Nachfolgend ein Beitrag vom 15.1.2018 von Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 2/2018 Anm. 2

Leitsatz

Die bei Verträgen unter fremden Dritten bestehende Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts ist im Fall der Übertragung eines Kapitalgesellschaftsanteils, für den der Zuwendende hohe Anschaffungskosten getragen hat, nicht alleine wegen eines Freundschaftsverhältnisses zwischen dem Zuwendenden und dem Empfänger als widerlegt anzusehen.

A. Problemstellung

Zu entscheiden war über die Berücksichtigung eines Verlusts aus der Veräußerung von unentgeltlich erworbenen Anteilen an einer GmbH.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war im Streitjahr 2010 für einen kurzen Zeitraum Gesellschafter der A.-GmbH. Gegenstand der Gesellschaft ist die Verwaltung und langfristige Anlage eigenen Vermögens, insbesondere das Halten und die Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften. Sie hielt im Streitjahr einen Anteil von 66,6% an der B.-GmbH, die wiederum zu 100% beherrschende Gesellschafterin der C.-AG war. Die A.-GmbH war im Jahr 2001 als Finanzholding durch Herrn D. als Alleingesellschafter gegründet worden. D. hielt zu Beginn des Streitjahres 2010 75,8% der Gesellschaftsanteile (379.000 Euro des Stammkapitals von 500.000 Euro) an der A.-GmbH.
Der Kläger ist seit Mai 2010 Vorsitzender des Aufsichtsrates der C.-AG. Über seine Tätigkeit für das Jahr 2010 rechnete er am 30.11.2011 i.H.v. 2.860,77 Euro ab. Der Kläger war bis Mitte 2010 in leitender Funktion im E.-Konzern tätig und schied dort gegen eine Abfindung i.H.v. … Euro aus dem Arbeitsverhältnis aus. Die Familie D. und die Familie des Klägers verbindet ein langjähriges freundschaftliches Verhältnis. Der Kläger kennt D. seit dessen Kindestagen.
Mit notariellem Vertrag über die Schenkung und Übertragung eines Geschäftsanteils vom 23.12.2010 übertrug D. einen Geschäftsanteil an der A.-GmbH im Nennwert von 4.000 Euro (0,8% des Stammkapitals von 500.000 Euro) auf den Kläger. Die nach einer Außenprüfung ermittelten Anschaffungskosten des D. für diesen Geschäftsanteil betrugen 1.461.295,01 Euro. Mit notariellem Vertrag vom 29.12.2010 veräußerte der Kläger den Geschäftsanteil an der A.-GmbH zu einem Kaufpreis von 400 Euro an die geschäftlich aktive F.-GmbH, die er am 16.12.2010 gegründet hatte und deren alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer er ist.
Der gemeine Wert des Geschäftsanteils an der A.-GmbH betrug zum Zeitpunkt der Übertragung auf die F.-GmbH 400 Euro. Schenkungsteuerlich ist der Anteil mit 1.050 Euro angesetzt worden. Dieser Wert wurde auf der Basis der Bilanz der A.-GmbH zum 31.12.2009 ermittelt.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger aus der Veräußerung des Anteils einen Verlust i.H.v. 885.215 Euro geltend. Der Kläger trug vor, dass die Schenkung ausschließlich aus einer persönlichen freundschaftlichen Beziehung zwischen D. und dem Kläger resultiere. Dabei habe des Klägers wirtschaftliche Kompetenz auch eine Rolle gespielt. D. habe ein Interesse daran gehabt, ihn als Gesellschafter der A.-GmbH zu gewinnen.
Das beklagte Finanzamt setzte im Einkommensteuerbescheid für 2010 statt des geltend gemachten Verlusts um 400 Euro erhöhte Einkünfte aus Kapitalvermögen an. Die Sprungklage, mit der der Kläger die Berücksichtigung eines Verlusts aus der Anteilsveräußerung i.H.v. 876.537 Euro begehrte, hatte Erfolg (FG Hamburg, Urt. v. 25.11.2015 – 2 K 258/14 – EFG 2016, 483).
Die Revision des Finanzamts hatte Erfolg. Nach Auffassung des BFH hat das Finanzgericht zu Unrecht das Verhältnis zwischen Freunden typisierend mit demjenigen von Verwandten gleichgesetzt und deshalb die Vermutung für das Vorliegen einer entgeltlichen Übertragung des Gesellschaftsanteils als widerlegt angesehen. Es habe damit die Reichweite eines Erfahrungssatzes verkannt. Der BFH führte zur Begründung aus:
I. Ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis kann zwar ausnahmsweise im Einzelfall auch bei nicht verwandtschaftlich verbundenen Personen gegeben sein. In einem solchen Fall bedarf es aber weiterer besonderer, objektiver Anhaltspunkte, aus denen auf die Entkräftung der Vermutung einer entgeltlichen Übertragung geschlossen werden kann. Solche Umstände hat das Finanzgericht indes nicht festgestellt. Da dem Urteil des Finanzgerichts ein allgemeiner Erfahrungssatz zugrunde liegt, der mit diesem Inhalt nicht besteht, ist der BFH an die tatsächliche Würdigung nicht gebunden.
II. Die vorgenannte Annahme des Finanzgerichts lässt sich insbesondere nicht auf das Urteil des erkennenden Senats vom 08.04.2014 (IX R 4/13 Rn. 11 – BFH/NV 2014, 1201) stützen. In jenem Urteil stellt der Senat zwar klar, bei einander nahestehenden Personen könne nicht unterstellt werden, dass sie Leistung und Gegenleistung im Regelfall nach kaufmännischen Gesichtspunkten ausgehandelt haben. Diesen Ausführungen liegen jedoch die Übertragungen von GmbH-Gesellschaftsanteilen des Vaters auf die Kinder zugrunde. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis ist in dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt gerade nicht gegeben. Vielmehr tragen im Streitfall die bisherigen Feststellungen des Finanzgerichts nicht sein Ergebnis, dass es sich bei dem Zuwendenden und dem Kläger um einander nahestehende Personen handelt.
III. Anders als das Finanzgericht annimmt, ist aufgrund der vorliegenden atypischen Umstände der für Zwecke der Besteuerung – anders als im Zivilrecht – insoweit allein maßgebende wirtschaftliche Gehalt des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts ohne Bindung an eine Richtigkeits- und Vollständigkeitsvermutung des notariell beurkundeten „Vertrags über die Schenkung und Übertragung“ zu prüfen (gleicher Ansicht FG München, Urt v. 11.04.2016 – 7 K 2432/14, rkr.). Denn diese rein formale Vermutung ist im Streitfall aufgrund der behaupteten außergewöhnlichen Sachverhaltsgestaltung widerlegt. Dass den Zuwendenden und den Kläger eine langjährige, aus der Nachbarschaft erwachsene Freundschaft verbindet, stellt alleine keinen nachvollziehbaren Grund dafür dar, dass D. einen Anteil (0,8%) an der A.-GmbH, für den er erhebliche Anschaffungskosten i.H.v. 1.461.295,01 Euro getragen hatte, im Jahr 2010 unentgeltlich auf den Kläger übertragen haben soll.
IV. Die Sache ist nicht spruchreif. Das Finanzgericht hat von seinem Standpunkt aus zu Recht keine ausreichenden Feststellungen getroffen, aus denen auf die Entkräftung der Vermutung einer entgeltlichen Übertragung geschlossen werden kann. Dies hat es im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Die tatsächliche Vermutung, dass fremde Personen einander im Geschäftsleben nichts zu schenken pflegen, kann von dem die objektive Beweislast (Feststellungslast) tragenden Steuerpflichtigen (Kläger) durch unmittelbaren Beweis oder mit Hilfe eines Indizienbeweises widerlegt werden. Das Finanzgericht hat dabei aber zu berücksichtigen, dass die genannte Vermutung umso stärker ausfällt, je wirtschaftlich werthaltiger der übertragene Gesellschaftsanteil für den Übertragenden und den Empfänger ist. Könnte sich das Finanzgericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nicht mit der dafür erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass die Übertragung unentgeltlich war, würde dies zulasten des Klägers gehen, der sich auf die Unentgeltlichkeit beruft. Käme das Finanzgericht bei der Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO demgegenüber zu dem Ergebnis, dass die Unentgeltlichkeit der Übertragung an den Kläger als nachgewiesen anzusehen wäre, müsste es im Zusammenhang mit der möglichen Anwendbarkeit des § 42 AO (Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten) insbesondere den Fragen nachgehen, warum der erst am 23.12.2010 an den Kläger zugewendete Geschäftsanteil bereits am 29.12.2010 an die kurz zuvor gegründete F.-GmbH veräußert worden ist, und ob dieser Sachverhalt bei einer Gesamtschau eine unangemessene rechtliche Gestaltung darstellt. Der Senat weist schließlich darauf hin, dass das Finanzgericht bislang keine substantiierten Feststellungen zur Höhe der Anschaffungskosten des D. für seinen Anteil an der A.-GmbH getroffen hat.

C. Kontext der Entscheidung

I. Veräußerung i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die Übertragung von Anteilen gegen Entgelt (BFH, Urt. v. 08.04.2014 – IX R 4/13 – BFH/NV 2014, 1201 m.w.N.; Anm. Jachmann, jurisPR-SteuerR 39/2014 Anm. 3). Entgeltlich ist die Übertragung von Gesellschaftsanteilen, wenn ihr eine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (BFH, Urt. v. 05.03.1991 – VIII R 163/86 – BStBl II 1991, 630; BFH, Urt. v. 01.08.1996 – VIII R 4/92 – BFH/NV 1997, 215). Das Gegenstück zur entgeltlichen Veräußerung ist die unentgeltliche Übertragung von Anteilen (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Sätze 5 und 6 Buchst. a EStG), die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Übertragende dem Empfänger eine freigiebige Zuwendung machen will. Letzteres ist bei Verträgen unter fremden Dritten im Allgemeinen nicht anzunehmen, sofern nicht Anhaltspunkte für eine Schenkungsabsicht des übertragenden Vertragspartners bestehen. Deshalb spricht insoweit eine (widerlegbare) Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts (BFH, Urt. v. 07.03.1995 – VIII R 29/93 – BStBl II 1995, 693; BFH, Urt. v. 21.10.1999 – I R 43, 44/98 – BStBl II 2000, 424; FG München, Urt. v. 11.04.2016 – 7 K 2432/14, rkr.).
II. Bei einander nahestehenden Personen wird demgegenüber der Nachweis der Unentgeltlichkeit erleichtert; denn bei ihnen kann nicht unterstellt werden, dass sie Leistung und Gegenleistung im Regelfall nach kaufmännischen Gesichtspunkten ausgehandelt haben (BFH, Urt. v. 08.04.2014 – IX R 4/13 – BFH/NV 2014, 1201; Anm. Jachmann, jurisPR-SteuerR 39/2014 Anm. 3). Was unter „einander nahestehenden Personen“ zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht definiert. Maßgebend ist, ob unter Berücksichtigung der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis angenommen werden kann.
III. Ob im Einzelfall unter Anwendung dieser Grundsätze eine entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung vorliegt, ist grundsätzlich Tatfrage und als solche vom Finanzgericht zu beurteilen. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob das Finanzgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor, der als Fehler der Rechtsanwendung ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden kann (ausführlich z.B. BFH, Urt. v. 02.12.2004 – III R 49/03 – BStBl II 2005, 483; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 19/2005 Anm. 5; BFH, Urt. v. 20.06.2012 – X R 20/11 – BFH/NV 2012, 1778).

D. Auswirkungen für die Praxis

Im Rahmen von § 17 EStG kommt es maßgeblich darauf an, ob der Veräußerer entgeltlich oder unentgeltlich erworben hat. Bei einander nahestehenden Personen kann nicht unterstellt werden, dass sie Leistung und Gegenleistung im Regelfall nach kaufmännischen Gesichtspunkten ausgehandelt haben. Ob es sich um „einander nahestehende Personen“ handelt, bestimmt sich danach, ob unter Berücksichtigung der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis angenommen werden kann. Bei Verträgen unter fremden Dritten wird vermutet, dass bei der Übertragung eines Kapitalgesellschaftsanteils, für den der Zuwendende hohe Anschaffungskosten getragen hat, ein entgeltliches Geschäft vorliegt. Diese Vermutung ist nicht alleine wegen eines Freundschaftsverhältnisses zwischen dem Zuwendenden und dem Empfänger als widerlegt anzusehen.

Berücksichtigung eines Verlusts aus der Veräußerung von unentgeltlich erworbenen Kapitalgesellschaftsanteilen
Thomas HansenRechtsanwalt
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