Nachfolgend ein Beitrag vom 21.11.2017 von Herberger, jurisPR-FamR 23/2017 Anm. 2
Leitsätze
1. Die Erben des verstorbenen Nutzers eines sozialen Netzwerks können aufgrund des Fernmeldegeheimnisses (§ 88 TKG) vom Anbieter des Dienstes solange keinen Zugang zum Konto des Verstorbenen erhalten, wie dem nicht alle Kommunikationspartner zugestimmt haben, die mit dem Verstorbenen Kommunikationsinhalte ausgetauscht haben, die nur für diese beiden Nutzer oder nur einen eingeschränkten Personenkreis bestimmt waren.
2. Die bloße Kommunikation über das soziale Netzwerk begründet keine ausdrückliche, konkludente oder mutmaßliche Einwilligung in die Weitergabe von Kommunikationsinhalten im Sinne der Nr. 1 an Dritte. Dies gilt auch für die Kommunikation mit einem minderjährigen Nutzer des Netzwerks hinsichtlich der Weitergabe von Inhalten an seine Eltern.
3. Ein Anspruch der Eltern auf Zugang zum Konto ihres minderjährigen Kindes lässt sich auch nicht aus dem Recht der elterlichen Sorge oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Eltern ableiten.
A. Problemstellung
Der Tod macht auch vor Facebook nicht Halt. Deswegen war es nur eine Frage der Zeit, bis ein deutsches Gericht zum ersten Mal über die Problematik zu entscheiden hatte, ob Erben einen Rechtsanspruch auf Zugang zu dem Facebook-Account des Erblassers haben. In einer besonders tragischen Form waren das LG Berlin und das KG mit dieser Thematik beschäftigt: Die Mutter der verstorbenen Tochter wollte durch Auswertung des Facebook-Accounts ihrer Tochter in Erfahrung bringen, ob ihre Tochter Selbstmord begangen hatte. Nach Ansicht des KG musste sie mit diesem Begehren an § 88 TKG scheitern.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Mutter der 15-jährigen Erblasserin, die aus bisher ungeklärten Gründen verunglückt ist, machte gegen das soziale Netzwerk Facebook einen Anspruch auf Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten ihrer verstorbenen Tochter geltend.
Während das LG Berlin (Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15) als Vorinstanz Facebook dazu verurteilte, der Erbengemeinschaft bestehend aus der Mutter und dem Vater der Erblasserin Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten der verstorbenen Tochter zu gewähren, sah das KG als Berufungsinstanz dies anders.
Nach Auffassung des KG könnte sich der geltend gemachte Anspruch grundsätzlich aus § 1922 BGB ergeben. Ein solcher Anspruch – unterstellt er sei gegeben – wäre jedoch nicht durchsetzbar, weil ihm das Telekommunikationsgeheimnis aus § 88 Abs. 3 TKG entgegenstehe.
Deshalb könne es letztlich offenbleiben, ob aus erbrechtlicher Sicht aufgrund der Universalsukzession nach § 1922 BGB ein Anspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto der Erblasserin bestehe. Es sei zwar anerkannt, dass das zwischen dem Erblasser und dem Provider vereinbarte schuldrechtliche Accountverhältnis vererblich sein könne. Nach § 1922 BGB gehe mit dem Erbfall das Vermögen als Ganzes auf die Erben über. Zum Vermögen in diesem Sinne gehörten vertragliche Verpflichtungen aus geschlossenen Verträgen als geldwerte Rechtsbeziehungen. Der Erbe trete dann in das vermögensrechtliche Vertragsverhältnis mit dem Diensteanbieter ein. Der beschriebenen Vererbbarkeit eines „Accountinhalts“ stünden weder die Nutzungsbedingungen von Facebook, noch das Wesen des Vertrages (§ 399 BGB analog), noch eine besondere Verschwiegenheitsverpflichtung von Facebook entgegen.
Jedoch stelle sich die Frage, ob in Bezug auf die Dateninhalte zwischen ideellen und vermögensrechtlichen Inhalten differenziert werden müsse. Das KG gibt zu Bedenken, dass eine solche Differenzierung die Praxis vor kaum lösbare Probleme stellen würde. Letztlich müsste man in der Konsequenz von einer „Infektion“ des gesamten Kontos ausgehen, wenn höchstpersönliche Inhalte vorhanden seien. Alternativ könnte man den Eintritt der Erben in die Rechte des Accountvertrages auch auf alle, also gleichfalls auf höchstpersönliche Inhalte beziehen. Dafür spreche, dass so der Frage ausgewichen werden könne, wer eine Trennung der gespeicherten Daten nach ihrem Inhalt vornehmen solle. Dagegen sei jedoch zu berücksichtigen, dass selbst die Wahrnehmungsberechtigten des postmortalen Persönlichkeitsrechts eigentlich keinen Zugang zu höchstpersönlichen Inhalten haben sollen. Weswegen den Erben ein solcher Zugang verschafft werden solle, könne insofern nicht einleuchten.
Im Ergebnis lässt das KG die Frage offen, ob der Facebook-Account der Erblasserin vererbbar ist oder nicht. Denn selbst wenn der Erbengemeinschaft nach § 1922 BGB ein Anspruch auf Zugang zu den Accountinhalten der Erblasserin zustünde, sei ein solcher Anspruch wegen des Telekommunikationsgeheimnisses nach § 88 Abs. 3 TKG jedenfalls nicht durchsetzbar. Es liege ein Fall rechtlicher Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB vor.
Das KG zieht § 88 Abs. 3 TKG heran, der es Diensteanbietern untersagt, anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt der Telekommunikation zu verschaffen. In diesem Sinne könne als „erforderlich“ nur das eingestuft werden, was der technischen Ermöglichung und Aufrechterhaltung des angebotenen Dienstes diene. Dabei sei zur Beurteilung dessen, was zur Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erforderlich sei, eine Einzelfallbetrachtung anhand der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Kommunikationsdienstes vorzunehmen. Die von Facebook versprochene Dienstleistung habe sich seinerzeit nicht darauf bezogen, dass andere Personen als die Erblasserin die Dienstleistung nutzen könnten. Dies folge zum einen aus dem Verbot für die Nutzer, Accountzugangsdaten an Dritte weiterzugeben und zum anderen aus dem von Facebook vorgesehenen Gedenkstatus des Accounts für verstorbene Nutzer.
Auf § 88 Abs. 3 Satz 3 TKG könne die Weitergabe an die Erbengemeinschaft ebenfalls nicht gestützt werden. Danach sei eine Weitergabe an andere nämlich nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsehe und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge beziehe („Kleines Zitiergebot“). Aus den datenschutzrechtlichen Regelungen der §§ 91 ff. TKG ergebe sich keine gesetzliche Erlaubnis zur Weitergabe von Telekommunikationsinhalten an die Erben. Die Einhaltung des „kleinen Zitiergebots“ als Voraussetzung für eine Ermächtigungsgrundlage sei – anders als teilweise in der Literatur vertreten – nicht verzichtbar. Mangels Einwilligung der am Telekommunikationsvorgang beteiligten Telekommunikationspartner komme es unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht, einen Zugang zu den Telekommunikationsinhalten zu gewähren. Zwar lag möglicherweise eine Einwilligung der Erblasserin vor. Es mangele aber jedenfalls an einer Einwilligung seitens der Telekommunikationspartner der Erblasserin.
Es seien zudem keine weiteren Anspruchsgrundlagen ersichtlich, die eine Verurteilung von Facebook rechtfertigen könnten. Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB i.V.m. § 1922 BGB auf Rückgängigmachung des Gedenkstatus komme nicht in Betracht, weil Facebook zur Einrichtung des Gedenkzustandes berechtigt war. Auch aus dem Recht der elterlichen Sorge nach § 1626 ff. BGB folge kein Anspruch gegen Facebook. Das elterliche Sorgerecht ende mit dem Tode des Kindes. Aus dem Totenfürsorgerecht ergebe sich kein Anspruch auf Zugang zu den Social-Media-Accounts des verstorbenen Kindes. Der geforderte Zugangsanspruch könne weiterhin nicht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Eltern nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet werden. Dieses Grundrecht schütze nicht den Wunsch der Eltern, Gewissheit über die Umstände und Hintergründe des Todes ihres Kindes zu gewinnen.
Ein Auskunftsanspruch aus § 34 BDSG analog stehe den Eltern ebenfalls nicht zur Seite. Unabhängig von der Frage, ob das BDSG vorliegend Anwendung finde, beziehe es sich nur auf lebende Personen. Das dem Auskunftsanspruch zugrunde liegende Recht auf informationelle Selbstbestimmung ende mit dem Tod des Betroffenen und sei unvererblich.
C. Kontext der Entscheidung
Das KG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen. Die Klägerin hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und Revision eingelegt, die beim BGH unter dem Aktenzeichen III ZR 183/17 geführt wird.
D. Auswirkungen für die Praxis
Bis zur Revisionsentscheidung des BGH besteht nach wie vor Unsicherheit darüber, ob Erben einen Anspruch auf Zugang zu dem Facebook-Account des Erblassers haben. Die erstinstanzliche Entscheidung demonstriert immerhin, dass ein noch unentschiedener Argumentationsspielraum besteht.
Der in der Entscheidung anzutreffende Vergleich zu Briefen und Tagebüchern zeigt, dass digitale Phänomene immer wieder mit Blick auf die analoge Welt erörtert werden. Die Praxis muss im Rahmen der rechtlichen Beurteilung freilich darauf achten, dass solche Veranschaulichungen nicht über das anwendbare Regelungsregime hinwegtäuschen.
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