Nachfolgend ein Beitrag vom 30.6.2017 von Pörksen, jurisPR-ITR 13/2017 Anm. 5

Leitsatz

Zahlungen, die an einen Unternehmer von dessen Wettbewerbern als Aufwendungsersatz aufgrund von wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen geleistet werden, sind umsatzsteuerrechtlich als Entgelt im Rahmen eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustauschs zwischen dem Unternehmer und den von ihm abgemahnten Wettbewerbern – und nicht als nicht steuerbare Schadensersatzzahlungen – zu qualifizieren.

A. Problemstellung

Dient eine (berechtigte) vorgerichtliche Abmahnung dem Zweck, eine drohende gerichtliche Auseinandersetzung kostengünstig zu vermeiden, steht dem Abmahnenden im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, aber auch im Urheberrecht und anderen Rechtsgebieten grundsätzlich ein Anspruch auf Erstattung seiner Rechtsverfolgungskosten zu (vgl. schon BGH, Urt. v. 15.10.1969 – I ZR 3/68; § 12 UWG). Umsatzsteuerlich wurde der Anspruch – insbesondere in der Praxis – regelmäßig als nicht steuerbarer Schadensersatzanspruch behandelt und die Umsatzsteuer nur dann als Schadensersatz herausverlangt, wenn der Abmahnende selbst nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt war.
Dieser steuerlichen Einordnung ist der BFH in der vorliegenden Entscheidung entgegengetreten und hat einen umsatzsteuerpflichtigen Leistungsaustausch zwischen Abmahnendem und Abgemahnten angenommen. Die Entscheidung hat für alle an der Abmahnung Beteiligten nicht unerhebliche Auswirkungen und ist aus anwaltlicher Sicht auch zur Vermeidung der eigenen Haftung dringend zu beachten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Eine GmbH ließ mehrfach Mitbewerber wegen fehlerhafter Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch einen von ihr beauftragten Rechtsanwalt abmahnen, der in ihrem Namen die Mitbewerber aufforderte, eine Unterlassungserklärung abzugeben sowie die durch seine Einschaltung nach dem RVG entstandenen Kosten zu erstatten. Umsatzsteuer war in den geltend gemachten Aufwendungen nicht enthalten. Der Rechtsanwalt stellte der GmbH seine Leistungen wiederum zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Die GmbH machte die gezahlte Umsatzsteuer im Wege des Vorsteuerabzugs geltend.
Das Finanzamt war der Ansicht, dass die Klägerin durch die Abmahnung an ihre Mitbewerber jeweils eine umsatzsteuerpflichtige Leistung erbracht habe und erließ entsprechende Steuerbescheide. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren war die GmbH im Klageverfahren zunächst erfolgreich. Das FG Münster (Urt. v. 03.04.2014 – 5 K 2386/11 U) gab der Klage mit der Begründung statt, es fehle an einem umsatzsteuerbaren Leistungsaustausch zwischen der Klägerin und den von ihr abgemahnten Mitbewerbern, weil diesen kein konsumierbarer Vorteil zugewandt worden sei.
Der BFH hielt die Revision des Finanzamts für begründet und hob die Entscheidung des FG Münster auf.
Nach Ansicht des BFH war ein Leistungsaustausch zwischen der abmahnenden GmbH und den abgemahnten Wettbewerbern zu bejahen. Eine Leistung gegen Entgelt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG liege regelmäßig nämlich auch dann vor, wenn der Leistende im Auftrag des Leistungsempfängers für diesen eine Aufgabe übernimmt und insoweit gegen Aufwendungsersatz tätig wird. Dasselbe gelte auch dann, wenn ein Unternehmer für einen anderen als Geschäftsführer ohne Auftrag tätig wird und von ihm nach § 683 BGB den Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann. Hingegen seien Entschädigungs- oder Schadensersatzleistungen kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlungsempfänger erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat.
Im vorliegenden Fall habe die Klägerin als Mitbewerberin i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG mit ihren Abmahnungen steuerbare und steuerpflichtige Leistungen gegenüber Mitbewerbern erbracht. Das von der Zivilrechtsprechung entwickelte Institut der vorgerichtlichen Abmahnung sei in § 12 Abs. 1 UWG nachvollzogen worden. Nach dieser Rechtsprechung diene die durch eine Verletzungshandlung veranlasste Abmahnung im Regelfall dem wohlverstandenen Interesse beider Parteien, da sie das Streitverhältnis auf einfache, kostengünstige Weise vorprozessual beenden und einen Rechtsstreit vermeiden soll. Dementsprechend werde die Abmahnung in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich als Mittel zur außergerichtlichen Streitbeilegung in Wettbewerbssachen bezeichnet, durch das der größte Teil der Wettbewerbsstreitigkeiten erledigt werde.
Mit den Abmahnungen habe die Klägerin ihren Mitbewerbern einen Weg gewiesen, sie als Gläubigerin ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen und ihnen hiermit einen konkreten Vorteil verschafft, der zu einem Verbrauch im Sinne der gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führte. Dieser Einordnung stehe nicht entgegen, dass die Klägerin die Erstattung ihrer Rechtsverfolgungskosten ggf. auch im Wege des Schadensersatzes verlangen könne. Denn die Frage, ob ein Leistungsaustausch im umsatzsteuerrechtlichen Sinne vorliegt, sei nicht nach zivilrechtlichen, sondern ausschließlich nach den vom Unionsrecht geprägten umsatzsteuerrechtlichen Vorgaben zu beantworten. Die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Neutralität der Mehrwertsteuer geböten es, die Abmahnleistung, die der Abmahnende an den Abgemahnten erbringt, gleich zu besteuern, ob sie nun zivilrechtlich auf § 9 UWG oder auf § 12 UWG gestützt werden.

C. Kontext der Entscheidung

Mit der vorliegenden Entscheidung knüpft der BFH an die im Zusammenhang mit sog. Abmahnvereinen ergangene Entscheidung aus dem Jahr 2003 (BFH, Urt. v. 16.01.2003 – V R 92/01) an. Bereits in diesem Fall hatte der BFH das Vorliegen einer steuerbaren und steuerpflichtigen Leistung des Vereins bejaht. Das FG Münster hatte – wie auch die Praxis – eine Anwendung dieser Rechtsprechung insbesondere mit dem Argument verneint, die Abmahnvereine hätten – anders als die Marktteilnehmer – durch das wettbewerbswidrige Verhalten eines Marktteilnehmers selbst keinen Schaden erlitten.
Das FG Münster war davon ausgegangen, die GmbH habe keine umsatzsteuerbaren Leistungen an die Abgemahnten erbracht. So habe es an der Zuwendung eines verbrauchsfähigen Vorteils gefehlt. Den Abgemahnten sei durch die Abmahnungen tatsächlich kein Vorteil zugewandt worden. Im Gegenteil sei Ziel der Abmahnungen gewesen, den Handlungsspielraum der Abgemahnten zu beschneiden und ihnen insoweit einen tatsächlichen „Nachteil“ zuzufügen. Der Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG begründe kein Leistungsaustauschverhältnis. Denn auch der Aufwendungsersatzanspruch sei die bloße gesetzliche Folge aus dem Umstand, dass die GmbH Aufwendungen getragen hat, um sich gegen das schädigende Verhalten ihrer Wettbewerber zu wehren. Zudem fehle es an dem notwendigen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erbrachten Abmahnungsleistung und dem hierfür zu entrichtenden Entgelt, denn der Anspruch des Abmahnenden auf Ersatz der vorgerichtlichen Abmahnkosten bestehe unabhängig davon, ob der Abmahnungsempfänger das in der Abmahnung liegende Angebot der außergerichtlichen Beilegung des Rechtsstreits annimmt. Für den BFH hingegen war die Frage der Schadensentstehung ohne Relevanz.
Bezogen auf eine urheberrechtliche Abmahnung hat das FG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 30.11.2016 – 7 K 7078/15) eine dem FG Münster vergleichbare Argumentation hinsichtlich der Einordnung der Aufwendungserstattungen als (nicht steuerbaren) Schadensersatz vorgenommen. Allerdings hat das FG Berlin-Brandenburg zugleich den Vorsteuerabzug aus den anwaltlichen Gebührenrechnungen versagt. Es sei bei den Abmahnungen von einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu einem nichtsteuerbaren Ausgangsumsatz auszugehen, sodass ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht komme. Die Versagung des Vorsteuerabzugs dürfte allerdings auf den Besonderheiten des Falles beruhen. So war die Rechtsanwaltsvergütung vertraglich in unmittelbare Abhängigkeit zu den von den Rechtsanwälten „erzielten Schadensersatzleistungen“ gestellt worden (75% der Zahlungen von Rechtsverletzern). Eine generelle Versagung des Vorsteuerabzugs bei Abmahnungen ergibt sich hieraus nicht und wäre auch nicht überzeugend. So besteht ein unmittelbarer Zusammenhang nicht nur zwischen der anwaltlichen Vergütungsrechnung und dem Schadensersatzanspruch für die Verletzung des Urheberrechts. Ein solcher Zusammenhang besteht insbesondere zu dem Unterlassungsanspruch, der in der Regel einen deutlich größeren Anteil des Streitwertes ausmacht. Zudem kompensiert der Schaden regelmäßig den entgangenen Lizenzertrag und weist insoweit auch einen hinreichenden Zusammenhang zu steuerpflichtigen Umsätzen auf. Das Finanzamt hat gegen die Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg Revision eingelegt (Az. des BFH: XI R 1/17).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Auswirkungen für die Praxis sind nicht zu unterschätzen. Sie lassen sich aber bei richtiger Gestaltung der Abläufe in den Griff bekommen. In finanzieller Hinsicht problematisch ist die Entscheidung insbesondere für die in der Vergangenheit ohne Umsatzsteuerausweis erteilten Abmahnungen (Nachzahlungsverpflichtung bezüglich der nicht in Rechnung gestellten Umsatzsteuer aus den Erträgen) sowie für Kleinunternehmer, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.
Für Abmahnungen im Bereich des Wettbewerbsrechts dürfte nunmehr Folgendes gelten:
Der Aufwendungsersatzanspruch muss zukünftig im Rahmen der Abmahnung stets zuzüglich Umsatzsteuer berechnet werden. Zugleich ist der Abmahnende als Unternehmer verpflichtet, dem Abgemahnten innerhalb von sechs Monaten eine den Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 UStG genügende Rechnung zu übermitteln (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 UStG). Ansonsten begeht er eine Ordnungswidrigkeit (§ 26a Abs. 1 Nr. 1 UStG). Solange eine solche Rechnung nicht erteilt wurde, steht dem Abgemahnten zudem ein Zurückbehaltungsrecht zu (BGH, Urt. v. 27.10.2011 – I ZR 125/10). Es muss sich dabei um eine Rechnung des Abmahnenden selbst handeln, die der Abmahnung beigelegt werden kann. Die Rechnung muss dann den Nettobetrag der anwaltlichen Rechnung zuzüglich Umsatzsteuer ausweisen. Nicht ausreichend ist es, dem Abgemahnten die Rechnung des mit der Abmahnung beauftragten Rechtsanwaltes zu übermitteln. Der Rechtsanwalt hat seinem Mandanten wie bisher eine Rechnung über die von ihm erbrachten Leistungen zu stellen. Zahlt der Abgemahnte an den Rechtsanwalt, kann dieser weiterhin eine Verrechnung mit seinem Gebührenanspruch vornehmen. Stimmen Zahlbetrag des Abgemahnten und Gebührenrechnung betraglich überein, braucht der Abmahnende keine Zahlung mehr an den Rechtsanwalt zu leisten. Zugleich muss er die in seiner Rechnung an den Abgemahnten ausgewiesene Umsatzsteuer abführen, kann aber die in der Rechnung seines Rechtsanwalts enthaltene Umsatzsteuer im Wege des Vorsteuerabzugs geltend machen. Gleiches gilt grundsätzlich für den Abgemahnten hinsichtlich der an den Abmahnenden gezahlten Umsatzsteuer, vorausgesetzt, er ist zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Handeln die Parteien nach der Abmahnung einen geringeren Streitwert aus und führt dies zu einer Reduzierung der Gebühren nach dem RVG, ist eine Rechnungskorrektur in der Kette erforderlich. Daher kann es sinnvoll sein, mit der Rechnungsstellung erst zu beginnen, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind. Bereits laufende gerichtliche Auseinandersetzungen machen eine Klageerweiterung um die Umsatzsteuer erforderlich. Für bereits in der Vergangenheit liegende Abmahnungen dürfte es auf Seiten der Abmahnenden zu erheblichen Nachzahlungen kommen können, wenn diese ohne Ausweis der Umsatzsteuer erfolgt sein sollten. Eine Anwaltshaftung wird man erst annehmen können, wenn nunmehr die Umsetzung der BFH-Rechtsprechung unterbleibt.
Die vom BFH vorgegebene Linie dürfte im Übrigen auch für den Erstattungsanspruch im Rahmen des Abschlussschreibens nach Erlass einer einstweiligen Verfügung Anwendung finden, da dieser ebenfalls auf § 683 BGB gestützt wird (vgl. BGH, Urt. v. 22.01.2015 – I ZR 59/14).
Inwieweit die Rechtsprechung auch auf Abmahnungen im Urheberrecht zutrifft, bleibt mit Blick auf die beim BFH anhängige Revision abzuwarten. Da der Erstattungsanspruch aber auch im Rahmen urheberrechtlicher Abmahnungen auf § 683 BGB gestützt werden kann (Abmahnung zum Zwecke der Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung), ist zu vermuten, dass der BFH auch hier die Leistungsbeziehung in den Vordergrund stellt und einen steuerpflichtigen Leistungsaustausch bejaht. Dies würde dann auch für Abmahnungen gegenüber Verbrauchern gelten und für diese zu einer tatsächlichen Kostensteigerung führen. Aber auch bis zu einer Entscheidung des BFH empfiehlt es sich, im Falle urheberrechtlicher Abmahnungen die Erstattung des Bruttobetrages aus der anwaltlichen Rechnung zu verlangen, jedoch ohne Rechnungsstellung durch den Abmahnenden. Folgt der BFH auch hinsichtlich des Ausschlusses des Vorsteuerabzuges der Ansicht des FG Berlin-Brandenburg, beläuft sich der „Schaden“ des Abmahnenden auf den Bruttobetrag der anwaltlichen Rechnung, da er nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Folgt der BFH seiner bisherigen Linie, hat der Abmahnende bei dem vorgeschlagenen Vorgehen den Bruttobetrag zumindest bereits vereinnahmt. Er muss dann dem Abgemahnten seine „Leistung“ noch in Rechnung stellen und die Umsatzsteuer abführen, kann aber die Vorsteuer aus der anwaltlichen Vergütungsrechnung geltend machen.