Nachfolgend ein Beitrag vom 17.6.2016 von Schmid, jurisPR-ITR 12/2016 Anm. 6

Leitsätze

1. Ein durch eine gewöhnliche, d.h. nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur i.S.v. § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG M-V (Landesverwaltungsverfahrensgesetz Mecklenburg-Vorpommern) versehene E Mail eingelegter Widerspruch erfüllt nicht das Schriftformerfordernis nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dieser Fehler wird nicht durch eine Sachentscheidung der Behörde im Widerspruchsverfahren geheilt.
2. Der Mieter eines Hausgrundstücks kann nicht als Schuldner der Abwassergebühr herangezogen hat, wenn die Schuldnerbestimmung in der Gebührensatzung allein nach § 6 Abs. 4 Satz 4 KAG M-V erfolgt.

A. Problemstellung

Eine umfassende Verwaltungsmodernisierung hin zu einem „gelebten“ E-Government bedarf neben einer offenen Informationspolitik der Behörden („Open Government Data“) und der Ermöglichung der elektronischen Transaktion mit den Behörden zusätzlich auch der Eröffnung elektronischer Kommunikationsmöglichkeiten (vgl. hierzu Heckmann in: Heckmann, jurisPK-Internetrecht, 4. Aufl. 2014, Kap. 5 Rn. 5 ff.). Der Nutzung der gewöhnlichen E-Mail zur rechtsverbindlichen Verwaltungskommunikation stehen jedoch IT-sicherheitstechnische Bedenken gegenüber, da die Übertragung einer E-Mail nach dem sog. „Store-and-forward“-Prinzip, bei dem die Nachricht von einem Internetknotenpunkt zum nächsten weitergeleitet wird, funktioniert (Eckert, IT-Sicherheit, 9. Aufl. 2014, S. 146 f.). Da E-Mails dabei standardmäßig nur dürftig gegen fremde Einsichtnahme oder Manipulation geschützt sind, können diese auf dem Übertragungsweg mit sog. „Sniffern“ abgefangen, ausgelesen und verändert werden, sodass das Vertrauen in die Vertraulichkeit und Integrität der E-Mail bereits eher gering ist. Mittels des sog. „Spoofings“ lässt sich weiter auch die Absenderadresse einer E-Mail derart verändern, dass ein anderer Absender vorgetäuscht und demnach auch die Authentizität der Nachricht manipuliert werden kann.
Das VG Greifswald hatte vorliegend zu entscheiden, ob ein per einfacher E-Mail versendeter Widerspruch zur Ersetzung der Schriftform nach den Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 VwVfG M-V (Landesverwaltungsverfahrensgesetz Mecklenburg-Vorpommern) genügen kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das VG Greifswald hatte über einen Kostenbescheid über Abwassergebühren zu entscheiden. Gegen den Kostenbescheid vom 07.04.2014 wollte der spätere Kläger per einfache E-Mail vom 10.04.2014 Widerspruch einlegen. Der Beklagte wies den Rechtsbehelf zurück. Am 05.05.2014 wurde Anfechtungsklage gegen den Kostenbescheid erhoben. Diese ist laut dem VG Greifswald mangels eines ordnungsgemäß durchgeführten Vorverfahrens aber bereits unzulässig.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die mit der E-Mail am 10.04.2014 erfolgte Widerspruchseinlegung insbesondere nicht formgerecht gewesen. § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimme, dass der Widerspruch in Schriftform einzulegen ist. Das Schriftformerfordernis verlange dabei eine eigenhändige Unterschrift des Widerspruchsführers. Dies diene zum einen dem Zweck, die Identität des Versenders festzustellen und zum anderen der Sicherstellung, dass der Widerspruchsführer den Widerspruch tatsächlich mit Wissen und Wollen in den Verkehr gelangen ließ. Eine gewöhnliche, nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene, E-Mail genüge diesen Anforderungen nicht.

C. Kontext der Entscheidung

Während eine „einfache“ elektronische Kommunikation per E-Mail zwar auch im Verwaltungsverfahren grundsätzlich zulässig ist (da § 10 VwVfG M-V die Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens bestimmt, vgl. Heckmann in: Heckmann, jurisPK-Internetrecht, 4. Aufl. 2014, Kap. 5 Rn. 394, m.w.N.), reicht diese zur Ersetzung einer per Rechtsvorschrift angeordneten Schriftform (also bei besonders sensiblen Rechtsangelegenheiten) nicht aus.
Zur Erfüllung einer Schriftform ist grundsätzlich eine schriftlich verkörperte Willenserklärung mit eigenhändiger Namensunterschrift des Ausstellers notwendig, womit die Identität des Verfassers erkennbar und die Authentizität des Schriftstücks gesichert werden soll. Weiterhin dient die Schriftform der Warnung und Besinnung des Verfassers und soll eine übereilte Abgabe verhindern.
Für die Ersetzung einer per Rechtsvorschrift angeordneten Schriftform hat der Gesetzgeber daher besondere Voraussetzungen in § 3a Abs. 2 VwVfG M-V festgelegt. § 3a VwVfG M-V findet dabei – als Verwaltungsverfahrensvorschrift des VwVfG – auch im Widerspruchsverfahren (geregelt in der VwGO) Anwendung. Denn trotz der Regelung in der VwGO ist das Widerspruchsverfahren dem materiellen Verwaltungshandeln zuzuordnen (vgl. Heckmann in: Heckmann, jurisPK-Internetrecht, Kap. 5 Rn. 278, m.w.N.). § 55a VwGO findet beim Widerspruchsverfahren insofern keine Anwendung.
Das VG Greifswald führt insofern zu Recht aus, dass der vom Kläger per einfache E-Mail versendete Widerspruch nicht zur Ersetzung der Schriftform nach den Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 VwVfG M-V genügen konnte. Hiernach wäre entweder die Signierung mittels einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem SigG oder aber eines der Verfahren des § 3a Abs. 2 Satz 4 VwVfG M-V (etwa die Versendung mittels einer De-Mail-Nachricht nach Nr. 2 der Vorschrift) vorzunehmen gewesen.
Zur Ersetzung der Schriftform ungenügend wäre dabei ebenfalls gewesen, wenn der Kläger den Widerspruch schriftlich verfasst und unterschrieben, dann aber eingescannt und per E-Mail als Anhang versendet hätte (hierzu und zu folgender Ausführung Heckmann in: Heckmann, jurisPK-Internetrecht, Kap. 5 Rn. 309). Denn beim Empfang einer E-Mail kann der Empfänger frei darüber bestimmen, ob er diese und den Anhang ausdruckt und so eine verkörperte Kopie erstellt oder aber nur digital in seinem Postfach belässt (oder gar löscht). Die Wahrung der Schriftform hinge dann aber allein vom Willen des Empfängers ab, was aus Gründen der Rechtssicherheit für den Versender problematisch ist. Anders sieht dies zwar das OVG Münster (Beschl. v. 30.03.2015 – 14 A 2435/14 – NVwZ-RR 2015, 923) und auch der BGH (Beschl. v. 18.03.2015 – XII ZB 424/14 – NJW 2015, 1527) in einer zivilprozessualen Streitigkeit. Die Schriftform sei hiernach bei der Versendung einer unterschriebenen PDF-Datei als Anhang einer E-Mail bereits dann gewahrt, wenn der Empfänger die PDF-Datei tatsächlich ausdruckt und diese Übersendungsform zur Einreichung schriftlicher Dokumente auch bereitgestellt hat. Aus Gründen der bereits dargestellten Rechtssicherheit wird dieser Auffassung vorliegend aber nicht gefolgt (kritisch auch Skrobotz, jurisPR-ITR 24/2015 Anm. 2). Diese Situation war im vorliegenden Sachverhalt aber ohnehin nicht gegeben, da der Kläger keine unterschriebene PDF-Datei im Anhang übermittelte.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die elektronische Kommunikation ist schneller, kostensparender und komfortabler als der Versand einer Postnachricht. Doch existieren im Internet zahlreiche Gefahren, die die IT-Sicherheit einer digital versandten Nachricht kompromittieren können. Während das Verwaltungsverfahren nach § 10 VwVfG M-V grundsätzlich formfrei ist und auch per E-Mail geführt werden kann, ist ein Ersatz der Schriftform nur unter den speziellen Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 VwVfG M-V möglich. Die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur stellt jedoch ein für den Durchschnittsnutzer oftmals zu kompliziertes technisches Verfahren dar und wird daher von Privatpersonen kaum verwendet. Auch die – nach § 3a Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 und Nr. 3 VwVfG M-V ebenfalls schriftformwahrende – De-Mail wird in der Praxis kaum verwendet. Dies vermochte auf Bundesebene auch das E-Government-Gesetz (EGovG), das Bundesbehörden zur Eröffnung eines Zugangs via De-Mail verpflichtet, bislang nicht zu ändern.
Zukünftig werden daher entweder neue elektronische Kommunikationswege oder aber Richtlinien für die schriftformwahrende Verwendung bestehender Kommunikationsformen auszuloten sein, die zwischen dem Bedürfnis des Bürgers nach einer einfachen elektronischen Kommunikation auf der einen Seite und der zwingend weiterhin zu bewahrenden IT-Sicherheit auf der anderen Seite ein adäquates Sicherheitsniveau sicherstellen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Adäquates Sicherheitsniveau, IT-Sicherheit.