tragen habe und damit als Geschädigter anzusehen sei.
Die einzelnen internationalen Übereinkommen wie CMR, MÜ, WA, CMNI, CIM etc. enthalten jeweils teils deutlich voneinander abweichende Regelungen zu nahezu jedem die Prozessführung und die Haftung beeinflussenden Thema.
Die vom Gericht genutzte Definition, dass unter dem Absender jeweils diejenige Rechtsperson zu verstehen ist, welche in einer vertraglichen Beziehung zum Frachtführer steht, ist richtig. Der Anspruch der Klägerin hätte hieran alleine jedoch nicht scheitern müssen. Entscheidend für sie war vielmehr, dass es in der CMR – anders in manchem nationalen Recht – keine Möglichkeit der Drittschadensliquidation gibt. Vorrangig sollten Ansprüche daher immer entlang der vertraglichen Kette geltend gemacht werden (vgl. OLG München, Urt. v. 21.07.2016 – 23 U 3256/15; Vyvers, jurisPR-VersR 6/2017 Anm. 6). Warum die Klägerin nicht versucht hat, sich die Ansprüche des Vertragspartners der Beklagten abtreten zu lassen, blieb offen. Auch ist unklar, warum die Klägerin sich nicht direkt gegen den ausführenden Frachtführer (Streitverkündete zu 2.) gewendet hat. Sie hätte auf diese Art und Weise vermutlich zwar keinen Gerichtsstand in Deutschland begründen können, ihr Kostenrisiko wäre angesichts von zwei wahrscheinlich fehlenden Beteiligten auf Beklagtenseite jedoch deutlich geringer gewesen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung zeigt, dass es sich lohnt, nicht vorschnell auf die Eintragungen im Frachtbrief zu vertrauen. Vielmehr ist anhand der Auftragsdokumentation vorsorglich noch einmal zu überprüfen, wer tatsächlich als Auftraggeber des in Anspruch genommenen Frachtführers in Erscheinung getreten ist. Werden Ansprüche von einem Dritten, der nicht Vertragspartner des Frachtführers ist, geltend gemacht, sollte man vorsorglich um einen entsprechenden Nachweis der Aktivlegitimation bitten. Darüber hinaus sollte der Anspruchsteller auch jeweils die Art und Höhe des angeblich entstandenen Schadens belegen können. Hat er selbst noch keine Entschädigung geleistet, kann er allenfalls Freistellung, nicht jedoch Zahlung, verlangen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Da das LG Saarbrücken die Klage bereits an einem recht frühen Punkt abgewiesen hat, musste es sich daher nicht mehr mit der Frage beschäftigen, welcher Schaden der Klägerin überhaupt entstanden sei (unterstellt, es hätte überhaupt ein von Beklagtenseite vehement bestrittenes Fehlverhalten des ausführenden Frachtführers bejaht). Die Vermögenssituation scheint auf den ersten Blick jedenfalls identisch zu sein. Die Existenz des Anspruchs auf Zahlung des Kaufpreises gegenüber dem vermeintlichen Käufer war unabhängig vom Ausgang des nachfolgenden Transportes gegeben oder nicht. Mit Übernahme der Ware durch den Frachtführer hatte der Verkäufer seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt, und das Verlustrisiko war auf den Käufer übergegangen. Eine Veränderung der Vermögenssituation des Verkäufers durch das Verhalten des Frachtführers war damit nicht mehr möglich.

Einfluss der Incoterms 2010 auf die Anspruchsberechtigung des potentiell Geschädigten
Birgit OehlmannRechtsanwältin

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