Nachfolgend ein Beitrag vom 25.5.2018 von Lach, jurisPR-ITR 10/2018 Anm. 5

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Bei der Prüfung der Eilbedürftigkeit im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung der Verbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung in Bezug auf die auf einem Bewertungsportal für Ärzte hinterlassene Bewertung eines Patienten ist die Zeit, in der das Portal die Richtigkeit der Bewertung im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ermittelt und prüft, nicht zu berücksichtigen.
2. In Bezug auf vertrauliche Behandlungen des Patienten, die der Arzt gegenüber dem Portal offenlegt, besteht kein Beweisverwertungsverbot. Vielmehr ist von einer stillschweigenden Zustimmung zur Verwertung auszugehen, wenn der Patient seine ansonsten der Geheimhaltung unterliegenden Fakten selbst offenbart hat und sich als Zeuge zur Verfügung stellt.
3. Im Verhältnis zwischen dem von der Bewertung Betroffenen und dem Portal als Störer liegt die Beweislast für die Unwahrheit einer in der Bewertung enthaltenen Tatsachenbehauptung bei einer Bewertung durch einen namentlich bekannten Patienten beim Arzt.

A. Problemstellung

Darf ein Arzt gegenüber einem Internet-Ärztebewertungsportal vertrauliche Behandlungsunterlagen offenlegen, um zu belegen, dass eine negative Bewertung unwahr ist? Besteht ein Unterlassungsanspruch im Verfügungsverfahren, wenn die Frage der Unrichtigkeit der Tatsachenbehauptung erst durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden könnte?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die klagende Zahnärztin (nachfolgend „Verfügungsklägerin“) ist bei einem Internet-Ärztebewertungsportal (nachfolgend „Verfügungsbeklagte“) registriert. Eine Patientin der Zahnärztin hatte bei dem Internetportal am 23.06.2017 eine öffentlich zugängliche Bewertung hinterlassen, in der sie behauptete, von der Verfügungsklägerin nicht aufgeklärt bzw. beraten worden zu sein. Auch sei die Behandlungsmethode zum Teil falsch gewesen. Die Verfügungsklägerin erhielt sieben Tage später Kenntnis von dem Eintrag. Auf ihre Beanstandung hin sperrte die Verfügungsbeklagte die Bewertung vorläufig. Danach holte sie Stellungnahmen der Patientin zu der Beanstandung ein. Am 10.10.2017 stellte sie die Bewertung wieder in das Portal ein. Dreizehn Tage später beantragte die Verfügungsklägerin beim Landgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen das Bewertungsportal. Klageziel war die Unterlassung der Verbreitung der oben genannten Bewertungsinhalte auf ihrer Profilseite in dem Portal. Das Landgericht gab dem Antrag durch Urteil statt. Gegen dieses Urteil legte die Verfügungsklägerin Berufung ein.
Das OLG Hamm hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und es nur in Bezug auf die Tatsachenbehauptung bestätigt, die Verfügungsklägerin habe bei der Behandlung der Patientin auf Aufklärung und Beratung verzichtet. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Ein Verfügungsgrund liege vor. Für die Frage der Eilbedürftigkeit sei nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem die Verfügungsklägerin erstmalig von der Bewertung erfahren habe (30.06.2017), sondern auf den Abschluss des Prüfungsverfahrens der Verfügungsbeklagten (10.10.2017).
Ein Verfügungsanspruch bestehe im Hinblick auf den Teil der Bewertung, in dem die Patientin geäußert hatte, die Verfügungsklägerin habe auf Aufklärung und Beratung verzichtet. Es handele sich hierbei um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Für die Bewertung der im Rahmen des Verfügungsverfahrens erforderlichen Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit könne auf die Behandlungsunterlagen der Patientin bei der Verfügungsklägerin zurückgegriffen werden. Die Verfügungsklägerin habe diese gegenüber der Gegenpartei offenlegen dürfen. Ein Beweisverwertungsverbot bestehe nicht. Die Glaubhaftmachung sei zudem durch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung erfolgt. Es könne dagegen auch nicht eingewendet werden, dass ein Leser diese Äußerung als solche eines Laien einstufen werde und daher nicht als Tatsachenbehauptung. Da die Patientin in ihrer eigenen Stellungnahme eingeräumt hatte, dass es durchaus Gespräche und Erklärungen mit der Verfügungsklägerin gegeben habe, sei ihre Angabe in der Bewertung, eine Aufklärung und Beratung sei nicht erfolgt, zu pauschal und damit unrichtig. Die Verfügungsbeklagte hafte als mittelbare Störerin, da sie die Bewertung wieder online gestellt habe.
Hinsichtlich der weiteren Tatsachenbehauptung, die Behandlung sei zum Teil falsch gewesen, verneinte das Oberlandesgericht einen Unterlassungsanspruch. Die Verfügungsbeklagte habe ihre Prüfungspflichten erfüllt. Ob es sich um eine unwahre Behauptung handele, habe sich aus den Stellungnahmen nebst Unterlagen nicht mit der für eine einstweilige Verfügung notwendigen Wahrscheinlichkeit ergeben. Klarheit würde nur ein Sachverständigengutachten bringen. Es sei der Verfügungsbeklagten aber nicht zuzumuten, ein solches einzuholen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei insoweit abzulehnen, da die Beweislast für die Unrichtigkeit der Behauptungen zur Behandlungsfehlerhaftigkeit bei der Verfügungsklägerin liege.

C. Kontext der Entscheidung

Nach der Rechtsprechung des BGH muss ein Internetbewertungsportal nach Erhalt einer konkret gefassten Beanstandung eines Betroffenen in Bezug auf eine Bewertung, auf deren Grundlage der Rechtsverstoß unschwer bejaht werden kann, den gesamten Sachverhalt unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen ermitteln und bewerten (BGH, Urt. v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10; BGH, Urt. v. 01.03.2016 – VI ZR 34/15 „jameda.de II“). Da ein Ärztebewertungsportal eine von der Rechtsordnung gesellschaftlich erwünschte Funktion erfüllt, darf der zu erbringende Prüfungsaufwand den Betrieb des Portals weder wirtschaftlich gefährden, noch unverhältnismäßig erschweren. Die durchzuführende Überprüfung muss erkennbar zum Ziel haben, die Berechtigung der Beanstandung des betroffenen Arztes zu klären. Der Portalbetreiber muss ernsthaft versuchen, sich hierzu die notwendige Tatsachengrundlage zu verschaffen; er darf sich insbesondere nicht auf eine rein formale „Prüfung“ zurückziehen. Diese Rechtsprechung hat der BGH zum Teil anhand von Fällen entwickelt, in die das auch hier in den Streit verwickelte Bewertungsportal jameda verwickelt war.
Im vorliegenden Fall hatte das Ärztebewertungsportal nach Auffassung des OLG Hamm die nach der BGH-Rechtsprechung bestehenden Prüfungspflichten erfüllt. Es stellten sich darüber hinausgehende Fragen. Streitig war, zu welchem Ergebnis die Prüfungen geführt hatten, ob in diesem Zusammenhang vertrauliche ärztliche Unterlagen Verwendung finden durften und welche Konsequenzen aus dem Ergebnis der Prüfung zu ziehen waren. Zu diesen an die bisherige Rechtsprechung anschließenden Einzelfragen liegt noch keine veröffentlichte höchstrichterliche Rechtsprechung vor.
Für die anonyme Bewertung hatte das OLG Dresden eine Beweislast des Störers für die Richtigkeit der in der Bewertung enthaltenen Tatsachenbehauptung angenommen (OLG Dresden, Urt. v. 24.11.2015 – 4 U 791/15; zitiert in OLG Dresden, Urt. v. 06.03.2018 – 4 U 1403/17). Das OLG Hamm sieht die Beweislast im vorliegenden Fall, in dem die Identität der Patientin der Verfügungsklägerin bekannt war, hingegen bei der von der Bewertung Betroffenen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das OLG Hamm hat klargestellt, dass die von einer Bewertung Betroffenen infolge der BGH-Rechtsprechung nicht die Möglichkeit verlieren, eine einstweilige Verfügung zu beantragen. Nehmen Internetbewertungsportale in einem vorgerichtlichen Verfahren gemäß den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Prüfung der veröffentlichten Bewertung vor, darf der von der Bewertung Betroffene das Ergebnis dieser Prüfung abwarten. Er riskiert nicht, dass das Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen mangelnder Eilbedürftigkeit zurückweist.
Nach dem OLG Hamm ist es zulässig, dass ein Arzt im Rahmen des Überprüfungsverfahrens des Internetportals die vertraulichen Behandlungsunterlagen ohne ausdrückliche Zustimmung des Patienten zum Zwecke der Überprüfung der Bewertung an das Internetportal weiterleitet. Auch die Verwertung im anschließenden Rechtsstreit ließ das Oberlandesgericht zu. Es begründete dies mit einer konkludenten Zustimmung der Patientin, die daraus folge, dass diese sich in ihrer Stellungnahme als Zeugin zur Verfügung gestellt und die aus ihrer Sicht relevanten vertraulichen Umstände in einer eidesstattlichen Versicherung selbst offenbart habe. Es handelt sich mithin um eine Einzelfallentscheidung. Ärzte und sonstige einer Schweigepflicht unterworfene Berufsgruppen werden vor der Offenlegung von vertraulichen Informationen gegenüber einem Bewertungsportal kritisch prüfen müssen, inwieweit sie Informationen ganz oder teilweise zurückhalten müssen. Die Frage kann entscheidungserheblich werden, wenn ein Arzt die Fehlerhaftigkeit einer Bewertung nur durch die Offenlegung eines medizinischen Geheimnisses des Bewertenden nachweisen kann. Empfehlenswert ist sicherlich die Einholung einer ausdrücklichen Schweigepflichtsentbindung.
Bleibt nach Durchführung des vorgerichtlichen Überprüfungsverfahrens offen, ob eine Tatsachenbehauptung eines namentlich bekannten Patienten zutreffend ist und erfordert die Beantwortung die Einholung eines Sachverständigengutachtens, besteht nach der Entscheidung des OLG Hamm für das Bewertungsportal vorgerichtlich keine Obliegenheit, ein Gutachten einzuholen. Das Portal dürfte die Bewertung daher weiter verbreiten. Das Gericht würde auch im Verfügungsverfahren kein Sachverständigengutachten einholen. Will der Betroffene vorgerichtlich die Löschung bzw. gerichtlich die Anordnung der Unterlassungsverpflichtung erreichen, dürfte es in einem solchen Falle zur Glaubhaftmachung der Unrichtigkeit der Behauptung daher notwendig sein, selbst ein Parteigutachten einzuholen.

Ärztebewertungsportal: Kein Unterlassungsanspruch des Arztes, wenn Richtigkeit der Bewertung offenbleibt
Denise HübenthalRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
  • Fachanwältin für Erbrecht
  • Wirtschaftsmediatorin (MuCDR)
Ärztebewertungsportal: Kein Unterlassungsanspruch des Arztes, wenn Richtigkeit der Bewertung offenbleibt
Andrea KahleRechtsanwältin

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