Nachfolgend ein sehr lesenswerter Beitrag vom 11.5.2016 von Fischer, jurisPR-ArbR 19/2016 Anm. 2
Orientierungssatz zur Anmerkung
Ausländerfeindliche Hasstiraden auf Facebook können eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
A. Problemstellung
Bekanntlich zeichnen sich Diktaturen dadurch aus, dass in ihnen das Lied von der Freiheit der Gedanken heimlich mit voller Inbrunst gesungen werden muss, weil der Übergang von Gedanken in geäußerte Worte mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist. Demokratien singen demgegenüber das hohe Lied der Meinungsfreiheit, die zu den unveräußerlichen Menschenrechten gehört. Nun haben es aber so gut wie alle Rechte an sich, dass sie nicht grenzenlos in Anspruch genommen werden dürfen. Die jeweilige Grenzziehung ist eine der wichtigen Aufgaben, die im Rahmen der Gewaltenteilung der Rechtsprechung zugewiesen ist.
Die technischen Möglichkeiten unserer Zeit zur Entäußerung von inneren Haltungen, Stimmungen, Gedanken und Gefühlen haben den Raum, in den diese entlassen werden können, verdoppelt. Neben der Realität mittelbarer akustischer und visueller Phänomene steht jetzt zusätzlich die Virtualität des Internets. Aber die bloße Raumvergrößerung ist bei weitem nicht so qualitativ und quantitativ bedeutsam wie die gleichzeitig ermöglichte Reichweitenverlängerung und die exorbitant erhöhte Geschwindigkeit der Verbreitung. Hinzu kommt die Erleichterung der Produktion und die Verkürzung der Produktionszeit: Schnell was eintippen ist nun einmal einfacher und schneller, als ein Blatt Papier zu beschreiben, zu vervielfältigen und zu verteilen. Diese Entwicklungen führen zunehmend dazu, dass sich auch die Arbeitsgerichte mit der Einwirkung von Meinungsäußerungen auf das Arbeitsverhältnis befassen müssen, die noch vor 20 Jahren den unmittelbarem Dunstkreis eines Stammtisches, des privaten Umfelds nicht verlassen hätten bzw. nie zur Kenntnis einer unbestimmten Vielzahl von Menschen weltweit, darunter eben auch dem Arbeitgeber, hätten kommen können. Die hier besprochene Entscheidung des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen ist ein Beispiel für diese Entwicklung.
Der Verfasser dieser Anmerkung gibt sich der optimistischen Hoffnung hin, dass seine nachfolgenden Überlegungen nicht missverstanden bzw. richtig eingeordnet werden. Solche Hoffnungen können allerdings trügerisch sein. Denn alles das, was zur Zeit unter dem (vermeintlich) schützenden Dach des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschieht, scheint in Zeiten der über die Medien angefeuerten Debatten, also in Zeiten, in denen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik tiefe Gräben in die Gesellschaft reißen, gefahrgeneigte Tätigkeit zu sein. Vielleicht gelingt es mir aber trotz aller Risiken, deutlich zu machen:
1. Dass ich einerseits die inhaltlichen Positionen, um deren arbeitsrechtliche Bewertung im Sinne einer Ausstrahlung auf das Arbeitsverhältnis es im streitgegenständlichen Fall ging, nicht einmal ansatzweise teile, also weder gutheiße noch hinnehme.
2. Dass ich aber andererseits nicht in einen blinden Taumel der Empörung verfalle, der dazu verleitet, arbeitsrechtliche Prinzipien, insbesondere den sozialen Schutzcharakter des Kündigungsschutzes, leichtfertig aufzugeben.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Ein im kommunalen Bereich beschäftigter Gärtner und Straßenreiniger war zwar der deutschen Rechtschreibung wenig mächtig, was ihn aber nicht daran hinderte, einen Facebook-Account zu betreiben. Dort demonstrierte er, dass so gut wie jedes Wort, was er nicht zu Papier, aber ins Internet brachte, falsch geschrieben werden kann. Zutreffend ist, dass die Würde des Menschen nicht davon abhängt, dass der die Würde Verletzende orthographische Meisterleistungen verbringt. Auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beinhaltet als Schutzvoraussetzung selbiges nicht. Seine Wirkungen versagen aber immer dann, wenn durch geäußerte Meinungen in Art. 5 Abs. 2 GG genannte Schranken tangiert bzw. überschritten werden.
Der Verfasser versagt es sich, die Unsäglichkeit der hier streitgegenständlichen Äußerungen durch Wiederholung aufzuwerten und stellt fest, dass sie für den öffentlichen Diskurs nicht nur ungeeignet, sondern schädlich und gefährlich sind. Das Arbeitsgericht hat gemeint, sie seien darüber hinaus geeignet, das arbeitsvertragliche Band der Arbeitsvertragsparteien, trotz einer Betriebszugehörigkeit von deutlich mehr als 15 Jahren außerordentlich fristlos zu beenden und sah sich in der Lage, von der Verpflichtung zur Erteilung einer Abmahnung vor Ausspruch der schärfsten arbeitsrechtlichen Sanktion abzusehen. Dies, obwohl der fristlos gekündigte Arbeitnehmer im Laufe des Prozesses alle Anstrengungen unternahm, den Eindruck zu erwecken, er habe mit den auf seinem Facebook-Account geäußerten abstrusen Meinungen nichts zu tun.
C. Kontext der Entscheidung
Als älterer Mitbürger, der freimütig bekennt, an dem Milliardengeschäft, das das Unternehmen Facebook darstellt, wenig Gefallen zu finden und seine Segnungen für die Menschheit als überschaubar zu bezeichnen, sehe ich mich nicht in der Lage, die datentechnische Diskussion um die im streitgegenständlichen Fall aufgeworfene Frage zu beantworten, ob es möglich sei, dass die vom Arbeitgeber als kündigungsrelevant aufgefassten Äußerungen des Klägers nicht ihm, sondern unbekannten Dritten zuzuordnen sind. Ich gehe im Rahmen dieser Besprechung schlicht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass es sich hier um eine (untaugliche) Schutzbehauptung des klagenden Arbeitnehmers handelt, wie sie in Prozessen um verhaltensbedingte Kündigungen gang und gäbe sind.
Wie oben bereits angedeutet, habe ich keinen Zweifel, dass der wutschnaubende Facebooker Äußerungen getan hat, die nicht hinnehmbar und auch gesellschaftlich schädlich sind. Allerdings, vor dem ArbG Gelsenkirchen ging es nicht um eine zivilrechtliche oder strafrechtliche Beurteilung von Äußerungen mit Blick auf die Opfer dieser Äußerungen und mit Blick auf das gesamtstaatliche Gefüge. Vor dem ArbG Gelsenkirchen ging es schlicht und ergreifend um die Frage, ob jenseits der Rechtsverletzung gegenüber den mit Hasstiraden überzogenen Menschen und jenseits der dadurch entstandenen Beeinträchtigung öffentlichen Diskurses, „Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist … nicht zugemutet werden kann“, § 626 Abs. 1 BGB. Schon dieses Zitat zeigt, dass der Prüfungsrahmen und der Prüfungsauftrag des Arbeitsgerichtes eine völlig andere Schutzrichtung hat als die Persönlichkeitsschutzrechte, die primär in Art. 5 Abs. 2 GG in Rede stehen. Für die Durchbrechung des Kündigungsschutzes ist die wesentliche, ja die entscheidende Kategorie nicht die Frage nach allgemeinem Wohlverhalten oder dem Gegenteil davon, sondern die Frage der Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers im engeren bzw. des Betriebes oder Unternehmens als einer kollektiven Einheit im weiteren Sinne. Insbesondere dann, wenn der kündigungsrelevante Sachverhalt, hier das Verhalten eines Arbeitnehmers, mit der eigentlichen Erbringung der Arbeitsleistung nichts zu tun hat, sondern außerhalb derselben und außerhalb des betrieblichen Zusammenhanges steht, ist eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich, worin genau die Beeinträchtigung des Dauerschuldverhältnisses besteht. Diese kann sich z.B. daraus ergeben, dass das kündigungsrelevante Verhalten von einem Arbeitnehmer stammt, der in der Öffentlichkeit als Repräsentant des Arbeitgebers auftritt. Ich wage die These, dass bei einem Gärtner und Straßenreiniger die öffentliche Wahrnehmung desselben als Arbeitgeberrepräsentant allenfalls marginal vorhanden sein dürfte. Die Beeinträchtigung kann sich auch daraus ergeben, dass das mit dem Arbeitsverhältnis nicht in Verbindung stehende Verhalten Ausstrahlungswirkungen auf den Ruf des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit hat. Das ist natürlich insbesondere dann der Fall, wenn es um Tendenzunternehmen geht, aber auch dann, wenn Unternehmen sich im Rahmen ihrer Betriebszwecke ethischen, moralischen oder auch sozialen oder qualitativen Prinzipien verschrieben haben. Ich wage zu bezweifeln, dass das kommunale Unternehmen, das den Gärtner und Straßenreiniger beschäftigte, als Prototyp eines solchen Arbeitgebers angesehen werden kann. Ferner ist das außerdienstliche Verhalten eines Arbeitnehmers kündigungsrelevant, wenn Zweifel an seiner Bereitschaft bestehen, die arbeitsvertraglichen Hauptpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen oder wenn dieses Verhalten zu einer innerbetrieblichen Friedensstörung führt. Es erscheint mir zweifelhaft, ob entsprechende Tatsachen festgestellt wurden.
Die Schwierigkeit bei der rechtlichen Beurteilung von Meinungen durch gerichtliche Instanzen liegt – auch dafür ist der vorliegende Fall meines Erachtens ein schönes Beispiel – insbesondere darin, dass die Personen, die die gerichtlichen Instanzen repräsentieren, ihrerseits Träger von Meinungen, Haltungen, Einschätzungen, Urteilen, vielleicht sogar Vorurteilen sind. Denn es sind ja glücklicherweise Menschen. Die Aufgabe dieser Menschen ist fast übermenschlich, nämlich von den eigenen Meinungen in hohem Maße zu abstrahieren und nicht ihre eigenen Meinungen selbst zum Maßstab der Beurteilung anderer Meinungen zu machen. Folgendes Gedankenexperiment sei gestattet: Unser Gärtner und Straßenreiniger hätte nicht über Ausländer gepöbelt, sondern über Kommunisten und Sektenangehörige oder wahlweise auch über AfD-Mitglieder oder Nazis bzw. Neonazis. Hätte er auch mit der zwingenden Folgerichtigkeit wie im vorliegenden Falle das schärfste arbeitsrechtliche Schwert im Nacken gehabt? Oder anders gefragt: Ist der Empörungspegel, der von der öffentlichen Debatte getriggert wird, ein sachgerechtes Kriterium, die kündigungsrelevante Beeinträchtigung der Arbeitgeberinteressen zu indizieren? Wäre es nicht angebracht, auch bei Tiraden der hier streitgegenständlichen Art in Arbeitsverhältnissen der hier streitgegenständlichen Art die Kirche im Dorf zu lassen? Ich gebe folgendes zu bedenken: Nicht alle unter dem TVöD beschäftigten Arbeitnehmer sind in der Lage, die Möglichkeiten, die sich ihnen durch die oben bereits angesprochenen technischen Möglichkeiten eröffnen, verantwortungsbewusst und sachgerecht wahrzunehmen.
Dem Arbeitsgericht ist in vollem Umfange zuzustimmen, wenn es kurz, knapp und richtig formuliert: „Es gibt keinen Freiraum, im Internet ehrkränkende Äußerungen über andere abgeben zu können.“ Diesen Freiraum gibt es auch außerhalb des Internets nicht. Nur haben die Äußerungen außerhalb des Internets eine ganz andere Relevanz aufgrund der fehlenden Reichweite, der fehlenden Reproduzierbarkeit und der geringen Aufmerksamkeitserregung. Oder anders formuliert: Stellt es nicht doch eine vom Arbeitsgericht an sich gerade abgelehnte Differenzierung zwischen der Realität und Virtualität dar, wenn offensichtlich ist, dass eine Meinungsäußerung nur dann zu Sanktionen führt, weil sie in der Virtualität ihre besondere Wirkung erweist, während sie hingenommen wird, weil sie in der Realität wenig Erregungspotenzial beinhaltet? So ganz lässt sich der Eindruck nicht vermeiden, dass hier der Arbeitgeber und letztlich auch das Arbeitsgericht weniger daran interessiert waren, die konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses zu sanktionieren. Möglicherweise war das allgemeine pädagogische Interesse, der generalpräventive Gedanke entscheidungsleitend. Damit allerdings verließe das Kündigungsschutzrecht die ihm zugewiesenen Bahnen.
Im vorliegenden Fall war es darüber hinaus so, dass der Arbeitnehmer weder außerprozessual noch prozessual seine Hasstiraden wiederholt oder verteidigt hat. Ein verständiger Arbeitnehmer könnte daraus möglicherweise die Schlussfolgerung ableiten, dass der erzieherische Effekt, mit unmittelbarer Wirkung auf das Arbeitsverhältnis, auch durch eine Abmahnung erreicht worden wäre. Gerade dann, wenn – wie es der vorliegende Fall nahelegt – es sich um eine „Ersttäterschaft“ handelt, scheint mir das Gebot der vorherigen Abmahnung sinnvoll eingesetzt. Dabei geht es natürlich nicht darum, den Anspruch zu erheben, mit Mitteln des Arbeitsrechts den Arbeitnehmer zu einem geachteten Mitglied einer demokratischen Gesellschaft zu adeln. Es geht noch nicht einmal darum, die innere Gedankenwelt des Arbeitnehmers zu beeinflussen, denn – vgl. oben – jedenfalls die Gedanken sind frei. Dabei weiß ich aus meiner eigenen Stellung als Arbeitgeber, dass nicht alle von mir in „meinen“ Arbeitnehmern vermuteten Gedanken mir zu meinem seelischen und politischen Wohlbefinden verhelfen. Aber um Wohlbefinden des Arbeitgebers geht es im Arbeitsverhältnis glücklicherweise von Rechts wegen nicht. Auch der öffentliche Arbeitgeber muss es aushalten, dass in seinen Diensten Arbeitnehmer beschäftigt sind, deren Gedankenwelt nicht mit allen Anforderungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung kompatibel sind. Macht sich ein solcher Arbeitnehmer anheischig, diese Gedankenwelt mit Breitenwirkung zu offenbaren, ist es meines Erachtens in Fällen der vorliegenden Art zunächst ausreichend, dass der Arbeitgeber eine Abmahnung erteilt. Erst wenn diese nichts fruchtet, ist es – dann aber auch konsequent – geboten, Beendigungssanktionen zu ergreifen. Muss ich noch einmal betonen, dass ich inhaltlich mit den vom Arbeitsgericht beurteilten Tiraden nichts, aber auch gar nichts „am Hut“ habe? Wenn ja, habe ich es hiermit getan.
D. Auswirkungen für die Praxis
Ich prognostiziere, dass Fälle der vorliegenden Art zukünftig breiten Raum einnehmen werden. Ich hoffe, dass meine Anmerkung nicht missverstanden wird, sondern Teil einer sachlichen und zielführenden Diskussion ist.