Nachfolgend ein Beitrag vom 30.11.2018 von Friesen/Kurth, jurisPR-IWR 6/2018 Anm. 2

Tenor

Art. 2 Buchst. b und d der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) und Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sind dahin auszulegen, dass eine natürliche Person wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die gleichzeitig eine Reihe von Anzeigen, in denen neue und gebrauchte Waren zum Verkauf angeboten werden, auf einer Website veröffentlicht, nur dann als „Gewerbetreibender“ bzw. „Unternehmer“ einzustufen ist und eine solche Tätigkeit nur dann eine „Geschäftspraxis“ darstellt, wenn diese Person im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt; dies anhand aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

A. Problemstellung

In seiner hier besprochenen Entscheidung befasst sich der EuGH mit dem in zahlreichen EU-Rechtsakten (sowie nationalen Rechtsordnungen) verwendeten Begriff „Unternehmer“; am Rande nimmt er Stellung zu „Geschäftspraxis“. Das vorlegende Gericht sah Veranlassung für das Vorabentscheidungsersuchen, da es zweifelhaft gewesen sei, ob die betroffene Verkäuferin als Verbraucher oder Unternehmer handelte, da diese auf einer Onlineplattform zeitgleich mehrere Waren anbot.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die bulgarische Kommission für Verbraucherschutz (nachfolgend: KfV) verhängte Geldbußen gegenüber Frau Kamenova, da diese Informationspflichten nicht nachgekommen sei, als sie auf einer Handelsplattform im Internet acht verschiedene (neue sowie gebrauchte) Gegenstände zum Verkauf anbot. Es handelte sich u.a. um folgende Informationen: Name, Postanschrift, E-Mail-Adresse, Endpreis einschließlich aller Steuern und Abgaben, Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie Einzelheiten zur Ausübung des einem Verbraucher zustehenden Widerrufsrechts. Zur Information sei Frau Kamenova nach den innerstaatlichen Transformationsvorschriften zur RL 2005/29/EG als Gewerbetreibende verpflichtet gewesen.
Frau Kamenova focht den Bußgeldbescheid gerichtlich mit Erfolg an. Gegen dieses Urteil legte die KfV anschließend Beschwerde beim vorlegenden Gericht ein. Dieses stellte sich im Wesentlichen die Frage, ob eine natürliche Person – wie diejenige im Ausgangsverfahren – , welche eine „vergleichsweise große Zahl von Waren mit erheblichem Wert“ im Internet verkaufe, die Eigenschaft eines Gewerbetreibenden habe und die konkrete Tätigkeit eine „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG darstelle.
Der EuGH führt zunächst aus, dass Informationspflichten aus dem Umsetzungsrecht zu Art. 6 und Art. 9 der Richtlinie 2011/83/EU resultierten, gleichwohl sich die Vorlagefrage lediglich auf die Auslegung der Richtlinie 2005/29/EG erstrecke. Aufgrund dieser Umstände vergleicht der EuGH sodann die Definitionen innerhalb dieser beiden Richtlinien zum „Gewerbetreibenden“ und „Unternehmer“. Er stellt fest, dass die Begrifflichkeiten „nahezu identisch“ definiert würden, weshalb sie einheitlich auszulegen seien. Beide seien überdies vor dem Hintergrund zu interpretieren, als dass sie das Gegenteil zum Verbraucher darstellten. Weiterhin müsse berücksichtigt werden, in welcher Funktion jemand agiere, mithin, ob die infrage stehende Person im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handele bzw. zu Zwecken tätig werde, die ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden könne.
Die 5. Kammer schlussfolgert, dass es sich bei der Beurteilung, ob jemand als Gewerbetreibender (im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG) bzw. Unternehmer (im Sinne der Richtlinie 2011/83/EU) auftritt, um eine Einzelfallbetrachtung handele, die insbesondere nachfolgende Fragen berücksichtigen müsse:

• Handelt es sich um einen planmäßigen Verkauf auf einer Online-Plattform?
• Dient der Verkauf einem Erwerbszweck?
• Besitzt der Verkäufer Informationen oder technische Fähigkeiten, über welche der Verbraucher nicht notwendigerweise verfügt, so dass sich jener gegenüber dem Konsumenten in einer vorteilhaften Position befindet?
• Verfügt der Verkäufer über eine Rechtsform, welche ihm die Vornahme von Handelsgeschäften erlaubt?
• Welches Ausmaß hat der Online-Verkauf, und in welchem Zusammenhang steht er mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Verkäufers?
• Ist der Verkäufer mehrwertsteuerpflichtig?
• Handelt der Verkäufer im Auftrag oder im Namen eines bestimmten Gewerbetreibenden?
• Handelt der Verkäufer durch einen anderen?
• Erwirbt der Verkäufer neue oder gebrauchte Waren anlässlich eines Wiederverkaufs?
• Erfolgt die Tätigkeit des Verkäufers regelmäßig?

Ausdrücklich stellt der EuGH klar, dass die Aufzählung nur exemplarisch, mithin nicht abschließend zu verstehen sei und die Annahme der Unternehmereigenschaft sich nicht bereits daraus ableiten lasse, dass ein oder mehrere Merkmal(e) gegeben seien. So genüge für sich allein betrachtet nicht, dass eine Person einen Erwerbszweck verfolge oder gleichzeitig mehrere (neue wie gebrauchte) Waren anbiete.
Zum Begriff „Geschäftspraxis“ führt der EuGH aus, dass dieser weit zu verstehen sei und von der Beurteilung abhänge, ob die Praxis gewerblicher Natur sei. Eine solche liege vor, wenn sie von einem Gewerbetreibenden ausgehe und sein Handeln bzw. Unterlassen unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an einen Verbraucher zusammenhänge.

C. Kontext der Entscheidung

Im Wesentlichen bleibt der Entscheidung zuzustimmen, wenngleich die Sachdienlichkeit einzelner Kriterien durchaus bezweifelt werden darf, wenn es um die Abgrenzung zwischen Verbraucher und Unternehmer geht.
Positiv hervorzuheben ist zunächst, dass der EuGH nicht nur zu der Richtlinie 2005/29/EG Stellung bezieht, sondern auch die aktuelle Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU berücksichtigt. Ein solcher Schritt war überdies nicht nur methodisch angezeigt, er beugt überdies Fragen vor, die sich mit der Übertragbarkeit der Entscheidung auf aktuelle Richtlinien befassen.
Zu einzelnen Kriterien bleibt festzuhalten, dass zumindest einige von ihnen lediglich eine ganz unerhebliche Bedeutung besitzen können, mithin „schwach“ sind. So erscheint etwa die Relevanz einer „technischen Überlegenheit“ durchaus fraglich zu sein, ob sie eine Abgrenzung zu stützen vermag. Auch der Umstand, ob eine begrenzte Anzahl von Waren angeboten wird, dürfte als Bewertungskriterium allenfalls am Rande Berücksichtigung finden.
Um „starke“ Merkmale dürfte es sich dagegen bei der Rechtsform des Verkäufers handeln, welche die Vornahme von Handelsgeschäften erlaubt; das Gleiche gilt, wenn eine Person tatsächlich mehrwertsteuerpflichtig ist. Es spricht viel dafür, dass dann von einem Unternehmer auszugehen ist. Ob es dann noch weiterer Anhaltspunkte bedarf, erscheint eher fernliegend.
Der EuGH verweist darauf, dass eine Person entweder Unternehmer oder Verbraucher sein muss. Er hat in dem Zusammenhang nicht die Chance genutzt, sich mit den divergierenden Interpretationen zum Verbraucherbegriff auseinanderzusetzen. So wird unterschiedlich interpretiert, wer (noch) Verbraucher ist bzw. wann der Annahme einer Verbrauchereigenschaft etwa geschäftliche Absichten entgegenstehen. Im Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrecht sowie im (richtlinienbedingten) nationalen Recht fehlt ein einheitliches Verständnis (dazu etwa: Friesen/Frensing-Deutschmann, jM 2018, 51, 55 m.w.N.). Auch kann dem Verweis in Rn. 33 auf die Rechtssache C-59/12 (dort Rn. 33 sowie die dort aufgeführte Rechtsprechung) nichts Gegenteiliges entnommen werden, wenngleich das dort in Bezug genommene Urteil des EuGH (C-89/91) zum Verbraucherbegriff des EuGVÜ erging, welcher deutlich enger gefasst ist als der im materiellen (Transformations-)Recht.
Angeboten hätte sich, zu der Situation auszuführen, in welcher Anhaltspunkte sowohl für als auch gegen eine Unternehmereigenschaft vorliegen, ferner für eine Dual-use-Situation. Bei der erstgenannten Konstellation erscheint es mit dem Verbraucherschutzgedanken unvereinbar zu sein, bei Zweifeln dennoch von einer Unternehmereigenschaft auszugehen. Handelt eine Person indes tatsächlich sowohl zu privaten als auch gewerblichen Zwecken, bietet sich eine Orientierung an Erwägungsgrund 17 der Verbraucherrechterichtlinie (RL 2011/83/EU) an. Abzustellen bleibt dann darauf, welche Ziele überwiegend verfolgt werden.

D. Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis dürften mit der besprochenen Entscheidung kaum wesentliche Änderungen einhergehen. In Zivilverfahren dürften die vom EuGH aufgeführten Merkmale im Ausgangspunkt ein Stück weit die Beurteilung der Unternehmereigenschaft erleichtern.

Abgrenzung zwischen Unternehmer und Verbraucher
Carsten OehlmannRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
  • Fachanwalt für Erbrecht
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Abgrenzung zwischen Unternehmer und Verbraucher
Thomas HansenRechtsanwalt
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