Nachfolgend ein Beitrag vom 28.3.2017 von Linnartz, jurisPR-FamR 6/2017 Anm. 6

Leitsätze

1. Ein Pflichtteilsberechtigter ist Verfahrensbeteiligter des Eröffnungsverfahrens.
2. Ihm steht ein Recht auf Einsicht in die Verfahrensakten einschließlich des von dem Erben ausgefüllten Wertfragebogens zu.

A. Problemstellung

Die Entscheidung befasst sich mit dem Problem, dass der Antrag eines Pflichtteilsberechtigten auf Übersendung eines vom Erben ausgefüllten Wertfragebogens vom Amtsgericht abgelehnt wurde.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Sohn des Erblassers war Pflichtteilsberechtigter. Als Beteiligter zu 1) machte er gegenüber dem Amtsgericht einen Anspruch auf Einsichtnahme in den vom Erben ausgefüllten Wertfragebogen aus der Testamentsakte geltend. Das Amtsgericht hatte dies abgelehnt und einen Anspruch des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.
Das OLG Hamm hat auf die Beschwerde des Sohnes den Beschluss des AG Dortmund abgeändert und dem Beschwerdeführer Akteneinsicht durch Übersendung einer Kopie des Wertfragebogens aus der Testamentsakte bewilligt.
Unstreitig in rechtlicher Hinsicht sei, dass der Sohn des Erblassers (Beteiligter zu 1) ein potentieller gesetzlicher Erbe sei. Darüber hinaus sei er auch als Abkömmling pflichtteilsberechtigt. Aus dieser rechtlichen Stellung ergebe sich, dass der Beteiligte zu 1) auch ein Beteiligter des Eröffnungsverfahrens i.S.v. § 13 Abs. 1 FamFG sei. Dem Beteiligten i.S.v. § 13 Abs. 1 FamFG stehe ein Recht auf Akteneinsicht in alle schriftlichen Unterlagen zu, die zu dem vom Amtsgericht zu würdigenden Verfahrensstoff gehörten. Dieses Recht des Beteiligten zu 1) stelle das Amtsgericht in Abrede. Es werte den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Einsicht in den ausgefüllten Wertfragebogen als einen Akt der Justizverwaltung. Dieser sei von der Akteneinsicht ausgenommen.
Das Amtsgericht habe ein berechtigtes Interesse des Pflichtteilsberechtigten an der Kenntnis vom Umfang des Nachlasses und damit der Höhe seines Pflichtteilsanspruchs ausgeschlossen. Das Amtsgericht verkenne ein berechtigtes Interesse, obwohl gerade diese Information das Verhalten des Pflichtteilsberechtigten dem Erben gegenüber (Pflichtteilsschuldner) beeinflusse. Gegen die vom Amtsgericht zu gewährende Kenntnis von dem Wertermittlungsbogen spreche auch nicht, dass der Pflichtteilsberechtigte sich auch ohne eine Tätigkeit des Amtsgericht Auskunft über den Nachlass verschaffen könne (§ 2314 BGB).
Des Weiteren gebe es auch keinen Grund für das Amtsgericht dem Pflichtteilsberechtigten die Nachlassaufstellung aus Gründen der Geheimhaltung vorzuenthalten. Anzumerken sei, dass in dem konkreten Fall der Erbe und Beteiligte zu 2), der die Nachlassaufstellung fertigte und von dem Amtsgericht angehört wurde, keine Bedenken gegen das Akteneinsichtsgesuch des Pflichtteilsberechtigten hatte.

C. Kontext der Entscheidung

Das Amtsgericht stellte sich bei dem Akteneinsichtsgesuch des Pflichtteilsberechtigten auf den Standpunkt, es handele sich um einen Justizverwaltungsakt. Die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch nach § 13 FamFG ist vielmehr eine in richterlicher Unabhängigkeit durch das Verfahren führende Gericht getroffene Entscheidung. Damit ist eine Beschwerde zulässig.
Das OLG Hamm hat die herrschende Rechtsansicht bestätigt, dass Beteiligter i.S.d. § 13 FamFG, der das Akteneinsichtsrecht näher regelt, jeder ist, dem durch die letztwillige Verfügung ein Recht genommen oder gewährt wird (Zimmermann in: Keidel, FamFG 18. Aufl. § 348 Rn. 49). Der Pflichtteilsberechtigte ist ein solcher Beteiligter. Ihm wird durch seine Enterbung das gesetzliche Erbrecht durch letztwillige Verfügung (Enterbung) genommen. Als Beteiligten steht ihm ein Akteneinsichtsrecht zu.
Nur weil der Wertfragebogen primär eine andere Zielrichtung hat, nämlich Grundlage der Ermittlung des Gegenstandswertes, wird er durch eine Akteneinsicht nicht nachteilig tangiert. Dies gilt umso mehr, als dem Pflichtteilsberechtigten ein berechtigtes Interesse zur Seite steht (OLG Jena, Beschl. v. 09.08.2011 – 6 W 206/11; LG Erfurt, Beschl. v. 26.09.1996 – 7 T 126/96 – Rpfleger 1997, 115; BayObLG, Beschl. v. 04.01.1995 – 1Z BR 167/94 – FamRZ 1995, 682; LG Bayreuth, Beschl. v. 23.02.1990 – 2 T 2/90 – Rpfleger 1990, 258; Otto in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 2314 Rn. 109).
Auch der Verweis des Amtsgerichts darauf, der Pflichtteilsberechtigte könne sich Auskunft nach § 2314 BGB verschaffen, statt den Wertermittlungsbogen einzusehen, spricht nicht gegen das Einsichtnahmerecht. In diesem Zusammenhang hat das OLG Jena mit Beschluss vom 09.08.2011 (6 W 206/11) zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Auskunftsklage eine andere kostenrechtliche Dimension hat.
So ist auch das Geheimhaltungsinteresse für andere Beteiligte nicht ersichtlich. Der geheim zu haltende Sachverhalt, der sich im Wertermittlungsbogen wiederfindet, steht dem Pflichtteilsberechtigten zu. Schließlich kann er sein Auskunftsrecht nach § 2314 BGB auf viel komplizierterem Weg, zu dem auch die Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses durch einen Notar gehört, verlangen. Eine Geheimhaltung ist somit auf ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers nicht möglich und damit auch nicht gewünscht. Im konkreten Fall ist zu sehen, dass das AG Dortmund auf das Geheimhaltungsinteresse des anderen Beteiligten verwiesen hatte, obwohl dieser auf sein „schutzwürdiges“ Interesse an der Geheimhaltung ausdrücklich verzichtet hatte.

D. Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis bedeutet dies, dass die Rechte des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Amtsgericht gestärkt sind. Zur Durchsetzung berechtigter Interessen gegenüber dem Amtsgericht ist dieses Urteil besonders zu beachten.
Der Berater darf sich durch den Versuch der Änderung langjähriger Rechtsprechung durch das Nachlassgericht nicht entmutigen lassen, für seinen Mandanten bestehendes Recht durchzusetzen. Dies gilt auch, wenn hierdurch Ressourcen in der Kanzlei und natürlich bei dem Nachlassgericht unnötigerweise gebunden werden. Der Berater darf meines Erachtens auch nicht die Ansicht Einzelner beim Nachlassgericht zum Vorwand nehmen, den Mandanten in die möglicherweise überflüssige Auskunftsklage zu treiben oder (indirekte) Kosten für seinen Mandanten dadurch zu verursachen, dass er die Vorlage eines notariell zu erstellenden Nachlassverzeichnisses fordert (Nachlassverbindlichkeit).