Nachfolgend ein Beitrag vom 14.12.2017 von Kunze, jurisPR-MietR 25/2017 Anm. 5

Leitsätze

1. Ein potenzieller Mieter muss gegenüber einem potenziellen Vermieter nicht seine politischen Auffassungen offenbaren.
2. Für einen potenziellen Vermieter kann jedoch der Umstand, dass der potenzielle Mieter „Anziehungspunkt für linksgerichtete Gewalt“ ist, ein für den Vermieter bedeutsamer Umstand sein, über den bei Vertragsschluss aufgeklärt werden muss.

A. Problemstellung

Kann die Vermieterin den Mietvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten, wenn ihr bei Vertragsschluss vom Mieter nicht mitgeteilt worden ist, dass sein Sohn als künftiger Wohnungsnutzer Aktivist der AfD und im „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ aktiv ist und es daraufhin zu Angriffen im Bereich des Hauses kommt, die dem „linken“ bzw. „antifaschistischen“ Lager zugerechnet werden?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin als Vermieterin schloss mit einem Mieter einen Wohnungsmietvertrag mit der Vereinbarung, dass er die Wohnung dauerhaft seinem Sohn zur Nutzung überlassen würde. Kurz danach erfuhr sie, dass der Sohn ein AfD-Aktivist war, der zudem im sog. „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ aktiv war. Es kam zu Sachbeschädigungen und Brandstiftungen im Bereich des Hauses, etwa an dort befindlichen Mülltonnen und auf das Fahrzeug des Sohnes. Diese Angriffe wurden dem „linken“ bzw. „antifaschistischen“ Lager zugerechnet. Ähnliche Aktionen hatte es bereits früher an einem Haus in Göttingen gegeben, wo der Sohn vorher gewohnt hatte. Nach Meinung der Vermieterin kam es zusätzlich durch den Sohn und dessen Besucher zu erheblichen Ruhestörungen, woran sich auch nach einer Abmahnung nichts geändert habe. Sie erklärte gegenüber dem Mieter die Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung und kündigte hilfsweise außerordentlich und ordentlich. Denn sie sei nicht darüber aufgeklärt worden, wer der Sohn des Mieters war, obwohl diesem bekannt war, dass es gegen seinen Sohn erheblichen, vor allem politischen Widerstand gab. Die Vermieterin erhob Räumungsklage gegen beide, gegen die sich der Mieter mit dem Vorbringen wehrte, die Vermieterin habe sich nach der Identität des Sohnes erkundigen können; dessen politische Gesinnung und aktive politische Betätigung rechtfertige keine Kündigung. Der Mieter berief sich dafür auf die Handlungs- und Versammlungsfreiheit und meinte, etwaige Sachbeschädigungen durch Dritte seien dem Sohn nicht zuzurechnen.
Das AG Göttingen verurteilte zur Räumung.
Die Klägerin habe die Willenserklärung, die zum Abschluss des Mietvertrages geführt habe, wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten. In Kenntnis des wahren Sachverhalts hätte sie den Mietvertrag nicht abgeschlossen. Der Mieter habe den Vermieter vor Mietvertragsabschluss auch ungefragt über solche Umstände aufzuklären, die für dessen Entscheidung über den Vertragsschluss bedeutsam sein könnten (folgt Bezugnahme auf LG Magdeburg, Urt. v. 13.02.2008 – 5 O 1879/07). Die Aufklärungspflicht bestehe hinsichtlich solcher Umstände und Rechtsverhältnisse in Bezug auf die Mietsache, die von besonderer Bedeutung für den Entschluss des Vermieters zur Vermietung sind und deren Mitteilung nach Treu und Glauben erwartet werden könne (folgt Hinweis auf BGH, Urt. v. 16.02.2000 – XII ZR 279/97).
Zwar müsse sich ein potenzieller Mieter nicht hinsichtlich seiner Ansichten, Einstellungen oder politischen Auffassungen „offenbaren“, es komme auch zunächst nicht auf dessen politische Gesinnung an. Hierum gehe es auch nicht: Den Beklagten sei schon wegen der Vorkommnisse im Zusammenhang mit einer früheren Wohnung in Göttingen bekannt gewesen, dass der Sohn als „Anziehungspunkt für linksgerichtete Gewalt“ angesehen werde. Dies ergebe sich auch aus der Internetpräsenz des Sohnes. Das bedeute, dass dieser Umstand für den Eigentümer einer Immobilie, in der der Sohn künftig wohnen werde, von so erheblicher Bedeutung sei, dass es zwingend geboten war, den künftigen Vermieter über diese relevanten Umstände zu informieren.

C. Kontext der Entscheidung

Die vom AG Göttingen herangezogene BGH-Entscheidung aus 2000 spricht die Aufklärungspflicht (des Vermieters von Gewerberäumen) lediglich in zwei Sätzen am Ende des Urteils an. Aktueller ist der Hinweis auf das Urteil des LG Magdeburg aus 2008 (Thor-Steinar-Fall), das sich sehr viel ausführlicher als das hier besprochene Urteil mit den Aufklärungspflichten des (Gewerberaum-)Mieters befasst, ebenso wie die Berufungsentscheidung des OLG Naumburg vom 28.10.2008 (9 U 39/08) und das in diesem Zusammenhang regelmäßig zitierte Revisionsurteil des BGH vom 11.08.2010 (XII ZR 192/08 mit zahlreichen Nachweisen). Danach besteht das Anfechtungsrecht, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht bestand; entscheidend ist, ob der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Grundsätzlich ist es bei Vertragsverhandlungen zwar Sache jeder Partei, ihre eigenen Interessen selbst wahrzunehmen, es besteht daher keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können. Allerdings besteht unter bestimmten Voraussetzungen dennoch eine Aufklärungspflicht. So müssen Umstände, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, ungefragt offenbart werden, so etwa Tatsachen, die dem Vertragspartner einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen können. Dabei kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. auch OLG Dresden, Urt. v. 27.07.2012 – 5 U 68/12 zu einem weiteren Thor-Steinar-Fall).

D. Auswirkungen für die Praxis

Das hier besprochene Urteil als eines der selteneren Fälle aus dem Wohnungsmietrecht streift diese Grundsätze nur knapp und macht sich auch mit der Sachverhaltsermittlung wenig Mühe. Hat man mit einem derartigen Fall zu tun, sollte man sich eingehender mit den Einzelheiten beschäftigen. Häufiger sind im Wohnungsmietrecht die Fälle von vermieterseits gestellten Fragen und darauf gegebenen unrichtigen Antworten (vgl. hierzu etwa Lützenkirchen, 2. Aufl., § 535 BGB Rn. 482 ff.; Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Aufl., § 535 BGB Rn. 178 ff.).

Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung des Vermieters über politische Gesinnung des Mieters
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
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