Nachfolgend ein Beitrag vom 13.4.2017 von Nassall, jurisPR-BGHZivilR 7/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Wird ein unverzinsliches Darlehen wegen Vermögensverfalls gekündigt, liegt die Gläubigerbenachteiligung im Wegfall der gesetzlichen Abzinsung.
2. Die Anfechtung einer Rechtshandlung wegen des Ermöglichens einer Befriedigung setzt nicht voraus, dass der Insolvenzgläubiger nachfolgend außerhalb des Insolvenzverfahrens die Befriedigung erlangt hat.

A. Problemstellung

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob die unmittelbar vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, also in der Krise, eröffnete Kündigung eines vom Schuldner aufgenommenen, zinslosen Darlehens durch dessen Gläubiger nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO angefochten werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin hatte der Schuldnerin ein Wohnungsbauförderungsdarlehen gewährt, das erst nach der Tilgung von Fremdmitteln zu tilgen und zu verzinsen war. Vor Eintritt dieser Bedingung geriet die Schuldnerin in die Krise, was die Klägerin zum Anlass nahm, den Kredit zu kündigen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete die Klägerin ihre Forderung in voller Höhe zur Insolvenztabelle an. Der beklagte Insolvenzverwalter focht die Kündigung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO an, zinste die geltend gemachte Forderung nach § 41 Abs. 2 InsO ab und stellte deshalb nur einen Teilbetrag zur Tabelle fest.
Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Darlehensforderung in voller Höhe zur Insolvenztabelle. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Der BGH hat die Klage abgewiesen:
Im vorliegenden Fall greife das Abzinsungsgebot des § 41 Abs. 2 Satz 1 InsO, weil die Forderung der Klägerin wie eine zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht fällige Forderung zu behandeln sei. Die Klägerin habe zwar vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt; der Beklagte habe diese Kündigung jedoch wirksam nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO angefochten. Die Darlehenskündigung habe der Klägerin im Sinne dieser Vorschrift eine Befriedigung ermöglicht. Sie habe sie nämlich in die Lage versetzt, ihren Darlehensrückforderungsanspruch ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung einzufordern und von der Schuldnerin Zahlung zu verlangen, mithin eine Deckung zu erlangen, die sie nach den vertraglichen Vereinbarungen ohne die Kündigung erst viele Jahre später hätte beanspruchen können.

C. Kontext der Entscheidung

Nach § 41 Abs. 1 InsO gelten bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht fällige Forderungen als fällig. Gemäß § 41 Abs. 2 InsO sind sie mit dem gesetzlichen Zinssatz abzuzinsen, wenn sie unverzinslich sind. Sie vermindern sich dadurch auf den Betrag, der bei Hinzurechnung der gesetzlichen Zinsen für die Zeit von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Fälligkeit dem vollen Betrag der Forderung entspricht. Im Streitfall hatte die Klägerin ihre Darlehensforderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt. Wäre und bliebe diese Kündigung wirksam, müsste die Klägerin eine Abzinsung ihrer Forderung nach § 41 Abs. 2 InsO nicht hinnehmen, weil sie sie ja bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gestellt hätte. Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO sind aber in kritischer Zeit vorgenommene Rechtshandlungen – sei es des Schuldners, sei es des Gläubigers – anfechtbar, wenn sie einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben. Der BGH hat bereits entschieden, dass die Kündigung eines Darlehens eine Rechtshandlung im Sinne des Insolvenzanfechtungsrechts ist (BGH, Urt. v. 14.05.2009 – IX ZR 63/08 Rn. 13 – WM 2009, 1202, 1203). Fraglich ist bei der Darlehenskündigung die Gläubigerbenachteiligung. Sie ergibt sich bei einem unverzinslichen Darlehen daraus, dass der Gläubiger bei wirksamer Kündigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Abzinsungsgebot des § 41 Abs. 2 InsO umgeht. Damit erhöht er die Schuldenmasse. Dass indes die Erhöhung der Schuldenmasse eine Gläubigerbenachteiligung darstellt, ist in der Rechtsprechung des BGH ebenfalls geklärt (BGH, Urt. v. 26.04.2012 – IX ZR 146/11 Rn. 26 ff. – WM 2012, 1131, 1133: Erhöhung der Schuldenmasse, wenn die Forderung ohne die angefochtene Rechtshandlung bloße Insolvenzforderung geblieben wäre, dagegen infolge der angefochtenen Rechtshandlung in den Rang einer Masseverbindlichkeit gelangt ist). Noch nicht geklärt war bislang, ob bereits die Darlehenskündigung i.S.d. § 130 Abs. 1 Satz 1 eine Befriedigung gewährt oder ermöglicht. Die erste Alternative scheidet aus: Durch die bloße Kündigung eines Darlehens wird ein Gläubiger nicht befriedigt. In Betracht kommt aber die zweite Alternative, nämlich die Ermöglichung der Befriedigung. Mit dieser zweiten Alternative will das Gesetz vorbereitende Rechtshandlungen erfassen, die, ohne dass der Gläubiger tatsächlich Befriedigung erlangt, zu einer Gläubigerbenachteiligung führen. Diese Voraussetzung ist aber bei einer Kündigung eines unverzinslichen Darlehens in kritischer Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegeben: Der Gläubiger verschafft sich dadurch zwar keine Befriedigung, ermöglicht aber seine volle Befriedigung – im Rahmen der Quote –, weil er das Abzinsungsgebot des § 41 Abs. 2 InsO umgehen kann.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der BGH stellt klar, dass eine in kritischer Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte Kündigung eines unverzinslichen Darlehens der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO unterliegt, weil der Gläubiger mit dieser Kündigung das Abzinsungsgebot des § 41 Abs. 2 InsO umgeht. Infolge der Anfechtung muss er sich im Insolvenzverfahren so behandeln lassen, als hätte er nicht vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt. Seine Forderung wird deshalb nur nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 InsO abgezinst zur Tabelle festgestellt.