Nachfolgend ein Beitrag vom 10.2.2017 von Spitz, jurisPR-ITR 3/2017 Anm. 4

Leitsatz

Die Verwertung eines „Zufallsfundes“ aus einer gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gerechtfertigten verdeckten Videoüberwachung kann nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein.

A. Problemstellung

Die arbeitgeberseitig veranlasste Videoüberwachung von Arbeitnehmern beim Bestehen des Verdachts von Straftatbegehungen ist rechtlich unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Die Frage, ob auch „Zufallsfunde“ (ursprünglich nicht verdächtige Arbeitnehmer werden per Videoüberwachung überführt) rechtlich verwertbar sind, klärt das BAG in der vorliegenden Entscheidung.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin war bei der Beklagten – ein Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen – seit 1998, zuletzt als stellvertretende Filialleiterin, beschäftigt. Sie war überwiegend als Kassiererin eingesetzt. Nachdem die Beklagte anlässlich einer Inventur erheblichen Schwund in den Warengruppen Tabak/Zigaretten und „Nonfood“ festgestellt hatte, beantragte die Beklagte beim Betriebsrat die Durchführung einer verdeckten Videoüberwachung im Kassenbereich im Zeitraum vom 15. bis 29.12.2013 zum Zwecke der „Aufklärung von Straftaten zu Lasten [u.a. der Beklagten]“, nachdem vorausgegangene Kontroll- und Revisionsmaßnahmen sowie die Überprüfung der Mitarbeiter durch Taschenkontrollen nicht zur Aufklärung geführt hatten. Als „Grund“ gab die Beklagte „Diebstahl Zigaretten/Nonfood“ an, wobei sich die Videoüberwachung gegen die Mitarbeiterinnen D und M richten solle. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten Videoüberwachung zu. Die Filiale wurde unabhängig davon auch insgesamt offen videoüberwacht. An ihren Zugängen befanden sich entsprechende Hinweisschilder. Einer Videosequenz der verdeckten Überwachung des Kassenbereichs vom 18.12.2013 war zu entnehmen, dass die Klägerin eine dort befindliche „Musterpfandflasche“ über den Scanner gezogen, eine Leergutregistrierung durchgeführt, die Kassenlade geöffnet und Geld aus der Kassenlade genommen hatte, welches sie zunächst im Kassenbereich abgelegt und zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Tasche gesteckt hatte. Der von ihr erstellte Kassenbon wies eine Pfandbarauszahlung i.H.v. 3,25 Euro für 13 Pfandflaschen aus. Nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Das Arbeitsgericht hat der gegen die Kündigungen erhobenen Kündigungsschutzklage der Klägerin stattgegeben (ArbG Duisburg, Urt. v. 04.09.2014 – 1 Ca 272/14), das Landesarbeitsgericht (LArbG Düsseldorf, Urt. v. 07.12.2015 – 7 Sa 1078/14) hat sie abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.
Das BAG bejaht zunächst die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB. Die gegen den Arbeitgeber vorgenommene Straftatenbegehung stelle typischerweise einen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Dies gelte unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens. Maßgebend sei vornehmlich der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 2 AZR 546/12). Dabei vermag nach der Auffassung des BAG die langjährige unbeanstandete Beschäftigung der Klägerin in der Vergangenheit den eingetretenen Vertrauensverlust im Ergebnis nicht aufzuwiegen. Zwar sei der Schaden mit 3,25 Euro relativ gering. Es sei jedoch zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie sich bewusst, heimlich und durch eine gezielte Manipulation der Kassenvorgänge auf Kosten der Beklagten bereichert habe. Der dadurch bewirkte Vertrauensbruch wiege bei einer stellvertretenden Filialleiterin und Kassiererin besonders schwer.
Sodann prüft das BAG, ob das Gericht nicht wegen eines ungerechtfertigten Eingriffs der Beklagten in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin sowie ihr Recht am eigenen Bild daran gehindert sei, seiner Entscheidung den unstreitigen Sachvortrag der Beklagten über das in den Videoaufzeichnungen vom 18.12.2013 zutage getretene Verhalten der Klägerin zugrunde zu legen. Ein solches Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird vom BAG im Ergebnis verneint. Das BAG stellt hierzu zunächst fest, dass weder das ArbGG noch die ZPO Beweisverwertungsverbote hinsichtlich rechtswidrig erlangter Erkenntnisse oder Beweise enthalten. Vielmehr gebiete der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) grundsätzlich die Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen angebotenen Beweismittel (BVerfG, Beschl. v. 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98). Dementsprechend bedürfe es für die Annahme eines Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbots einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage (BAG, Urt. v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11).
Das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) begrenze nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen, da dessen Normen ebenfalls kein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot enthielten. Ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verbot, selbst unstreitigen Sachvortrag zu verwerten, komme deshalb nur dann in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten sei. Da das Gericht den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenübertrete, sei es nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet (BVerfG, Urt. v. 13.02.2007 – 1 BvR 421/05). Das Gericht habe deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BGH, Beschl. v. 15.05.2013 – XII ZB 107/08).
Zwar griff die verdeckte Videoüberwachung des Kassenbereichs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin ein. Der Eingriff sei aber aufgrund überwiegender Interessen der Beklagten gerechtfertigt. Eingriffe in das Recht von Arbeitnehmern am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung seien dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (BAG, Urt. v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11). Der Verdacht müsse sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlungen zulasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Im Jahr 2009 habe der Gesetzgeber in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG einen entsprechenden Erlaubnistatbestand „zur Aufdeckung von Straftaten“ normiert. Da ein anderes, milderes Mittel zur Aufklärung des fraglichen Verdachts nicht mehr zur Verfügung gestanden habe, war die Videoüberwachung und -verwertung rechtmäßig.
Der Umstand, dass die Klägerin nicht zu dem Kreis der Verdächtigen gehört habe, führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn eine verdeckte Videoüberwachung zur Aufdeckung von Straftaten von Beschäftigten dürfe nicht nur dann erfolgen, wenn sichergestellt sei, dass von ihr ausschließlich Arbeitnehmer betroffen sind, hinsichtlich derer es bereits einen konkretisierten Verdacht gibt. Etwas anderes folge auch nicht aus § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG. Soweit der Wortlaut der Bestimmung ein anderes Verständnis nahelegen könnte, sei er „verunglückt“. Denn die Regelung sollte die von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze des Datenschutzes im Beschäftigungsverhältnis nicht ändern. Die Bestimmung orientiert sich vielmehr inhaltlich an den Anforderungen, die das BAG in seinem Urteil vom 27.03.2003 (2 AZR 51/02) zur verdeckten Überwachung von Beschäftigten aufgestellt habe (BT-Drs. 16/13657, S. 21). Danach müsse zwar der Kreis der Verdächtigen möglichst eingegrenzt sein, es sei aber nicht zwingend notwendig, dass eine Überwachungsmaßnahme in der Weise beschränkt werden könne, dass von ihr ausschließlich Personen erfasst werden, bezüglich derer bereits ein konkretisierter Verdacht bestehe. Die Verarbeitung von Daten – d.h. hier insbesondere die Aufbewahrung zum Zwecke weiterer Verarbeitung oder Nutzung (§ 3 Abs. 4 Nr. 1 BDSG) – und Nutzung der Daten war nach Auffassung des BAG gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig. § 6b BDSG stehe diesem Ergebnis nicht entgegen, da § 32 BDSG einen eigenständigen, vorrangigen Erlaubnistatbestand beinhalte.

C. Kontext der Entscheidung

Der Fall erinnert an die „Emmely“-Entscheidung des BAG (BAG, Urt. v 10.06.2010 – 2 AZR 541/09). Auch dort ging es um eine im Zusammenhang mit einem pflichtwidrig verwerteten geringwertigen Pfandbon ausgesprochene fristlose Kündigung. Die Grundsätze dieser Entscheidung, wonach zwar auch eine geringwertige Vermögensschädigung auf Seiten des Arbeitgebers eine fristlose Kündigung des Arbeitnehmers begründen könne, jedoch mangels des Bestehens absoluter Kündigungsgründe stets eine einzelfallbezogene Interessenabwägung zu erfolgen habe, wendet das BAG – wenngleich mit knapper Begründung – auch im vorliegenden Fall an. Dabei stellt das BAG bei der Bejahung des „wichtigen Grundes“ (§ 626 BGB) maßgeblich auf die besondere Vertrauensstellung der Klägerin als stellvertretende Filialleiterin ab. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Videoüberwachung bei konkret bestehendem Straftatenverdacht und deren Verwertung bleibt das BAG auf der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung, weitet diese aber auf „Zufallsfunde“ (ursprünglich nicht verdächtige Arbeitnehmer werden per Videoüberwachung überführt) aus. Die maßgeblich auf § 32 BDSG (Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses) gestützte Begründung des BAG überzeugt. Denn der Gesetzgeber hatte in 2009 diese Vorschrift gerade zu dem Zweck geschaffen, straftatenverdächtige Arbeitnehmer per Video überwachen und überführen zu können.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung ist für die Praxis bedeutsam. Sie stellt klar, dass auch „Zufallsfunde“ von der Erlaubnisnorm des § 32 BDSG gedeckt sind und dass durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine solche Auslegung dieser Vorschrift nicht bestehen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die Beklagte hatte die Klägerin nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils in ihrer bisherigen Tätigkeit weiterbeschäftigt. Dieser Umstand ist nach Auffassung des BAG im Hinblick auf die Kündigung und das Kündigungsschutzverfahren unerheblich. Zum einen komme es für die Wirksamkeit der Kündigung auf die Umstände im Zeitpunkt ihres Zugangs an (BAG, Urt. v. 17.02.2016 – 2 AZR 613/14). Zudem hatte die Beklagte das Wiederbeschäftigungsangebot der Klägerin erst unterbreitet, nachdem sie erstinstanzlich zur Weiterbeschäftigung der Klägerin zu unveränderten Bedingungen verurteilt worden war. Daraus lasse sich nicht schließen, dass die Beklagte eine Weiterbeschäftigung subjektiv wieder für zumutbar gehalten habe.