Nachfolgend ein Beitrag vom 14.10.2016 von Lorz, jurisPR-BGHZivilR 18/2016 Anm. 3

Leitsatz

Die Anzeige eines Reisemangels durch den Reisenden ist nicht schon deshalb entbehrlich, weil dem Reiseveranstalter der Mangel bereits bekannt ist.

A. Problemstellung

Liegt bei einem Reisevertrag ein Reisemangel vor, so mindert sich nach § 651d Abs. 1 BGB für dessen Dauer der Reisepreis. Darüber hinaus kann der Reisende nach Maßgabe von § 651f BGB Schadensersatz wegen Nichterfüllung und eine angemessene Entschädigung in Geld wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit verlangen. Hierzu darf er es nach § 651d Abs. 2 BGB nicht schuldhaft unterlassen haben, den Mangel alsbald gegenüber dem Reiseveranstalter anzuzeigen. Dadurch erhält dieser Gelegenheit, dem Mangel abzuhelfen. Die umstrittene Frage, ob die Mangelanzeige ausnahmsweise entbehrlich ist, wenn dem Reiseveranstalter der Mangel bereits bekannt ist, hat der BGH nunmehr höchstrichterlich geklärt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Ausgangspunkt der Entscheidung war folgender Sachverhalt: Der Kläger buchte für sich und seine Ehefrau bei dem beklagten Reiseveranstalter eine Pauschalreise nach Teneriffa für die Dauer von 14 Tagen. Während des gesamten Aufenthalts fanden im Eingangsbereich des gebuchten Hotels und auf dem benachbarten Grundstück Bauarbeiten statt, die tagsüber mit erheblichem Lärm verbunden waren. Der Kläger machte daher aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau eine Minderung des Reisepreises und eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit geltend.
Jedenfalls am 11. Tag der Reise beanstandeten der Kläger und seine Ehefrau den Baulärm gegenüber der Reiseleiterin vor Ort. Streitig war hingegen, ob sie auch schon am vierten Tag ihres Aufenthalts den Mangel angezeigt hatten. Das Berufungsgericht hielt die Klärung dieser Frage für entbehrlich: Da dem Reiseveranstalter der Mangel bekannt gewesen sei, wäre eine Mangelanzeige bloße Förmelei gewesen. Die Minderung des Reisepreises trete daher unabhängig davon ein, wann die Mangelanzeige erfolgt sei.
Diese Rechtsauffassung hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand: Der BGH erachtete die Mangelanzeige auch dann für erforderlich, wenn dem Reiseveranstalter der Mangel bekannt ist.
Hierzu stellte er maßgeblich auf den Sinn und Zweck der Mangelanzeige ab: Sie solle dem Reiseveranstalter Gelegenheit geben, dem Mangel abzuhelfen und für die Zukunft eine vertragsgemäße Leistung sicherzustellen. Dadurch könne er Gewährleistungsansprüche vermeiden oder begrenzen. Die Mangelanzeige liege aber auch im Interesse des Reisenden an einem möglichst ungestörten Urlaub. Es entspreche dagegen keiner redlichen Vertragsabwicklung, einen Mangel zunächst stillschweigend in Kauf zu nehmen, um nach Beendigung der Reise daraus Ansprüche herleiten zu können.
Der Zweck einer Mangelanzeige könne nur in zwei Konstellationen nicht erreicht werden: Dem Reiseveranstalter sei eine Abhilfe nicht möglich oder er gebe von vornherein und unmissverständlich zu erkennen, hierzu nicht bereit zu sein. Dagegen verfehle eine Mangelanzeige bei Kenntnis des Reiseveranstalters nicht ihre Wirkung. Der Umstand, dass er in diesem Fall dem Reisenden ohne Anzeige keine Abhilfe anbiete, rechtfertige nicht die Schlussfolgerung, er sei dazu nicht in der Lage oder nicht willens. Vielmehr ermögliche die Mangelanzeige, für beide Vertragsparteien klare Verhältnisse zu schaffen. Das Anzeigeerfordernis stelle für den Reisenden auch keine unzumutbare Erschwernis dar, weil nicht nur Reisemängel nach Art und Gewicht unterschiedlich seien, sondern von unterschiedlichen Reisenden je nach ihren persönlichen Ansichten, Verhältnissen und Bedürfnissen unterschiedlich wahrgenommen und bewertet würden.
Sodann schloss der BGH die Übertragbarkeit seiner Rechtsprechung zu § 536c BGB, der zufolge der Mieter einen Mangel dem Vermieter bei dessen Kenntnis nicht anzuzeigen braucht, auf die Mangelanzeige im Reiserecht aus. Die Mangelanzeige im Mietrecht solle die Mietsache vor Schäden bewahren und sei Ausfluss der allgemeinen Pflicht des Mieters zur Obhut der Mietsache. Da der Vermieter für die Dauer der Mietzeit vom Besitz ausgeschlossen sei, könne regelmäßig nur der Mieter Mängel entdecken. Im Unterschied zum Vermieter habe der Reiseveranstalter ohnehin typischerweise durch die für ihn vor Ort tätige Reiseleitung die gleichen Möglichkeiten wie der Reisende, Mängel zu bemerken. Vielmehr solle die Mangelanzeige im Reiserecht dem Reiseveranstalter die Prüfung ermöglichen, ob er den Mangel beheben oder auf andere Weise Abhilfe schaffen könne.
Der BGH wies demzufolge den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zur Erhebung des Beweises über die Behauptung des Klägers zurück, er habe den Mangel bereits am vierten Tag des Aufenthalts angezeigt. Zudem hatte das Berufungsgericht noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine Abhilfe bei rechtzeitiger Mangelanzeige etwa durch Unterbringung in einem anderen Hotel möglich gewesen wäre.

C. Kontext der Entscheidung

Die Frage, ob ein Reisender einen Mangel seinem Reiseveranstalter auch dann anzeigen muss, wenn dieser ihn bereits kennt, ist umstritten. So wird vielfach insbesondere in der Literatur (Keller in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 651d Rn. 6; Toner in: MünchKomm BGB, 6. Aufl. 2012, § 651d Rn. 12; Staudinger in: Staudinger, Neubearb. 2016, § 651d Rn. 29; Führich, Reiserecht, 7. Aufl. 2015, § 8 Rn. 17), aber teils auch in der Rechtsprechung (LG Hannover, Urt. v. 09.09.2010 – 14 O 38/09) die Auffassung vertreten, der Reiseveranstalter sei in diesem Fall nicht schutzbedürftig, die Mangelanzeige eine bloße Förmelei und daher entbehrlich. Dagegen fordern insbesondere einige Landgerichte (LG Duisburg, Urt. v. 20.03.2003 – 12 S 330/02; LG Düsseldorf, Urt. v. 10.11.2003 – 22 S 476/99; LG Frankfurt, Urt. v. 24.01.2008 – 2-24 S 96/07, 2/24 S 96/07) eine Mangelanzeige auch bei Kenntnis des Reiseveranstalters.
Letzterer Ansicht gab der BGH zu Recht den Vorzug und stellte die Pflicht und zugleich das Recht des Reiseveranstalters in den Vordergrund, einem Mangel abzuhelfen und so eine vertragsgemäße Leistung zu erbringen. So ist der Vorrang der Primärleistung ein zentraler Gedanke des Schuldrechts und so auch des Werkvertragsrechts, an das sich die Regelungen zum Reisevertrag anlehnen. Der Gläubiger verhält sich unredlich, wenn er einen behebbaren Mangel am Urlaubsort stillschweigend duldet, um nach Beendigung der Reise Sekundäransprüche in Form von Minderung und Schadensersatz geltend machen zu können.
Der BGH hielt eine Mangelanzeige nur dann für entbehrlich, wenn dem Reiseveranstalter eine Abhilfe nicht möglich sei oder er von vornherein und unmissverständlich zu erkennen gebe, hierzu nicht bereit zu sein. Diese Ausnahmen weisen Parallelen zu den §§ 283, 326 Abs. 5 HS. 2 BGB und den §§ 281 Abs. 2 Alt. 1, 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf. Im allgemeinen Leistungsstörungsrecht ist das Setzen einer angemessenen Frist zur Leistung bei deren Unmöglichkeit und bei ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung ebenfalls entbehrlich. Gleichwohl schließt der BGH eine Interessenabwägung im konkreten Einzelfall, wie sie § 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB und § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB vorsehen, aus und stellt dagegen auf die typisierende Interessenlage ab: Eine Mangelanzeige entspreche sowohl dem Interesse des Reiseveranstalters, dem Mangel abzuhelfen und Gewährleistungsansprüche zu vermeiden, als auch dem Interesse des Reisenden an einem möglichst ungestörten Urlaub.
Dem BGH ist darin zuzustimmen, dass die bloße Kenntnis des Reiseveranstalters keiner unmissverständlichen Weigerung gleichkommt, dem Mangel abzuhelfen. Er muss – wie auch der Werkunternehmer – trotz seiner Kenntnis nicht von sich aus tätig werden und dem Mangel etwa durch das Angebot einer gleichwertigen Ersatzunterkunft abhelfen. Vielmehr darf er abwarten, ob der Reisende von sich aus den Mangel anzeigt. So gibt es Mängel, die nicht jeder Reisende angesichts unterschiedlicher Aktivitäten und Bedürfnisse als Beeinträchtigung empfindet. Dies liegt zum Beispiel bei der fehlenden Möglichkeit zum Schnorcheln oder bei eingeschränkten Öffnungszeiten der hoteleigenen Diskothek auf der Hand. Bei Baulärm ist dies zwar weniger offensichtlich. Findet er aber nur tagsüber statt, so wird er Hotelgäste, die Tagesausflüge unternehmen, weniger stören als solche, die sich überwiegend in der Hotelanlage aufhalten. Jedenfalls dürfte ein Umzug in ein gleichwertiges Ersatzhotel nicht im Interesse jedes Reisenden liegen.
Auch wenn eine Mangelanzeige objektiv nicht entbehrlich ist, kann es einem Reisenden am erforderlichen Verschulden für deren Unterlassen fehlen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Reiseveranstalter ihn entgegen § 6 Abs. 2 Nr. 7 BGB-InfoV nicht auf dieses Erfordernis hingewiesen hat, eine zuständige Empfangsperson fehlt bzw. nicht erreichbar ist oder der Reisende infolge einer Krankheit zur Mangelanzeige außerstande ist (Keller in: jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 651d Rn. 7; Tonner in: MünchKomm BGB, 6. Aufl. 2012, § 651d Rn. 13).

D. Auswirkungen für die Praxis

Prima vista ist die Entscheidung des BGH zugunsten der Reiseveranstalter ergangen. Sie sorgt aber auch für Reisende zumindest für Rechtsklarheit: Sie müssen bereits am Urlaubsort alsbald einen Reisemangel gegenüber dem Reiseveranstalter auch bei dessen Kenntnis anzeigen, um bei fehlender Abhilfe im Nachhinein Minderung des Reisepreises oder Schadensersatz geltend machen zu können. Eine Mangelanzeige ist nur entbehrlich, wenn dem Reiseveranstalter eine Abhilfe unmöglich ist oder er hierzu von vornherein und unmissverständlich nicht bereit ist. Da aber auch das Vorliegen dieser beiden Ausnahmefälle vom Reiseveranstalter bestritten werden kann, ist der Reisende mit einer alsbaldigen Mangelanzeige am Urlaubsort in jedem Fall auf der sicheren Seite. Diese ist nicht zuletzt durch die flächendeckende Verbreitung von Handynetzen und WLAN einfacher denn je geworden.