Nachfolgend ein Beitrag vom 16.09.2016 von Klingelhöffer, jurisPR-BGHZivilR 16/2016 Anm. 3

Leitsatz

Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks ein Wohnungsrecht an diesem oder Teilen daran vor, so kann hierdurch in Ausnahmefällen (hier verneint) der Beginn des Fristlaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein (Fortführung des Senatsurt. v. 27.04.1994 – IV ZR 132/93 – BGHZ 125, 395).

A. Problemstellung

Neben dem Auskunftsanspruch und dessen Durchsetzung ist die Frage, ob und in welchem Umfang verschenkte Gegenstände in den Nachlass einzubeziehen sind, ein Hauptstreitpunkt in Auseinandersetzungen über den Pflichtteil. Während es bei beweglichen Gegenständen meist darum geht, ob und was verschenkt worden ist und welchen Wert das Geschenk hat, setzt der Streit bei unentgeltlichen Verfügungen über ein Grundstück bei der Frage an, ob und mit welchem Wert bei dem Schenker verbleibende Rechte und Leistungen des Schenkungsempfängers als Abzugsposten zu berücksichtigen sind. Zu Konflikten führen vor allem zwei Konstellationen: Zum einen die Verpflichtung des Schenkungsempfängers, Betreuungs- und/oder Unterhaltsleistungen zu erbringen. Zum anderen das Recht des Schenkers, den geschenkten Gegenstand, meist eine Wohnung oder ein Haus (weiter) (mit) zu nutzen. Verbunden wird dies häufig mit einer Belastungsbeschränkung und einem Veräußerungsverbot. Der Streit entzündet sich dann an der Frage, ob der Empfänger zu Lebzeiten überhaupt etwas unentgeltlich erhalten hat oder ob zumindest eine unentgeltlicher Restposten verbleibt, der beim Pflichtteilsergänzungsanspruch zu berücksichtigen ist. Damit hängt weiter zusammen, wann der Leistungserfolg eingetreten ist, weil dieser auch über den Beginn der zehnjährigen Frist entscheidet. Je werthaltiger die dem Schenker vorbehaltenen Rechte sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Zehnjahresfrist nicht schon mit der Eintragung zu laufen beginnt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das hier besprochene Urteil des BGH knüpft an drei frühere Entscheidungen des IV. Senats aus den Jahren 1986 (BGH, Urt. v. 17.09.1986 – IVa ZR 13/85 – BGHZ 98, 226, 232), 1987 (BGH, Urt. v. 02.12.1987 – IVa ZR 149/86 – BGHZ 102, 289, 292) und 1994 (BGH, Urt. v. 27.04.1994 – IV ZR 132/93 – BGHZ 125, 395) an. Der Grundtenor dieser Erkenntnisse besteht in der Forderung, dass der Erblasser nicht nur formal seine Rechtsstellung als Eigentümer nicht nur endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es durch vorbehaltene dingliche Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – weiterhin wesentlich zu nutzen. Der Erblasser müsse den durch die Schenkung eingetretenen Vermögensverlust spüren. Dies sei nicht der Fall, wenn er den Genuss des verschenkten Gegenstandes nicht aufgebe.
In der Streitsache hatte der BGH zu klären, wie sich die genannten Vorgaben auswirken, wenn der künftige Erblasser sich in einem aus drei Etagen bestehenden Haus (Erdgeschoss, Ober- und Dachgeschoss) ein Wohnungsrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss vorbehält, den Garten und Nebenräume sowie die erforderlichen Leitungen (Wasser, Wärme, Energie, Entsorgung), schließlich die Garage weiter nutzen darf. Hinzu kam das Verbot einer Veräußerung an Dritte und eine Beschränkung bei einer Belastung, welche dem Wohnrecht im Rang nachging. Es war daher festzustellen, ob eine Schenkung vorliegt und wann – für den Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 entscheidend – die Leistung erfolgt ist.
Nach Auffassung des BGH ist die Schenkung bereits mit der Eintragung im Grundbuch erfolgt. Der Schenker habe nicht nur seine Eigentümerstellung aufgegeben, sondern auch auf eine vollständige Nutzung verzichtet. Daran ändere nichts das Recht, die Wohnung im Erdgeschoss weiter zu nutzen. Der Erblasser sei nämlich mit Vollzug des Erbvertrages nicht mehr als „Herr im Haus“ anzusehen (Rn. 16 unter Hinweis auf OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.01.2008 – 12 U 124/07 – ZEV 2008, 244, 245). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, lasse sich nicht abstrakt beantworten, sondern sei durch die Tatsacheninstanz zu prüfen. In der Streitsache war die – abgeschmolzene – Zehnjahresfrist im Zeitpunkt des Erbfalls bereits abgelaufen. Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bestand daher nicht mehr.

C. Kontext der Entscheidung

Das Urteil des BGH bestätigt weitgehend die auch von den Oberlandesgerichten geübte Praxis, die Schenkung erst dann als vollzogen anzusehen, wenn der Erblasser den Genuss des verschenkten Gegenstandes wirklich entbehren muss. Dies erfordert nicht allein, den Sachverhalt rechtlich, sondern auch in seinen praktischen Auswirkungen für das tägliche Leben der Vertragsparteien zu prüfen (OLG München, Urt. v. 25.06.2008 – 20 U 2205/08 – ZEV 2008, 480, 481). Der BGH hat sich mit der Genusstheorie in Widerspruch zu dem Schrifttum gesetzt. Olshausen (in: Staudinger, BGB, Bearb. 2014, § 2325 Rn. 58) sieht in der Rechtsprechung, welche de facto ein Fall richterlicher Rechtsfortbildung sei, eine Gefahr für die Rechtssicherheit. Nach der Genusstheorie seien nämlich Substanz- und Nutzungswert gleich zu behandeln.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Verfasser kann sich auf ein wörtliches Zitat (Olshausen in: Staudinger, a.a.O.) beschränken: „Die Praxis wird sich … auf die neue Rechtsprechung einstellen müssen und bei Vermögensübertragungen, die mit vermögenswerten Leistungen an den Schenker gekoppelt sind, in vorauseilendem Gehorsam die Einschränkungen aus der Genusstheorie bei der Gestaltung zu berücksichtigen haben“.