Nachfolgend ein Beitrag vom 18.5.2016 von Sixtus, jurisPR-ArbR 20/2016 Anm. 5

Leitsätze

1. Die fortwährend über einen Zeitraum von 30 Arbeitstagen andauernde und während der Arbeitszeit erfolgende private Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses im Umfang von knapp 40 Stunden berechtigt den Arbeitgeber wegen der darin liegenden Verletzung der Arbeitspflicht auch dann zur außerordentlichen Kündigung, wenn dem Arbeitnehmer die Privatnutzung arbeitsvertraglich in Ausnahmefällen innerhalb der Arbeitspausen erlaubt ist.
2. Im Kündigungsschutzprozess können zu Lasten des Arbeitnehmers die vom Arbeitgeber ohne Hinzuziehung des Arbeitnehmers ausgewerteten Einträge der aufgerufenen Internetseiten in der Chronik des auf dem Dienstrechner des Arbeitnehmers installierten Internet-Browsers zum Beweis einer exzessiven Internetnutzung verwertet werden. Obwohl es sich dabei um personenbezogene Daten handelt und auch wenn eine wirksame Einwilligung in die Kontrolle dieser Daten nicht vorliegt, besteht kein Beweisverwertungsverbot, weil das Bundesdatenschutzgesetz auch ohne Einwilligung des Arbeitnehmers die Speicherung und Auswertung der Verlaufsdaten in der Chronik eines Internetbrowsers zu Zwecken der Missbrauchskontrolle erlaubt. Unabhängig davon besteht jedenfalls dann kein Beweisverwertungsverbot, wenn dem Arbeitgeber ein mit anderen Mitteln zu führender konkreter Nachweis des Umfangs des Missbrauchs des dienstlichen Internets nicht zur Verfügung steht.
3. Auch aus § 88 Abs. 3 TKG folgt in diesem Falle kein Beweisverwertungsverbot, weil das TKG nicht anwendbar ist, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern eine private Nutzung des dienstlichen Internetanschlusses erlaubt.
4. Zur Abgrenzung von nachgeschobenen Kündigungsgründen zur Konkretisierung bereits mitgeteilter Kündigungsgründe bei der Betriebsratsanhörung.

A. Problemstellung

Das LArbG Berlin-Brandenburg hatte darüber zu entscheiden, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, zur Feststellung eines Kündigungssachverhalts den Browserverlauf des dem Arbeitnehmer überlassenen Dienstrechners ohne dessen Zustimmung auszuwerten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Dem Kläger war durch die Beklagte ein internetfähiger Dienstrechner überlassenen worden. Die private Internetnutzung hatte die Beklagte in der über ihr Intranet abrufbaren IT-Nutzerrichtlinie untersagt. Nachdem sie Ende Februar 2014 durch einen Mitarbeiter Hinweis auf eine dauerhafte private Internetnutzung durch den Kläger erhalten hatte, führte die Beklagte eine Kontrolle des Datenvolumens durch. Dabei wurde festgestellt, dass das Datenvolumen des klägerischen Rechners denen der von der Beklagten betriebenen Server entsprach. Am 05.03.2014 erfolgte ein Gespräch mit dem Kläger in dem dieser einräumte, aufgrund seiner privaten Internetnutzung jederzeit mit einer Abmahnung gerechnet zu haben. Die Beklagte hörte am 11.03.2014 den Betriebsrat an und kündigte am 14.03.2014 das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Am 17.04.2014 wurde dann im Beisein zweier Betriebsratsmitglieder der Rechner des Klägers durch den IT-Leiter der Beklagten überprüft und in diesem Rahmen der Verlauf des Browsers auf dem Rechner des Klägers ausgewertet. Festgestellt wurden über einen Zeitraum von 30 Arbeitstagen bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden 16.369 Seitenaufrufe – neben dem Aufruf von online-Marktplätzen auch in erheblichem Umfang Aufrufe von Seiten mit pornografischen Inhalten sowie der illegale Download von Musik.
Das ArbG Berlin hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hiergegen blieb ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision an das BAG zugelassen. Die Revision ist dort anhängig unter dem Az. 2 AZR 198/16.

C. Kontext der Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg sah in der exzessiven Internetnutzung des Klägers zu privaten Zwecken einen an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Die festgestellten Seitenaufrufe entsprachen ihrem Umfang nach einer Privatnutzung des Internets von mindestens 39,86 Stunden bei auf diesen Zeitraum entfallenden 30 Arbeitstagen des Klägers. Selbst unter Berücksichtigung von 30 Minuten Ruhepausen je Arbeitstag habe der Kläger, anstatt zu arbeiten, mindestens 24,86 Stunden zu privaten Zwecken im Internet gesurft. Hieran bestand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für das Gericht kein Zweifel. Entgegen der Auffassung des Klägers waren die Ergebnisse der Beweisaufnahme auch verwertbar. Zwar handelte es sich um personenbezogene Daten, deren Erhebung, Verarbeitung und Nutzung nicht durch eine Betriebsvereinbarung i.S.d. § 4 Abs. 1 BDSG gestattet war. Gleichermaßen hatte der Arbeitnehmer in deren Kontrolle nicht eingewilligt. Die Überprüfung und Auswertung der Browserdaten sei jedoch durch § 32 Abs. 1 BDSG gerechtfertigt gewesen. Die Erhebung und Verarbeitung (Speicherung) der Verlaufsdaten in der Chronik des Internetbrowsers des klägerischen Rechners zum Zwecke der Missbrauchskontrolle sei der Durchführung des Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zuzuordnen. Die Beklagte habe insoweit ein legitimes Interesse zu überprüfen, ob eine unzulässige Internetnutzung erfolge – was anhand der Titel der aufgerufenen Webseiten festgestellt werden könne. Zudem könne anhand des protokollierten Aufrufes überprüft werden, ob der Aufruf während oder außerhalb der Arbeitszeit erfolgte. Auch die nach Ausspruch der Kündigung erfolgte Auswertung der Daten sei gerechtfertigt gewesen, da die Beklagte die ausgewerteten Verlaufsdaten im Kündigungsschutzprozess als Beweismittel nutzen wollte – dies somit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 32 Abs. 1 BDSG diente. Die Auswertung sei auch erforderlich gewesen. Die Beklagte habe keine Möglichkeit gehabt, mit anderen Mitteln den Umfang der unerlaubten Internetnutzung nachzuweisen. Als unerheblich sah das Gericht an, dass der Kläger bei der Auswertung nicht hinzugezogen wurde. Denn die Art und Weise der Auswertung wäre auch bei Anwesenheit des Klägers keine andere gewesen; der Kläger hätte die Auswertung der einzelnen aufgerufenen Internetseiten nicht durch die freiwillige Bekanntgabe der täglichen Zeiten privater Internetnutzung – zu denen er nach eigener Einlassung keine genauen Erinnerungen hatte – abwenden können. Die Auswertung der Browserchronik stelle auch keinen überschießenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Die Beklagte konnte – mangels sonstiger, weniger stark in das Persönlichkeitsrecht des Klägers eingreifender geeigneter Aufklärungsmaßnahmen – allein über die Einträge in der Browserchronik nachvollziehen, ob und in welchem Umfang der Kläger das Internet während der Arbeitszeit privat nutzte. Die Vorschriften des Teledienstegesetzes (TDG) und des Telemediengesetzes (TMG) standen der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Browserverlaufsdaten nicht entgegen. Das TDG trat bereits am 01.03.2007 außer Kraft. Die Vorschriften des TMG waren gemäß § 1 Abs. 1 TMG i.V.m. § 3 Nr. 24 TKG nicht einschlägig, da die reine Zugangsvermittlung im Bereich des Internets eine Telekommunikationsleistung darstelle. Auch § 88 Abs. 3 TKG war nicht einschlägig. Denn Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern auch die private Nutzung dienstlicher Telekommunikationsreinrichtungen gestatten, seien keine Diensteanbieter im Sinne des TKG. Die weitere Interessenabwägung fiel zum Nachteil des Klägers aus. Insbesondere sei es für ihn erkennbar gewesen, dass eine private Nutzung des Internets im Gesamtumfang von fast einer Woche nicht durch die Beklagte hingenommen würde. Insoweit bedurfte es keiner Abmahnung. Gleichermaßen war der Beklagten angesichts der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten nicht zuzumuten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Dieses – derzeit leider noch nicht rechtskräftige Urteil – gibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, bei entsprechenden Anhaltspunkten für eine unzulässige private Internetnutzung über den Dienstrechner sich ein konkretes Bild über die erfolgten Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu machen. Dies ist begrüßenswert, hatte dieser bislang kaum Möglichkeit, entsprechenden Nachweis zu führen. Dies scheint das LArbG Berlin-Brandenburg auch so gesehen zu haben, als es weiterhin sogar für den Fall einer rechtswidrigen Speicherung und Nutzung der in der Browserchronik gespeicherten Daten gleichwohl die Beweisverwertung für zulässig erachtete. Insoweit spreche für das vorrangige Verwertungsinteresse, dass sich der Beweisführer mangels anderweitiger Erkenntnisquellen in einer notwehrähnlichen Lage befinden würde. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob und inwieweit das BAG dieses Urteil bestätigen wird.