Nachfolgend ein Beitrag vom 28.8.2017 von Prätzler, jurisPR-SteuerR 35/2017 Anm. 6

Tenor

Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass Tätigkeiten, die unter Umständen wie jenen des Ausgangsverfahrens ausgeübt werden und darin bestehen, dass Studenten einer höheren Bildungseinrichtung im Rahmen ihrer Ausbildung Dritten gegen Entgelt Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen erbringen, als mit der Unterrichtsleistung „eng verbunden“ angesehen und folglich von der Mehrwertsteuer befreit werden können, wenn diese Dienstleistungen für die Ausbildung der Studenten unerlässlich und nicht dazu bestimmt sind, dieser Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden, was das nationale Gericht zu prüfen hat.

A. Problemstellung

Das Verfahren betrifft eine höhere Bildungseinrichtung (College) im Vereinigten Königreich, die Lehrgänge über Gastronomie, Gastgewerbe und darstellende Künste anbietet. Der EuGH hatte in einem britischen Vorlageverfahren Gelegenheit, sich zur Frage der mit steuerfreien Unterrichtsleistungen eng verbunden Umsätze zu äußern.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Im Zusammenhang mit der Ausbildung betreibt die Bildungseinrichtung ein Restaurant. Ferner veranstaltet sie Theateraufführungen. Beide Angebote können von Personen besucht werden, die nicht der Bildungseinrichtung zuzurechnen sind. Allerdings müssen diese Personen sich vorab registrieren. Die Veranstaltungen werden als Teil der Ausbildung zu einem ermäßigten Preis angeboten, der bei der Bewirtung etwa 80% der tatsächlichen Kosten erreicht. Wenn das Restaurant nicht von mindestens 30 Personen reserviert ist, findet keine Bewirtung statt. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts besteht der Hauptzweck der angebotenen Dienstleistungen nicht darin, im unmittelbaren Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen zusätzliche Einnahmen zu generieren.
Das College vertrat die Auffassung, es handele sich um nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL eng mit den Unterrichtsleistungen verbundene und damit steuerfreie Umsätze und stellte einen Antrag auf Erstattung bereits gezahlter Steuern. Die Steuerbehörde lehnte diesen ab. Der Court of Appeal legte dem EuGH die Frage vor, ob es sich im vorliegenden Fall um steuerfreie eng verbundene Dienstleistungen handelt.
Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL keine Definition der eng verbundenen Umsätze enthält, jedoch nach bereits ergangener Rechtsprechung eine Dienstleistung nur dann eng verbunden sein könne, wenn sie tatsächlich als Nebenleistung zu der Hauptleistung des steuerfreien Unterrichts erbracht werde (vgl. EuGH, Urt. v. 14.06.2007 – C-434/05 – Slg. I 2007, 4793 „Horizon College“). Es müssten drei Voraussetzungen erfüllt werden, damit steuerfreie eng verbundene Umsätze vorliegen. Erstens müssten die Hauptleistung und auch die eng verbundenen Dienstleistungen von in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL genannten Einrichtungen ausgeführt werden, zweitens müssten die Dienstleistungen für die steuerfreien Umsätze unerlässlich sein, und drittens dürften die Dienstleistungen nicht im Wesentlichen dazu dienen, zusätzliche Einnahmen in unmittelbarem Wettbewerb mit der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen zu generieren.
Die erste Voraussetzung sei zweifelsfrei erfüllt, denn das College sei eine öffentlich-rechtliche Einrichtung mit einem Ausbildungsziel entsprechend Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Bei der Prüfung der zweiten Voraussetzung sei relevant, dass der praktische Unterricht im College integraler Bestandteil des Lehrgangs sei und das Lehrerrestaurant mit dem Ziel betrieben werde, es Studenten der Lehrgänge für Gastronomie und Gastgewerbe zu ermöglichen, Kenntnisse unter praxisnahen Bedingungen zu erwerben. Dies gelte entsprechend für die Lehrgänge über darstellende Künste in Verbindung mit den Konzert- und Theateraufführungen. Der Unterricht sei ohne diese praktischen Teile nicht gleichwertig. Somit seien die im Ausgangsverfahren zu prüfenden Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen offensichtlich unerlässlich für die Qualität der Hauptleistung des Unterrichts. Schließlich sei für die dritte Voraussetzung zu beachten, dass die angebotenen Leistungen nur Personen zugänglich seien, die sich zuvor in eine vom College geführte Verteilerliste eingetragen hätten. Außerdem sei das Restaurant nur nach Reservierung und nur unter der Bedingung der genannten Vollauslastung der 30 Plätze zugänglich. Es unterscheidet sich damit erheblich von einem gewerblichen Restaurant.
Weiterhin sei bedeutsam, dass die Studenten die Leistungen zur Gänze selbst erbringen, organisieren und durchführen, womit sich die Situation grundsätzlich von der von Studenten unterscheide, die ein Praktikum in einer gewerblichen Einrichtung absolvierten. Ergänzend sei relevant, dass die Preise unbestritten lediglich 80% der Bewirtungskosten abdecken, womit kein Anhaltspunkt dafür bestehe, in unmittelbarem Wettbewerb mit der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen Einnahmen zu generieren.
Der EuGH kommt damit zu dem Ergebnis, dass die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens angebotenen Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen steuerfreie mit der Unterrichtsleistung eng verbundene Umsätze sind. Allerdings habe das nationale Gericht die denkbare Wettbewerbssituation mit gewerblichen Unternehmen abschließend zu prüfen.

C. Kontext der Entscheidung

I. Der Begriff der eng verbundenen Umsätze findet sich in zahlreichen Steuerbefreiungsnormen der MwStSystRL, insbesondere erwähnenswert sind Art. 132 Abs. 1 Buchst. b (Krankenhausbehandlung), Buchst. g (Leistungen der Sozialfürsorge), Buchst. h (Kinder- und Jugendbetreuung), Buchst. i (Erziehung, Aus- und Fortbildung), Buchst. m (Sport) und Buchst. n (kulturelle Dienstleistungen). Dabei ist zu beachten, dass die eng verbundenen Umsätze nicht mit Nebenleistungen (vgl. Abschn. 3.10 UStAE, grundlegend u.a. EuGH, Urt. v. 27.10.2005 – C-41/04 – Slg. I 2005, 9433 = BFH/NV 2006, Beilage 1, 38 „Levob“) identisch sind, denn die Voraussetzungen unterscheiden sich.
In der zitierten Entscheidung „Horizon College“ konnte daher der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass die entgeltliche Überlassung eines Lehrers an eine Lehreinrichtung, in der dieser Lehrer dann vorübergehend unter der Verantwortung der genannten Einrichtung Unterricht erteilte, eine von der Mehrwertsteuer befreite, mit dem Unterricht der genannten Einrichtung „eng verbundene“ Dienstleistungen sein konnte, während eine Nebenleistung daran gescheitert wäre, dass zwei unterschiedliche Leistende vorhanden waren (vgl. hierzu Abschn. 3.10 Abs.4 UStAE und BFH, Urt. v. 29.10.2008 – XI R 74/07 – BStBl II 2009, 256; BFH, Urt. v. 07.02.1991 – V R 53/85 – BStBl II 1991, 737).
II. Der BFH konnte bereits in zahlreichen Entscheidungen zum Begriff der eng verbundenen Umsätze Stellung nehmen. So verneinte er dies (unter Berufung auf das EuGH, Urt. v. 01.12.2005 – C-394/04 und C-395/04 – Slg. I 2005, 10373 „Ygeia“) für eine Klinik, die den Patienten entgeltlich Telefongespräche ermöglichte (vgl. BFH, Urt. v. 21.09.2016 – V R 43/15 – BFHE 255, 449 = BFH/NV 2017, 418; Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 19/2017 Anm. 6). Ebenfalls negativ beschieden wurde die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen in einer nach § 4 Nr. 15 UStG steuerbefreiten Einrichtung der Sozialfürsorge, die außerhalb eines bestehenden Sozialversicherungsverhältnisses erbracht wurde (BFH, Urt. v. 16.12.2015 – XI R 52/13 – BFH/NV 2016, 700).
Positiv beurteilte der BFH dahingegen Dienstleistungen, die ein gemeinnütziger Reitsportverein im Rahmen einer Pensionspferdehaltung erbrachte (BFH, Urt. v. 16.10.2013 – XI R 34/11 – BFHE 243, 435 = BFH/NV 2014, 460; Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 18/2014 Anm. 5), ebenso die Überlassung von Golfbällen und die Nutzungsüberlassung einer Golfanlage an Nichtmitglieder (BFH, Urt. v. 03.04.2008 – V R 74/07 – BFHE 221, 451 = BFH/NV 2008, 1631) und auch die Erteilung von Golfunterricht (BFH, Urt. v. 02.03.2011 – XI R 21/09 – BFHE 233, 269 = BFH/NV 2011, 1456; Anm. Grube, jurisPR-SteuerR 30/2011 Anm. 6).
Wiederum negativ fiel ein Verfahren zur Abgabe von Speisen und Getränken in einem steuerbefreiten Musical-Theater aus (BFH, Urt. v. 18.08.2005 – V R 20/03 – BStBl II 2005, 910), und gleichermaßen abschlägig bewertete der BFH die Verpflegung von Seminarteilnehmern bei einer steuerfreien Aus- oder Fortbildung (BFH, Urt. 07.10.2010 – V R 12/10 – BStBl II 2011, 303, § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG).
III. Die geänderte Bewertung der Verabreichung von Zytostatika im Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten ärztlichen Heilbehandlung, die dort individuell für den einzelnen Patienten in einer Apotheke dieses Krankenhauses hergestellt werden, ist ein mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundener Umsatz gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG und damit steuerfrei (BFH, Urt. v. 24.09.2014 – V R 19/11 – BStBl II 2016, 781, nach EuGH, Urt. v. 13.03.2014 – C-366/12 – MwStR 2014, 301 „Klinikum Dortmund“; zur Anwendung BMF, Schreiben v. 28.09.2016 – III C 3-S 7170/11/10004, FMNR437000016 – BStBl I 2016, 1043).

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil zeigt, dass eng verbundene und damit steuerfreie Umsätze in Konstellationen denkbar sind, in denen man dies aus deutscher Sicht bisher eher nicht erwartet hätte. Unternehmen sollten daher sorgfältig prüfen, ob sie vergleichbare Fälle verwirklicht haben.
In vielen Bereichen wird die Steuerbefreiung vorteilhaft sein, da die Umsatzsteuer an die Nutzer oftmals nicht oder jedenfalls nicht voll weitergegeben werden kann und zugleich auf der Eingangsseite überwiegend Personalkosten anfallen. Anders fällt die Bewertung jedoch aus, wenn die Eingangsleistungen mit Umsatzsteuer erbracht werden, denn die Steuerbefreiung schließt dann nach § 15 Abs. 2 UStG den Vorsteuerabzug aus, und eine Option ist nach § 9 Abs. 1 UStG gleichfalls nicht vorgesehen.
Zusätzlich sollten Unternehmen, die nachträglich vertreten, dass ihre Umsätze steuerfrei sind, die Rechnungstellung beachten. Haben sie nämlich Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis (oder Kleinbetragsrechnungen mit den Angaben nach § 33 UStDV) in Verkehr gebracht, müssen sie erst Berichtigungen nach § 14c Abs. 1 UStG durchführen, was nicht rückwirkend zulässig ist.