Nachfolgend ein Beitrag vom 11.10.2016 von Oldenburger, jurisPR-FamR 21/2016 Anm. 3
Leitsätze
1. Der Bevollmächtigte kann in eine der in § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.
2. Einem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf wird im Zusammenhang mit der Entscheidung zur Durchführung von lebensverlängernden Maßnahmen i.S.d. § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB durch eine Bevollmächtigung erst dann nicht ausreichend Genüge getan, wenn offenkundig ist, dass der Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen hinwegsetzen würde.
3. Die schriftliche Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.
A. Problemstellung
Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht kollidieren mit betreuungsrechtlichen Vorschriften, wenn die Ausgestaltung der Vollmacht durch den Vollmachtnehmer als nicht dem Willen des Vollmachtgebers entsprechend kritisiert wird. Insbesondere bei Fragen zum Abbruch lebenserhaltender oder -verlängernder Maßnahmen kommt diesem Bereich eine herausragende tatsächliche und rechtliche Bedeutung zu. Die Einrichtung einer Kontrollbetreuung i.S.v. § 1896 Abs. 3 BGB ist dann zwar möglich, muss aber erforderlich sein. Das bedingt einen konkreten, durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerten, Verdacht, dass mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird (so bereits BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – XII ZB 624/14 – FamRZ 2015, 2163). Ist die Patientenverfügung im Hinblick auf den Abbruch der medizinischen Maßnahmen eindeutig und setzt der Bevollmächtigte diesen Willen um, fehlt es daran regelmäßig. Entspricht der formulierte Willen des Betroffenen in seiner Patientenverfügung, unter gewissen Umständen keine lebensverlängernden Maßnahmen zu wünschen, diesem Bestimmtheitsgebot i.S v. § 1901a Abs. 1 BGB?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Patientenverfügung der Betroffenen war dahingehend formuliert, dass diese den Wunsch äußerte, dass lebensverlängernde Maßnahmen dann unterbleiben sollen, wenn sie sich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befinde oder eine schwere Dauerschädigung des Gehirns durch Krankheit zurückbleibe. Die Vollmacht enthielt darüber hinaus die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu entscheiden. Die mit einer PEG-Sonde versehene, nicht mehr kommunikationsfähige, Betroffene (Zustand nach Hirnschlag) sollte nach Auffassung ihrer anderen Töchter, die nicht bevollmächtigt waren, durch Einstellung der künstlichen Ernährung einen würdevollen Tod erlangen. Die Bevollmächtigte vertrat jedoch die Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung nicht dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen ihrer Mutter entspreche. Die weiteren Töchter beantragten daraufhin die Einrichtung einer Kontrollbetreuung, was jedoch amtsgerichtlich zurückgewiesen wurde. Das Landgericht richtete demgegenüber auf die Beschwerde eine Kontrollbetreuung mit dem Aufgabenkreis des Widerrufs der erteilten Vollmacht in Bezug auf die Gesundheitsfürsorge zu deren Gunsten ein.
Die Rechtsbeschwerde führte schließlich zur Aufhebung dieser Entscheidung. Nach Auffassung des BGH liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Bevollmächtigte offenkundig über den in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen hinwegsetze. Dazu sei der Wille der Betroffenen anhand der Patientenverfügung, oder, soweit er sich nicht daraus ergebe, durch Ausschöpfung aller weiteren verfügbaren Erkenntnisquellen zu ermitteln.
Die Formulierung, keine lebensverlängernden Maßnahmen zu wünschen, sei zunächst kein konkreter Patientenwille i.S.v. § 1901a Abs. 2 BGB. Darin komme nicht in der rechtlich gebotenen Eindeutigkeit zum Ausdruck, dass damit auch der Abbruch der künstlichen Ernährung als Behandlungswunsch gemeint sei. Daher komme es auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen an. Es sei aber nichts dafür ersichtlich, dass sie eine künstliche Ernährung mittels PEG-Sonde zu einer Zeit, als ihre Kommunikationsfähigkeit noch bestand, nicht gewünscht habe. Auch die Feststellungen des eingeholten Sachverständigengutachtens, es sei bei ihr ein Dauerschaden des Gehirns eingetreten, erlaube keinen unzweideutigen Rückschluss auf einen gegen die Fortführung der künstlichen Ernährung gerichteten mutmaßlichen Willen. Daher müsse dem überragenden Schutz auf Leben der Vorrang eingeräumt werden, was sich im Übrigen auch aus der Gesetzesbegründung ergäbe (vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 16). Folglich habe das Landgericht die Voraussetzungen für eine Kontrollbetreuung zu Unrecht angenommen.
C. Kontext der Entscheidung
Der BGH präzisiert sowohl die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung i.S.v. § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB als auch für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung i.S.v. § 1901a Abs. 1 BGB. Er stellt dazu u.a. auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den herausragenden rechtlich gebotenen Schutz des Lebens ab, indem jegliche Zweifel am (tatsächlichen oder mutmaßlichen) Willen der Betroffenen zugunsten lebenserhaltender medizinischer Behandlungen zu werten sind. Der BGH attestiert, dass es grundsätzlich dem Wohl des Betroffenen entspricht, leben zu wollen. Können demnach keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte dahingehend festgestellt werden, dass der diesen Willen ausdrückenden wirksam erteilten Vorsorgevollmacht inhaltlich nicht Genüge getan wird, fehlt es regelmäßig an den rechtlichen Voraussetzungen für eine Kontrollbetreuung. In Fortführung der BGH-Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschl. v. 17.09.2014 – XII ZB 202/13 – FamRZ 2014, 1909) wird herausgestellt, dass überhaupt nur dann, wenn keine auf die aktuelle Situation zutreffende Patientenverfügung vorliegt, die unmittelbar den Willen des Betroffenen ausdrückt und die daher vom Bevollmächtigten lediglich zur Geltung zu bringen ist, die Behandlungswünsche nach dem mutmaßlichen Willen festzustellen sind. Bleiben danach Zweifel, gebietet es der Schutz des Lebens zum Wohl der Betroffenen, auf jedwede lebensverkürzenden oder -beendenden Maßnahmen zu verzichten. Entspricht das der Einschätzung sowie der bisherigen und beabsichtigten Vorgehensweise der Bevollmächtigten, ist kein Eingriff in Form einer Kontrollbetreuung möglich.
Es wird damit höchstrichterlich geklärt, dass alle vernünftigen Zweifel bei der Bestimmung eines nicht konkret aus der Patientenverfügung ermittelbaren (mutmaßlichen) Willens des Betroffenen dahingehend, in der konkreten Lebenssituation sterben zu wollen, im Lichte des grundrechtlich zu schützenden Lebens zu bewerten sind. Außerdem kommt es fortan für die (vorrangige) Feststellung eines konkreten Behandlungswunsches auf die Wirksamkeit der Patientenverfügung i.S.v. § 1901a Abs. 1 BGB an. Daran fehlt es, wenn die Verfügung allgemein gehalten ist und lediglich allgemeine Anweisungen nach einem würdevollen Sterben enthalten sind oder der Wunsch, sterben zu wollen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Gleiches gilt für die Erklärung, keine lebenserhaltenden Maßnahmen mehr zu wünschen. Ausreichend für die Wirksamkeit ist es hingegen, wenn dementsprechend zu unterlassende oder gewollte ärztliche Maßnahmen genau benannt, Behandlungssituationen oder Krankheiten und Krankheitsbilder näher bestimmt worden sind.
D. Auswirkungen für die Praxis
Vorhandene Patientenverfügungen dürften nach dieser Entscheidung anzupassen, insbesondere zu konkretisieren, sein. Dabei ist darauf zu achten, dass die Willenserklärungen des Verfügenden klar, unmissverständlich und vor allem konkret bezogen auf eine eintretende Behandlungssituation sind. Soll dieser Wille später durch einen Vorsorgebevollmächtigten umgesetzt werden, ist er exakt situationsbeschreibend abzufassen. Im Lichte der aktuellen BGH-Entscheidung wird dazu ggf. auch aufzunehmen sein, dass die jeweilige Behandlungsentscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines sonstigen schweren und längerdauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann aber gleichwohl getroffen wird. Die Auswahl des Bevollmächtigten sollte vor diesem Hintergrund ebenfalls mit Bedacht erfolgen.
Wichtig ist auch, die Entscheidungsbefugnis des Bevollmächtigten dahingehend zu präzisieren, die vom Vollmachtgeber gewünschte Letztentscheidung auch treffen zu dürfen. Mit einer solchen Präzisierung geht einher, dass die Umsetzung der Entscheidung, die auch für den Bevollmächtigten regelmäßig schwer zu ertragen sein dürfte, für eine gewisse Entlastung beim Bevollmächtigten sorgt, denn sie folgt dann dem eindeutigen tatsächlichen Willen des Betroffenen und Vollmachtgebers. Für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung besteht bei Vorliegen einer dementsprechend bestimmten Patientenverfügung nebst Vorsorgevollmacht kein Raum, solange die Handlungen des Bevollmächtigten nicht von diesem Willen abweichen. Da Zweifel immer zugunsten der Lebenserhaltung gehen, sind zur Durchsetzung hiervon abweichender Maßnahmen sehr genaue Sachverhaltsschilderungen unter Angabe von belegbaren, diese Auffassung stützender, Willensbekundungen des Betroffenen erforderlich. Überdies gebietet es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn die Eingriffsvoraussetzungen in die Vorsorgevollmacht i.S.v. § 1896 Abs. 2 BGB ausnahmsweise einmal vorliegen sollten, vor der Einrichtung einer dann gebotenen Kontrollbetreuung mit dem Wirkungskreis „Widerruf der Vorsorgevollmacht“ diese zunächst lediglich kontrollierend einzurichten, um positiv auf den Bevollmächtigten einwirken zu können.